Sie hegen und pflegen über Jahre hinweg einen Mann wie Herrn Menzel in Ihren Reihen, der schon hier im Landtag auf Vorhalt coram publico erklärt hat, keine Veranlassung zu sehen, sich von den Verbrechen des Dritten Reiches zu distanzieren. Als er nun am vergangenen Wochenende die Stirn hatte, am Rande Ihres Symbolparteitages in Berlin in die Mikrofone zu erklären: „Ich stehe zum Führer nach wie vor, da gibt es kein Vertun“, führte mithin nicht das zum Ausschluss aus der Fraktion sondern nach allen Verlautbarungen der Umstand, dass sich dieser deutsche Saubermann umfänglichen Schuldverpflichtungen entzieht respektive nicht zahlt, wo er zu zahlen hat.
Sie, Herr Dr. Müller, als parlamentarischer Geschäftsführer der NPD-Fraktion – das ist der eigentliche Skandal – nehmen dann zu dieser unverschämten weiteren strafbaren Volksverhetzung des Herrn Menzel im Sachsenfernsehen mit der Bemerkung Stellung, es sei die individuelle Meinung eines alten Mannes.
Deshalb passt dieser Antrag einfach nicht zu Ihnen, meine Dame und meine Herren der NPD-Fraktion, der Ihnen in anderen Zusammenhängen die Würde eines Menschen in Abhängigkeit von dessen Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat, seiner politischen Anschauung oder auch seiner alternativen Lebensform völlig schnuppe ist. Deshalb nimmt Ihnen kein Mensch die vorgegaukelte Anteilnahme am Schicksal Stephanies, Ihre gespielte Empörung ob tatsächlich kaum entschuldbaren Ermittlungs- und Prozesssicherungspannen und die vorgespielte hehre Absicht der Aufklärung im Interesse des Souveräns ab. Sie setzen sich einfach – das hat mein Kollege Schneider hier völlig zutreffend gesagt – skrupellos auf diesen tragischen Fall und missbrauchen damit, zumal billigend in Kauf nehmend, das Schicksal des Kindes.
Herr Kollege Bartl, können Sie es verstehen, wenn es meiner Fraktion außerordentlich schwer fällt, Ihnen als ehemaligem ranghohen SEDFunktionär, als ranghohem Funktionär eines Staates, der jedes rechtsstaatliche Prinzip hat fahren lassen, der sein eigenes Volk eingemauert hat und an der innerdeutschen Grenze auch auf dieses hat schießen lassen, – –
Können Sie es verstehen, dass wir Ihre Worte vor Ihrem biografischen Hintergrund nicht als glaubwürdig einschätzen? Können Sie verstehen, dass wir Sie am allerwenigsten für einen Vertreter hoher Rechtsstaatlichkeit halten?
– Sie sind der Allerletzte, Herr Gansel, dem ich es in irgendeiner Form anvertrauen würde, meine Biografie zu bewerten.
Über die Fehler der DDR habe ich mich immer kritisch geäußert. Im Gegensatz zu der Tatsache, dass Sie mit dem Dritten Reich, einem wirklichen Verbrechersystem, undifferenziert sind.
Ende der Durchsage, Herr Delle. Sie nehmen die völlig verständliche Forderung des Vaters her, der in seiner Verzweiflung, weil sich vieles tatsächlich überhaupt nicht ordentlich sortieren lässt, von einem Untersuchungsausschuss spricht – des Nebenklägervertreters meinethalben auch –, die beide nicht wissen, wie ein solches Instrument funktioniert und in welchem Zusammenhang es läuft, wie schwerfällig es ist, bevor es in Gang kommt, welche Konsequenzen es hat und Ähnliches mehr, und bringen uns gewissermaßen eine Drucksache, in der Sie 23 Fragestellungen bzw. Untersuchungsbegehren zum Komplex Ermittlungsverfahren Mario M. und 21 weitere Fragen zum Sachverhalt zum nun wahrlich überschaubaren Hergang der Flucht des Mario M. aneinanderreihen und vorgeben, die Verantwortung für die Vorgänge, die in zwei Ressorts der Regierung liegen, nämlich im Justizministerium und im Innenministerium, qua Untersuchungsausschuss aufklären zu müssen.
