Protokoll der Sitzung vom 20.07.2006

Die zu erwartende Verschärfung der sozialen Lage in Deutschland wird zukünftig sicher weiter zur Erhöhung des Beitragssatzes führen. Die Stoßrichtung ist hier wieder einmal klar: Die Arbeitnehmer zahlen die erhöhten Beiträge, die Arbeitgeber sind fein raus. Da wird gedeckelt, damit ja weiter keine Belastungen für sie auftreten. Wir halten diesen Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung für problematisch.

Für uns ist nicht einzusehen, dass wieder einmal ausschließlich das Kapital – das ist es im Großen und Ganzen – der Nutznießer dieser Reform sein soll, während Arbeitnehmer, Rentner und chronisch Kranke die Zeche bezahlen sollen.

Betrachten wir einmal die durchschnittliche Pro-KopfAusgabe der Industrieländer für das Gesundheitswesen, dann lesen wir, dass der Durchschnitt der Länder bei 3 594 Euro liegt und Deutschland mit 3 560 Euro ziemlich genau am Durchschnitt ist. In den USA sind es zum Beispiel 6 195. Aber ich denke, wir wollen das USGesundheitssystem bestimmt nicht hier in Deutschland haben.

Bitte zum Schluss kommen.

Ja. – Mit der nebulösen Behauptung, wir können uns das heutige Gesundheitssystem nicht mehr leisten, soll nun auch die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zum Schacherobjekt, ja zur Ware degradiert werden, so will es das neue Gesundheitssystem. Doch das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist ein Grundrecht, und es wird zu verteidigen sein. Nicht der Profit der Pharmaindustrie sollte im Mittelpunkt stehen, sondern das Wohl der Bürger. Herr Dr. Müller wird nachher noch weitere, konkretere Ausführungen dazu machen.

Danke schön.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Lehmann, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Besonderheiten bzw. Tücken unserer Geschäftsordnung, zusammen mit gewissen Animositäten zwischen den Fraktionen, haben heute zum ersten Mal dazu geführt, dass für die Aktuelle Debatte zwei weitgehend identische Beiträge angemeldet wurden. Das Präsidium hätte diese Situation nur auflösen können, wenn eine der beiden Fraktionen freiwillig zugunsten der GRÜNEN verzichtet hätte, die ihrerseits ebenfalls eine Debatte eingereicht haben. Dies war nicht der Fall. Daraus ergeben sich für die Koalition zwei Optionen:

Erstens. Wir lassen unsere Redner zu jeder Debatte auftreten, was nicht besonders zielführend ist.

Zweitens. Wir wählen von den beiden Debatten eine aus, um unsere inhaltlichen Standpunkte vorzutragen.

Wir haben uns für die zweite Option entschieden. Darum verzichten wir, abgesehen von meiner Erklärung, auf inhaltliche Stellungnahmen im Rahmen der NPD-Debatte

(Jürgen Gansel, NPD: FDP-Debatte!)

und werden dafür jedoch im Rahmen der FDP-Debatte unseren Standpunkt vortragen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort.

Herr Präsident! Es kommt selten vor, aber ich kann mich ausnahmsweise einmal dem Kollegen Lehmann anschließen.

(Oh-Rufe von der CDU – Uwe Leichsenring, NPD: Tolle Koalition!)

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort. – Nicht. Die GRÜNEN? – Ebenfalls nicht. Die Staatsregierung? – Auch nicht. Ja, meine Damen und Herren, dann frage ich die NPD, ob noch das Wort gewünscht wird. – Dies ist auch nicht der Fall. Damit stelle ich fest, dass die 1. Aktuelle Debatte, beantragt von der Fraktion der NPD zum Thema „Wie krank ist das Gesundheitssystem?“, beendet ist.

(Stefan Brangs, SPD: Das ging aber schnell!)

Wir kommen damit zu

2. Aktuelle Debatte

Höhere Beiträge statt mutiger Reform – Der Gesundheitskompromiss der Bundesregierung und seine Auswirkungen auf Sachsen

Antrag der Fraktion der FDP

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion der FDP das Wort, danach CDU, Linksfraktion.PDS, SPD, NPD, GRÜNE und die Staatsregierung. Die Debatte ist eröffnet. Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort. Frau Schütz, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit dem 4. Juli 2006 ist also die Katze aus dem Sack. Auf 54 Seiten sind die Eckpunkte einer Gesundheitsreform, der das Bundeskabinett am 12. Juli zugestimmt hat, festgeschrieben, und ich glaube, ich spreche vielen Bürgerinnen und Bürgern aus dem Herzen: Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer pauschalen Beitragserhöhung.

(Beifall bei der FDP)

Wenn bis zu diesem Zeitpunkt über die Gesundheitsreform nichts klar war, so war doch eines für mich als gesetzlich Krankenversicherte festgeschrieben: die Aussage aus der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD vom 11.11.2005 – und das hielt ich für keinen Faschingsscherz –, die da lautet, die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung mindestens stabil zu halten und möglichst zu senken.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Doch der Reihe nach! In der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Merkel vom 30. November 2005 wurde die neue Koalition als die „Koalition der neuen Möglichkeiten“ bezeichnet. Was mit diesem nebulösen Begriff gemeint ist, sieht man jetzt. Von der großen Koalition, die die großen Reformen anpacken wollte – und per Wählerauftrag auch sollte –, wurde auf Bundesebene ein „Kunststück“ vollbracht: CDU/CSU und SPD haben durch ihre Eckpunkte zur Gesundheitsreform 2006 so gut wie alle Beteiligten gegen sich aufgebracht bzw. ratlos hinter sich gelassen – nicht nur die eigenen Parteimitglieder, vor allem in den Bundestagsfraktionen, sondern alle 78,7 Millionen Versicherten in den gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen, die rund

173 000 niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte und nicht zuletzt die 253 gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen.

