Protokoll der Sitzung vom 12.12.2006

In den Schularten Förderschule und Berufsschule – wir haben es gehört – hat die Koalition kein Konzept, wie sie zu einer realen Verbesserung der Situation kommen will. Sie will nicht real mehr Lehrerinnen und Lehrer einstellen und ich frage mich, warum die SPD noch nicht einmal sagen kann: „Ja, wir hätten uns mehr gewünscht“, sondern warum da einfach nur ein unkritischer Kuschelkurs gefahren werden muss.

Noch immer werden in der offiziellen Schüler-LehrerRelation über 2 000 Kolleginnen und Kollegen gezählt, die entweder verschiedene Aufgaben in Verwaltung und Ausbildung erfüllen oder in Altersteilzeit sind, die aber jedenfalls dem Unterricht nicht zur Verfügung stehen. Da möchte ich einfach mal ein bisschen grundsätzlicher werden. Ich kann die regierungslogische Verschwommenheit kaum noch ertragen, mit der nach Vergleichsstudien Schulterklopfen elementarer Bestandteil der Schaufensterrede ist – so heute hier wieder bei der Rede des Ministerpräsidenten geschehen.

Ich sage ganz deutlich: Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist für uns keine Kronzeugin; denn der Bildungsmonitor, den sie herausgegeben hat und auf den sich heute alle beziehen – von wegen, Sachsen sei Spitzenreiter –, bezieht sich vor allem auf die Schüler-LehrerRelation, die – man muss es so hart sagen – verfälscht ist. Wissenschaftler unterschiedlichster Couleur haben die Konzentration auf Betreuungsverhältnisse – –

(Unruhe)

Ich sehe ein, dass noch total viel Absprachebedarf für die Änderungsanträge, die wir eingebracht haben, vorhanden ist, und ich hoffe, dass da noch viel Bewegung in die Debatte kommt. Dennoch würde ich die grundsätzliche Aussprache mit ein wenig Aufmerksamkeit vorantreiben wollen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben die Konzentration auf die Betreuungsverhältnisse kritisiert, weil diese nichts über die Qualität eines Schulwesens aussagen. So gesehen ist das, was die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft sagt, vielleicht nicht so sehr von Bedeutung, sondern dass sie sich zu Wort meldet und mit welchem Ziel sie es tut. Dass sie Referenzgröße von CDU-Regierungspolitik ist, macht es notwendig, einmal zu schauen, wes Geistes Kind die von ihr gemachte Lobby- und Stimmungspolitik ist:

Die Initiative will die Bürger der Bundesrepublik von der Notwendigkeit marktwirtschaftlicher Reformen überzeugen. Die soziale Marktwirtschaft müsse an die Bedingungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Die Initiative vertritt die Meinung, dass – und nun greife ich Begriffe auf, die wir in dieser Debatte schon vielfach gehört haben – Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Wettbewerb dabei mehr Geltung erhalten müssten.

Das, meine Damen und Herren, sind genau die Vokabeln, mit denen auch Hartz IV eingeführt wurde. Das sind die Vokabeln, mit denen von den Starken in der Gesellschaft die Solidarität aufgekündigt wird, mit denen die öffentliche Daseinsfürsorge privatisiert und allgemeine Lebensrisiken auf den Einzelnen übertragen werden. In diesem Sinne sind das nicht unsere Vokabeln. Wir werden auch nicht den Diskurs übernehmen, den Sie uns damit aufdrücken wollen.

In der Bildungspolitik, so heißt es weiter in diesem Spektrum, gehe es um mehr Wettbewerb, mehr Effizienz und mehr Tempo. Die Einführung von Studiengebühren sowie die Auswahl der Studierenden durch die Hochschulen seien hierzu Beiträge. Eine solche Logik macht Bildung zum Angebot und zur Ware statt zum Recht.

Tempo, Effizienz und Wettbewerb – wie ideologisch werden diese Worte, wenn sie gegen die Schwachen einer Gesellschaft oder in Nichtbeachtung derselben gebraucht werden.

