Protokoll der Sitzung vom 15.09.2006

Aber dieser Gesetzentwurf wird diesem Ziel nicht gerecht. Wir als sächsische FDP haben die Befürchtung, dass mit diesem Gesetzentwurf Fehlsteuerungen festgeschrieben werden und dass letztlich Arme auf dem Weg des Armenrechts nicht mehr zu ihrem Recht gelangen können. Lassen Sie es mich kurz erklären.

Wenn hier zur Begründung der Missbrauch der Prozesskostenhilfe angeführt wird, dann gibt es eigentlich nur zwei denkbare Varianten des Missbrauchs. Das ist zum

Meine Damen und Herren! Auch wenn sich meine Fraktion gegen den Gesetzentwurf des Bundesrates ausspricht, sehen wir trotz allem keine Notwendigkeit, als Sächsischer Landtag tätig zu werden.

einen die mutwillige Prozessführung. Das ist bereits jetzt ohne Weiteres abzulehnen. Das betrifft zum Beispiel den Prozess, mit dem jemand verklagt werden soll, den es gar nicht gibt, oder mit dem ein völlig irres Ziel erstrebt wird. Daneben gibt es das Erschleichen von Prozesskostenhilfeleistungen durch Leute, die im Sinne des Prozesskostenhilferechts nicht bedürftig sind.

Allerdings ist die Datenbasis für die erste Gruppe, die des mutwilligen Prozesses, außerordentlich dünn. Es gibt dort keine verlässlichen Zahlen. Es gibt auch keine Zahlen dazu, in welchen Fällen tatsächlich Nichtbedürftige Prozesskostenhilfe erhalten.

Würde man der Kostenexplosion im Prozesskostenhilferecht entgegentreten wollen, könnte man das anders machen. Man könnte ganz einfach die Freigrenzen für Vermögensbeträge und Einkommen, die anzurechnen sind, senken.

Große Probleme haben wir bei der Einführung einer Pauschalgebühr dafür, dass überhaupt erst einmal geprüft wird, ob man Prozesskostenhilfe bekommt. Das scheint uns mit dem Recht auf Rechtsgewährleistung durch die Justiz nicht vereinbar.

Herr Prof. Schneider, Sie haben gesagt, dass sich an der Rechtslage nichts ändern würde. Dem Richter würden nur Hilfen an die Hand gegeben werden, zum Beispiel bei der Einführung der neuen Mutwilligkeitsklausel. Darin widerspreche ich Ihnen. Hier wird im Rahmen der Mutwilligkeit ein neues Kriterium eingeführt. Ein Prozess soll nämlich auch dann mutwillig sein, wenn eine – wie es heißt – „verständige Partei von einer Prozessführung absieht“. Das ist kein Kriterium der Mutwilligkeit, sondern im Bezug auf wirtschaftliche Aspekte ein neues Kriterium der Erfolgsaussicht, die ebenfalls zu prüfen ist. Aber es ist ein wirtschaftliches Kriterium der Erfolgsaussicht, das nunmehr als Zeichen von Mutwilligkeit dient und damit zur Versagung der Prozesskostenhilfe führen kann.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Das ist systemwidrig, zu kurz gedacht und führt zu verheerenden Ergebnissen. Ich kann Ihnen das kurz erklären. Eine Rentnerin, die sich gegen eine Gaspreiserhöhung wenden will, streitet um einen sehr geringen Streitwert von vielleicht 30, 50 oder 80 Euro.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Genau so ist es!)

Dafür erhält sie nach der neuen Regelung keine Prozesskostenhilfe, weil ein Richter sagt, dass hier nicht 200 Euro Prozesskostenhilfe für den Anwalt ausgegeben werden sollen, um gegen 30 Euro Gaspreiserhöhung zu klagen. Das heißt, solche Prozesse wird es mit Prozesskostenhilfe dann nicht mehr geben. Ob das noch als gerecht und Rechtsgewährleistung betrachtet werden kann, erscheint fraglich.

