Denn für welche Modellvariante sich letztlich Politiker mehrheitlich entscheiden, wird nicht nur für die Deutsche Bahn AG, sondern vor allem auch für den öffentlichen Personennahverkehr und für die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen enorme Auswirkungen haben. Daher fordere ich Sie auf, die sofort zum Thema in Ihrem Ministerium und in der Verkehrsministerkonferenz zu machen.
Auf die Frage, aus welchen Gründen die Zukunftsfähigkeit der DB in der gegenwärtigen Struktur und Eigentümerschaft des Bundes als Aufgabenstellung für das Gutachten ausgeschlossen wurde, antworten Sie, Herr Jurk, dass die gegenwärtige Struktur und Eigentümerschaft vom Grundsatz her hinsichtlich des Integrierten Modells im Gutachten beachtet worden sei.
Darauf kann man nur sagen: Sorry, Gutachten nicht gründlich gelesen? Denn mit dem Koalitionsvertrag hat sich die große Koalition in Berlin von vornherein auf die Privatisierung der DB und auf den Börsengang festgelegt. Dies wurde nun im bestellten Gutachten nachgeliefert.
In der Diskussion des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag kam es dann bekanntlich zum Skandal, als den Abgeordneten ein Gutachten mit geschwärzten Teilen zur Kenntnis gegeben wurde. Sollte damit etwas verheimlicht werden? Diese Schwärzungen sind für die Abgeordneten mittlerweile entfernt, aber die Staatsregierung hat – man höre und staune; ich zitiere – „den Inhalt der geschwärzten Teile nicht zur Kenntnis erhalten“.
Aber zur gleichen Zeit würde die Position zum Thema im Ministerium erarbeitet. Ohne Kenntnis der geschwärzten Teile im Gutachten sind die Beamten in Sachsen dabei, sich eine Meinung zu erarbeiten. Donnerwetter! Die Neugier Ihrer Beamten scheint nicht gerade ausgeprägt zu sein.
Bisher gäbe es noch keine Bewertung des Privatisierungsvorhabens und es könnten keine Aussagen getroffen werden.
Haben sich Ihre Beamten etwa schon in den Sommerurlaub verabschiedet? Allzu lange dürfen Sie, Herr Jurk, sich keine Zeit mehr lassen, um sich eine Meinung zu bilden; denn spätestens Ende September soll im Bundestag darüber entschieden werden.
Auf die Frage, welches der fünf untersuchten Strukturmodelle am ehesten Ihren verkehrs-, wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen entspricht, antworten Sie lapidar, dass die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt, aber nicht auf den Haushaltes des Freistaates Sachsen im Gutachten untersucht worden sind.
Das stimmt. Aber Ihnen dürfte doch nicht entgangen sein, dass die Kürzung der Regionalisierungsmittel für die Länder und damit auch für Sachsen eine zusätzliche Belastung des sächsischen Landeshaushaltes bedeutet. Die Kürzungen der Regionalisierungsmittel sind bereits im Vorgriff auf Einsparpotenziale und Haushaltsentlastungen im Zuge der weiteren Privatisierung der Deutschen Bahn beschlossen worden.
Auf die Frage, welche Auswirkungen die Umsetzung eines der Strukturmodelle für die Deutsche Bahn auf die Raumordnung und auf die Ziele und Grundsätze des Landesentwicklungsplanes haben, antworten Sie im lapidaren Stil: Es werde keine Wirkung in den Räumen mit besonderem landesplanerischem Bedarf erwartet. Es steht für Experten außer Frage, dass bei einer Privatisierung ganz sicher die verkehrliche Anbindung in dünn besiedelten ländlichen Räumen aus Wirtschaftlichkeitsgründen dann zur Disposition stehen wird.
Aber immerhin räumt die Staatsregierung in ihrer Antwort ein, dass bei einer Dividendenrenditeerwartung der Bahn von zirka 4 % die Auswirkungen auf die Angebotsgestaltung der DB im Schienenpersonen- und Schienengüterverkehr nicht beurteilt werden können. Das heißt, es wird implizit eingeräumt, dass es Auswirkungen haben wird.
Immerhin räumt die Staatsregierung weiter ein, dass bei einem Börsengang mit Integriertem Modell der Wettbewerb auf der Schiene gering bliebe. Aber genau dieses Modell wird von Bahnchef Mehdorn, vom Bahnvorstand – damals noch in Absprache mit Bundeskanzler Schröder – bis heute favorisiert.