Ich will nicht behaupten, dass Sie interessiert und intelligent genug sind, um die Sächsische Verfassung im Sinngehalt erfasst zu haben. Auf jeden Fall sind Sie durchtrieben genug, um zu kalkulieren, dass Ihnen die Tribüne des Untersuchungsausschusses eine neue Möglichkeit der Selbstdarstellung bietet. Das ist doch das eigentliche Anliegen Ihres Antrages! Tatsächlich sind ja Untersuchungsausschüsse oft genug vor allem auch Foren der Selbstbespiegelung von Politikern. Das ist aber dann keine Rechtfertigung für einen Grund ihrer Einsetzung.
Die Verfassung sieht die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen als besonderes Mittel vor, vor allem für die Opposition, um die Arbeit der Regierung und ihrer Behörden im Extremfall mit gerichtsähnlichen Methoden zu durchleuchten und offenzulegen. Untersuchungsausschüsse werden vom Parlament regelmäßig und der parlamentarischen Opposition dann und dort zum Einsatz gebracht, wo es darum geht, unabhängig von Regierung, Behörden und Gerichten mit hoheitlichen Mitteln, wie sie sonst eben nur Gerichte und besondere Behörden haben, in einem etwa gleich aufwendigen Verfahren selbstständig Sachverhalte zu prüfen, die in Erfüllung des Verfassungs
Der Maßstab ist immer, dass der Sachverhalt für aufklärungsbedürftig erachtet wird. Nachgedachter Zusatz: Auf anderem Wege, das heißt unter der Schwelle eines Untersuchungsausschusses, ist Aufklärung nicht zu erreichen. Das ist der Maßstab. An diesen beiden Voraussetzungen mangelt es hier handgreiflich.
Nehmen wir nur den Komplex der zweifellos kritikwürdigen, gestern von mir in der Rede zum Ministerbericht en detail beleuchteten Versäumnisse im Stadium der Ermittlungen nach der Entführung Stephanies am 11. Januar 2006. Hierzu hatte die Linksfraktion.PDS zur Drucksache 4/4439 am 24. Februar 2006 einen umfänglichen 13-Punkte-Katalog, mithin zwei Drittel der von Ihnen zum Komplex 1 aufgeführten Fragen und Sachverhalte umfassenden Berichtsantrag, in den parlamentarischen Geschäftsgang eingebracht. Mit der Stellungnahme vom 16.03.2006 hatte der Staatsminister des Innern für die Staatsregierung Stellung genommen und dabei alle wesentlichen Fragen, die Sie jetzt untersuchen wollen, beantworten müssen. Eine Verschleierung wäre zwecklos gewesen, weil schon die Medien genügend darüber recherchiert und berichtet hatten, welche eklatant handwerklichen Fehlleistungen im Zuge der Ermittlungen abgelaufen sind. Darüber war sich seinerzeit auch die Regierungskoalition im Klaren, denn auch die CDU- und SPD-Fraktion hatten am 6. März 2006 zu Drucksache 4/4547 einen Antrag zur Thematik „Ermittlung der Sonderkommission „Stephanie“ und Konsequenzen aus aufgetretenen Versäumnissen und Fehlern“ in den Geschäftsgang eingebracht und die Staatsregierung zur Stellungnahme veranlasst.