Ich lege dies so ausführlich dar, um aufzuzeigen, was ich meine, wenn ich davon spreche: Wir wollen eine grundlegend andere Bildungspolitik. Wir wollen Schule nicht einfach nur besser, effizienter oder qualitativ hochwertiger gestalten, wir wollen tatsächlich jedes Kind an seinem Entwicklungsstand abholen und eine vielseitige, tiefe und selbstbestimmte Entwicklung ermöglichen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir gewöhnen uns nicht an die Spaltung der Gesellschaft und debattieren dann darüber, wie man die Armut am besten verwalten könnte; denn wir wollen Armut abschaffen, und die individuelle Förderung eines jeden Kindes ist dafür Voraussetzung. Dazu bedarf es inhaltlicher, struktureller und kultureller Veränderungen der Schule. Die Struktur des Plätzezuweisens muss aufhören. Wir fordern eine Schule für alle. Herr Colditz, das heißt nicht, die Struktur auf den Kopf zu stellen, sondern auf die Füße, indem man nämlich tatsächlich die Menge aller Schülerinnen und Schüler in diesem Land fördert.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der Abg. Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)

Die Inhalte von privilegierten Gruppen oder einzelnen Gruppen dürfen nicht Maßstab für alle sein. Deswegen fordern wir, die vielseitige Begabung aller Kinder zu fördern. Die Kultur von Druck und Ellenbogen darf nicht die Entwicklung der jungen Menschen prägen. Darum fordern wir demokratisch verfasste Schulen und Lernprozesse, die sich von den Schülern aus gestalten.

Nun schauen wir, ob dieser Doppelhaushalt geeignet ist, den skizzierten Anforderungen gerecht zu werden.

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Ja!)

Das kam wahrscheinlich aus den hinteren Reihen der CDU.

Die Verhandlungen über einen neuen Doppelhaushalt sind dabei auch Gelegenheit, Bilanz zu ziehen, sich also in

Erinnerung zu rufen, welche Ziele man mit dem letzten Haushalt verfolgte, wie sich die Änderungen ausgewirkt haben und wie man den neuen Haushalt aufstellen muss. Dazu will ich einen kurzen Rückgriff machen.

Die Kürzungen der Lehrerstellen, die wir so heftig im letzten Haushalt kritisiert haben, haben leider eben genau jene Wirkungen hervorgerufen, die wir als Linksfraktion.PDS befürchtet und deretwegen wir vor dem Einschnitt gewarnt haben. Tatsächlich mussten wir feststellen, dass es in Größenordnungen zu Klassenzusammenlegungen im ganzen Land gekommen ist. Die Lehrerstunden, die in den Schulen zur Verfügung standen, haben nicht einmal für die Abdeckung des Grundbedarfs an vielen Schulen gereicht: kein Ergänzungsbereich, keine Arbeitsgemeinschaft mehr oder Unterrichtsausfall, auf den nicht reagiert werden kann.

Dieser Rückblick weist deutlich nach, dass mit dem Sorgenkind der letzten Haushaltsdiskussion – der Lehrerstellenkürzung – Löcher in die Schulversorgung gerissen worden sind, die auch dieser Haushalt nicht einmal zu schließen versucht.

Wir wollen eine soziale und emanzipatorische Bildungsreform, mindestens jedoch verlangen wir die Absicherung des von der Staatsregierung selbst in Stundentafeln, Lehrplänen oder Schulkonzepten definierten Status quo. Die Stundentafeln aller Fächer müssen erfüllt werden können. Die Schulen brauchen den Ergänzungsbereich, und ausfallender Unterricht muss vertreten werden. Dafür hat meine Fraktion einen Antrag eingebracht.

Wir fordern 250 weitere Lehrerstellen und kommen dazu auch noch weiter ins Gespräch.

