Protokoll der Sitzung vom 20.07.2006

Wir werden deshalb den Antrag ebenso wie den Änderungsantrag ablehnen.

Danke sehr.

(Beifall bei der NPD)

Frau Herrmann von der Fraktion der GRÜNEN beendet diese Runde.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion will mit diesem Antrag erreichen, dass Eltern – Mütter und Väter – Berufstätigkeit und Familie besser miteinander verbinden können.

Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es mehrere Möglichkeiten. Sie haben die Öffnungszeiten der Kitas ins Auge gefasst. Aber was heißt bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Was könnte es heißen? Was fehlt uns heute? Ist das eigentliche Problem, dass die Arbeitszeit der Eltern und die Betreuungszeiten in den Kitas nicht zusammenpassen?

Für Familien geht es doch um viel mehr: Für Familien geht es um ein geeignetes Zeitmanagement, mit dem sie ihren Anspruch, Zeit für Familie zu haben und gleichzeitig berufstätig sein zu können, erfüllen können.

Hierbei gibt es viel mehr Partner, die ins Boot müssen: Es geht um Behörden, um Freizeitinstitutionen, um Verkehrssysteme, um Dienstleister, um Medien, um Betriebe. Warum setzen Sie zuerst bei Familien an, die sich dem Arbeitsmarkt anpassen sollen, zum Beispiel indem Kinder ganz flexibel betreut werden sollen? Wie ist denn dieser Arbeitsmarkt mit seiner Zeitstruktur entstanden? Stehen diese Strukturen unverrückbar bis in alle Ewigkeiten fest?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, entstanden sind die Strukturen durch Männer. Männer waren kinderlos, auch wenn sie Kinder hatten. Denn die Kinder waren bei der Mutter, und so waren die Männer frei in ihrer Zeit. Jetzt sind auch Frauen berufstätig und arbeiten in der Regel in den von freien Männern etablierten Strukturen, in diesen Zeitstrukturen. Also auch sie müssen so arbeiten, als ob es keine Kinder gäbe. Wir haben eine Arbeitswelt akzeptiert, in der Kinder ausgeblendet sind. Ich möchte, dass wir uns auch für andere Formen einsetzen und nicht nur dafür, wie die Familien das irgendwie hinbekommen können. Lesen Sie im Siebenten Familienbericht der Bundesregierung, was dort über Zeitmanagement und Zeitpolitik für und mit Familien steht.

Die Zielsetzung einer Alltagszeitpolitik für Familien ist es, Familien ins Zentrum der Taktgeber für betriebliche und öffentliche Zeiten zu stellen, und nicht umgekehrt. Bisher wurden Familien eher als nachrangige „Zeitpuffer“ betrachtet. Im Sinne der Förderung der Familien bzw. des Familienlebens kommt eine neue Verantwortung auf diese externen Taktgeber zu – für Betriebe als Arbeitgeber, für Tarifparteien. Wie muss die Zeitpolitik der Länder, der Kommunen, der Wohlfahrtsverbände aussehen mit ihren Vorgaben für Öffnungszeiten im öffentlichen Raum oder bei Serviceleistungen – und natürlich auch der Kitas?

Für Beziehungen innerhalb der Familien brauchen ihre Mitglieder Zeit. Aber Familienzeit kann sich die Familie eben nicht allein organisieren. Im Familienbericht steht – Sie können es nachlesen –: Nur ein Fünftel der Eltern mit Kindern oder Pflegeaufgaben ist mit den Arbeitszeiten zufrieden. Alle anderen wünschen sich eine Reduktion. Veränderungen an der starren Arbeitszeit und Lockerung rigider zeitlicher Vorgaben würden, wenn die Familien die Bedingungen beeinflussen können, zu wesentlich mehr Zeitautonomie für Familien führen und damit die Familienbeziehungen sehr positiv beeinflussen.

Natürlich gehört das Angebot von flexiblen Betreuungszeiten dazu. Aber Sie von der FDP weisen die Flexibilität zuerst den Kitas und damit den Familien zu.

Es gibt ein Grundsatzpapier des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie und der IG Bergbau/Chemie/Energie mit dem Titel: „Für eine chancengleiche und familienbewusste Personalpolitik“. Darin stehen unter „Maßnahmen zur Unterstützung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ an erster Stelle flexible, familiengerechte Arbeitszeiten; an zweiter Stelle flexible Arbeitsorganisationsmodelle und erst an dritter Stelle Hilfe bei der Gestaltung der Kinderbetreuung – sei es durch organisatorische Zusammenarbeit mit den Trägern usw.