Wir nehmen einmal ein anderes Beispiel. Das betrifft dieses Mal die wirtschaftlichen Aussichten aufseiten des

Schuldners, gegen den man Forderungen vielleicht nicht durchsetzen kann. Auch dann würde die Prozesskostenhilfe versagt. Denn es heißt, dass ein Prozess gegen einen vermögenslosen Schuldner wegen der mangelnden Durchsetzbarkeit der Forderungen mutwillig ist. Dazu nenne ich folgendes Extrembeispiel: Der Geschädigte einer schweren Körperverletzung macht gegenüber dem in Haft einsitzenden Täter Schadenersatzansprüche und seine Gesundheitsschäden geltend. Mit Prozesskostenhilfe kann er das aber nicht, weil der Richter ihm sagt, dass derjenige, der ihn zusammengeschlagen oder mit dem Messer angestochen hat, in Haft sitzt und vermögenslos ist. Deswegen ist dieser Prozess mutwillig und dafür gibt es keine Prozesskostenhilfe. Der Täter kann sich inzwischen der weiteren Rechtswohltat erfreuen. Die Ansprüche gegen ihn verjähren nicht mehr in 30, sondern in nur noch drei Jahren.

Meine Damen und Herren! Das ist ein Ergebnis, das bei Lichte gesehen wirklich keiner anstreben kann, auch nicht die Initiatoren dieses Gesetzentwurfes.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Wir werden jedenfalls der Einführung neuer Erfolgsaussichtenkriterien in dieser Weise nicht zustimmen können. Das ist systemwidrig, wie ich gerade dargestellt habe.

Große Probleme haben wir auch mit der Regelung der Herausgabe des Erlangten. Im Gesetzentwurf wird auf die Fälle verwiesen, in denen aufgrund von arbeitsgerichtlichen Klagen Abfindung oder anderes erstritten wird, aber ein Kostenerstattungsanspruch nicht besteht, weil § 12a Arbeitsgerichtsgesetz die arbeitsgerichtlichen Verfahren von der Kostenerstattung ausnimmt.

Meine Damen und Herren! Wenn man in diesen Fällen die Staatskasse etwas besser stellen will, dann führt man ganz einfach im Arbeitsgerichtsgesetz eine Kostenerstattung der Prozesskostenhilfe gewährenden Stelle im Fall des Arbeitsgerichtsverfahrens ein. Damit ist dieser Systemfehler der Prozesskostenhilfe in Bezug auf das Arbeitsrecht beseitigt, ohne dass man das gesamte Prozesskostenhilferecht ändern müsste.

Der Gesetzentwurf verweist im Weiteren auf Familiengerichtverfahren, in denen häufig – so zu lesen in der Begründung des Gesetzentwurfes – Kostenaufhebung ausgeurteilt oder in Vergleichen vereinbart würde. Das wird zur Begründung der Notwendigkeit einer Änderung des Prozesskostenhilferechts angeführt. Der Erfolg ist vorhersehbar: Damit man der Erstattungspflicht aus dem Erlangten, aus dem Unterhalt, entgeht, wird man vermeiden, eine Kostenaufhebung im Verfahren zu provozieren oder zu erleben. Das heißt, das Familiengerichtsverfahren wird trotz einer Einigung in der Sache zwischen den beteiligten Familienangehörigen nur um der Erstattung willen weitergeführt. Allein wegen des Prozesskostenhilferechts wird das familiengerichtliche Verfahren weiter gestritten bis aufs Äußerste. Das dient nicht dem Rechtsfrieden. Das dient vielleicht der Staatskasse, aber dem

Anliegen des Rechtsfriedens wird dies mit Sicherheit nicht gerecht.

Noch ein Punkt: Die Herausgabepflicht des Erlangten gilt unabhängig von der Höhe des Einkommens des Prozesskostenhilfeempfängers. Ein sehr, sehr häufiger Fall ist die Gewährung von Prozesskostenhilfe an minderjährige Unterhaltsgläubiger zum Erstreiten von Unterhaltstiteln gegenüber unterhaltsverpflichteten Elternteilen, im Regelfall dem Vater. Nach diesem Gesetzentwurf muss auch das minderjährige Kind den so erstrittenen Unterhalt, mit dem ihm das Existenzminimum gesichert werden soll, einsetzen, um dem Staat die erhaltene Prozesskostenhilfe wiederzuerstatten. Der Gesetzentwurf hat das so gesehen. Und was machen Sie? Sie sagen, ja, das ist so. Aber die Sicherung des Existenzminimums ist nicht Aufgabe der Prozesskostenhilfe, sondern systembedingt Aufgabe der Sozialhilfe.

