Protokoll der Sitzung vom 23.06.2006

Mit der Antwort des Herrn Staatsministers Tillich heute Mittag in der Fragestunde ist eine konsequentere Arbeit des Staatsministeriums und des Regierungspräsidiums bereits bei der Bescheiderteilung angezeigt. Kontrollen, begleitende Messungen, Androhungen bei Ordnungswidrigkeiten bis hin zur Stilllegung sind positive Eckpunkte, die im Bedarfsfall auch umgesetzt werden müssen. Wissenschaftliche Studien können diese Umsetzung erleichtern, subjektive Ermessensspielräume einschränken und klare Forderungen an die Wirtschaft geben. Die jetzt vorliegenden Studien und Statistiken beinhalten noch zu wenig verwertbares Material. Die Krebsstatistik des Statistischen Landesamtes Kamenz ging auf diese detaillierten Probleme bisher nicht umfassend ein.

Insgesamt ist eine unabhängige wissenschaftliche Studie sicher notwendig, um den Zusammenhang zwischen Dioxinbelastung im Boden und in der Luft in Riesa und Umgebung und eventuell erhöhten Krebserkrankungen der Bevölkerung zu bestätigen oder auch zu widerlegen. Deshalb brauchen wir für die Region Riesa ein gründliches Messprogramm, weil wir sicher sind, dass das von Feralpi eingeholte TÜV-Gutachten nicht überzeugt.

Übrigens, in Seveso und Umgebung hat man nach dem damaligen Unfall festgestellt, dass die Lebenserwartung der dort lebenden Menschen 15 Jahre unter dem Durchschnitt Italiens lag.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Wir sehen in diesem Antrag mehr als eine politische Deklaration. Wir wollen, dass die erforderlichen Schritte schnellstmöglich eingeleitet werden können – wirtschaftlich vertretbar und umweltorientiert. Eine Hilflosigkeitserklärung unter der Losung „Verkugelung des Würfels“ kann nicht unser Weg sein.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Deshalb unterstützen wir den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, weil wir genau wissen müssen, welche Folgen die bisherigen Emissionen in der Region in der Nahrungskette und im Gesundheitszustand der Menschen haben.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die SPD-Fraktion schickt Frau Dr. Deicke ins Rennen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, man muss nicht Mediziner sein, um zu wissen, dass es vielfältige Ursachen für Krebserkrankungen gibt. Die Ursachen reichen von genetischer Veranlagung über eine ungesunde Lebensweise bis hin zu Umwelteinflüssen durch Krebs erregende Umweltchemikalien.

Man muss sicherlich auch nicht Chemiker sein, um zu wissen, wie gefährlich Dioxin ist. Das ist allen bekannt. Bekannt ist darüber hinaus, dass es keinen Schwellenwert gibt, ab dem das Dioxin gefährlich ist. Deshalb ist in Deutschland eine duldbare Aufnahmemenge für Dioxin festgelegt worden. Diese ist bei Kindern überschritten, bei Erwachsenen ist sie weitgehend ausgeschöpft. Das ist schon dramatisch.

Die Ruhr-Universität Bochum – ich habe mich auf der Internetseite informiert – schätzt ein, dass es unklar ist, ob von den derzeitigen bzw. zurückliegenden Belastungen der Bevölkerung überhaupt ein erhöhtes Krebsrisiko abgeleitet werden kann. Ich warne davor, selbst aus statistisch festgestellten Zusammenhängen zwischen Dioxinbelastung und Krebserkrankung einen Kausalitätsnachweis abzuleiten. Gesicherte Aussagen kann man nur machen, wenn man die gesamte Bandbreite der Einflussfaktoren untersucht.

Der Antrag der GRÜNEN soll die Ursachewirkung zwischen Dioxin und Krebserregung nachweisen bzw. ausschließen. Das ist aus den genannten Gründen mehr als fraglich. Man muss wissen, dass es für die Dioxinwirkung kein spezielles Zielorgan gibt. Insofern kann eine spezielle Krebsart nicht als Indikator angesehen werden.

Eine Ursache von Neuerkrankungen im Einwirkungsbereich der Anlage ist aus den genannten Gründen sehr schwer aufklärbar. Genau das zeigen die widersprüchlichen Statistiken. Es gibt eine Anzahl von Untersuchungen, bei denen versucht wurde, einen Zusammenhang zwischen Umweltgiften und Krebserkrankungen festzustellen. Zum Beispiel wurden die Gesundheitsrisiken durch Schwermetalle, Dioxine und Furane in Sekundärkupferhütten untersucht. Ein vermutetes höheres Krebsrisiko hat man nicht belegen können. Man hat die Mitarbeiter untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass man weder ausschließen noch statistisch sichern kann, dass dieser Zusammenhang sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Beschäftigten besteht.

