Wie sieht es in Sachsen aus? Mit 132 Jugendstrafgefangenen pro 100 000 Einwohner dieser Altersgruppe liegt Sachsen auf dem unrühmlichen zweiten Platz im Bundesvergleich. In der Jugendabteilung der JVA Zwickau waren zu Jahresbeginn 74 Häftlinge inhaftiert, obwohl es nur 48 reguläre Plätze gibt.
Im Innenausschuss fragte unsere Fraktion den Justizminister, worin der Unterschied zwischen dem Erwachsenen- und dem Jugendvollzug bestehe. Die Antwort hat uns zugegebenermaßen überrascht. Ich zitiere daraus drei Unterscheidungsmerkmale: Das erste ist der höhere Energiegehalt bei der Verpflegung, nämlich 12 600 kJ statt 10 900 kJ. Das zweite ist der höhere Schlüssel im Personaleinsatz des allgemeinen Vollzugsdienstes, nämlich 33,8 Bedienstete für 100 Gefangene im Jugendstrafvollzug statt 29,4 Bedienstete auf 100 Gefangene im Erwachsenenvollzug. Das dritte ist die bevorzugte Berücksichtigung der Jugendstrafgefangenen bei Bildungsmaßnahmen.
Die Jugendlichen und Heranwachsenden brauchen keine vollen Mägen, sondern das volle Programm, das volle Programm an Förderung und Unterstützung, nämlich mehr Bildungs-, Trainings-, Beratungs- und Therapieangebote, die helfen, den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden. Sie brauchen mehr entsprechend ausgebildete Vollzugsbeamte, Sozialarbeiter und Psychologen.
Im Vergleich zur Kalorientabelle aus dem Justizministerium ist der uns heute vorliegende Antrag geradezu revolutionär.
Aber eines verschweigt er: Wer einen erfolgreichen Erziehungsvollzug möchte, der inhaltlich so ausgestaltet ist, wie Sie ihn Punkt um Punkt in Ihrem Antrag beschreiben, der muss dafür die personellen und strukturellen Voraussetzungen schaffen – und das kostet Geld. Aber das sind Investitionen, die sich lohnen.
Studien zu den Rückfallquoten zeigen, dass die Gestaltung des Jugendstrafvollzugs einen positiven Einfluss hat. Wer im Gefängnis eine Berufsausbildung abschließt, hat eine Rückfallquote von 21 %. Die Unterbringung im gelockerten Vollzug schneidet mit 37 % im Vergleich zum geschlossenen Vollzug mit 63 % überdurchschnittlich gut ab.
Noch eine Bemerkung zum bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren: Wir haben dazu noch erheblichen Bedarf an Information und empirischen Daten. Grundsätzliche Fragen sind zum Beispiel: Wie erzieherisch wirksam sind jugendstrafrechtliche Sanktionen? Wie gut ist das System ambulanter Maßnahmen ausgebaut? Ich denke in diesem Zusammenhang auch an die äußerst ungewisse Zukunft des Täter-Opfer-Ausgleichs. Warum ist die Gefangenenrate in Sachsen so hoch? Wie sieht der Haftalltag derzeit aus?
Wir hatten den Antrag gestellt, eine Expertise zur Jugendstrafverfolgung und zum Jugendstrafvollzug in Sachsen im Zusammenhang mit dem 3. Sächsischen Kinder- und Jugendbericht zu erstellen. Dies wurde mit Verweis auf den engen Zeitplan abgelehnt. Wir möchten aber nicht blind in die Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs hineinstolpern.
Wir führen hier eine Diskussion über die Zukunft straffällig gewordener junger Menschen. Deswegen haben wir in dieser Woche eine Große Anfrage zu diesem Thema eingereicht.
Da der vorliegende Antrag ein erster hoffnungsvoller Schritt in die richtige Richtung ist, werden wir ihm zustimmen und ihn um einen Änderungsantrag erweitern.
Das war die erste Runde der Fraktionen. Gibt es weitere Redewünsche? – Herr Abg. Schiemann, CDU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, alle die Schönheiten der Jugend erleben konnten. Einige sind jung geblieben, einige sind noch sehr jung und gehören noch zur Jugend.
Ich kann feststellen, dass wohl jede Generation auf die Jugend blickt, die sich gerade in den ersten 20 bis 30 Jahren befindet. Wenn man sich die letzten 2 000 Jahre anschaut, dann hat jede Generation davon gesprochen, dass die nachfolgende Generation schlechter ist, als man es selbst in seiner Jugendzeit erlebt hat.
