Die Frau soll ihre letztendliche Entscheidung nach einer gründlichen Abwägung im Kontext einer Schwangerschaftskonfliktberatung frei treffen können. Sich frei entscheiden heißt auch, unabhängig vom Druck sein, auch von finanziellem Druck, unabhängig vom Druck, den Kindesväter oder andere Dritte ausüben könnten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten im Frühsommer eine Diskussion zum Thema Schwangerschaftsabbrüche. Sachsen und Thüringen hatten gemeinsam einen Vorstoß in der Gesundheitsministerkonferenz unternommen, um die staatlichen Hilfen für Schwangerschaftsabbrüche zu reduzieren. Konkret ging es dabei um Frauen, deren Einkommen unterhalb einer Schwelle von 926 Euro liegt. Als Begründung hat Frau Orosz unter
anderem angeführt, dass ungewollte Schwangerschaften bei den heutigen Verhütungsmöglichkeiten kaum noch vorstellbar seien. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn der Staat aus gutem Grund die Kosten für einen Abbruch übernimmt, dann ist es nur folgerichtig, dass er in bestimmten Fällen auch die Kosten für Prävention vor Schwangerschaftsabbrüchen übernimmt.
Die Realität sieht seit Einführung von Hartz IV anders aus. Bis dahin wurden die Kosten für Verhütungsmittel von der Sozialhilfe übernommen. Hartz IV sollte die Eigenverantwortung stärken, daher wurde es als Pauschale gewährt. Bei der Festlegung der Höhe dieser Pauschale sind die Kosten für Verhütung von Schwangerschaften nicht einkalkuliert worden. Leistungsträger des ALG II übernehmen diese Kosten nicht. Die Krankenkassen erstatten die Kosten für Verhütungsmittel nur für Versicherte bis zum vollendeten 20. Lebensjahr. Das heißt, danach müssen Frauen und ihre Partner, die auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind, die Kosten für Verhütungsmittel ansparen. Das ist die Idee, die hinter der Pauschale steckt. Ich frage Sie: Wie soll das gehen? An dieser Stelle sehen wir konkreten Handlungsbedarf.
Deshalb ist unser Antrag auch kein Rundum-glücklichPaket. Er bezieht sich ganz dezidiert auf eine Lücke, die mit Einführung von Hartz IV entstanden ist. Dabei ist es unbestritten, dass selbstbestimmte Sexualität viele Voraussetzungen hat. Wie wird in der Schule mit dem Thema umgegangen? An vielen Schulen ist es Realität, dass Sexualität immer noch in einem Atemzug mit Geschlechtskrankheiten behandelt wird. Umfragen weisen auf ungenügende Aufklärung von Jugendlichen hin. Unter dem Motto „Einmal und vor allem das erste Mal ist keinmal“ sind Mädchen und junge Frauen viel zu unsicher bei der Verhütung.
Wir führen hier weder eine Auseinandersetzung über Partnerschaften noch über die verschiedenen Mittel zur Verhütung. Wir weisen auch nicht Frauen allein die Verantwortung für Verhütung zu, aber wir nehmen die Erfahrungen in den Beratungsstellen ernst und wollen für genau das von mir genannte Problem Abhilfe schaffen. Wir wollen nicht, dass Frauen sich – sagen wir zum Beispiel – zwischen einer Gesichtscreme und der Pille entscheiden müssen. Es bleibt unbenommen, dass Partner gemeinsam über die Art und Weise der Verhütung entscheiden können. Das ist für uns selbstverständlich. Aber es geht zum Teil an der Lebenswirklichkeit vorbei, wenn wir annehmen, dass alle jungen Frauen in der Lage sind, zum Partner zu sagen „Mit Gummi oder gar nicht!“. Dazu gehören nämlich Selbstbewusstsein und ein ganz bewusster Umgang mit der Sexualität.
Mit unserem Antrag fordern wir eine pragmatische Lösung für die Lücke, die ich geschildert habe, damit selbstbestimmte Sexualität nicht an der leeren Haushaltskasse scheitert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst will ich einen formalen Gesichtspunkt anführen, der gegen die Annahme des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht. Zuständig für Änderungen des Leistungsumfangs beim Arbeitslosengeld II ist der Bund. Es macht keinen Sinn, ständig mit neuen Einzelforderungen in das Gefüge der Hartz-IV-Gesetzgebung einzugreifen.
(Beifall bei der CDU – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Ein Versäumnis! – Elke Herrmann, GRÜNE, steht am Mikrofon.)
Was mir viel wesentlicher erscheint, ist der ethische Aspekt. Die gewählte Überschrift „Verbesserung der Prävention vor Schwangerschaftsabbrüchen; – –
– Übernahme von Kosten der Empfängnisverhütungsmittel“ erweckt den Eindruck, als sei die Folge fehlgeschlagener Empfängnisverhütung unvermeidlich der Schwangerschaftsabbruch, zumal, wie Frau Herrmann sagt, der Staat aus gutem Grund die Kosten dafür übernimmt.
Herr Präsident, ich wollte nicht mitten im Satz eine Zwischenfrage gestatten, aber jetzt gestatte ich sie.
Herr Hähle, haben Sie wahrgenommen, dass ich nicht gesagt habe, dass die Art und Weise der Übernahme der Kosten bei ALG II als Pauschalierung gemacht werden soll. Es gibt durchaus andere Möglichkeiten.
Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt. Ich bin aus ganz anderen Gründen dagegen. Die wollte ich gerade erläutern, bevor Sie Ihre Zwischenfrage gestellt haben.