Das heißt im Klartext: Die Justiz sammelt aus dem erstrittenen Unterhalt des Minderjährigen die Prozesskosten wieder ein und schickt ihn sodann durch die Hintertür hinaus, damit er beim Sozialamt wieder anklopft, um den fehlenden Betrag via Sozialhilfe aufzufüllen. Das ist die logische Konsequenz aus diesem Gesetzentwurf, wenn es dort heißt, die Prozesskostenhilfe diene eben nicht der Existenzsicherung. Das wäre eine fatale Folge.

Meine Damen und Herren! Diese Regelungen, so wie sie im Gesetzentwurf stehen, werden von uns nicht mitgetragen. Ich habe es an einigen Beispielen dargestellt, dass es hier erhebliche Probleme gibt – Systemwidrigkeiten, Brüche –, und deswegen werden wir diesem Antrag der PDS zustimmen.

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS)

Herr Lichdi von der Fraktion der GRÜNEN beschließt die erste Runde.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Staatsregierung hat leider dem Entwurf, der in Rede steht, im Bundesrat bereits zugestimmt. Diese Gesetzesinitiative ist ein verwerflicher Angriff auf die Grundlagen des Rechtsstaates. Selbst die Bundesregierung – Herr Kollege Bräunig hat es ausgeführt – beurteilt in ihrer Stellungnahme eine Vielzahl der Regelungen als verfassungswidrig.

Wir müssen uns vielleicht erst wieder angewöhnen anzuerkennen, dass wir eine Verfassungslage haben, die auch den Zugriffen der Finanzminister entzogen ist.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

Wir sprechen hier über eine Grundgewährleistung des Staates, nämlich die Rechtsstaatlichkeit. Dazu gehört der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz. Ich zitiere einmal plakativ einige Leitsätze des Bundesverfassungsgerichtes: „Es verstößt gegen das Prinzip des sozialen Rechtsstaates und gegen

den Gleichheitsgrundsatz, wenn die Kostenbeteiligung einer bedürftigen Partei an der Prozesskostenhilfe deren Existenzminimum gefährdet.“ Oder: „Das Grundgesetz gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes.“

Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz stellt die Beachtung der Rechtsschutzgleichheit unter grundrechtlichen Schutz. Ausdrücklicher Zweck des Entwurfes ist es, Einsparungen für die Länderhaushalte zu erzielen. Leistungen der Prozesskostenhilfe sollen auf das verfassungsrechtlich gebotene Maß – wie es wieder so schön heißt – reduziert werden.

Wenn Finanzminister von einer Reduzierung auf das verfassungsrechtlich gebotene Maß sprechen, so kann man darauf wetten, dass dieses bestimmt überschritten wird. Die Regelungen sind geeignet, Rechtsuchende mit geringen finanziellen Mitteln von der Beschreitung des Rechtsweges abzuhalten. In der Justizstatistik äußert sich das in sinkenden Verfahrenseingängen und frei werdenden Ressourcen der Gerichte. So können mehr Altverfahren erledigt, die Verfahrensdauer verkürzt und Personal weiter ausgedünnt werden. Justizminister Mackenroth hat ja versprochen, tausend Mitarbeiter im Justizbereich abzubauen.

Wenn die Rechtswegegarantie des Artikels 19 Abs. 4 eine Bedeutung hat, dann für alle und gerade in Zeiten steigender sozialer Konflikte. Der Staat macht den Zugang zu den Gerichten ohnehin vielfach und in zunehmendem Maße von Prozesskostenvorschüssen oder anwaltlicher Vertretung abhängig. Dies zeigen etwa der aktuell vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes oder auch die seit 2005 geltenden Fälligkeitsregeln im Verwaltungsprozess.

Es wurde zu den einzelnen Regelungen schon viel gesagt. Ich bin insbesondere Herrn Kollegen Dr. Martens für seine sehr eindrücklichen Beispiele ausdrücklich dankbar und kann mich ihm nur anschließen. Sie gestatten mir aber eine kleine bösartige Bemerkung: Warum hat dann auch die FDP über ihre Landesregierungen diesen Gesetzentwurf mit eingebracht? Die Länder, die diesen Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht haben, werden auch von der FDP mitgetragen. Aber sei es drum; Sie haben ja ausdrücklich von der sächsischen FDP gesprochen.

