Protokoll der Sitzung vom 15.12.2006

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Dr. Albrecht Buttolo)

Meine Damen und Herren, die Maßnahmen der Polizei bei der WM richteten sich in erster Linie gegen Personen, die in der Vergangenheit bereits strafrechtlich auffällig geworden waren. Es ging also um Personen, die umgangssprachlich etwas auf dem Kerbholz haben. Wir reden hier über Personen der Fankategorien B und C, denen es nicht um den Sport geht, sondern die als gewalttätig oder sogar Gewalt suchend bekannt sind. Diesen Personen begegnete die Polizei unter anderem mit Gefährdeansprachen, Aufenthaltsverboten und Meldeauflagen. Während der gesamten Weltmeisterschaft wurden insgesamt 123 Personen in Sachsen durch die Polizei in vorübergehenden Gewahrsam genommen. Hier wurde effektiv und unmittelbar gehandelt. Erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit wurden so unterbunden oder bereits im Vorfeld verhindert.

Von all diesen Maßnahmen war der übergroße Anteil der Besucher der WM-Veranstaltungen in keiner Weise betroffen. Wer als Fan die Spiele sehen wollte, hat sie ohne Beeinträchtigungen gesehen. Zur Gewährleistung eines sicheren und störungsfreien Ablaufes im Stadion wurde Prävention großgeschrieben. Im Rahmen des Akkreditierungsverfahrens wurden Besucher bereits im Vorfeld durch Landeskriminalamt und Verfassungsschutz überprüft. Für die Betroffenen wurde dies ohne größeren bürokratischen Aufwand durchgeführt. Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass alle Betroffenen bei Beantragung der Akkreditierung über das dahinterstehende Verfahren informiert wurden und diesem zugestimmt haben. Die Möglichkeit, bei LKA oder LfV Auskunft über

die gespeicherten Daten zu erlangen, garantierte dabei die gebotene Transparenz.

Es erscheint mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich trotz aller öffentlichen Begeisterung bei der Fußball-WM um eine privatrechtlich organisierte Veranstaltung handelt. Bei 194 Personen wurden dem Organisationskomitee Bedenken gegen die Akkreditierung mitgeteilt. Dabei handelt es sich durchweg um Personen, die im polizeilichen Auskunftssystem registriert waren, also um rechtskräftig verurteilte Straftäter und um Extremisten.

(Dr. Jürgen Martens, FDP: Das ist falsch!)

Dass diesen wohl auch bewusst war, warum sie nicht akkreditiert wurden, zeigt die Tatsache, dass bei der Staatsregierung lediglich zwei Beschwerden von abgelehnten Bewerbern eingegangen sind.

(Volker Bandmann, CDU: Hört, hört!)

Meine Damen und Herren! Insbesondere die gute Einbindung von LKA und Verfassungsschutz hat sich bewährt. Durch Abfrage der entsprechenden Daten wurde die Akkreditierung von Akteuren aus der links- oder rechtsextremistischen Szene wirkungsvoll verhindert. Für den Besucher der WM führte das Verfahren zu einem spürbaren Plus an Sicherheit. Wer sicher sein will, dass Gewalttäter erst gar nicht in die Stadien hineinkommen, wird dies begrüßen.

Und noch etwas hat sich bei der Fußball-WM gezeigt: Die Videoüberwachung ist ein probates Mittel zur Prävention.

(Beifall des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Die CDU-Fraktion setzt sich daher für die weitere Nutzung dieser Möglichkeit ein und wird diesen Weg auch konsequent weiter verfolgen. Auch hier gilt stets – dessen sind wir uns durchaus bewusst – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Im Rahmen der WM konnte bei der Mehrzahl der Veranstaltungen auf Videoüberwachung verzichtet werden. An bestimmten Schwerpunkten eingesetzt, hat sie sich jedoch bewährt. Dies nahm die übergroße Anzahl der Besucher überhaupt nicht als Beeinträchtigung wahr – im Gegenteil, für viele trägt die Videoüberwachung viel mehr zur Steigerung des individuellen Sicherheitsempfindens bei. Dies ist Maßstab einer vernünftigen Sicherheitspolitik.

