Wir erwarten nichts anderes, als dass die Möglichkeiten der Geschäftsordnung vom amtierenden Präsidenten entweder sofort angewandt oder im Präsidium notwendige Ordnungsmaßnahmen diskutiert und notfalls nachträglich verhängt werden. Auch dies lässt die Geschäftsordnung ausdrücklich zu. Genau das ist unsere Forderung.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist direkt vom Kollegen Hahn angesprochen worden, dass es verschiedene Arten von Ordnungsmaßnahmen gibt und eine, wenn auch von geringerer Kraft, wäre zumindest angemessen. Da gibt es auch relativ einfach auszusprechende Maßnahmen. Ich denke, es wäre angemessen, von diesen Dingen jetzt Gebrauch zu machen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe Ihre Argumentationen verfolgt, ich habe aber vor allen Dingen auch die Stellungnahme von Herrn Menzel hier verfolgt. Mir geht es jetzt lediglich um den Punkt heute Nachmittag. Ich habe sehr wohl verstanden, was Herr Menzel mit der Gleichsetzung bzw. sogar Bevorzugung des sogenannten Reichs
kanzlers meinte. Ich halte es für untragbar, dass analog zu heute Vormittag in diesem Hause wieder eine solche Äußerung getan wird. Ich nutze meinen Ermessensspielraum laut Geschäftsordnung aus, berufe mich auf § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung und verweise Sie, Herr Menzel, heute aus der Sitzung.
(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN sowie vereinzelt bei der CDU – Prof. Dr. Cornelius Weiss, SPD: Und wo bleibt die Stellungnahme der NPD? – Gegenruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)
Als Einbringerin spricht zuerst die Linksfraktion.PDS. Es folgen CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es fällt nicht besonders leicht, jetzt einfach zur Tagesordnung überzugehen und so hoppla hopp über häusliche Gewalt zu sprechen. Am liebsten wäre ich auch gegangen. Das will ich ganz offen sagen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu einem Thema sprechen, das, glaube ich, auch die Aufmerksamkeit in hohem Maße verdient, zu einem Thema, das zu den großen Themen in dieser Gesellschaft gehört.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, trotz allem die Plätze wieder einzunehmen und in der Tagesordnung fortzufahren.
Es ist insofern tatsächlich eines der großen Themen in der Gesellschaft, als es den Kern unseres Zusammenlebens betrifft. Deshalb will ich auch eines klipp und klar sagen, wenn wir von häuslicher und Beziehungsgewalt sprechen: Ja, es ist wunderschön und richtig, von Zahlen über häusliche und sexualisierte Gewalt zu sprechen. Es ist richtig, über Beratung, über Hilfestellungen, über Mittel für solche Einrichtungen, über konkreten Opferschutz zu reden und dafür auch etwas zu tun. Vollkommen richtig, alles in Ordnung! Aber ich sage auch: Selbst die besten Angebote, die wir zur Unterstützung von Opfern entwickeln und
anbieten, dürfen uns nicht beruhigen; denn wir als Politiker müssen – und dazu sitzen wir in diesem Raum – sehr viel stärker die Ursachen jedweder Gewalt bekämpfen. Das ist ein ganzheitlicher Ansatz, der mir in der Debatte sehr häufig fehlt.
Meine Damen und Herren, wir müssen gegen die Gewöhnung an Gewalt als etwas ganz Normales ankämpfen, für welche Probleme auch immer sie eine Lösung sein soll. Häusliche Gewalt – das sagen alle schön in die Luft hinein – ist keine Privatangelegenheit. Aber dann muss man sie auch so behandeln. Ich glaube, dass diesbezüglich schon vieles getan wurde, aber längst nicht alles.
Rund 25 % aller Frauen in Deutschland erleben häusliche Gewalt. Ein Bruchteil davon, ein winziger Bruchteil, landet vor Gerichten und wird von der Polizei verfolgt. Die Zahlen sind insofern immer relativ. Beispielsweise beträgt die Anzahl der im Jahre 2004 registrierten Fälle 1 154. Davon sind übrigens mehr als 82 % Frauen, was allerdings bedeutet, dass es natürlich auch männliche Opfer gibt. 75 % aller Straftaten in diesem Zusammenhang waren Körperverletzungen, zum Teil lebensbedrohliche.