(Zustimmung des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

Die geplante Verstärkung der sogenannten Eigenbeteiligung geht eindeutig zu weit. Dies zeigt ein Blick in die Geschichte, auf den ich die Aufmerksamkeit lenken möchte. Das Recht der Prozesskostenhilfe wurde 1981 in Westdeutschland eingeführt und löste das sogenannte Armenrecht ab. Danach musste bei Gericht ein vom Sozialamt ausgestelltes Armutszeugnis vorgelegt werden. Den Hauptmangel dieser Rechtslage hat der Gesetzgeber damals darin gesehen, dass gerade Empfänger mittlerer Einkommen keinen Anspruch auf Vergünstigungen hatten, obwohl die Verpflichtung zur Zahlung von Vorschüssen

und Prozesskosten zu erheblichen Einschränkungen ihrer Lebenshaltung führen kann.

Die geplante Angleichung der Freibeträge an das sozialhilferechtliche Existenzminimum schraubt nun das PKHRecht wieder auf das Niveau des Armenrechts von vor 1981 zurück. Bereits nach geltender Rechtslage muss Einkommen, Vermögen und das durch den Prozess Erlangte zur Rückzahlung der Verfahrenskosten aufgewandt werden. Der Entwurf geht aber weit darüber hinaus, indem er die Abschöpfung sämtlicher Vermögenswerte ermöglicht – ohne Rücksicht darauf, ob es zur Sicherung des Existenzminimums dient.

Es wurde schon vom Kollegen Bartl auf die etwas seltsame Datengrundlage in Baden-Württemberg hingewiesen. Ich möchte dazu nur ergänzend ausführen, dass dieser Bericht festgestellt hat, dass die Richter darauf hingewiesen haben, dass mit Blick auf den allgemeinen Geschäftsanfall eine intensive Auseinandersetzung gerade mit der komplexen Rechtslage im Sozialhilfebereich nicht zu bewältigen sei.

Richtig ist auch, dass die staatlichen Aufwendungen für PKH im letzten Jahr angestiegen sind. Doch der Hauptgrund liegt wohl auch maßgeblich in der gesetzlichen Anhebung der Rechtsanwaltsvergütung durch das vom Bundesrat einstimmig mitgetragene Kostenmodernisierungsgesetz aus dem Jahre 2004. Die Kollegen werden es wissen, aber ich sage es für die anderen: Damit wurde ein über zehnjähriges Moratorium bei den Rechtsanwaltsgebühren – ich denke, zu Recht – aufgelöst.

Diese Kosten über die PKH wieder auf die sozial Schwächsten abzuwälzen – das ist wirklich mies und das ist auch fies.

Eine Erfassung und Bewertung der Ausgaben für Prozesskostenhilfe findet nicht statt. Wir haben lediglich Titelansätze für die Instanz im Haushaltsplan. Es wird nicht einmal erfasst, inwieweit die Beträge durch Rückflüsse aus Ratenzahlungen nach PKH wieder ausgeglichen werden. Welche finanziellen Auswirkungen die angeblichen Missbrauchsfälle haben, wurde bisher ebenfalls nicht erhoben; sie werden nur behauptet. Vielmehr sieht es so aus, dass das, was die Rechtsanwälte mehr erhalten, bei den sozial Schwachen jetzt offensichtlich wieder abgezogen werden soll.

Es ist daher unabdingbar, die tatsächliche Belastung der Landeshaushalte für die Prozesskostenhilfe zu erfassen, bevor man die Rechtswegegarantie für sozial Schwache einschränkt.

Herr Staatsminister Mackenroth, ich fordere Sie auf, nicht allein die Finanzinteressen der Länder auf Bundesebene zu vertreten, sondern auch dem Abbau des Rechtsschutzniveaus für wirtschaftlich Schwächere entgegenzutreten.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Ich erwarte jetzt von Ihrer Stellungnahme, dass Sie begründen, warum Sie dem im Bundesrat zugestimmt und

andererseits im Rechtsausschuss am vergangenen Montag eine differenziertere Haltung eingenommen haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)