Meine Damen und Herren, der sichere und friedliche Verlauf der Fußball-WM hat gezeigt, dass im Freistaat Sachsen die innere Sicherheit großgeschrieben wird.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

Mit dem Einsatz moderner Technik und einer starken Präsenz unserer Polizei auf unseren Straßen sorgen wir für einen wirksamen Schutz vor Straftaten. Die Menschen fühlen sich in Sachsen sicher. Sie sind es auch, und das nicht nur zur Fußballweltmeisterschaft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Staatsministers Dr. Albrecht Buttolo)

Die Linksfraktion.PDS erhält das Wort. Frau Dr. Ernst, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie immer ist bei der CDU-Fraktion alles prima.

(Beifall des Abg. Thomas Schmidt, CDU)

Dennoch sage ich: Wo er recht hat, hat er recht, der Herr Lichdi; denn wir sehen viele Dinge ähnlich kritisch, die er angedeutet hat.

Sie erinnern sich daran, dass wir das anstehende Thema nicht zum ersten Mal im Visier haben. Wir hatten das Thema im Innenausschuss behandelt, und unsere Fraktion hat einen Antrag dazu im Landtag eingebracht. Es ist logisch, jetzt mit dieser Großen Anfrage nachzufragen. Diese Große Anfrage verdient den Namen, weil sie wirklich nachfragt und wir den Stand sehen können, wie er ist. Der Sächsische Datenschutzbeauftragte hatte zu Recht den Aufschlag gemacht.

Manchmal frage ich mich, was wir ohne den Sächsischen Datenschutzbeauftragten machen würden, der uns auf bestimmte Dinge hinweist. Wir würden ganz schön alt aussehen. Er hatte ein wichtiges Merkmal im Zusammenhang mit dem Akkreditierungsverfahren für Beschäftigte im Umfeld der WM genannt – ich möchte noch einmal darauf eingehen –, nämlich dass es sich um eine fehlende rechtsstaatliche Grundlage handelt. Über diesen Punkt möchte ich gern mit Herrn Innenminister Buttolo sprechen, wie er sich das im Einzelnen vorstellt. Ich glaube auch nicht, dass die bisher angedeuteten und verankerten Änderungen im Polizeigesetz, welches im Entwurf vorliegt, dafür ausreichen.

Um noch einmal zu verdeutlichen, worum es eigentlich geht: Es wurde nun ein ganzes Bataillon von Überwachungsmaßnahmen eingeführt und im Umfeld der gesamten WM verstärkt.

Nehmen wir uns den Würstchenverkäufer Meier einfach noch einmal vor, der zum Beispiel vorhatte, seine Würste im Umfeld des Stadions in Leipzig zu verkaufen. Um dies tun zu können, musste er zunächst einmal eine Datenschutzinformation wahrnehmen. Diese enthielt, dass er eine Überprüfung – ganz freiwillig – über sich ergehen lassen darf. Allerdings führt seine Verweigerung in diesem Fall automatisch dazu, dass er nicht akkreditiert wird. Na gut.

In der Info war zu lesen, dass Meiers Daten bis September 2006 gespeichert werden, und zwar, wenn er zu den Guten gehört und nichts passiert ist sowie auch nichts in anderen Datenspeichern gefunden wurde, oder bis zu einem Jahr, wenn das nicht so ist. Meier konnte in seinem Infozettel lesen, dass seine Zuverlässigkeit gleich von drei Behörden überprüft wird: Polizei, Verfassungsschutz und BND. Er muss also bekanntlich – das haben wir schon

thematisiert – seine Kerndaten überall outen und es wird überprüft, ob er in einer Straftäterdatei, beim Staatsschutz in irgendeiner Datei oder einer Datei „Gewalttäter Sport“ verankert ist. Bei den letztgenannten Daten handelt es sich um solche, in denen Daten von fünf bis zu zehn Jahren gespeichert werden können. Es geht auch noch um diese Speicherfristen, die man sehen muss.

Dann kommt die Überprüfung durch den Verfassungsschutz, das System NADIS, wie Sie wissen. Diese Dateien können zwischen allen Verfassungsschutzbehörden locker miteinander abgeglichen werden. Dort können Daten bis zu 15 Jahre gespeichert werden.

