Wenn Sie gestatten, dass ich meine Ausführungen beende, werden Sie es vielleicht verstehen – obwohl Sie es nicht verstehen wollen.
Ich meine nämlich, dass es an der Zeit wäre, endlich den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen, zum Beispiel durch eine noch wesentlich intensivere Beratung mit dem Ziel, Leben zu erhalten; denn die Verpflichtung des Gerichts stammt aus dem Jahre 1993. Wir schreiben das Jahr 2006 und nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden werden in Deutschland pro Jahr immer noch 130 000 Kinder abgetrieben – nach Schätzung des Bundesamtes Lebensrecht e. V. etwa doppelt so viele –, in Bildern ausgedrückt und für Schulschließungsgegner aufbereitet, sind das Tag für Tag in Deutschland 30 Schulklassen. Deshalb sollten wir uns mit Scheinlösungen, wie sie in diesem Antrag vorgeschlagen werden, nicht abfinden.
(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Ich glaube es nicht! Dagegen ist ja der Papst revolutionär!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hähle, nach Ihren Ausführungen muss man feststellen, dass für Sie das Recht auf Selbstbestimmung wahrscheinlich mit dem Embryo beginnt und mit der Geburt endet.
Deshalb ist es ganz gut, dass ich sowieso die Absicht hatte, etwas weiter auszuholen, und ich will Ihren alten, zum Teil verstaubten Ansichten andere Gesetzgebungen oder Menschenrechte gegenüberstellen.
Es ist Ihnen – und auch anderen Mitgliedern der CDUFraktion, wie ich annehme – wahrscheinlich nicht klar, dass das Recht auf Information, Zugänglichkeit und Wahlmöglichkeit der Verhütungsmethode international längst als Menschenrecht anerkannt ist.
Im Übrigen hat auch Deutschland 1994 auf der Internationalen Konferenz über die Bevölkerungsentwicklung ein
Aktionsprogramm unterzeichnet, in dem sich die jeweiligen Regierungen verpflichtet haben sicherzustellen, dass dieses Menschenrecht auch umgesetzt wird. Für Deutschland muss man allerdings feststellen, dass es nicht umgesetzt wird. Ich möchte die Vorsitzende des Pro-FamiliaBundesverbandes, Frau Dr. Gisela Notz, zitieren: „Frauen haben ein Recht auf bestmögliche medizinische Versorgung im Bereich Familienplanung. Frauen in der Bundesrepublik erleben in den letzten Jahren zunehmend, dass dies nur noch zutrifft, wenn sie über ausreichend Geldmittel verfügen. Dies ist ein Skandal.“
Was heißt das? Die Kosten für Verhütung sind in den letzten Jahren stark angestiegen. Seit dem 2004 in Kraft getretenen Gesundheitsmodernisierungsgesetz haben wir die Einführung der Praxisgebühr, Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln, Wegfall der Übernahme von Verhütungsmitteln für Sozialhilfe- bzw. ALG-II-Empfängerinnen; wir haben den Wegfall der Sterilisation aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen und es wird immer öfter erlebt, dass selbst bei medizinischen Gründen diese Sterilisation abgelehnt wird und die Übernahme der Kosten nur erfolgt, wenn Lebensgefahr für die Frau besteht.
Erhöht haben sich auch die Begleitkosten für bestimmte Verhütungsmethoden und für Kontrolluntersuchungen. So finden sich Kontrollen von eingesetzten Spiralen in Abständen von sechs bis zwölf Monaten nicht mehr im Leistungskatalog der Krankenkassen.
Wozu führt das? Frauen mit geringem Einkommen werden diese Kontrolluntersuchung nicht mehr in Anspruch nehmen. Damit gefährden Sie diese Frauen. Man muss hinzufügen, dass bestimmte Verhütungsmethoden gar nicht mehr gewählt werden können, weil die Anfangskosten immens hoch sind.