Dieses Grundsatzpapier ist Ausdruck dessen, was ich gestern schon gesagt habe: Im Interesse der Gesellschaft müssen Lebensverläufe der Menschen so organisiert werden, dass die notwendige Zeit der Sorge für andere – ob es nun Kinder oder Eltern sind – Teil des eigenen Lebenslaufes werden kann.

Die Strategie Ihres Antrages ist „Hilfe von oben“. Die Staatsregierung soll beraten und fördern, und dann wollen Sie auch noch Mittel aus dem ESF einsetzen. Was ist mit dem Markt? Wo ist Ihre Eigeninitiative? Warum haben wir gestern über lokale Bündnisse diskutiert, wenn wir sie dann in ihrer Kompetenz überhaupt nicht ernst nehmen?

(Beifall des Abg. Michael Weichert, GRÜNE)

Es gibt eine Studie des Prognos-Institutes mit dem Titel „Die Initiativen Lokaler Bündnisse für Familie – aus ökonomischer Sicht“, übrigens auch gefördert über den ESF. Da können Sie nachlesen, wie flexible Betreuungszeiten vor Ort umgesetzt werden können. Und noch ein Tipp: Besuchen Sie die Homepage der Gesellschaft zur Förderung von Kinderbetreuung e. V. Kassel, und Sie werden sehen, wir brauchen wirklich keine Modellprojekte. Die GFK betreibt Kitas ohne starre Regeln und feste Öffnungszeiten. Beispiele sind der Kindergarten des Kasseler Klinikums mit Öffnungszeiten von 06:00 bis 22:00 Uhr oder die Kita der Wintershall AG, die bei Bedarf auch nachts und am Wochenende betreut. Das rechnet sich über ein ausgefeiltes ZeitmanagementSystem. Verkauft wird Zeit. Eltern kaufen 20 bis 55 Wochenstunden, jeweils in fünfstündigen Betreuungsblöcken portioniert. Ehe Sie mir vorwerfen, dann könnte der Bildungsplan nicht umgesetzt werden, lesen Sie auf der Homepage nach.

(Sven Morlok, FDP, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Bei Bedarf können die Eltern zusätzliche Blöcke buchen. Das kostet je nach Bedarf und Alter der Kinder zwischen 78 und 232 Euro pro Monat. Das ist die Betreuungsseite.

Frau Herrmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Lassen Sie mich das noch zu Ende führen, dann können Sie fragen.

Dazu kommen eine anspruchsvolle Konzeption und ein entsprechendes pädagogisches Angebot in den Kitas. Die Anforderungen an das Personal sind hoch. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen bereit sein, Neues auszuprobieren und umzudenken. Fortbildung ist Pflicht, bezahlt wird nach Leistung auf der Basis von Jahresarbeitszeitkonten. In Jahresgesprächen werden Gehalt und zusätzliche Anreize ausgehandelt, wie Weiterbildungskurse, Zusatzausbildung und Auszeiten. Wo bleibt denn Ihr Marktansatz?

Und jetzt können Sie fragen.

Vielen Dank. – Die Frage passt natürlich jetzt nicht mehr ganz hinein, aber ich möchte sie

Ihnen trotzdem stellen: Können Sie uns bitte sagen, in welchem Bundesland die Stadt Ihres Modellprojektes Kassel liegt?

Ich bin trotzdem nicht der Meinung, dass wir ein Modellprojekt machen können. Die schon gestern vorgestellten Lokalen Bündnisse für Familie können durchaus Kontakt mit solchen schon vorhandenen Projekten aufnehmen und sich ansehen, wie das dort funktioniert. Dann können wir es hier nachmachen. Wir müssen in Sachsen kein weiteres Modellprojekt dazu machen.

(Beifall der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE, und Alexander Krauß, CDU)

Wo also bleibt Ihr Marktansatz? Bei einem Treffen mit Wirtschaftsverbänden, DGB, Handwerkskammern und IHKs sagte Staatsminister Jurk am Dienstag, Familienfreundlichkeit sei keine zusätzliche Bürde, sondern ein Wettbewerbsvorteil.

Nun noch einmal ein Blick nach vorn zu Ihrem morgigen Antrag zur Kinderkommission. Das bedeutet doch, für die Belange der Kinder besonders sensibel zu sein. Im heutigen Antrag ist die Rede von Eltern, die dem flexiblen Arbeitsmarkt entsprechen wollen, von Forderungen der Eltern nach Flexibilisierung und Erweiterung der Betreuungszeiten, vom Bedarf in Abendstunden und an Wochenenden – das mag ja alles sein –, aber dass es für die Kinder gut ist, glaube ich nicht. Sie wollen doch morgen deren Anwalt sein.