Neben bisher unbekannten Begriffen, wie „EuroGebührenordnung“, „abgestaffelte Preise“ oder „risikoadjustierte Zuschläge“, sind die wesentlichen Botschaften mit enormen Auswirkungen gerade für uns in Sachsen:

Erstens. Die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber in Sachsen steigen.

Zweitens. Die höheren Beiträge sind ein negativer Standortfaktor und gehen zulasten der Arbeitsplätze in Sachsen.

Drittens. CDU und SPD schaffen mehr Bürokratie.

Viertens. Die Grundprobleme des Gesundheitswesens im Hinblick auf die demografische Entwicklung und den Wettbewerb werden nicht gelöst.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig!)

Die Festlegung der Koalitionsvereinbarung, dass die Lohnzusatzkosten dauerhaft unter 40 % gesenkt werden sollen, ist offenbar das Papier nicht wert, auf dem sie steht.

Zu Beginn des Jahres 2007 sollen die Krankenversicherungsbeiträge um mindestens 0,5 % steigen. Ab 2008 wird es durch die Einführung eines Gesundheitsfonds zu einem gesetzlich festgelegten bundesweiten Einheitsbeitragssatz, der sich am bundesweiten Durchschnittsbeitrag für alle gesetzlichen Krankenkassen orientiert, kommen. Dieser wird, vorsichtig geschätzt, bei rund 14 % plus – und dies ist nicht zu vergessen – 0,9 %Arbeitnehmerbeitrag für den Zahnersatz liegen.

Für die Versicherten von AOK und IKK – das sind immerhin knapp 2,5 Millionen – und für die Arbeitgeber hier in Sachsen bedeutet dies eine Mehrbelastung von immerhin einem dreistelligen Millionenbetrag. Die notwendigen Beitragserhöhungen sind im Wesentlichen von der Koalition in Berlin hausgemacht. Ich erinnere dabei an die Mehrwertsteuererhöhung, die für Medikamente immerhin

knapp 0,9 Milliarden Euro ausmachen wird, sowie die Senkung des Steuerzuschusses aus dem Bundeshaushalt an die Krankenkassen in Höhe von 4,2 Milliarden Euro in den Jahren 2007 und 2008.

Wenn ich von dem bisherigen Steuerzuschuss gesprochen habe, ist es der größte Wählerbetrug und die größte Verdummung, wenn jetzt vom so genannten Einstieg in die Steuerfinanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben, in die gesetzliche Krankenversicherung, gesprochen wird. Wir haben ja bereits jetzt einen Steuerzuschuss von diesen 4,2 Milliarden Euro aus der Tabaksteuer, die bisher von allen Rauchern seit dem 01.01.2004 erhoben wurde, die nun abgeschafft werden und nicht mehr einfließen soll. Stattdessen soll ein neuer Zuschuss in die gesetzliche Krankenkasse gepumpt werden. Das ist doch Irrsinn, das versteht doch keiner! Im Übrigen ist auch noch unklar, wie der neue Steuerzuschuss finanziert werden soll. Frau Merkel und Herr Stoiber haben dazu klipp und klar gesagt, es werde keine Steuererhöhung geben. – Darauf bin ich gespannt.

Zur zweiten Botschaft: Natürlich gehen diese höheren Beiträge auch zulasten von Arbeitsplätzen in Sachsen. Allein die Beitragserhöhung bei der AOK Sachsen wird die sächsischen Arbeitgeber einen knapp dreistelligen Millionenbetrag kosten. Dies entspricht umgerechnet den Arbeitskosten von mehreren tausend Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe. – So weit zu den ersten Auswirkungen der Gesundheitsreform für Sachsen.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Frau Nicolaus, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, die Debatte regt natürlich dazu an, sich tiefgründig mit dem Eckpunktepapier auseinander zu setzen. Sicher wäre es für uns als Koalition genauso interessant, die Dinge der Vergangenheit noch mehr zu hinterfragen. Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, haben bereits andere Reformen, als Sie – auf Bundesebene – mit regierungstragend waren, verabschiedet.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Das ist schon eine Weile her!)

Dazu wird Herr Prof. Schneider noch etwas ausführen. Auch dort gab es natürlich bestimmte Dinge, die zum Vorteil oder zum Nachteil der Patienten bzw. Kassenversicherten gereicht haben. Dass die Debatte allein an den Beitragssätzen festgemacht wird, ist mir zu wenig, da dies die Quadratur des Kreises ist, das ist ganz klar. Wir wollen alle Leistungen behalten, und wir haben ein gutes Gesundheitssystem, aber am Ende will niemand mehr dafür bezahlen. Dies ist natürlich etwas schwierig; denn das Geld ist nur einmal vorhanden und kann nur einmal ausgegeben werden.

Ich hätte mir auch von Ihnen, Frau Schütz, gewünscht, dass Sie angeführt hätten, warum die AOK in Sachsen so gut dasteht und einen solch niedrigen Beitragssatz hat.