Protokoll der Sitzung vom 19.01.2005

Hätten Sie die einmal vorher gelesen, Herr Staatsminister, bevor Sie in den Medien und dann im Innenausschuss oder in der Stellungnahme auf unseren Antrag zu Rechtfertigungsschwüren ansetzen, den Betroffenen über das Trauma des überfallartigen Erlebnisses hinaus noch Schimpf und Schande angetan haben!

Man kann sich vortrefflich darüber streiten, welcher Skandal die größere Dimension hat: das nahezu inkriminierte Ereignis oder die ministerielle Entgleisung zu seiner Rechtfertigung. Die Polizeiaktion, die – jedenfalls nach rechtlichen Maßgaben offenkundig völlig unbescholtene – Bürger in ihrer unmittelbarsten persönlichen Lebenssphäre unter Einsatz martialischer Gewalt, eben mit Schusswaffen mit 17 abgegebenen Schüssen, traf, die Tatsache, dass sich der Freistaat Sachsen einen Staatsminister des Innern leistet, der, nachdem es feststeht, dass die falschen Menschen zu Boden gebracht und gefesselt wurden, die falschen Hunde erschossen waren, die falsche Wohnung demoliert worden ist, lautstark anstelle einer nach jedem politischen und moralischen Anstand gebotenen Entschuldigung verkündet: Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist!

Nun mag ja, Herr Staatsminister, Ihr Ausgangsmotiv, sich als neu eingeführter Minister vor Ihre Truppenteile zu stellen, noch ehrenhaft sein, aber mit so menschenverachtender Haftungserstreckung, die gemeinhin mit dem Begriff der Sippenhaft benannt wird, und mit Verniedlichung gravierender Verletzungen von Grundrechten umzugehen, wie Sie dies getan haben, wirft die Frage auf, ob Sie der richtige Mann für diese Funktion sind. Ich hätte das Herrn Rasch vielleicht noch durchgehen lassen.

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Ja, Herr Hähle, es ist ganz schwer zu vermitteln, dass Sie das billigen.

Das hätte ich Herrn Rasch noch durchgehen lassen; Ihnen, Herr Staatsminister, der Sie ein weiß der Himmel beschlagener Jurist sind, nicht. Diese Sache tragen wir noch ein Weilchen aus. Das verspreche ich Ihnen, zumindest zur Anhörung unserer Drucksache 4/0402 über die Berichterstattung der Staatsregierung zur Razzia dieses Spezialeinsatzkommandos.

Wir haben in der letzten Zeit – nebenbei bemerkt auch durch die Verteilung des Präsidenten – alle Post von Bürgern bekommen, darunter einen Brief von einem Polizisten in Ruhe, der den Abgeordneten des Hohen Hauses schrieb, wie er sich für seinen Berufsstand schämt und für den Minister, der ihn durch seine Definition oder durch seine Rechtfertigung seiner Handlung gewissermaßen mit in seiner beruflichen Ehre gekränkt hat. Es gibt viele Menschen, Herr Staatsminister des Innern, die es nicht nachvollziehen können, wie man so weit gehen konnte.

(Beifall bei der PDS, der FDP und des Abg. Uwe Leichsenring, NPD)

Herr Staatsminister de Maizière, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gewiss ist es üblich, dass die Staatsregierung erst am Schluss einer Debatte spricht. Herr Bartl hat das moniert und das hier mit einem gewissen Recht, denn es ging ja schließlich um einen Bericht, und über den kann dann ja erst debattiert werden. Deswegen habe ich mich entschlossen, mich an dieser Stelle zu melden, damit die Fraktionen Gelegenheit haben, darauf zu antworten – Sie gegebenenfalls auch noch einmal –, und eine Debatte zustande kommt. Ich begrüße die Gelegenheit, den Sachverhalt einmal öffentlich – soweit mir das erlaubt ist – klarzustellen. Erlauben Sie mir in einem ersten Teil, das zu tun, und dann in einem zweiten Teil ein paar bewertende Bemerkungen anzuschließen.

Seit dem 1. November 2004 gingen bei der Staatsanwaltschaft Dresden drei anonyme Anzeigen ein, in denen der Tatverdächtige K. des Drogenhandels und des illegalen Waffenbesitzes beschuldigt wurde. Inhalt der anonymen Anzeigen war auch die geäußerte Vermutung, dass der K. bisher trotz seiner kriminellen Aktivitäten nur deshalb von polizeilichen Ermittlungen verschont geblieben sei, weil seine mit ihm in einem Einfamilienhaus wohnende Schwester mit einem Polizeibeamten liiert sei. Das war der Gegenstand der anonymen Anzeigen. Nach polizeiinternen Erkenntnissen der sachbearbeitenden Dienststelle, also der Polizeidirektion Dresden nach alter Struktur, dort der Kriminalpolizeiinspektion, handelt es sich bei dem Beschuldigten um eine Person, die einen maßgeblichen Teil der Dresdner Rotlichtszene kontrolliert. So führt er unter anderem eine bordellartige Anbahnungslokalität in Dresden, die so genannte Pension 73. Weiterhin liegen Erkenntnisse zu einem Anschlag mit einer scharfen Handgranate auf ein Polizeirevier in Dresden-Neustadt im Jahre 1993 vor, bei dem er als Anstifter fungierte. Außerdem war er im Jahre 1994 mehrfach als Besitzer von illegalen Schusswaffen, zum

Beispiel einer Pumpgun, aufgefallen. Die Waffe war dann bei ihm festgestellt worden.