Setzen wir diese Lehrerstellenkürzung für diese Generalsaussprache einfach einmal in einen größeren Kontext, um nachzuweisen, worum es hier eigentlich geht. Denn die Stellenkürzungen waren nur ein weiteres Beispiel unkreativen, kürzungsbedachten Umgangs mit dem demografischen Wandel. Darum muss in diesem Zusammenhang ein Fakt erwähnt werden, der die Wirklichkeit der Schullandschaft in den beiden letzten Jahren negativ geprägt hat.

Schulschließungen wirken sich nicht nur negativ auf das Klima in und zwischen den Schulen aus, sondern sorgen für immer weitere Schulwege im ländlichen Raum und so auch für geringere Lernqualität. Je weiter der Schulweg, desto geringer die Chance, ein Leben und Lernen jenseits der Busfahrtzeiten an der Schule zu haben.

(Beifall der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS)

Die Gewinnerin des jüngst von meiner Fraktion mit leicht schwarzem Humor ausgeschriebenen Wettbewerbs „Wer hat den längsten Schulweg?“ ist täglich drei Stunden und 40 Minuten auf der Piste. Ihr Schulwesen fördert nicht die Kinder, es befördert sie nur immer weiter. Sie wissen das und ändern nichts daran. Sie lassen dem höheren Beförderungsaufwand noch nicht einmal höhere Zuschüsse an die Verkehrsunternehmen folgen. Das verlagert die Last auf

die Schultern der Familie. Es sorgt dafür, dass zunehmend der Schulweg über die Wahl des Bildungsweges entscheidet.

Viele, die zum Leben die Miete und noch 345 Euro haben oder an der unteren Einkommensgrenze arbeiten, können nicht einfach noch 20 bis 50 Euro für die Fahrscheine im Monat dazubezahlen. Sie selektieren – und ich verwende den Begriff an dieser Stelle bewusst – schon allein über den Schulweg. Ich finde, dafür sollte man sich wirklich schämen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Was haben Sie sich noch vorgenommen? Die Förderung von Ganztagsschulen – ein großes Kind der letzten Haushaltsdiskussion. Die Ganztagsschule könnte tatsächlich ein Beitrag zur Veränderung der Kultur an den Schulen leisten. Doch getreu – –

Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen, Herr Minister?

(Staatsminister Steffen Flath: Nein!)

Okay.

Doch getreu dem Ausspruch, es gibt kein richtiges Leben im falschen, muss es nicht verwundern, was aus dem Ganztagsprojekt herausgekommen ist.

Die Bereitstellung von 15 Millionen Euro bzw. 30 Millionen Euro für die Einrichtung von Ganztagsangeboten sollte der schillernde Hauch von SPD im letzten Haushalt sein. Die Realität beweist: Außer einem schwachen Schimmern wurde daraus nichts. Das Geld ist nicht abgeflossen, im ersten Jahr gerade einmal 90 000 Euro.

Sicher, die Schulen brauchen eine gewisse Anlaufphase. Aber Ihre Förderpraxis verhindert geradezu, dass das Geld genutzt werden kann. Ich unterstelle einen Gedanken, den ich gerade hatte, einmal ketzerisch: Sie verkünden 30 Millionen Euro, wohl wissend, dass diese nicht ausgeschöpft werden können, und dann fließt das Geld eben in den Haushalt zurück. Aber den Schulen ist damit nicht geholfen. Sie legen die bürokratischen Schwellen in der Richtlinie so hoch und die Höchstfördersumme dafür so gering, dass das Resultat nicht verwundern muss.

Die erste Erkenntnis meiner Fraktion aus diesen zwei Jahren: Die Ganztagsschule ist nicht nur mit Honorarkräften zu haben. Darum fordern wir Lehrerstellen für die Umsetzung von Ganztagsschulen. Denn es braucht ja auch Menschen, die Zeit für mehr haben.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Zweitens stellen wir mit unserem Förderkonzept die Systematik um. Nicht mehr jede einzelne Klassenaktivität muss bei uns beantragt werden, sondern die Schulen bekommen entsprechend einem Konzept eine höher gesetzte globale Summe. Ich werde darauf noch einmal zu sprechen kommen. Aber das ist das, was man meint, wenn man sagt, man will Schulen wirklich mehr Verantwortung geben.

