Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entsprechend den Regelungen im XII. Sozialgesetzbuch sind die meisten früher einmal
gewährten Leistungen pauschaliert. Dies betrifft auch die Kostenübernahme für Empfängnisverhütung. Bis zum vollendeten 20. Lebensjahr ist dies alles für ALG-IIEmpfänger deshalb kein Thema. Danach allerdings werden die Kosten für Empfängnisverhütung nicht mehr übernommen. Das ist sicher ein Problem und gehört auch einmal erörtert.
Aber, meine Damen und Herren, das von der GRÜNENFraktion gewählte Verfahren ist populistisch. Der ganze Antrag ist populistisch, denn Ihre Partei hat für die HartzIV-Gesetze gestimmt.
Frau Hermenau, hier muss ich sicherlich Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Es war nicht Freitag, der 13., sondern der 17. Oktober 2003, der als ein rabenschwarzer Tag für viele Menschen in deren Gedächtnis bleibt. An diesem 17. Oktober fand nämlich die Abstimmung über das sogenannte Vierte Gesetz über die modernen Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, landläufig Hartz IV genannt, statt. Die Abstimmung war eine namentliche und auch Sie, Frau Hermenau, haben als damaliges Mitglied des Bundestages für dieses Gesetz gestimmt. Hier nun einen berechtigten Sozialprotest instrumentalisieren zu wollen ist schlichtweg schäbig.
Doch zurück zum Antrag: Warum man durch die Regelung des ALG II die Empfängnisverhütungsmittel nur für unter 20-Jährige durch die Krankenversicherung finanziert, ist dort geregelt und begründet: Man will unerwünschte Schwangerschaften verhindern und berücksichtigt hier die Unerfahrenheit dieser noch jungen Personengruppe.
Dazu kann man stehen, wie man will, aber Ihr Antrag ist auch viel zu kurz gedacht. Ich denke hier speziell an das Thema „Soziale Gerechtigkeit“. Warum sollen nur ALG II-Empfänger entlastet werden, nicht aber Menschen mit Niedrigeinkommen, zum Beispiel eine Frisöse, junge Handwerksgesellen und andere mehr.
Aber auch ein anderer Aspekt ist nicht unproblematisch. Ich finde, dass die Verengung des Themas Verhütungsmittel auf ALG II-Empfänger ein falsches politisches Signal ist, zumal wir immer wieder eine öffentliche Debatte zu Kinderreichtum und Kinderarmut haben. Wenn wir dieses Thema wirklich ernsthaft diskutieren wollen und wenn es Ihnen und uns wirklich darum geht, den Menschen zu helfen, dann muss es in erster Linie um die Abschaffung der Hartz-Gesetze gehen. Das ist doch die wahre Ursache des Missstandes.
Meine Damen und Herren! Unserer Fraktion geht es selbstverständlich auch um die Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen mit all ihren ethischen, grundrechtlichen, menschlichen und natürlich zuletzt finanziellen Problemen. Wir halten allerdings den Weg über die Subventionierung von Empfängnisverhütungsmitteln für falsch, denn es geht hier um eine Grundsatzentscheidung. Hierzu wäre es notwendig, die Frage der Familienförderung und der Bevölkerungspolitik zu erörtern. Diese scheuen Sie aber wie der Teufel das Weihwasser. So haben Sie uns doch schon mehrmals eine Kostprobe
gegeben, wie Sie von uns vorgeschlagene bevölkerungspolitische Maßnahmen schlichtweg ignorieren und ablehnen. Dabei müssen wir uns doch darüber unterhalten, wie wir den jungen Menschen wieder die Möglichkeit geben, Ja zum Leben zu sagen. Es ist ein finanzielles, aber auch ein Problem des Bewusstseins und der Zukunftschancen, dieses öffentlich zu erörtern. Hier sind Lösungsansätze gefragt. Das ist mit dem rein populistischen Antrag nicht zu erreichen und nicht gewollt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem, was vorhin gesagt worden ist, nur so viel, Herr Hähle. Mit dem Verweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes von 1993 und die Grundrechtsverbürgung allen menschlichen Lebens nach Befruchtung der Eizelle ist hier in der Diskussion wenig geholfen. Das, was das Bundesverfassungsgericht bereits 1975 im Beschluss zur Fristenregelung festgestellt hat, betrifft den Schwangerschaftsabbruch, nicht die Empfängnisverhütung, um die es bei diesem Antrag geht.