Wenn wir über häusliche Gewalt sprechen und auf diesem Feld wirklich etwas erreichen wollen, dann, meine Damen und Herren, müssen wir begreifen, dass häusliche Gewalt nicht nur körperliche Gewalt darstellt, sondern auch psychische, seelische, wirtschaftliche und natürlich sexualisierte. Das sind häufig Gewaltformen, die man schwer gerichtsfest machen kann. Was uns besser gelingen muss, egal welche Hilfsmaßnahmen wir auch immer favorisieren, ist, die Vielfalt der Situationen der Opfer im Blick zu haben. Genau daran mangelt es heutzutage.
In der absoluten Mehrzahl sind die Täter Ehemänner, Lebensgefährten, teilweise auch Söhne; aber es gibt auch Frauen und Töchter, die Täterinnen sind. Das macht zwei Dinge sichtbar, die wir klarer ausdrücken müssen.
Zum einen ist es zwingend notwendig, bei angestrebten Problemlösungen die Geschlechterfrage offensiver ins Spiel zu bringen und zu thematisieren. Mein Gott, es ist kein Zufall, dass Täter vorrangig Männer sind. Das hängt natürlich mit patriarchalen Strukturmustern und Verhaltensweisen im Umgang mit Frauen über viele Jahrhunderte hinweg bis zum heutigen Tag zusammen.
Zum anderen müssen wir die Täterstruktur viel mehr differenzieren. Es reicht nicht, nur auf das Geschlechterverhältnis zu schauen, sondern wir müssen auch Alter, soziale Herkunft und Biografie im Blick haben. Auch das ist ein großer Anspruch. Wir brauchen also ein Hilfesystem, ein Unterstützungssystem für Opfer häuslicher Gewalt, das entschieden mehr auf Prävention setzt und Opfer umfassend schützt und deren Identität unterstützt.
Wenn ich von Identität spreche, ist das auch nicht dahergeblasen, sondern ich meine damit, einen proaktiven Ansatz in der Unterstützung zu gewähren, der Betroffenen Kraft gibt, das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen, vielleicht erstmals überhaupt in die Hand zu nehmen. Um hierbei erfolgreich zu sein, brauchen wir Klarheit über weibliche und männliche Sichtweisen, aber auch über die kindliche Sicht auf das Problem.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit einer großen Selbstverständlichkeit reden wir davon, dass 90 % der von Gewalt Betroffenen Erwachsene sind. Man könnte denken, dass also nur 10 % Kinder betroffen seien. Das ist falsch. In zahlreichen Haushalten erleben Kinder täglich Gewalt als etwas ganz Normales. Wenn wir also nachhaltigen Opferschutz betreiben wollen, dann müssen wir ihn auch im Kontext mit den Kindern, die Gewalt erleben, konzipieren. Sonst ist er für die Katz.
Opferschutz braucht einen ganzheitlichen Ansatz. Er darf nicht nur selektiv und Folgenbekämpfung sein. Er braucht daher einen konsequenten Perspektivenwechsel und den müssen wir als Politikerinnen und Politiker auch befördern. Das geht in drei Richtungen, in denen der Perspektivenwechsel angebahnt werden muss.
Es geht erstens darum, häusliche Gewalt als gesellschaftliches Kernthema aufzufassen und nicht als etwas, was man so nebenher mit betrachten muss, was also ein Randthema ist. Das ist es nicht, weil häusliche Gewalt nicht nur eine Frage von sozial Benachteiligten ist, sondern bis in die Mitte der Gesellschaft reicht.
Frauen, Männer, Kinder in Problemlösungen einbeziehen und berücksichtigen – das ist das zweite Moment für den Perspektivenwechsel, den wir brauchen, und zwar von Anfang bis Ende.