Das ist keine Schwarzmalerei, sondern das sind konkrete Problemlagen, von denen Sie in den Beratungsstellen tatsächlich hören können. Die Frauen klagen darüber, dass es für sie immer schwieriger wird, die Kosten der Verhütung aufzubringen, besonders wenn einmalig am Anfang hohe Kosten anfallen. Den Hinweis von nicht so kompetenten Männern, dass es eine preiswertere Methode gebe, kann man so nicht stehen lassen, weil die preiswerteste Methode nicht für jede Frau die richtige Methode ist. Kontraindikationen für die Anwendung können Unverträglichkeiten, bestimmte Lebenssituationen oder ein bestimmtes Alter sein. Die jeweiligen Umstände bedingen entsprechende Verhütungsmethoden. Das international anerkannte Menschenrecht auf freie Wahl der Verhütungsmethode ist für ärmere Frauen stark eingeschränkt. Es ist eine öffentliche Aufgabe, sicherzustellen, dass der Zugang zu Verhütungsmethoden nicht aus finanziellen Gründen oder durch unzureichende Versorgung behindert wird.
Damit komme ich zu unserer Kritik am Antrag der GRÜNEN-Fraktion. Ich will dies nutzen, um auf bestimmte Punkte unseres Änderungsantrags einzugehen. Weitaus mehr Menschen als jene, die ALG II erhalten, beziehen kein oder nur ein geringes Einkommen. Damit meine ich Studierende, Auszubildende über 20 Jahre, Nichtleistungsempfänger in Bedarfsgemeinschaften und die immer größer werdende Gruppe von Menschen, die trotz Erwerbsarbeit arm sind, aber aus staatlicher Unterstützung herausfallen. Sie alle würden nicht berücksichtigt, wenn wir nur die Kostenfreiheit für ALG-II-Empfänger fordern würden.
Noch eine andere Gruppe von Frauen, die sich in ökonomischer oder sozialer Abhängigkeit von einem Mann befinden – dazu zählen klassische Hausfrauen und Migrantinnen –, muss immer erst ihren Mann um das zusätzliche Geld bitten, oder diesen Frauen wird durch den Mann oder die Familie eine eigenständige Familienplanung verwehrt.
Deshalb geht der Antrag der Linksfraktion.PDS einen Schritt weiter. Wir meinen: Verhütungsmittel sollten für alle Menschen kostenfrei sein.
Herr Dr. Hähle, ich sage es noch einmal: Selbstbestimmte Sexualität und Familienplanung ist ein Menschenrecht. Das zu sichern ist Aufgabe von uns allen.
Jetzt wird sicherlich die Frage nach den Kosten gestellt. Ich möchte darauf antworten, dass ein großer Teil der schwangerschaftsverhütenden Mittel unter ärztlicher Aufsicht angewendet wird. Dadurch sind diese Mittel Angelegenheiten der Krankenkassen. In diese wiederum zahlen alle ein, Frauen mit höherem Einkommen im Übrigen mehr. Damit hätten sie Anspruch auf entsprechende Leistungen. Auch Männer zahlen in Krankenkassen ein. Somit hätten sie die Möglichkeit, sich mittelbar an der Verhütung zu beteiligen; denn noch – geben wir es zu! – ist es vor allem ein Frauenproblem.
Ich möchte noch einige Worte zu Punkt 4 unseres Änderungsantrags sagen. Darin werden Maßnahmen zur Verbesserung der Information über Möglichkeiten der Geburtenplanung gefordert. In einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu minderjährigen Schwangeren ist zum Beispiel zu lesen, dass das Risiko, ungewollt schwanger zu werden, bei einer Hauptschülerin fünfmal so hoch ist wie bei einer Gymnasiastin. Diese Studienergebnisse zeigen erstmals für Deutschland, dass geringe Bildung, Arbeitslosigkeit und soziale Benachteiligung das Risiko von ungeplanten Schwangerschaften deutlich erhöhen. Der Zugang gerade benachteiligter Jugendlicher zu umfassender Information ist nicht ausreichend gesichert. Auch das ist ein Ergebnis der oben zitierten Studie. Darauf nimmt unser Antrag Bezug.
Ich möchte noch auf einen Brief hinweisen, den, so glaube ich, alle Fraktionen nach Bekanntwerden des
erschreckenden Vorhabens der Staatsministerin zur Verschärfung der Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs bekommen haben. Von Leipziger Beratungsstellen und Frauenverbänden wird auf die unzureichende flächendeckende Aufklärungsarbeit und die Notwendigkeit des Aufbaus hingewiesen.
Das bedeutet, dass das international als Menschenrecht anerkannte Recht auf Information über, Zugänglichkeit zur und Wahlmöglichkeit der Verhütungsmethode nicht für alle Menschen umgesetzt ist. Unser Antrag bietet Ihnen die Möglichkeit, diesen eklatanten Zustand zu beenden.