In mehreren Beratungen des Innenausschusses sowie des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses mussten darüber hinaus die beiden Ressortchefs zu detaillierten Fragestellungen der Fachpolitiker bzw. der Fraktionen, so auch zum Komplex der Fragestellungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Rede und Antwort stehen. Unser verehrter Kollege von der Aufklärungsfront, Kollege Karl Nolle, hat allein acht Kleine Anfragen mit jeweils fünf Fragen zur Problematik Fall Stephanie eingebracht, meine Fraktionskollegin Dr. Ernst ihrerseits vier Kleine Anfragen zu je fünf Detailfragen. All dies zwang seinerzeit die zuständigen Staatsminister Dr. Buttolo und Geert Mackenroth, die Regierungshosen herunterzulassen, und es setzte ja auch keine üblen Hiebe. Ein politischer Narr auch, wer danach noch fragt, bei wem die politische Verantwortung für die gravierende Panne im Zuge der Ermittlung des Aufenthaltsortes von Stephanie und der Person ihres Entführers, Peinigers und Vergewaltigers liegt – natürlich beim jeweiligen Minister. Das ist auch gestern klipp und klar ausgesprochen worden.
Was Sie feststellen wollen, ist gestern coram publico von mehreren Fraktionen so gesagt worden. Der Minister hat die politische Verantwortung angenommen und nicht
zurückgewiesen. Es ist zigmal ausgesprochen worden, und das hat zumindest auf der Ebene der Ermittlungsführer und der Stadt Dresden personelle Konsequenzen gefunden, zum Beispiel in der Ablösung des Leiters der Kommission. Wo besteht also jetzt noch auch nur im Ansatz Bedarf an Aufklärung zu diesem Vorkomplex des Hauptverfahrens?
Auch den bislang noch nicht veröffentlichten internen Untersuchungsbericht über die Ermittlungspannen im Ermittlungsverfahren hat Karl Nolle mit seiner am 06.11.2006 eingebrachten Kleinen Anfrage zu Drucksache 4/6885 abgefordert. Zu Ziffer 3 fragt Karl Nolle direkt, wie der Wortlaut dieses Berichtes ist. In drei Wochen werden wir den Wortlaut des internen Berichtes über Ermittlungspannen kennen und damit auf einem Erkenntnisstand sein, den wir via Untersuchungsausschuss mit seinen Störanfälligkeiten nicht in sechs Monaten hätten. Das liegt auch auf der Hand. Zu diesem internen Untersuchungsbericht noch eine knappe Anmerkung: Herr Staatsminister, Sie sind nur allein da, Herr Buttolo ist nicht da: Gentlemanlike, Anstand und Loyalität gegenüber dem Parlament war es nicht, dass der Innenminister uns diesen Untersuchungsbericht vorenthalten hat.
Gentlemanlike war es nicht. Das ist kein Umgang mit dem Parlament, wenn wir es mehrfach prüfen. Wenn es einen solchen Bericht gibt, hätte der Minister von sich aus eine Bringpflicht gehabt. Man kann einem solchen Minister tatsächlich nicht weiter trauen, als man ein Klavier schmeißen kann. Das gebe ich gern zu.
Was im Weiteren die Vorfälle im Umfeld des am 06.11.2006 begonnenen Strafverfahrens angeht respektive die Verhandlung vor der 2. Strafkammer, im Besonderen die Abläufe in der JVA am 08.11., hat selten eine halbe Nation in derart lückenloser Berichterstattung Einblick in den Ablauf einer Flucht, besser: einer Entweichung mit Provokationscharakter, erhalten wie im Fall Mederake. Die „Berliner Zeitung“ vom 10.11.2006 glossierte: „In der Zeit, in der er auf dem Dach herumstand, in diesen 20 Stunden, hat sich in der Welt unter anderem Folgendes ereignet. Während in den Vereinigten Staaten der Republikanerpräsident die größte Wahlniederlage seiner Amtszeit erlitt, seinen Lieblings-Verteidigungsminister Rumsfeld entlassen musste, beim Beschuss durch die israelische Artillerie im Gaza-Streifen trotz Waffenstillstandsabkommen 18 palästinensische Frauen und Kinder starben, eine zu gleicher Zeit veröffentlichte Studie bekannt wurde, dass rechtsextreme Einstellungen in Deutschland in allen Bevölkerungsschichten bundesländer- und generationenweit verbreitet sind, der EUErweiterungskommissar der Türkei mit dem Abbruch der Beitrittsgespräche drohte, sofern sich das Land nicht für zypriotische Waffentransporte öffnete – es ist viel geschehen in der Welt in diesen 20 Stunden, am meisten und am intensivsten allerdings geschah, wo nichts geschah, auf dem Gefängnisdach in Dresden.“