Prävention und Opferschutz müssen Pflichtaufgabe werden. Meine Damen und Herren, seien wir doch ganz offen: Das ist immer noch eine freiwillige Aufgabe, die die Frauenschutzhäuser und andere unter vielen Opfern
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß wie Sie, dass wir in den letzten Jahren sehr wohl eine ganze Menge erreicht haben, nicht zuletzt auch ganz besonders durch das Gewaltschutzgesetz und seine Umsetzung in Sachsen. Hier ist eine Menge passiert, ich will das nicht beiseite schieben. Es gibt in Sachsen eine bedeutsame „Landschaft“, wichtige Einrichtungen und Hilfsangebote.
In den Neunzigerjahren entstanden hier die ersten Zufluchtsstätten; damals hat überhaupt noch niemand hingeschaut. Es wurde vor Ort einfach selbst in die Hand genommen. Viele, die möglicherweise daran mitgewirkt haben, wissen das; Sie waren vielleicht sogar dabei. Es sind 17 Frauenschutzeinrichtungen entstanden. Wir wissen, es waren mehr. Es gab Schließungen, okay. Wir haben aber 17 wirklich intakte und sehr gut arbeitende Frauenschutzeinrichtungen und fünf Interventionsstellen. Wir haben Gott sei Dank jetzt auch Täterprojekte initiiert. Es gibt eine Opferberatungsstelle gegen Menschenhandel. All das ist von unschätzbarem Wert. Vieles ist zuallererst „von unten“ gewachsen, weil Menschen sich vor Ort zusammengetan und es in die Hand genommen haben, und ihnen gilt unser Dank. Wir haben am heutigen Tag durch all diese Dinge, die auf der rechtsextremen Seite passiert sind, sicher manches durchmachen müssen; aber vielleicht sollten wir den Blick nicht davor verschließen, dass es Menschen gibt, die draußen eine ganze Menge leisten, und wir sollten dies auch hier drinnen sagen.
Meine Damen und Herren! Nicht nur Strukturen der AntiGewalt-Arbeit sind entstanden. Auch ein Umdenken hat begonnen, ein Umdenken, das vielleicht am sinnfälligsten und am schönsten bei sehr vielen Polizeibeamten sichtbar wird, die sich durch die wegweisungsrechtliche Regelung mit dem Problem beschäftigen mussten und bei denen Fortbildungen mit positiven Ergebnissen stattfanden. Wir haben in der Öffentlichkeit dieses Thema generell verstärkt, und daran hat auch die Staatsregierung Anteil.
Worauf es jedoch jetzt ankommt – und darüber müssen wir sprechen – und wobei wir als Politikerinnen und Politiker gefordert sind, das ist die weitere Professionalisierung dieser Arbeit im Bereich der Bekämpfung von häuslicher Gewalt. Was heißt das? Ich will unsere Konditionen aufmachen, die uns hierbei wichtig sind:
Erstens. Wir brauchen ein wirklich flächendeckendes und aufeinander abgestimmtes Angebot von Hilfs- und Unterstützungseinrichtungen und -stellen. Es ist außerordentlich wichtig, dass jeder Betroffene ein Recht hat, zeit- und wohnortnah fachlich qualifizierte Unterstützung zu bekommen, und ich meine, darüber zu reden ist das eine, dafür etwas zu tun ist das andere, und wir sind an einem Punkt, wo man auf uns schaut, dass wir etwas tun. Schließlich waren die Vertreterinnen der Frauenschutzhäuser nicht umsonst hier vor dem Landtag und haben
gesagt: Liebe Leute, wir kommen hier nicht mehr weiter, wir brauchen mehr Unterstützung! – Das hängt auch mit diesem Aspekt zusammen. Es gibt ganze Regionen, die unterversorgt sind: In Torgau-Oschatz gibt es überhaupt nichts. Was macht eine Frau aus Torgau-Oschatz? Sie muss nach Leipzig fahren oder irgendetwas anderes tun. Wir haben beispielsweise keinerlei Versorgung in Eilenburg und Delitzsch; im Muldentalkreis gibt es große Defizite. Hier muss etwas getan werden.