Dann folgt der BND, wenn Meier ausländischer Staatsbürger ist oder sich etwas anderes hat zuschulden kommen lassen, was nicht so günstig ist. Dort wird nachgeforscht, ob man Terrorist ist oder etwas Ähnliches – beim Würstchenverkauf. So ist der Ablauf.

Danach bekommt Meier Nachricht darüber, ob er zuverlässig ist oder nicht. Wenn beispielsweise die Ablehnung kommt – das hat Herr Lichdi schon gesagt –, dann war es tatsächlich so, dass die Ablehnung ohne Anhörung und ohne Gründe entgegengenommen werden musste. Ärgerte ihn das, durfte er möglicherweise zum LKA oder zum BKA laufen, oder er machte eine Eingabe beim Landesdatenschutz- oder Bundesdatenschutzbeauftragten, oder sein Arbeitgeber hatte ihn entlassen, oder er machte gar nichts, weil er den Kanal voll hatte.

Dieses glorreiche Akkreditierungsverfahren haben 7 480 Personen in Sachsen über sich ergehen lassen, 157 – das ist schon deutlich geworden – sind durch das LKA und 50 bis 30 sind durch den Verfassungsschutz gewissermaßen hinausgeflogen. 194 Personen wurden nicht zugelassen, weil sie gespeichert waren. Wir haben diese Verfahren kritisiert und tun das bis heute, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen vermischen sich hier polizeiliche und verfassungsschützerische Daten. Wir glauben, dass das Trennungsgebot auch belastet wird. Das Zweite ist die fehlende ausdrückliche gesetzliche Grundlage. Das ist schon einmal deutlich gemacht worden.

Ich will auch aufzeigen, wie das Innenministerium und die Staatsregierung mit Fragen umgehen. Hier ist deutlich nachgefragt worden, aus welchen Gründen die Staatsregierung auf eine gesetzliche Vorschrift verzichten wolle. Darauf antwortete sie: Ein unmittelbarer Handlungsbedarf wurde nicht gesehen, da die Datenverarbeitung nach bestehender Rechtslage zulässig war.

An anderer Stelle wird gefragt: Sie wollten doch prüfen. Dazu kommt: Die Prüfung dauert noch an. – Was ist denn nun eigentlich? Was ist denn nun eigentlich passiert?

Ich glaube, dass Sie, Herr Staatsminister Buttolo – diese Frage stellt sich beim geneigten Leser –, die Problematik wirklich nicht ernst nehmen. Ich glaube, dass Ihnen wie der Staatsregierung nicht bewusst ist, dass es sich hier um ein Vorgehen handelt, bei dem es sehr wohl an gesetzlicher Deckung mangelt und auch Grundrechte unmittelbar beeinträchtigt werden. Das wird weggewischt. Alles ist

bei Ihnen prima, und keine wirklichen Antworten werden gegeben.

Ich muss Ihnen auch ganz ehrlich sagen, mich haben andere Fakten ziemlich schockiert. Das ist die Blankoabgabe von Speichelproben und genetischen Fingerabdrücken von in der Datei erfassten und eingestuften Fans. Dazu gehört auch die Speicherfrist für diese Personen in der DNA-Analysedatei, die bis zu zehn Jahren dauern kann. Diese ganze Fristengeschichte ist nicht lustig.

Es hat sich für uns die Vermutung erhärtet, dass – bei allem Verständnis für die notwendige Sicherheit, das wir natürlich auch haben – so etwas wie ein Großversuch zum Ausprobieren der verschiedenen Sicherheitsmaßnahmen unternommen wurde. Dabei denke ich auch an die VideoÜberwachung; sie ist nämlich jetzt in Leipzig mit 68 Kameras Norm. Die Antworten in diesem Zusammenhang waren interessant. Es war völlig klar, dass sie bleiben würden. Das ist wirklich ein Testfall, der zum Normalfall geworden ist. Damit können wir uns nicht zufriedengeben. Das Gleiche betrifft die ominösen Chips, die schon von meinem Kollegen Lichdi auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt wurden. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Natürlich muss es Sicherheitsmaßnahmen im Umfeld solcher Großfestspiele geben. Die notwendige Polizei muss da sein, ein ordentlicher Digitalfunk selbstverständlich. Auch Katastrophenschutz muss vorhanden sein. Was uns stört, sind exakt vier Dinge, auf die ich nochmals aufmerksam machen will. Das ist über die Details hinaus wichtig.