Auf die Frage nach den beschäftigungspolitischen Wirkungen des Börsengangs als Integriertem Modell versucht die Staatsregierung auszubüchsen. Die Antwort muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – ich zitiere –: „Der Rationalisierungsprozess bei der DB AG wird weitergeführt. Arbeitsplätze werden abgebaut, neue werden entstehen. Bei der DB AG ist das Schutzabkommen“ – was damals noch von Herrn Hansen von der Gewerkschaft Transnet mit Kanzler Schröder ausgehandelt worden ist – „gegen betriebsbedingte Kündigungen bis 2010 verlängert worden.“
Herr Jurk, Sie stehlen sich damit aus der Verantwortung. Reden Politiker nicht ständig vor ihren Wählerinnen und Wählern davon, Bedingungen für mehr Arbeitsplätze zu schaffen? „Vorfahrt für Arbeit“ hatte der Bundespräsident die Devise für den Wahlkampf vorgegeben, und Frau Merkel ist eiligst darauf eingestiegen.
einmalige Chance, Tausende Arbeitsplätze in tariflicher Entlohnung zu erhalten; denn schon jetzt wirft der vom Bahnvorstand favorisierte integrierte Börsengang seine Schatten für die Beschäftigten voraus.
Periphere Bereiche aus dem Service- und Dienstleistungsbereich werden outgesourct. Nur noch Servicepakete werden vergeben. Personal wird reduziert. Das bedeutet, dass mehr Leistung für gleiches Geld erbracht werden muss. Dieser Prozess würde mit dem Börsengang enorm verschärft werden, wenn der Beschäftigungs- und Tarifsicherungspakt 2010 ausgelaufen ist. Bei einem Börsengang würden nach Schätzung der Bahn-Gewerkschaften 40 000 Arbeitsplätze und bei einer Zerschlagung des Konzerns, also der Trennung von Netz und Betrieb, sogar 80 000 Arbeitsplätze gefährdet sein. Von den Tarifverträgen und von Dumpinglöhnen wollen wir schon gar nicht mehr sprechen.
Für uns als Linksfraktion.PDS bietet der Verbleib der DB AG in Bundeseigentum aus verkehrs-, beschäftigungs-, wirtschafts- und haushaltspolitischer Sicht einen weiten Gestaltungsspielraum zur Entwicklung des Eisenbahnverkehrs und bei richtiger Weichenstellung auch die Chance, mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen.
Was können wir Herrn Staatsminister Jurk empfehlen? Erstens. Die Sächsische Staatsregierung sollte sich so schnell wie möglich eigene Positionen zum Börsengang der Bahn mit oder ohne Netz erarbeiten und sächsische Interessen gegenüber dem Bund geltend machen. Sachsen hat große Traditionen im Eisenbahnwesen und trat früher als Pionier auf. Deshalb hat Sachsen auch das dichteste Streckennetz.
Schauen Sie sich die Stellungnahmen der Sachverständigen zum Thema „Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn“ in den Anhörungen im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages an. Ihnen dürfte es wie Schuppen von den Augen fallen, wie hausgemacht und weltfremd Ihre Meinung zu solch wichtigen Fragen für die Zukunft der Eisenbahn in Sachsen ist, und nicht, wie Herr Bolick in einer Presseerklärung unterstellt, dass die Linksfraktion.PDS weltfremd sei.
Ein Beispiel, um die Weltfremdheit zu belegen: Wir wollten in der Frage C 14 wissen, auf welchen ausgebauten Regionalstrecken aufgrund unterlassener Instandhaltung Langsamfahrstrecken in Sachsen existieren. In Ihrer Antwort führen Sie dazu aus: „Nach Angaben der DB AG sind... im sächsischen Regionalnetz als auch im Fern- und Ballungsnetz keine Langsamfahrstrecken entstanden.“
Da hat man Ihnen gleich zwei Bären aufgebunden. Denn Langsamfahrstrecken gibt es beispielsweise auf der S 1 zwischen Coswig und Meißen und zwischen Radebeul-West und Elsterwerda auf der Fernstrecke nach Berlin. Ich könnte einige Beispiele aus eigenem Erleben hinzufügen, zum Beispiel im S-Bahn-Netz zwischen Neukieritzsch und Borna.
Die DB AG unterlässt teilweise die Instandhaltung. Ich verweise auf die schriftliche Äußerung des Bundesrechnungshofes zur Finanzierung der Bundesschienenwege. Danach liegen die tatsächlichen Aufwendungen der Deutschen Bahn erheblich unter dem Ansatz, den die Arbeitsgruppe Instandhaltung einvernehmlich festgestellt hatte. Im Jahr 2004 deckten die Ist-Aufwendungen mit 840 Millionen Euro nur rund 53 % des Bedarfs. Ich frage mich: Wie konnte das Ihrem Verkehrsabteilungsleiter verborgen bleiben?