Tatsächlich stand ja die mediale Welt Kamera und Stift hab acht die gesamten 20 Stunden auf dem Gelände der JVA parat und filmte und schrieb und kommentierte und glossierte. Am Ende jeden zweiten Beitrags stand das Menetekel: Das kostet Mackenroth den Kopf. Warum soll ich jetzt noch einen Untersuchungsausschuss einsetzen, um exakt das festzustellen? Der Minister wiederum hat gestern zu höchst medienfreundlicher Zeit und einer nun wahrlich öffentlich breit reflektierten Debatte via seines Berichts versucht, seinen Kopf zu retten. Das hat er mit Anstand getan. Für uns war seine Zusage wichtig, weitere Details in aller Breite und Tiefe am kommenden Montag in der Sondersitzung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses den Fachpolitikern der Fraktionen darzulegen und für deren Fragen uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen. Warum eigentlich, Herr Apfel oder Herr Müller, warum geben Sie nicht einfach Ihren entsprechenden Antrag mit den beinhalteten Fragen an den zuständigen Staatsminister bzw. an Herrn Prof. Schneider als Vorsitzenden des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses und warten, was der Staatsminister am nächsten Montag darauf zu sagen hat? Und wenn dann noch etwas offenbleibt, können wir neu darüber reden. Überhaupt kein Problem.
Das war am Montag. Aber Sie kommen heute daher und wollen einen Untersuchungsausschuss, der Verantwortungslagen bezogen auf die Staatsregierung und der jeweiligen Fachminister klären soll. Für wie debil halten Sie eigentlich Ihre Kundschaft, Ihr Publikum oder Ihre Wähler? Es ist doch überhaupt nicht zu erwarten, dass Sie mit der Nummer punkten können.
(Jürgen Gansel, NPD: Besser als Ihre Wählerschaft, die im Durchschnitt 30 Jahre älter als unsere ist!)
Ach, Herr Gansel. Das verkneife ich mir jetzt. Wenn ich daran denke, dass Sie in der Landeszentrale für politische Bildung sitzen, fällt mir das Nolle-Wort ein, dass man dann gleich einen Vampir zum Chef der Blutbank machen kann.
Sie, meine Damen und Herren der NPD-Fraktion, sind lange genug im Geschäft, um zu wissen, wie schwerfällig sich der Prozess der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vollzieht, welche Zeiträume vergehen, bevor er sich konstituiert, welche Formalitäten in Gang zu setzen sind, welche Rangeleien bei der Beratung eines jeden Beweisantrages im Ausschuss ablaufen und wie kopflastig derartige Untersuchungsausschüsse, vor allem auf Showtime aus sind. Bis das zu etwas führen würde, ist das Verfahren gegen Mederake vorbei.
Wir sind der Auffassung, Politik und Politiker werden in diesem Land schon genug verachtet, als dass dazu weiter beigetragen werden müsste, indem sich Woche für Woche oder Monat für Monat im Untersuchungsausschuss an dem Elend des Falls Stephanie geweidet wird.
Wird von der SPD-Fraktion das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Ich frage die FDP-Fraktion. – Auch nicht. Ich frage die GRÜNEN. – Auch nicht. Der Abg. Menzel hat sich zu Wort gemeldet.
Wenn man gestern dieses Drama hier erlebt hat – anders kann ich es nicht bezeichnen –, dann kann man sehr traurig sein, aber in diesem Staate wundert mich gar nichts mehr. Bestimmt nichts mehr, gar nichts mehr. Außerdem muss ich sagen, anstatt endlich mal Staatsmacht zu zeigen, da, wo sie erforderlich wäre; denn zu dem Fall, der gestern hier behandelt wurde, fällt mir eigentlich nur noch ein, – –
Was den Kollegen Bartl betrifft: In seiner Fraktion habe ich ihn bisher für denjenigen gehalten, der über den Sachen steht.