Das zuständige Amtsgericht ordnete mit Beschluss vom 13. Dezember 2004 die Durchsuchung der Person, der Wohnung mit Nebenräumen, der Geschäftsräume, also der „Pension 73“ mit Nebenräumen, sowie des Pkw des Beschuldigten an.

Aufgrund der Gefährlichkeit des Beschuldigten, die sich aus seinen Zugriffsmöglichkeiten auf Waffen ergab, wurde durch die sachbearbeitende Dienststelle der Einsatz des SEK Sachsen, hier konkret des SEK Leipzig, beantragt, insbesondere wegen der vermuteten möglicherweisen Deckung oder Verratsmöglichkeit aus dem Kreise der Dresdner Polizei.

Zur Vorbereitung auf die Durchsuchung erfolgten in der Zeit zwischen dem 11. und 16. Dezember 2004 Ermittlungen zu den Lebensumständen des Beschuldigten. Hierbei wurde bekannt, dass das Wohngrundstück des Herrn K. von ihm selbst nebst seiner Schwester mit Lebensgefährten sowie zweier Töchter bewohnt wird. Ebenso wurde bekannt, dass Herr K. zwei Hunde – einen Boxer und einen Rottweiler – hält.

Während zwar nicht mir, aber der Polizei in Dresden bekannt war, dass der Lebensgefährte der Schwester ein Polizeibeamter ist, wurde den Einsatzkräften erst im Zuge der Einsatzmaßnahme vom 17.12.2004 bekannt, dass die Schwester Mitarbeiterin im Innenministerium ist.

Beim Durchsuchungsobjekt in der Schillerstraße handelt es sich um ein Einfamilienhaus, dessen Eingangstür mit Überwachungstechnik, Überwachungskamera, mit Scheinwerfern gekoppelt, gesichert ist. Eine separate Eingangstür für den Beschuldigten bzw. die Schwester oder eine eindeutige Kenntlichmachung der Wohnverhältnisse mittels Klingel oder auf andere Weise konnten nicht festgestellt werden. Vielmehr war lediglich eine Klingel mit zwei Namensschildern außen festzustellen.

Erkenntnisse zu den konkreten Wohn- und Nutzungsverhältnissen im Einfamilienhaus selbst konnten ebenfalls nicht erlangt werden, ohne den Durchsuchungserfolg zu gefährden, wohlgemerkt immer vor dem Hintergrund der Anzeige, dass dort ein Polizist wohnt und möglicherweise deswegen der Beschuldigte K. geschont worden sei.

Weiterhin wurde bekannt, dass sich der Beschuldigte nachts gewöhnlich in der „Pension 73“ aufhält und teilweise auch dort übernachtet. Damit bestand polizeitaktisch die Möglichkeit, die Untersuchung an diesem Ort zu beginnen und bei einem Antreffen des Beschuldigten die Wohnungsschlüssel sicherzustellen, um die weiteren Durchsuchungen in seinem Beisein und ohne Beeinträchtigung Unbeteiligter durchführen zu können. Das war das Einsatzkonzept.

Nun eine erste Antwort auf Ihre Bemerkung, Herr Abg. Bartl. Sie haben den § 104 Abs. 1 der Strafprozessordnung zitiert, wonach zur Nachtzeit die Wohnung, auch die Geschäftsräume, befriedete Besitzungen nur bei Verfolgung auf frischer Tat oder bei Gefahr im Verzug oder dann durchsucht werden, wenn es sich um die Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen handelt. Sie haben aber verabsäumt, den Abs. 2 des § 104 vorzulesen,

in dem es heißt: „Diese Beschränkung“ – also Gefahr im Verzug – „gilt nicht für Räume, die zur Nachtzeit für jedermann zugänglich“ (Bordell ist bei Nachtzeit jeder- mann zugänglich) „oder die der Polizei …“

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, PDS)

Hören Sie bitte einmal zu! – „… als Herbergen oder Versammlungsorte bestrafter Personen, als Niederlagen von Sachen, die mittels Straftaten erlangt sind, oder als Schlupfwinkel des Glücksspiels, des unerlaubten Betäubungsmittel- und Waffenhandels oder der Prostitution bekannt sind.“ In diesen Fällen gilt Gefahr im Verzug gerade nicht. Und das war hier der Fall.

