Protokoll der Sitzung vom 15.12.2006

Ich denke, dass wir nicht umhin können, deutlich zu machen, dass diese Art und Weise, ein Unternehmen aus unserem Land wegzuholen, nicht akzeptabel ist.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Ich gehe auch davon aus – Stefan Brangs hat es bereits deutlich angesprochen –, dass man die Fragen nicht ideologisch klären kann. Es muss darum gehen, dass der Standort in Neukirch erhalten wird. Natürlich müssen in erster Linie die Probleme geprüft werden, wie denn die Chancen und Voraussetzungen für eine Weiterführung eines möglichen Vor-Ort-Standortes sind. Das wird die größte Frage sein. Oder hat sich diese Fondsgesellschaft schon mit rechtlichen Möglichkeiten von diesem Standort verabschiedet und hat nicht nur das Know-how mitgenommen, sondern auch die Möglichkeit geschaffen zu verhindern, dass jemals wieder in Neukirch Fahrräder produziert werden? Die Frauen und Männer, die Kolleginnen und Kollegen, die dort beschäftigt sind, haben in den letzten Jahren bewiesen, dass sie Fahrräder produzieren können, und man darf nicht verhindern – egal wer, auch nicht diese Fondsgesellschaft –, dass dort weiterhin Fahrräder produziert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, 250 oder noch mehr Arbeitsplätze im Bereich der Zulieferung können nicht aufs Spiel gesetzt werden. Ich will deutlich sagen,

dass wir solidarisch mit diesen Frauen und Männern zusammenstehen wollen, und ich bin dem Staatsminister bzw. der Staatsregierung sehr dankbar, dass sie bereits deutlich gemacht hat, dass sie für die Zukunft Standort erhaltend unterstützen möchte – natürlich nicht einen Fonds, der die Türen für immer zumachen möchte, sondern nur einen seriösen Investor.

Wir brauchen diese Arbeitsplätze in der Oberlausitz. Wir können nicht zuschauen, dass noch mehr Menschen die Oberlausitz verlassen. Es kann auch keine Frage der Mobilität sein, die immer angesprochen wird. Die Oberlausitzer haben seit 1991 eine gleich bleibende Zahl von über 10 000 ständigen Pendlern. Das ist eine zusätzliche Belastung für Familien und für die Wirtschaftsstruktur in der Oberlausitz.

Lassen Sie mich zum Abschluss kommen. Ich würde mich freuen, wenn der Erhalt des Werkes durch die Kraft vieler Beteiligter gelingen würde – natürlich durch einen soliden Investor; denn es macht nicht viel Sinn, Unternehmen auf Dauer zu subventionieren. Es muss irgendwann mal die Möglichkeit geben, dass sich stabile wirtschaftliche Verhältnisse entwickeln, die einen Standort dauerhaft machen. Mit einer Unterstützung des Staates zu rechnen hat nur derjenige Investor, der sich dauerhaft am Markt behaupten kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, geben wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Biria in Neukirch in der Oberlausitz eine Chance, dass sie weiterhin in Arbeit bleiben. Ein Arbeiter – er ist zugleich Betriebsratsmitglied – hat heute deutlich gesagt: Wir sind es seit über 20 Jahren gewöhnt, uns selber zu kümmern. Wir brauchen keine Almosen. Aber gebt unserem Standort eine Chance, damit wir mit unserer Hände Arbeit auch unsere Familien ernähren können!

Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD, der NPD und Beifall des Staatsministers Thomas Jurk)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Will die Staatsregierung das Wort nehmen? – Herr Minister Jurk, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es gleich und vorweg zu sagen: Wir brauchen wahrhaftig keine Dringlichen Anträge von rechtsaußen, um uns für die Rettung sächsischer Unternehmen oder sächsischer Arbeitsplätze einzusetzen!

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN – Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Dies halte ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, für eine der vordringlichsten Aufgaben als sächsischer Wirtschaftsminister. Diese Aufgabe wäre übrigens um einiges leichter zu erfüllen, wenn uns nicht ausländer

feindliche Parolen, wie sie gelegentlich leider auch aus dem Sächsischen Landtag zu hören sind, das Geschäft erschweren würden.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN – Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Auch wenn sich die Reihen derer, die derartigen Unsinn öffentlich äußern, in letzter Zeit merklich lichten, so sind es doch genau diese Dinge, die den einen oder anderen ausländischen Investor sein in Sachsen geplantes Engagement noch einmal überdenken lassen oder ihn gar verschrecken.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Nun zur Sache. Nachdem ich in der Nacht vom 6. zum 7. Dezember gegen 01:00 Uhr im Internet erfahren hatte – was ich nicht glauben wollte –, dass das Aus für Biria droht, habe ich frühmorgens bei Werkleiter John und bei der Betriebsrätin Frau Friemel angerufen, mich in der Sache erkundigt und unmittelbar danach den zuständigen Mitarbeitern in meinem Haus gesagt, dass sie sich doch umgehend vor Ort mit den Entscheidungsträgern zusammenfinden sollten – was unmittelbar passiert ist. Man hat die Lage mit der Belegschaft und der dortigen Geschäftsführung erörtert.