Ich gehe davon aus, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wir mit dem Antrag gemeinsam mit unserer Koalitionsfraktion auf ein Problem aufmerksam machen, über das wir bereits im März dieses Jahres hier gesprochen haben. Ich bedanke mich bei meiner Kollegin Andrea Dombois, aber auch bei Ihnen, Herr Kollege Enrico Bräunig, und zum Teil auch bei Ihnen, Frau Herrmann, für die Sensibilität, mit der Sie zu diesem Thema gesprochen haben.
Das Bundesverfassungsgericht hat eine gesetzliche Regelung für den Jugendstrafvollzug angemahnt und hierzu eine Frist bis Ende 2007 gesetzt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war ergangen, weil viele Rechte und Pflichten in der Vergangenheit gesetzlich praktisch überhaupt nicht geregelt waren. Zu diesen ungeregelten Punkten gehören zum Beispiel solche Fragen, wie die Gefangenen unterzubringen sind oder ob sie Anspruch auf Ausbildung und Unterricht haben.
Wir müssen in Kürze gesetzliche Regelungen zu diesem Thema diskutieren. Unser heute vorliegender Antrag ist der erste Diskussionsbeitrag dazu. Er soll gleichzeitig die Grundlage für die nötigen Vorarbeiten zu Entwürfen nach den hier dargelegten Gesichtspunkten bilden.
Ich glaube, dass sich die Redner aller Fraktionen diesem Thema widmen und an dieses auch kritisch herangehen. Das zeigt, dass wir ein Thema aufgegriffen haben, das zur richtigen Zeit kommt.
Die aufgestellten Mindeststandards entsprechen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Ich hoffe, dass es am Ende des Diskussionsprozesses, Herr Staatsminister, im Freistaat Sachsen Regelungen zum Jugendstrafvollzug geben wird, die gute Voraussetzungen für einen sicheren und anspruchsvollen Vollzug in Sachsen bilden. Der Jugendstrafvollzug soll, wie natürlich auch der Erwachsenenstrafvollzug, dazu führen, dass die jungen Gefangenen nach der Entlassung aus der Haft ein straffreies Leben führen können. Statistiken beweisen, dass die Rückfallquoten sehr hoch sind. Eine durch das Bundesministerium der Justiz im Jahre 2003 herausgegebene Rückfallstatistik hat ergeben, dass die Rückfallquote bei jungen Tätern, die zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden, mehr als 75 % beträgt – eine viel zu hohe Zahl. In der vergleichbaren Gruppe erwachsener Täter, die zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden, begehen mehr als etwa 50 % wiederholt Straftaten.
Deshalb ist es besonders wichtig, die jungen Gefangenen zu erziehen und – ich betone – zu fordern. Der Vollzug muss jugendspezifischen Besonderheiten Rechnung tragen und übergreifend erzieherisch ausgerichtet sein. Die Jugendlichen und Heranwachsenden müssen Regeln einhalten und lernen, straffrei in der Gesellschaft zu leben. Wir brauchen auch effektive Behandlungsmaßnahmen im Jugendstrafvollzug. Deshalb sollen beispielsweise die Sozialtherapie und nach meiner Auffassung eine hohe Beschäftigungsquote in künftigen gesetzlichen Regelungen festgeschrieben werden.
Warum ist die Rückfallquote so hoch? – Diese Ursachen müssen ergründet werden. Uns ist allen klar, dass ein Strafvollzug in diesem Sinne fördert und erzieht, aber auch fordert. Man kann von jungen Leuten auch etwas fordern. Diejenigen jungen Leute, die nicht in Haft gehen, die nicht kriminell werden, sind im Leben auch gefordert.
Wenn man diese Maßstäbe anlegt, dann kostet der Strafvollzug natürlich mehr Geld, als lediglich weggesperrt und verwahrt zu sein. Doch es lohnt sich dennoch für die Gesellschaft; denn nur durch erfolgreiche Resozialisierung bzw. Erziehung ist auch die Allgemeinheit nachhaltig vor Straftaten geschützt. Deshalb haben wir dieses Ziel in unseren heute zur Diskussion stehenden Antrag aufgenommen. Die jungen Menschen müssen die Möglichkeit haben, Lesen und Schreiben zu lernen, einen Schulabschluss nachzuholen und einen Beruf zu erlernen. Meine Kollegin Andrea Dombois hat die Wichtigkeit dieser Frage angesprochen.