Frau Werner, das Menschenrecht auf Information und Zugang zu Verhütungsmitteln ist in der Tat allgemein anerkannt. Wer anderes behauptet, bedient höchstens ein völlig verstaubtes und nicht mehr zeitgemäßes Menschenbild und Gesellschaftsverständnis. Aber darum geht es in diesem Antrag auch nicht, sondern es geht um die geforderten Leistungsansprüche gegenüber dem Staat im Hinblick auf Verhütungsmittel. In beiden ist gemeinsam die Verkennung des Themas, aber der herzhafte Versuch, die Gelegenheit zu nutzen, die eigene Weltsicht einmal im Grundsatz auszubreiten.
Meine Damen und Herren! Zum Antrag der GRÜNEN: Gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht. Ich glaube, über die Frage, dass Empfängnisverhütung vor Schwangerschaftsabbruch geht, muss hier gar nicht diskutiert werden.
Das ist Konsens. Wenn alle noch einmal richtig nachdenken, kommen sie zu dem Ergebnis, dass das wirklich Konsens in diesem Hause ist.
Es erscheint in der Tat auf den ersten Blick verwunderlich, dass die Kosten des Schwangerschaftsabbruchs für Frauen mit geringem Einkommen erstattet werden, während die Kosten der Empfängnisverhütung für über 20-jährige ALG-II-Empfängerinnen jedenfalls nicht gesondert erstattet werden.
Wenn wir uns den Antrag genauer anschauen, meine Damen und Herren, ist dieser Antrag wenig zielführend. Zunächst eines: Für die Empfängnisverhütung sollen mit
diesem Antrag Leistungsansprüche für Frauen begründet werden. Ich habe da ein Problem. Wir machen Empfängnisverhütung wieder einmal zur Frauensache und bedienen damit ein Rollenverständnis, das diesem nicht gerecht wird.
Es war ein wichtiges Anliegen der Reform der Sozialversicherung und der sozialen Sicherungssysteme im Rahmen von Hartz IV, die Leistungen der früheren Sozialhilfe im ALG II zu pauschalieren. Das war der Ansatz der rotgrünen Bundesregierung, den auch wir soweit unterstützt haben. Grundsätzlich sind Aufwendungen für Kondome und Verhütungsmittel im Regelsatz enthalten.
Meine Damen und Herren! Wenn wir jetzt Ansprüche auf Erstattung von Empfängnisverhütungsmitteln im Einzelfall einführen wollen, sind wir genau da, wo wir eigentlich nicht hin wollten. Wir sind dann bei Einzelfallentscheidungen, die gerichtlich überprüfbar sind: In welchem Umfang sollen Mittel wie oft und wie häufig erstattet werden? Da haben wir dann wieder Gerichtsentscheidungen, die sich mit dieser Frage beschäftigen. Damit ist der Sache nicht gedient, meine Damen und Herren.
Selbst wenn man bürokratische Hürden, wie ich sie gerade dargestellt habe, in Kauf nimmt, gibt es weitere offene Fragen, zum Beispiel bei der Praxis- und Rezeptgebühr, der Verschreibung von Kontrazeptiva. Diese Frage stellt sich auch schon bei 18- bis 20-Jährigen. Ihr Antrag gibt darauf auch keine Antwort, meine Damen und Herren. Zum anderen sind die Folgen der generellen Kostenübernahme bei Verhütungsmitteln auf die jeweiligen Kostenträger völlig offen. Wenn der Staat Gelder für die Verhütung bereitstellt, darf er denn dann im Einzelfall überhaupt noch die Kostenübernahme bei Schwangerschaftsabbrüchen verweigern, meine Damen und Herren?
Der Antrag berührt ein wichtiges Thema. Man muss darüber reden. Die Antwort, die Sie in diesem Antrag geben, halten wir jedenfalls für unzureichend.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Wissen Sie, Ihnen von der FDP ist eigentlich nichts eingefallen. Deshalb haben Sie einmal die Mehrheit Ihrer Fraktion, nämlich die Männer, bemüht und gesagt, die müsst ihr mit einbeziehen. Es kann ja sein, dass hier und da ein betuchter und gebildeter Mann selbst in der Lage ist, über Verhütung nachzudenken, wenn er nicht für Kinder zahlen will.
Wenn es wirklich in jeder Schicht und überall so wäre, dass Männer darüber nachdenken würden, dann wäre es ja kein Problem. Aber ich argumentiere einmal marktwirt
schaftlich, damit das Ihren Kosmos erreicht. Wenn dem so wäre, dass es sich lohnen würde, die Pille für den Mann zu entwickeln, wäre sie entwickelt.