Ich möchte noch einmal an das Kernkraftwerk Krümmel erinnern. In der Umgebung des Kernkraftwerkes gab es, statistisch nachgewiesen, eine erhöhte Anzahl von Leukämieerkrankungen. Man hat versucht, Gutachten für Gutachten von unabhängigen Sachverständigen zu erstellen, um genau diesen Nachweis zu erbringen. Auch dort ist dieser Nachweis nicht erbracht worden.

Natürlich ist jeder Krebsfall einer zu viel. Insofern sind die Vorsorgemaßnahmen sehr wichtig. Welche Vorsorgemaßnahmen können das sein?

Wir müssen die emissionsmindernden Maßnahmen weiter forcieren. In Riesa – das wissen alle – soll im Herbst eine neue Entstaubungsanlage in Betrieb gehen. Ich denke, damit wird uns eine entsprechende Emissionsminderung gelingen. Weitere Maßnahmen sind Krebsvorsorgeuntersuchungen. Diese werden kostenlos angeboten und sollten unbedingt regelmäßig wahrgenommen werden. Auch ist es wichtig, dass von medizinischer Seite eine sorgfältige Anamneseerhebung gemacht und nach möglichen Belastungsquellen gesucht wird. Dies ist für jede einzelne Krebserkrankung notwendig.

Ich erspare es mir, noch einmal auf die letzte Debatte einzugehen, denn dabei hat der Minister anhand einzelner Zahlen nachgewiesen, dass es in Riesa keine Dioxinverseuchung des Bodens gibt. 90 % der vom Menschen aufgenommenen Dioxine und Furane stammen aus der Nahrungskette, insbesondere aus dem Verzehr tierischer Produkte. Deshalb müssen wir den Dioxingehalt in Lebensmitteln weiter reduzieren.

Ich bin sehr erfreut – kürzlich ist der neue Verbraucherindex herausgegeben worden –, dass Sachsen bei der Lebensmittelkontrolle eine Spitzenposition einnimmt.

(Caren Lay, Linksfraktion.PDS: Sachsen ist auf dem vorletzten Platz gelandet!)

Nicht im Zusammenhang mit dem Dioxin, von dem ich gerade spreche, Frau Lay.

Insgesamt habe ich ein bisschen das Gefühl, dass Goethe – lebte unser Dichterfürst noch und hätte diese Debatte verfolgt – seinen bekannten Ausspruch getan hätte: „Sie peitschen den Quark, ob nicht etwa Creme daraus werden wolle.“

(Beifall bei der SPD und des Abg. Thomas Pietzsch, CDU)

Herr Paul, Sie sind für die NPD-Fraktion gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der GRÜNEN hatte schon in ihrem letzten Antrag zu diesem Thema viel zu kurz gegriffen; heute tun sie das nach unserer Ansicht schon wieder.

Was, bitte schön, sollen denn einzig und allein bei den Anwohnern festgestellte Krebserkrankungen für einen

statistischen Beweiswert haben? Eine unter wissenschaftlichem Anspruch stehende Untersuchung hat den Untersuchungsgegenstand eigentlich wesentlich weiter zu fassen, als sie das beantragen. Anscheinend hat die Fraktion der GRÜNEN die Bedeutung des eigentlichen Themas in seinem vollen Umfang noch nicht begriffen. Sie sehen irgendwie das gesamte Thema aus der Sicht grüner Gartenzwerge. Aus dem typisch blindwütigen Antiindustriereflex der GRÜNEN heraus hätten sie doch am liebsten das Feralpi-Stahlwerk und Hunderte fleißige Riesaer Stahlwerker mit ihrem damaligen Antrag in die Arbeitslosigkeit geschickt, denn das wäre die Konsequenz aus diesem Antrag gewesen.