Zweitens. Wir hatten unter der Frage C 11 gefragt, ob denn in den vier Bewertungsdimensionen im PrimonGutachten die umfänglichen Baukostenzuschüsse des Freistaates an die Deutsche Bahn, wie die Zuschüsse für die Beschaffung rollenden Materials, gebührend berücksichtigt worden sind. In Ihrer gegenüber der Bahn vertrauensseligen Antwort sagen Sie: Die Deutsche Bahn Netz AG gibt an – ich zitiere –, „dass in den Regionalfaktoren für die Schienennahverkehrsnetze die Baukostenzuschüsse des Freistaates berücksichtigt worden sind“.
Der Gutachter hat die Kostenstruktur von der Deutschen Bahn für seine Untersuchung übernommen. Wir wollten allerdings Ihre Meinung erfahren und nicht die der Deutschen Bahn. Oder gibt es hierzu keine?
Ihrer Antwort entnehme ich, dass Sie nichts dagegen haben, wenn im Fall des Börsengangs der Bund mit dem Verkaufserlös auch einen Teil sächsischer Zuschüsse einstreicht.
Sie haben auch nichts dagegen – und das ist schwerwiegend –, wenn das Anlagevermögen der Deutschen Bahn massiv schlecht gerechnet wird. Das Anlagevermögen der Bahn beträgt bei jährlichen Investitionen von acht bis zehn Milliarden Euro und durchschnittlichen Abschreibungen von 5 % rund 100 Milliarden Euro und nicht, wie behauptet, 40 Milliarden Euro.
Der Sachverständige Herr Dr. Peters aus Stuttgart kommt in seiner Stellungnahme zu folgendem Ergebnis – ich zitiere aus der Anhörung: „Die Privatisierung der Deutschen Bahn AG, in welcher Variante auch immer,“
„wäre für einen privaten Investor nur rentabel, wenn er, wie in den Privatisierungsvarianten unterstellt, das betriebliche Vermögen der Deutschen Bahn von zirka 100 Milliarden für sage und schreibe 15 bis 20 Milliarden Euro erwerben könnte und zusätzlich jährliche Subventionen aus dem Bundeshaushalt für den Erhalt des Schienennetzes zwischen zwei und drei Milliarden erhielte. Damit die Rendite des dann privatisierten Eisenbahnunternehmens nachhaltig erreicht werden kann, müssten, wie im Gutachten auf der Basis der Mittelfristplanung der
Sachverständige wie Prof. Brodack und Prof. Basedow als Vorsitzender der Monopolkommission äußerten sich ähnlich. Der Staatsregierung ist aber nichts aufgefallen, wenn sie antwortet, mit dem Börsengang der DB sei keine Vernichtung des öffentlichen Eigentums verbunden und die Wirkungen seien nicht einschätzbar.
Auf die Frage nach der Simulationsrechnung der bahninternen Projektgruppe „Blue Chip“, wonach der Börsengang deutschlandweit die Stilllegung von bis 6 000 Streckenkilometern zur Folge hätte, antwortet die Staatsregierung, dass sie von den bahninternen Untersuchungen keine Kenntnis habe, und vertraut den Absichtserklärungen der Bahn, keine Strecken stilllegen zu wollen.
Herr Bolick, wenn Sie der Linksfraktion in Ihrer Pressemeldung Weltfremdheit unterstellen, dann fällt dieser Vorwurf ganz klar auf Ihre Regierung selbst zurück. Alles das geht nämlich aus dem Primon-Gutachten hervor. Ihre Antworten zeigen, wie dringlich die Große Anfrage zum Thema war. Das Fazit zu dem Gutachten unsererseits führt zu der Einschätzung, dass die falschen Zahlen zu dem gewünschten Ergebnis, nämlich Börsenfähigkeit, aber die realen Zahlen zu dem unerwünschten Ergebnis „nicht börsentauglich“ führen. Die realen Zahlen wurden in dem zweiseitigen Anhang zum Gutachten versteckt.
Im Anhang des Gutachtens heißt es, dass die Baukostenzuschüsse in den vier Bewertungsdimensionen nicht berücksichtigt worden sind. Zweitens ermittelten die Gutachter auf der Basis des gesamten investierten Kapitals eine stets negative Kapitalrendite. Sie sind den Tricksereien der Gutachter erlegen. Schließlich konnten die Gutachter erwarten, dass sich kaum ein Beamter oder Politiker auf die Seiten 469 und 470 des Gutachtens verirrt. Aufgrund dieser Unterlassung fehlt es bei einer größeren Anzahl Ihrer Antworten einfach an Glaubwürdigkeit und Belastbarkeit.
Daraus ergibt sich für Sie, wie für Ihr Ministerium, ein klarer Handlungsauftrag, den ich dann als Entschließungsantrag einbringen werde.
Zweitens. Fällt das Zauberwort „Wettbewerb“, bekommt er glänzende Augen, so, als ob ein Staatskonzern nicht wettbewerbsfähig sein könnte. Man sehe sich nur den Staatskonzern Vattenfall an, der sich reichlich in Europa als Wettbewerber tummelt.