Es wird seit Jahren daran herumgeforscht. Sie hat niemals die Marktreife erreicht. Wissen Sie, warum? Wissen Sie, was die Forscher sagen? Sie fürchten, sie können sie nicht in großen Mengen absetzen. Das steckt dahinter. Lesen Sie sich einmal durch, was dahintersteckt. Das heißt eigentlich, es ist ein Ablenkungsmanöver, auch von Ihnen, Frau Schwarz; es ist ein Wunschdenken. Man möchte gern, dass die Männer die Verantwortung übernehmen, aber die Realitäten sehen verdammt noch einmal anders aus. Argumentieren Sie nicht aus Ihrem eigenen Bildungshintergrund heraus, sondern nehmen Sie zur Kenntnis, dass es sehr viele verschiedene Lebenswirklichkeiten in diesem Lande gibt. Dazu gehört auch, dass es viele Männer gibt, die diese Verantwortung, zumal wenn es um Geld geht, nicht wirklich wahrnehmen.
Es ist sicherlich auch oft so, dass die Frauen mit den Männern sagen: Zahlen wir die Pille und machen HalbeHalbe oder so etwas, und die Debatten enden damit, dass der Mann die Partnerschaft infrage stellt und sich die Frau überlegt, ob es das wert ist. Das sind Lebenswirklichkeiten. Mit denen müssen Sie sich auch beschäftigen. Davon sind Sie offensichtlich weit entfernt.
Sie wollen wissen, wie oft und wie häufig. Das sage ich Ihnen: Die Pille oder die Spirale – wenn Sie wissen, was das ist – verhütet den ganzen Monat lang. Es ist völlig irrelevant, ob eine Frau einmal oder 30 Mal Sex im Monat hat. Das ist etwas anderes, als wenn Sie zum Beispiel über Kondome diskutieren. Sie verkomplizieren nur, weil Sie nicht zustimmen wollen.
Das können Sie sich einfacher machen. Sie hätten auch einen Änderungsantrag stellen können, um zum Beispiel die Fragen abzuarbeiten.
Ich komme zum Thema Bundesebene. Das ALG II ist natürlich Debatte, genau wie das ALG I. In zwei Wochen beglückt uns die Bundesunion hier mit ihrem Parteitag in Dresden, bei dem es zum Beispiel um ALG I gehen wird. Vielleicht geht es auch irgendwie auf dem Flur wieder um ALG II. Alle, die daran beteiligt gewesen sind, wissen – im Prozess übrigens auch die Union über den Bundesrat damals –, dass es wichtig ist, genau zu überlegen, wo Nachbesserungsbedarf bei den Regelungen zum ALG II existiert. Diese Debatten werden natürlich auch auf Länderebene und im Bundesrat geführt. Deswegen ist es
nicht stichhaltig zu sagen, das könnte man nur im Bundestag diskutieren. Das stimmt überhaupt nicht.
Wenn Frau Orosz als Landessozial- und Gesundheitsministerin eine Initiative auf der Ebene der Landesminister durchzusetzen versucht, dann ist davon auszugehen, dass vergleichbare Initiativen in ähnlichen Sachlagen auch hier besprochen werden können.
Jetzt kommen wir einmal zu Ihren Ausführungen zurück, Herr Hähle, und zu dem, was Sie hier ausgeführt haben.
Ceterum censeo cartaginem esse delendam, Herr Hähle. Ja, ist ja klar. Aber der Punkt ist doch – das wurde auch schon von mehreren Rednern gesagt und noch einmal deutlich gemacht: Es geht hier nicht darum, dass wir beide uns ethisch darüber auseinandersetzen, was wir davon halten, wenn ein Embryo abgetrieben wird. Ich habe auch Respekt vor dem Standpunkt zu sagen, dass man das nicht tun soll. Das ist nicht die Debatte. Die Debatte, die wir führen, ist, dass es gar nicht erst dazu kommt, dass ein Embryo entsteht, über dessen Lebensrecht dann ethisch debattiert werden müsste. Diese Verhütung ist um einiges besser als die Debatte, die eigentlich danach folgen würde, wenn wir so weit gehen würden. Ich respektiere Ihren Standpunkt, das ist nicht die Frage. Aber das hat überhaupt nichts mit dem zu tun, worüber wir hier diskutieren. Wir diskutieren eine konkrete Gesetzgebung im ALG II. Wir diskutieren konkrete Lücken in dieser konkreten Gesetzgebung und machen hier keine Debatte von der Schöpfungsgeschichte bis zur Volksgemeinschaft. Deswegen, finde ich, sollten wir auf dem Teppich bleiben.