Das Erste, was uns stört, ist die exzessive Datenerhebung und -verarbeitung, die nach unserer Meinung rechtsstaatlich, wie sie jetzt durchgeführt wurde, bedenklich ist und Freiheitsrechte der Bürger einschränkt.

Das Zweite ist das Big-Brother-Prinzip im Umgang mit den Bürgern. So will ich es einmal ausdrücken.

Das Dritte ist die Tendenz zur Kontrollgesellschaft und zum Überwachungsstaat.

Das Vierte – das ist mir besonders wichtig – ist der Irrglaube, mit einem gläsernen Menschen à priori Sicherheit zu schaffen.

Meine Damen und Herren! Ich bin, ehrlich gesagt, auch beunruhigt, mit welcher großen Akzeptanz sehr viele Bürgerinnen und Bürger gewissermaßen ein bisschen naiv unter dem Motto „ich habe doch nichts zu verbergen“ auf diese Dinge reagieren und gar nicht selten wissen, spüren und nachvollziehen können, wie ihre Freiheitsrechte eingeschränkt, wie sie gläsern gemacht werden.

Die Sicherheitsmaßnahmen zur Fußball-WM haben gezeigt, dass die Bundesrepublik in der Tat – das ist nur ein einziges Indiz; man könnte eine ganze Menge aufführen, was sich beispielsweise auf europäischer Ebene tut – auf einem Weg zu einer neuen Sicherheitsarchitektur ist, die eine Zentralisierung und den Entzug von mehr und mehr Freiheitsrechten zur Folge hat. Wir halten diesen

Weg für grundfalsch und werden Ihnen deshalb das Thema auch nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die SPD-Fraktion, bitte. Herr Bräunig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass die Fußball Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland spielerisch und letztlich auch durch das hervorragende Abschneiden unserer Fußball Nationalmannschaft ein Riesenerfolg war, dürfte wirklich von niemandem infrage gestellt werden. Sie war allerdings auch sicherheitspolitisch ein Erfolg; denn wenn sie es nicht gewesen wäre, hätten wir heute eine völlig anders geartete Große Anfrage der Opposition vor uns.

Die Fußball-Weltmeisterschaft war als nationales Großereignis in jeder Hinsicht einzigartig. Deshalb hatte die Sicherheitsplanung dieses Ereignisses auch naturgemäß kaum Vorbilder. Wenn man etwas Vergleichbares sucht, dann fällt einem vielleicht die Expo 2000 in Hannover ein. Angesichts der Expo 2000 in Hannover haben sich – das ist interessant – im Vorfeld erstmals Sicherheitsexperten vieler Länder getroffen, um bei der Planung dieses Großereignisses die Erfahrungen ihrer eigenen Länder weiterzugeben. Wie wir wissen, gab es in Hannover 2000 ein farbenfrohes Nationenfest mit nur wenigen Sicherheitsbeschränkungen. Danach kam der 11. September 2001, und die Welt war plötzlich eine ganz andere. Jeder wusste, dass nach dem 11. September internationale Großereignisse mit vielen Besuchern nicht mehr in der gewohnten Unbekümmertheit werden stattfinden können.

Die Olympischen Spiele in Athen 2004, meine Damen und Herren, haben gezeigt, wie reglementiert internationale Großereignisse stattfinden können. Viele Teilnehmer und Besucher haben Athen als Festung im Belagerungszustand empfunden, und trotz der gigantischen Show, die dort abgelaufen ist, hat Athen 2004 und haben viele Besucher die Freude an Olympia verloren. Angesichts dessen und angesichts der Erfahrungen aus Athen 2004 war es das Bestreben der FIFA und der Innenminister von Bund und Ländern, ein Sicherheitskonzept für die Fußball-WM 2006 zu erarbeiten, das zum einen eine größtmögliche Sicherheit bietet, aber zum anderen natürlich den Tausenden Menschen die Freude am Ereignis nicht nehmen sollte.