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Frau Dr. Schwarz, aufpassen! Sie sind in einer Koalition mit Herrn Hähle!)
Sehr geehrter Herr Kollege Hatzsch! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zielt auf das SGB V und das SGB XII, also auf Bundesgesetzgebung. Sie wissen, wie schwierig solche Dinge landespolitisch zu verhandeln sind.
Sie wollen die Kostenübernahme für Empfängnisverhütungsmittel nach Wahl für Frauen, die Arbeitslosengeld II beziehen, erreichen. Auf den ersten Blick klingt diese Forderung nachvollziehbar, entstehen doch beispielsweise für die Pille Kosten, die angesichts der nicht üppigen ALG-II-Leistungen die Haushaltskasse belasten.
Nach weiterem Nachdenken kommen mir jedoch Zweifel. Wieso eigentlich Empfängnisverhütungsmittel nach Wahl? Die alte Regelung der Sozialhilfe, die sich im SGB XII wiederfindet, besagt: Empfängnisverhütungsmittel, wenn sie ärztlich verordnet wurden. Dieser Aspekt spielt bei Ihnen offensichtlich keine Rolle mehr.
Nimmt man diese Einschränkung heraus, fallen auch Verhütungsmittel darunter, die von Männern besorgt werden können, was unter gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten und aus der gemeinsamen Verantwortung von Männern und Frauen für die Verhütung heraus gefordert ist.
Ein weiteres Problem habe ich mit dem Zusammenhang zur Finanzierung der Schwangerschaftsabbrüche, der in
der Begründung des Antrags hergestellt wird. Diesen Zusammenhang halte ich nicht nur für unglücklich, sondern auch für gefährlich. Ich hoffe, dass die Begründung nicht nur aus polemischen Gründen auf die Äußerungen der Staatsministerin abzielt.
Warum sage ich das so deutlich? Es ist ein gefährlicher Zusammenhang, weil auch bei noch so viel kostenfreier Verhütung ungewollte Schwangerschaften nicht verhindert werden können. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, das eine mit dem anderen verhindern zu können. Zur Klarstellung: Ich will kein Plädoyer für Abtreibungen halten, gebe aber zu bedenken, dass wir diese Diskussion so führen, wie es der Antrag vorgibt – völlig an den Ursachen von ungewollten Schwangerschaften vorbei. Diese sind nämlich vielschichtig.
Ein Beweis für meine Aussage ist die Tatsache, dass wir gerade auch in Sachsen eine steigende Zahl sogenannter Teenagerschwangerschaften zu verzeichnen haben, und das, obwohl die Verhütungsmittel in diesen Altersgruppen kostenfrei sind. Zwischen 1993 und 2003 hat sich die entsprechende Zahl in Sachsen verdoppelt, wie eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung belegt. Es muss also auch an anderen Faktoren liegen als an der Übernahme von Kosten zur Schwangerschaftsverhütung. Neben mangelhaftem Verhütungsverhalten spielen soziale und psychische Faktoren eine große Rolle. Auch darauf sollten wir unsere Aufmerksamkeit richten.
Wie kann man das Ziel erreichen, ungewollte Schwangerschaften und damit Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden sowie die sozialen Folgen für die Betroffenen und die gesellschaftlichen Folgen durch steigende Kosten zu mildern? Wir meinen, dass ein tabuloser Umgang mit dem Thema sowie verstärkte Aufklärung und Information – nicht nur in der Schule; allerdings stellt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Gegensatz zu dem, was ich vorhin hörte, fest, dass gerade an den Schulen die Aufklärung recht gut funktioniert – wichtige Schritte sind, um die Menschen zu einem eigenverantwortlichen Umgang mit diesem Problem anzuregen. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind auch die Männer mit im Boot.
Das Szenario, Hilfe bei Schwangerschaftsabbrüchen abzuschwächen oder zu verweigern, ist kein hilfreiches und sollte aus dieser Diskussion herausgehalten werden. Dass Kostenfreiheit für Verhütungsmittel für besondere Personengruppen ebenfalls ein Schritt zur Erreichung dieses Ziels sein kann, will ich gar nicht bestreiten. Dazu jedoch ist der vorliegende Antrag nicht geeignet.