Wir brauchen natürlich auch eine Priorität der Zuweisung von Arbeit. Wichtig ist, dass Einsamkeit, Langeweile und daraus folgende Desillusionierung vermieden werden. Deshalb ist zu überlegen, ob eine Arbeitspflicht im Gesetz vorgeschrieben werden sollte. Um die Beschäftigungssituation zu verbessern, können Gefangene auch zu gemeinnütziger Arbeit angewiesen werden. Dies trifft auch bei Gewalt- und Sexualstraftätern zu. Neben sozialtherapeutischen Maßnahmen kann die beste Therapie und Resozialisierung nur Arbeit und Beschäftigung sein. In der Haft dürfen die jungen Gefangenen nicht nur Gutachtern und sich selbst überlassen bleiben. Wir müssen sie an einen gesunden Lebensrhythmus gewöhnen: Frühzeitig aus den Betten und nach getaner Arbeit müde ins Bett – das ist eine Voraussetzung, um kriminelle Karrieren zu unterbinden.
Dazu brauchen wir motiviertes Personal und Bedingungen, die auch die Unterbringung im Blickfeld behalten. Reden Sie mit den Häftlingen in den Haftanstalten! Da sagen junge Leute: Früh aufzustehen und zur Arbeit zu gehen ist deshalb das Allerbeste, weil die Tage dann natürlich kürzer werden und die Striche auf den Blättern, die man hat, auf denen gezählt wird, wann die Haftentlassung ist, schneller mehr werden. Die Zeit ist dann kürzer, und parallel dazu wird ein wichtiger erzieherischer Maßstab angelegt: dass das Leben in Freiheit natürlich auch nur mit Arbeit einhergehen kann.
Die Unterbringung im Vollzug muss entsprechend der persönlichen Eignung und im Sinne des Erziehungsauftrages erfolgen. Überbelegung ist unbedingt zu vermeiden. Sie kann negative Folgen haben, weil Aggressionen, Stress und Frust aufgebaut werden. Für uns gilt der Grundsatz der Einzelunterbringung bei Nacht. Die Jugendlichen und Heranwachsenden sollen dabei in kleinen Wohngruppen, deren Größe sich nach dem Erziehungsauftrag bemisst, untergebracht werden. Auch die Abteilungen sind nach Förderschwerpunkten differenziert und in angemessener Größe zu bilden.
Wenn wir über die Fragen des Jugendstrafvollzuges sprechen, dann ist das Kind natürlich schon in den Brunnen gefallen. Es gibt eine lange Zeit davor, in der viele Verantwortung tragen. Zuallererst – das betone ich deutlich – hat jeder Mensch Verantwortung für sein eigenes Tun zu übernehmen. Eltern, Verwandte, Schulen und die mediale Welt, die nicht zu unterschätzen ist, bieten den weiteren Rahmen der Erziehung. Da tauchen Vorbilder und falsche Propheten auf. Wir dürfen die christlichen Wertegrundsätze, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, nicht weiter preisgeben. Der Verlust angestammter Bindungen, der Verlust von Respekt, der Verlust von Werten und die Schwächung der Familie müssen uns zum Kurswechsel bringen. Der politische Ansatz, die Spaßgesellschaft unter die Leute zu bringen, ist deutlich gescheitert. Die Mär von einem Luftikus und einer Spaßgesellschaft war eine Lebenslüge, die besonders hart gegen die jungen Leute gerichtet ist.
Ich bin froh, dass die sächsischen Jugendlichen längst erkannt haben, dass das Leben auch aus Entbehrungen, aus harter Arbeit, aus Lernen, verbunden mit Ausdauer und Durchhaltevermögen, besteht. Neben der Arbeit gehört eine sinnvolle aktive Freizeit in das Leben eines jeden Menschen und besonders eines Jugendlichen.
Kultur, Theater, Sport, Musik, Literatur und die in der Gemeinschaft erlebten Stunden müssen ein wichtiger Schutz vor kriminellen Karrieren sein. Dennoch bin ich der Meinung: Haftanstalten sind nicht die Reparaturbetriebe für eine Gesellschaft. Sie können aber mit ihren Maßnahmen kriminellen Karrieren ein Ende bereiten. Aber sie sind eben nicht die Korrekturbetriebe. Deshalb brauchen wir im Jugendstrafvollzug neben den technischen Grundlagen Arbeit und natürlich eine sinnvolle Gestaltung der Freizeit. Gewaltspiele auf dem Computer und das Dauerfernsehen gehören nicht dazu.