Ich sage es ganz kurz: Über Ihren Umgang mit den beruflichen Schulen haben wir eine Weile diskutiert. Auch die Betroffenen im Land haben nicht stillgehalten. Um es deutlich zu sagen: Wir sind grundsätzlich für die staatliche Verantwortung von Bildung. Wir meinen nicht, dass Bildung privatwirtschaftlich organisiert werden sollte. Gerade die Diskussionen im Rahmen global angelegter Veränderungen mit GATS usw. können wir hier gern einmal führen, was das für die sächsischen Schulen bedeutet. Aber wir sind für Vielfalt und dafür, dass junge Menschen einen Ausbildungsplatz bekommen sollen.

Die von Ihnen jetzt beschlossenen Veränderungen bringen den beruflichen Schulen Mindereinnahmen von im Durchschnitt 40 %. Nach dem Landesverband werden 50 000 Ausbildungsplätze verloren gehen. Wir kritisieren das und werden es in unserem Abstimmungsverhalten hier wieder deutlich machen. Aber leider hat die Beratung die Koalition nicht grundsätzlich auf den richtigen Weg gebracht.

Ein Wort zum Verwaltungsumbau. Sie geben sogar zu, dass Sie die Verwaltungs- und Funktionalreform durchziehen, und zwar durch ein Haushaltsbegleitgesetz. Wofür das alles herhalten muss?! Ich gehe darauf kurz ein, um unsere Idee deutlich zu machen, mit der wir an ein solches Thema herangehen.

Sie sagen: Effektivierung durch Zentralisierung. Wir sagen: mehr Qualität durch Demokratisierung. Wir haben uns klar positioniert gegen eine Blackboxmittelverwaltung, indem wir schon früher die Abschaffung der Regionalschulämter gefordert haben. Sie benennen diese jetzt um, nennen die Regionalschulämter Bildungsagenturen, machen eine zum Häuptling und alles bleibt, wie es ist.

Sie sollten tatsächlich Aufgaben an die Kreise und Schulen abgeben. Das machen Sie im Bereich der Ganztagsschulen und Gemeinschaftsschulen, indem die Kreise die Antragsteller sein sollen. Trotzdem behalten Sie die hierarchische Ordnung des bürokratischen Aufbaus bei. Wir sagen: Mehr Verantwortung in die Kreise und in die Schulen, weil dann auch tatsächlich mehr Qualität, mehr Nähe, mehr Beteiligung herauskommen kann. Wenn man will, dass mehr Bewegung in die Schulen kommt, muss man den Schulen auch die Möglichkeit geben, etwas zu entscheiden.

Im Bildungsbereich, so lassen Sie mich konstatieren, leidet das Schulwesen noch unter den Wunden des letzten Haushaltes, die dieser Haushalt nicht schließen wird. Ihr sozial differenzierendes Schulwesen hält nicht einmal seine eigenen Standards ein: mangelnde Unterrichtsversorgung, Ganztagsschulmittel, die nicht abgerufen werden, anhaltender Unterrichtsausfall und kein Ergänzungsbereich.

Ihr angestrebter Verwaltungsumbau zeigt: Sie haben nicht verstanden, dass mehr Bewegung und Engagement nur dann in die Schulen kommt, wenn sie nicht mehr bevormundet werden.

Also muss ich leider konstatieren – ich bedauere das innerlich für die Schulen im Land –, dass der vorliegende Haushalt nicht geeignet ist, den inhaltlichen, strukturellen und kulturellen Neuaufbruch unserer Schulen zu befördern. Darum werden wir ihn ablehnen. Für uns ist es genau das, was wir wollen, weil wir die Gesellschaft insgesamt gerechter und freier gestalten wollen. Mit unserem alternativen Haushalt und unserem Förderkonzept zeigen wir, dass der Einstieg in eine andere Schule möglich und finanzierbar ist. Wir werden das in unseren Änderungsanträgen zum Ausdruck bringen, und ich hoffe, Sie haben sich gute Antworten überlegt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)