Zweitens. Ich habe es schon angedeutet: Aus der freiwilligen Aufgabe Opferschutz und Prävention muss eine Pflichtaufgabe werden. Das heißt konkret, wir dürfen nicht zulassen, dass noch irgendein Frauenschutzhaus geschlossen wird – nicht eines. Wir brauchen diese Angebote, und wir brauchen im Bereich jeder Polizeidirektion eine Interventionsstelle, die mit zwei Fachkräften besetzt wird. Wir brauchen in jedem Regierungsbezirk wenigstens ein Täterprojekt. Dafür sollten wir uns aussprechen, auch heute, und nicht über Allgemeines reden, was die häusliche Gewalt angeht.
Drittens. Wir verlangen – das machen wir auch im Haushalt deutlich – eine entsprechend höhere Mitfinanzierung durch das Land. Es kann nicht sein, dass auf die Kommunen abgewälzt wird, was in Anti-Gewalt-Prävention und Opferschutz getan werden soll. Das geht nicht. Das Land muss deutlich mehr zuschustern. Wir meinen, dass im Bereich der Frauenschutzhäuser eine fünfzigprozentige Bezuschussung notwendig ist und nicht, wie bisher – damit sind wir bundesweit das einzige Land, das diese Einrichtungen so miserabel fördert –, 15 bis 20 %. Wir brauchen ein neues Finanzierungskonzept, das die Kosten von Gewaltbekämpfung zwischen Land, kreisfreien Städten und Landkreisen gerechter in einem Ausgleich verteilt; ein Finanzierungskonzept, das von dieser sinnlosen Tagessatzfinanzierung wegführt und nicht noch die Opfer etwas kostet, sondern die Opfer sollen unterstützt werden, sie sollen nicht noch mehr Geld dafür hineinstopfen, dass sie sich beispielsweise an ein Frauenschutzhaus oder anderswohin wenden. Wir brauchen gesicherte Personal- und Sachkosten, und ich denke, es gibt Vorschläge, die die Landesarbeitsgemeinschaft Frauen- und Kinderschutzhäuser auf den Tisch gelegt hat. Anhand dieser Vorschläge muss man arbeiten, alles andere ist nur Gerede.
Viertens. Wir fordern eine deutliche Verbesserung der Aus- und Fortbildung zur Gewaltbekämpfung. Dort haben wir bei den Polizisten vieles erreicht. Aber es gibt riesige Defizite bei Richtern und anderen Justizbeamten sowie in der Ärzteschaft – allein das Erkennen, was häusliche Gewalt ist und wie ich das nachweisen und als Arzt unterstützen kann, wenn jemand zu mir kommt und dieses Problem deutlich wird – und in der Lehrerschaft. Die guten Erfahrungen der Polizei sollten hier ein Beispiel sein.
Fünftens. Wir verlangen eine Öffentlichkeitsoffensive seitens der Staatsregierung zu diesem Thema, und zwar nicht, um allgemein irgendetwas über häusliche Gewalt
zu erzählen, sondern um zu zeigen: Diese Hilfsangebote gibt es, diese Gesetzlichkeit gibt es, diese Information ist wichtig für Opfer und um Opfer zu ermutigen.
Sechstens. Unverzüglich brauchen wir die Änderung im Polizeigesetz, dass die Wegweisung von sieben auf 14 Tage erweitert wird. Ich weiß, dass ein Referentenentwurf vorliegt, aber ich denke schon, dass er ergänzt werden muss, nämlich damit, dass die Aufgaben der Polizei in diesem Zusammenhang sehr viel stärker charakterisiert werden müssen.
Siebentens. Wirksame Maßnahmen gegen Nachstellungen von Tätern gegenüber Opfern sind dringend notwendig.
Achtens. Die Vernetzung aller Angebote, die Kommunikation auf dieser Ebene sind gewissermaßen das Ein und Alles. Das muss uns gelingen, nur dann macht es Sinn. Wenn diese regionale Vernetzung nicht existiert, ist es außerordentlich schwierig, hier nachhaltige Politik zu betreiben.