Damit eines klar ist: Gefängnisse sind keine Sanatorien. Wer heute noch davon spricht, der sollte sich auch einmal eine Jugendstrafanstalt, ob bei Jugendlichen in Zwickau oder in Zeithain, anschauen. Sie werden alle froh sein, wenn sie das Gefängnis wieder verlassen dürfen. Deshalb ist es kein Sanatorium. Die Mär, die immer wieder erzählt wird, ist schlichtweg eine Lüge. Dennoch gibt die Gesellschaft jedem Jugendlichen nach Haftverbüßung die Chance, sein Leben ohne Kriminalität selbst in die Hand zu nehmen. Maßnahmen der Schuldenregulierung sind im Hinblick auf die spätere Entlassung und die Eingliederung in die Gesellschaft genauso wichtig wie die Mitwirkung der betroffenen Angehörigen, aber auch der Jugendlichen beim Vollzug. Die Möglichkeit und Aufrechterhaltung familiärer Kontakte sind für das spätere Leben äußerst wichtig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Freistaat Sachsen gab es schon in der Vergangenheit erhebliche Anstrengungen, Resozialisierung und Erziehung erfolgreich zu erreichen. Es gibt die Gelegenheit, Schulabschlüsse zu erzielen und Ausbildungen zu absolvieren.
Die neue Jugendstrafanstalt Regis-Breitingen wird kleine Wohngruppen in angemessenen Abteilungen ermöglichen. Mit der Inbetriebnahme Anfang 2008 wird sich die Unterbringungsform weiter verbessern.
Ich denke, dass wir in diesem Bereich weiteren Diskussionsbedarf haben und in einem guten Diskussionsprozess eine vernünftige gesetzliche Grundlage schaffen werden. Nunmehr liegt es an uns, mit den in Kürze zu beratenden Regelungen einen sicheren, erziehenden und fordernden Jugendstrafvollzug in Sachsen zu erhalten.
Lassen Sie mich abschließend Folgendes bemerken: Die Jugend ist einer der schönsten Abschnitte in jedem Menschenleben. Jedes Volk hat dafür zu sorgen, dass Jugendliche sicher, geborgen und glücklich aufwachsen können. Nutzen wir die Chancen, kriminell gewordenen Jugendlichen später ein Leben ohne Kriminalität im Freistaat Sachsen zu ermöglichen!
Gibt es weiteren Diskussionsbedarf? – Das kann ich nicht erkennen. Herr Staatsminister Mackenroth, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Justizvollzugsanstalten sind der Ort im Freistaat Sachsen, an dem – wie nirgends sonst – gesellschaftliche und familiäre Defizite aufgearbeitet werden bzw. an dem man dies versucht. Dies gilt besonders für den Jugendstrafvollzug.
Der Antrag der Koalition gibt mir eine willkommene Gelegenheit, grundsätzlich zu Fragen der Gestaltung des Vollzugs der Jugendstrafe, aber auch der Regelung des Strafvollzugs im Freistaat Sachsen insgesamt Stellung zu nehmen und Ihnen einen aktuellen Zwischenstand zu den Vorbereitungen des anstehenden Gesetzentwurfes zu berichten.
Wie Sie wissen, ist der Strafvollzug eines erwachsenen Gefangenen im bundeseinheitlichen Strafvollzugsgesetz aus dem Jahre 1976 geregelt. Für Jugendliche und Heranwachsende finden sich lediglich einige wenige gesetzliche Vorschriften im JGG. Im Mai 2006 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass diese gesetzlichen Grundlagen des Jugendstrafvollzuges nicht hinreichend dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes entsprechen, und dem Gesetzgeber aufgegeben, bis Ende 2007 den Jugendstrafvollzug auf eine ausreichende gesetzliche Basis zu stellen.
Die gesetzliche Regelung müsse – laut Karlsruhe – berücksichtigen, dass sich Jugendliche altersbedingt in einem schwierigen Übergangsstadium befinden, in dem nicht nur die Jugendlichen selbst, sondern auch Dritte für ihre Entwicklung verantwortlich seien. Insbesondere im Jugendstrafvollzug seien die negativen Auswirkungen der Strafe auf die Persönlichkeit der Betroffenen so weit wie