Wir brauchen weder Modellprojekte noch Evaluation, schon gar nicht mit Geld aus dem ESF. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren, gibt es Aussprachebedarf seitens der Fraktionen? – Ja. Im Rahmen Ihrer Redezeit, Frau Schütz, ja? – Gut.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich versuche, das alles noch einmal zusammenzufassen. Zunächst zu Frau Nicolaus. Ich hatte das rechnerische Beispiel gebracht, dass die Kinder von 10:00 bis 18:00 Uhr, also acht Stunden, in der Einrichtung sind. Ich bin genauso wie Sie der Meinung, dass Kinder auch ein Recht haben, eine gewisse Zeit mit ihren Eltern zu verbringen, was in diesem Fall am Vormittag wäre. Darüber sind wir uns an dieser Stelle einig.

Genauso möchte ich, dass Eltern flexibel mit ihrer Zeit umgehen können. Ich hatte das Beispiel genannt, dass Mütter in Teilzeit nur montags bis mittwochs die Kindertageseinrichtung in Anspruch nehmen möchten. Das muss sich entsprechend in den Gebühren niederschlagen. Heute werden die Gebühren immer auf eine 5-Tage-Woche gerechnet.

Zu Modellprojekten möchte ich sagen, wir haben 515 Kommunen in Sachsen. In 43 Kitas gibt es flexible Öffnungszeiten bis nach 17:00 Uhr. Das bedeutet, wir hätten in 8 % der Kommunen eine flexible Kindertageseinrichtung. Wer mir sagt, dass das ausreichend ist, dem kann ich weiß Gott nicht beipflichten.

(Beifall bei der FDP)

Herr Neubert, wenn Sie der FDP-Fraktion Kompetenz im sozialen Bereich absprechen, dann frage ich mich, wo Sie die letzten zwei Jahre im Plenum gewesen sind. Sie kennen unsere Anträge zum Kita-Gesetz, zur kostenlosen Kita-Betreuung, zu anderen Forderungen, die wir bereits letztes Jahr im Frühsommer gestellt haben. An dieser Stelle bitte an der eigenen Nase zupfen.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben wahrscheinlich auch nicht erkannt, dass wir von flexiblen Öffnungszeiten gesprochen haben. Was ist zum Beispiel mit einer Schichtarbeiterin, was ist mit der Krankenschwester, die geschobene Öffnungszeiten braucht? Sich nur auf einen Part zurückzuziehen und die FDP-Fraktion für alles Schlimme verantwortlich zu machen, was sich in der Weltwirtschaft ergibt, ist ein bisschen zu einfach.

(Beifall bei der FDP)

Frau Herrmann, Deutschland ist leider keine Insel, so gern Sie das hätten. Wir müssen uns dem Weltgeschehen stellen. Wenn Sie zitieren, dass ein Fünftel der Befragten mit der Arbeitszeit nicht zufrieden sind, halte ich Ihnen entgegen, dass knapp 50 % mit der Kita-Betreuungszeit nicht zufrieden sind. Ich denke, hier wird das Verhältnis deutlich. Wenn Sie Umfragen zitieren, dann kommt es immer darauf an, welche Fragen gestellt wurden. Darauf bekommen Sie die entsprechenden Antworten.

(Beifall bei der FDP)

Beim ESF-Programm heißt es im Schwerpunktthema: Verbesserung des Zugangs zu Arbeit. Es ist ganz klar, an welcher Stelle wir diese Möglichkeit geben können, nämlich bei der flexibleren Öffnungszeit, damit junge Eltern Zugang zu unserem Arbeitsmarkt haben, der sich nun mal so gestaltet, wie er heute ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Frau Nicolaus, Sie möchten unmittelbar reagieren. Bitte schön. Frau Kerstin Nicolaus, CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf ein paar Sachen reagieren. Zunächst dazu, was von Elke Herrmann vorgetragen wurde. Es ist sicherlich richtig, dass auch die Wirtschaft einen Beitrag leisten muss, das tun sollte und auch in der Zukunft tun wird, aber das von Ihnen angeführte Modellprojekt stellt auch darauf ab, dass bis 22 Uhr geöffnet ist. Es gibt trotzdem keine Anpassung, weil zum

Beispiel die Krankenschwester ihren Rhythmus hat, in Schichten arbeitet, und so gibt es viele andere mehr. Es gibt nicht nur die Krankenschwestern, sondern Ärzte, Hotelangestellte, in der Gastronomie Beschäftigte und viele andere, die eine flexible Betreuung brauchen.

(Beifall und Zuruf von der FDP: Richtig!)

Frau Schütz, Sie hatten angeführt, dass es 43 Einrichtungen gibt, die bereits die flexiblen Öffnungszeiten haben, aber das ist in größeren Städten. Wir brauchen das Modellprojekt nicht – Sie haben es selbst gesagt –, denn wenn es 43 Einrichtungen gibt, kann man diese als Modell nehmen und das weitertragen.