Mir erscheint der ethische Aspekt Ihres Antrages kritisch. Denn so leichtfertig, wie Sie es sich vorstellen, kann man mit dem Problem nicht umgehen. Ich will deutlich darauf hinweisen: Dem Staat obliegt nicht die Pflicht, das Entstehen von Leben zu verhindern, wohl aber, entstehendes Leben zu schützen.
Hinzu kommt, dass es vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ein völlig falsches Signal wäre, wenn der Staat auch noch die Kosten für die Mittel zur Empfängnisverhütung über den derzeitigen Umfang hinaus übernähme.
(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: 19. Jahrhundert! – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)
Wer so etwas fordert, hat offenbar eine sehr einseitige Vorstellung von Freiheit. Zur Freiheit gehört nach unserem Verständnis immer ein hohes Maß an Verantwortung. Unser Grundgesetz besagt im Artikel 2 Abs. 1: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt.“ Das gilt nach meiner Überzeugung auch im Bereich der Sexualität und im Verhältnis der Geschlechter. Wer meint, die Verantwortung für die Verhinderung ungewollter Schwangerschaften habe nicht der Einzelne, sondern der Staat zu tragen, der kann mit der gleichen Begründung fordern, der Staat müsse die Kosten für Sicherheitsgurte und Airbags in privaten Kraftfahrzeugen übernehmen.
Und da fiele mir noch eine ganze Menge mehr zur Sicherheit ein, wie Reiserücktrittversicherungen und dergleichen mehr, was wir ganz selbstverständlich im privaten Bereich belassen. Aber wenn wir so weitermachen, ist der Staat für alles zuständig und letzten Endes nicht mehr leistungsfähig.
Was von den GRÜNEN gefordert wird, ist nichts anderes als ein weiteres Ausufern des vormundschaftlichen Staates
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Es kann nicht wahr sein! – Weitere Zurufe von der Linksfraktion.PDS)
und eine Abkehr von der Verantwortung des Einzelnen, wodurch die Freiheit letztendlich auf der Strecke bleiben wird – auch wenn Herr Porsch immer sagt, es kann nicht wahr sein, aber es ist wahr. Denn das uralte, bewährte Prinzip, dass Menschen lebenslang füreinander und für die aus ihrer Verbindung hervorgehenden Kinder Verantwortung übernehmen, ist grundlegend für den Erhalt der Gesellschaft. Deshalb ist es erste Aufgabe des Staates, genau das zu fördern und das Leben zu schützen – das werdende, ungeborene ebenso wie das geborene
als auch das seinem natürlichen Ende entgegengehende Leben. – Die Unruhe auf der linken Seite zeigt mir, dass getroffene Hunde eben doch immer wieder bellen.
(Beifall bei der CDU – Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Haben Sie die SPD gemeint? – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Ach du meine Güte!)
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: „Das selbstständige Grundrecht auf Leben und Wahrung seiner Würde, Artikel 1 Satz 1 Grundgesetz, steht bereits dem
Embryo zu, weil dieser nach dem Verständnis der beiden verfassungsgerichtlichen Urteile vom 25. Februar 1975 und vom 28. Mai 1993 von Anfang an Mensch ist. Daraus entsteht die Schutzpflicht des Staates.“
„Diese Schutzpflicht des Staates verbietet nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen.“ – Zitat aus diesem Gerichtsurteil.
Weil es sich bei dem Leben um das elementarste Grundrecht handelt, hatte der Gesetzgeber ursprünglich das noch nicht geborene Kind mit dem Strafrecht zu schützen versucht – nach § 218 Strafgesetzbuch, alte Fassung. Mit dem Urteil vom 28. Mai 1993 wurde dem Gesetzgeber jedoch die Möglichkeit eröffnet, diese Schutzpflicht durch ein Beratungskonzept und eine Pflichtberatung zu erfüllen.
Grundmotiv des Übergangs vom strafrechtlichen Schutz zum sogenannten Beratungsschutz war die Überlegung, dass nur mit der Beratungsregelung Abtreibungen Erfolg versprechend zurückgedrängt werden können. Dennoch betont das Gericht im gleichen Urteil, dass der Embryo im Mutterleib ein von der Mutter unabhängiges Recht auf Leben hat. Daher ist die Tötung des Kindes im Mutterleib ein Verstoß gegen dieses Grundrecht. – Das hat das Verfassungsgericht zweimal festgestellt. Infolgedessen legt das Gericht größten Wert auf die Feststellung, dass die Abtreibung nach Beratung zwar straflos, aber dennoch rechtswidrig ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber ausdrücklich aufgetragen, dass die tatsächlichen Auswirkungen des neuen Konzeptes zu beobachten seien. Es heißt in dem Urteil: „Die Beobachtungspflicht besteht auch und gerade nach einem Wechsel des Schutzkonzeptes. Dazu kommt die Korrektur- oder die Nachbesserungspflicht. Stellt sich nach hinreichender Beobachtungszeit heraus, dass das Gesetz das von der Verfassung geforderte Maß an Schutz nicht zu gewährleisten vermag, so ist der Gesetzgeber verpflichtet, durch Änderung oder Ergänzung der bestehenden Vorschriften auf die Beseitigung der Mängel und die Sicherstellung eines dem Untermaßverbot genügenden Schutzes hinzuwirken.“
Weil Sie mit einem anderen Konzept, das ich für untauglich halte, die Abtreibungen zurückführen wollen.