Die NPD-Fraktion hingegen hatte damals schon versucht, mit einem Änderungsantrag den Blick auf das eigentliche Problem zu richten. Der NPD-Fraktion geht es nicht allein um Dioxinemissionen von heute, die durch die neue Entstaubungsanlage und weitere technische Innovationen des Feralpi-Stahlwerkes bald abgestellt sein sollen. Der NPD-Fraktion geht es um die Klärung der Dioxinbelastungssituation im Großraum Riesa, die durch frühere jahrzehntelange Dioxinemissionen vor allem aus DDR-Zeiten herrührt. Wie Sie wissen, handelt es sich bei den Dioxinen und Furanen um sehr langlebige Gifte, die sich im Boden und über die Nahrungskette schließlich auch in Mensch und Tier anreichern, und das über lange, lange Zeit.

Um die Dioxinbelastungssituation nicht nur in Riesa, sondern im gesamten Freistaat Sachsen zu hinterleuchten, hat die NPD-Fraktion schon vor Wochen eine 16-seitige Große Anfrage mit 133 Einzelfragen an die Staatsregierung unter dem Titel „Umweltbelastung durch Dioxine in Sachsen“ eingereicht. Das Ergebnis wird im nächsten Monat vorliegen.

Hätten sich die GRÜNEN mal die Mühe gemacht, sich mit dem Kapitel 4 unserer Großen Anfrage zu befassen, dann wüssten sie, dass die Dioxine mitnichten nur allein Krebserkrankungen auslösen können, sondern als Verursacher für ein weites Spektrum verschiedenster Krankheitsbilder infrage kommen. Ich vermute allerdings, dass es ihnen mit ihrem Antrag nur um vordergründige Showeffekte geht, und sie können sich sicher sein, dass ihnen die Medien dabei Schützenhilfe leisten. Was, bitte schön, soll eine sich wissenschaftlich nennende Studie, die mit einer derart halbherzigen Zielstellung zu Werke geht?

Ebenso wenig, wie es genügen darf, eine solche Studie auf die Anwohner des ehemaligen Dioxinemittenten zu beschränken, darf sich eine solche Untersuchung auf die Feststellung eines Zusammenhangs zwischen der Dioxinbelastung und Krebserkrankungen beschränken. Das ist das, was Sie mit Ihrem Antrag wollen. Wenn man es so macht, wie Sie es mit Ihrem Antrag formulieren, dann ist das etwa genauso, als wenn die Polizei bei der Verbrechersuche nur einen Bruchteil des vorhandenen Fingerabdrucks nehmen würde. Da hätten Sie schon besser von unserer Großen Anfrage abschreiben können, um Ihren Antrag sachgerecht zu formulieren.

Nach Auffassung der NPD-Fraktion ist die entscheidende Grundlage einer umfassenden wissenschaftlichen Studie zuallererst die Feststellung der Dioxinbelastungssituation in den verschiedenen Umweltkompartimenten mittels eines engmaschigen Netzwerkes von Probenahmen um das entsprechende Stahlwerk in Riesa. Durch dieses Screening-Untersuchungsverfahren wird man gegebenenfalls ein abstandsabhängiges, gewissermaßen zwiebelschalenförmiges Dioxinverteilungsmuster erhalten, das die Dioxinbelastung der Region um das Stahlwerk objektiv wiedergibt.

Es versteht sich von selbst, dass die Güte des Untersuchungsergebnisses ganz entscheidend von der strengen Einhaltung der Systematik abhängt. Natürlich genügt es dabei nicht, hier und da planlos ein bisschen in der Erde herumzubohren. Auch ist es wichtig, an jeder Probenentnahmestelle gleichzeitig in verschiedenen Tiefen Proben zu nehmen, um ein dreidimensionales Dioxinverteilungsmuster zu erhalten, denn die verschiedenen Futterpflanzen und Tiere nehmen die Schadstoffe aus verschiedenen Bodentiefen auf.

Sodann sollten nach Überzeugung der NPD-Fraktion statistische Erhebungen bei allen in der Region Riesa niedergelassenen Ärzten, Heilpraktikern und Krankenhäusern in Bezug auf die Auftrittshäufigkeit aller Krankheitsbilder erfolgen, von denen bereits bekannt ist, dass sie durch Dioxine provoziert werden können. Dazu gehören nicht nur die Krebserkrankungen, sondern eine Vielzahl weiterer Erkrankungen.

Die NPD-Fraktion fordert außerdem eine wissenschaftliche Untersuchung, um auch die Belastung von Muttermilch mit Dioxin festzustellen, und viele weitere Maßnahmen, die wir in unserem Änderungsantrag formuliert haben, den ich später einbringen werde.