Also das Einsatzkonzept bestand darin, genau dorthin zu gehen, wo sich der Beschuldigte üblicherweise nachts aufhält, ihn dort anzutreffen und mit ihm dann in seine Wohnung zu gehen.

Observationsmaßnahmen unmittelbar vor dem Durchsuchungszeitpunkt führten zu der Erkenntnis, dass das Fahrzeug des Herrn K. auch auf dem Parkplatz dieser Pension parkte und das Licht im Büro des Beschuldigten brannte wie viele Tage zuvor. Aufgrund der vorliegenden Ermittlungs- und Observationsergebnisse bestanden nach allgemeinem polizeilichem Erfahrungswissen keine Zweifel an der Anwesenheit des Beschuldigten im Durchsuchungsobjekt der Geschäftsräume.

Weitergehende kriminaltaktische Maßnahmen, um festzustellen, wo sich der Beschuldigte zum Zeitpunkt des Beginns der Durchsuchung befand, konnten nicht realisiert werden, ohne den Durchsuchungserfolg zu gefährden.

Im Objekt „Pension 73“ wurden die Hunde des Herrn K. in einem Zimmer fixiert. Der Beschuldigte selbst wurde nicht angetroffen. Zu seinem Aufenthaltsort machten die dort Anwesenden keine Angaben, obwohl sie danach gefragt wurden. Bei der Durchsuchung dieser „Pension 73“ wurden geringe Mengen Kokain und ein so genannter Totschläger sichergestellt.

Herr Abg. Lichdi, im Nachgang zum Innenausschuss möchte ich gern eine Aussage korrigieren: Diese geringe Menge Kokain war in der „Pension 73“, nicht im Auto. Das war noch ein offener Punkt aus dem Innenausschuss.

Nachdem also der Beschuldigte im Objekt „Pension 73“ nicht angetroffen wurde, musste deshalb davon ausgegangen werden, dass er sich im Einfamilienhaus Schillerstraße aufhält. Deshalb wurde dort dann der Einsatz vollzogen. Die Hauseingangstür wurde durch das SEK gewaltsam geöffnet. Von der Fixierung der beiden Hunde des Beschuldigten in der „Pension 73“ waren die SEK-Kräfte am Objekt Schillerstraße, also der Wohnung, informiert worden. Sie wussten das. Durch diese Meldung, dass die beiden Hunde des Herrn K. in der bordellähnlichen Anbahnungslokalität festgestellt und fixiert und im Vorfeld keine Erkenntnisse über weitere Hunde gewonnen worden waren, gingen die Durchsuchungskräfte für die Schillerstraße davon aus, dass sie beim Eindringen in das Objekt Schillerstraße keine Hunde antreffen würden.

Daher waren sie von dem plötzlichen und unvermuteten Angriff der beiden Hunde des im Objekt Schillerstraße

wohnhaften Polizeibediensteten und der Bediensteten des Innenministeriums überrascht und konnten diese Angriffe nur mit den mitgeführten Waffen, Dienstpistole und Maschinenpistole, abwehren.

(Holger Zastrow, FDP: Stimmt!)

Danke für die Zustimmung, auch wenn sie ironisch gemeint war.

Wenn klar gewesen wäre, dass dort zwei Hunde sind, hätte das SEK auch andere Möglichkeiten gehabt, sich durch Schutzkleidung oder in ähnlicher Weise auf diese Hunde vorzubereiten.

Insgesamt wurden im Haus zwei weibliche und zwei männliche Personen angetroffen. Die angetroffenen Personen wurden festgehalten, wobei eine männliche Person Widerstand leistete, indem sie den klaren Anweisungen der eingesetzten Polizeibeamten nicht Folge leistete.

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, PDS)

Was ich, Herr Abg. Bartl, insbesondere von einem Polizeibeamten erwarte, ist, dass er sich so verhält, wie er es auf der Polizeischule lernt, wenn das SEK einen Einsatz durchführt. Das erwarte ich von einem Polizisten und nicht, dass er eine Sonderbehandlung bekommt, nur weil er Polizist ist.

(Klaus Bartl, PDS: Grundrecht auf seine Wohnung!)

Der Beschuldigte befand sich nicht unter den angetroffenen Personen.

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, PDS)

Die Wohnsituation stellte sich – Herr Abg. Bartl, jetzt kommt ein sehr entscheidender Punkt – so dar, dass keine der Türen im Haus mit Namensschildern oder gesonderten Klingeln versehen war.

(Klaus Bartl, PDS: Außenklingel haben Sie gesagt!)

Ja, außen am Zaun.

(Allgemeine Zurufe und Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Bartl, ich würde gern für das Hohe Haus die Bemerkung wiederholen, die Sie gemacht haben. Sie hatten vorgeschlagen, dass in einer solchen Durchsuchungssituation geklingelt wird, um festzustellen, wer sich wo aufhält.

(Lachen bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Wenn das SEK das gemacht hätte, dann hätten wir einen Polizeiskandal gehabt; aber nur dann.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Meine Damen und Herren, ich würde – –

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, PDS)