Ich danke zunächst für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Herr Günther von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Zeitdieb Johannes Lichdi: Das Thema hatten wir doch gerade erst im Plenum, ohne dass sich ein erkennbarer Handlungsbedarf ergeben hätte. Jetzt kommen Sie wieder mit einem solchen Antrag. Derart rufschädigende Anträge machen unsere sächsische Wirtschaft kaputt.

(Beifall bei der FDP und ganz vereinzelt bei der CDU)

Nur zur Erinnerung, zum Verdeutlichen: Die ESF ging 1994 mit dem Stahlwerk nach dem neuesten Stand der Technik in Betrieb und war mit seinen Anlagen nachweislich anderen Stahlwerken überlegen. Durch technische Optimierungen hat speziell dieses Werk ständig versucht, die Werte zu sichern und zu verbessern. Die Durchführung verschiedener Maßnahmen hat 1998 und 1999 zu

dem Ergebnis einer deutlichen Emissionsminderung geführt.

Mit der Senkung des Grenzwertes auf 0,1 Nanogramm pro Kubikmeter wurden bis 2004 nochmals zwölf Millionen Euro nur für Umweltmaßnahmen investiert. Seither sind bei dem Feralpi-Stahlwerk hinsichtlich der Dioxinemissionen in der Höhe nur noch geringfügige und zeitweilige Überschreitungen der Grenzwerte zu verzeichnen gewesen. In einem Kapazitätserweiterungsantrag wurden 2005 weitere umwelttechnische Investitionen festgelegt und terminiert und werden bis Ende 2006 zu 100 % realisiert sein.

Das haben wir alles schon einmal hier im Hause thematisiert. Heute kommen Sie schon wieder mit einer Forderung an die Staatsregierung, die ich im Moment nicht wirklich nachvollziehen kann. Jetzt möchten Sie eine wissenschaftliche Krebsstudie mit der Begründung – ich zitiere aus Ihrem eigenen Antrag, wie es schon Kollege Alexander Krauß getan hat: „Insgesamt scheint die Krebserkrankungshäufigkeit in der Stadt Riesa nicht auffällig.“ Im Weiteren: „Die Leberkrebsrate ist in Riesa um 26 % gegenüber dem Landkreis, um 5 % über dem Durchschnitt in Sachsen erhöht. Andererseits hat Riesa signifikant niedrige Krebsraten bei der Gallenblase, bei Leukämie, Eierstock- und Hodenkrebs.“

Was soll die geforderte Studie an Ergebnissen liefern, die nicht schon durch die vorhandenen Datensätze und Krebsregister erhältlich wären? Dioxine sind toxisch, wirken Krebs erzeugend. Das wird in diesem Hause niemand bestreiten. Die Informationen, die beispielsweise über die Medizinischen Dienste oder die Zentralstelle für Toxikologie in Bonn erhältlich sind, fallen eher spärlich aus. Deshalb wäre es umso wichtiger, mehr Basisinformationen über die toxische Wirkung von Dioxinen zu erhalten – aber, bitte, bundesweit, denn dieses Thema betrifft ganz Deutschland; diese Emissionen treten im gesamten Bundesgebiet auf –; das macht Sinn. Hier ein Signal für Grundlagenforschung zu setzen fände unsere Zustimmung, der vorliegende Antrag aber nicht.

Genau aus diesen Gründen ist auch der Änderungsantrag der NPD abzulehnen. Sie aber, sehr geehrte Damen und Herren der GRÜNEN-Fraktion, wollen die Landesregierung mit einer Studie beauftragen, die nur ein Ziel hat: einer Industrie, einem einzigen Werk, das den GRÜNEN nicht genehm ist, zu schaden. Das findet nicht unsere Zustimmung.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich frage Sie: Was haben Sie denn gegen dieses Werk? Mit zwei Plenardebatten wollen Sie ein Werk kaputt machen. Ich bin schon geneigt, der Geschäftsführung von Feralpi anzuraten, sie mögen doch bitte grüne Stahlfrösche schmieden – vielleicht sind Sie dann nicht mehr gar so böse gegenüber diesem Werk.

(Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Die Fraktion der GRÜNEN spielt hier wieder einmal mit der Angst der Bürger und will daraus politisch Kapital schlagen. Sie bringen nun die Leberkrebsfälle in Riesa mit diesem Werk in Verbindung. Diese erhöhten Werte lassen sich aber auch anders erklären. Nun wieder ein Zitat aus Ihrer eigenen Begründung: „Eine erhöhte Rate gegenüber dem Rest des Landkreises erklärt sich zum Teil durch das generell bestehende leicht erhöhte Erkrankungsniveau in Städten.“