Im Rahmen dieser Gespräche war als Ergebnis vereinbart worden, Gespräche am Runden Tisch mit allen Beteiligten fortzuführen.

Heute nun trafen sich in Neukirch unter Moderation der IG Metall Vertreter des Betriebsrates, der Geschäftsführung, des Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit und Kommunalpolitiker – Landrat, Bürgermeister –, um nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Wie ich erfahren habe, sind auch die Abgeordneten Brangs und Schiemann nach Neukirch gefahren, um Unterstützung seitens des parlamentarischen Raumes zu signalisieren. Ich finde das gut und ich glaube, die Abgeordneten der demokratischen Fraktionen stehen hinter diesen Aktivitäten.

Nun erwarten Sie sicherlich Informationen über den aktuellen Sachstand. Zunächst muss klar gesagt werden, dass die Biria Bike GmbH mit einer Auslastung von knapp 50 % im Jahre 2006 wirtschaftlich auf sehr schwachen Füßen steht. Der Gesamtmarkt für Fahrräder ist stark rückläufig. Deshalb ist für jeden Investor ein Engagement in diesem Bereich ein schwerer Brocken.

Was können wir also tun? Ähnlich wie seinerzeit in Neustadt/Sachsen sollte mit professioneller Unterstützung nach Alternativen für den Standort gesucht werden. Dass solche Worte keine leeren Versprechungen sein müssen, haben wir an den Standorten Neustadt/Sachsen und Singwitz gesehen. Sie erinnern sich: Nach dem Aus der Landmaschinenproduktion waren diese Standorte ebenfalls akut bedroht. Vor wenigen Tagen rollte nun in Neustadt das erste Wohnmobil der Marke Capron vom Band. Das Werk in Singwitz hat sich nach einem gelungenen Management buy Out gut am Markt etabliert. In

Neukirch – Biria ist übrigens wie Neustadt und Singwitz ein Teil des ehemaligen Kombinates Landmaschinenbau Fortschritt – muss den Mitarbeitern als erster Schritt die Möglichkeit geboten werden, sich in einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft für ein Jahr auf neue Aufgaben vorzubereiten.

Das Gespräch, welches heute in Neukirch mit den Vertretern der Gesellschafterebene von Lone Star stattgefunden hat, hat die Mitarbeiter meines Hauses schockiert. Mit einem Schreiben einer Frankfurter Anwaltskanzlei – noch dazu in einer der teuersten Straßen von Frankfurt am Main – ist der von der Belegschaft ausgesuchten Beratergesellschaft ihres Vertrauens, die nach Alternativen für den Standort hätte suchen sollen, die kalte Schulter gezeigt worden. Nicht einen Euro will Lone Star für solch eine professionelle Hilfestellung ausgeben! Ich habe gehört, dass es auch mit dem Sozialplan massivste Schwierigkeiten geben soll, dass Lone Star nur bereit sein will, das zu zahlen, was an Löhnen noch aussteht, aber überhaupt nicht bereit ist, einen Sozialplan zu vereinbaren. Das ist eine Riesenschweinerei, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN)

Über diese nasskalte, menschenverachtende Art, wie Lone Star sich aus Neukirch verabschieden will, sind wir, bin ich zutiefst empört. Ich will übrigens auch deutlich sagen: Ich habe nichts gegen Finanzinvestoren, weiß Gott nicht, aber es gibt solche und solche. Lone Star ist von der allerschlimmsten Sorte. Ich muss das an dieser Stelle sagen, egal, was mir dann passiert. Ich habe vor einigen Tagen mit meinem sachsen-anhaltinischen Wirtschaftsministerkollegen Haselhoff telefoniert. Mifa Sangerhausen hat den Sitz in Sachsen-Anhalt. Der andere Produktionsstandort ist, wie Sie wissen, in Waltershausen in Thüringen. Ich habe natürlich auch mit Herrn Haselhoff darüber gesprochen, dass man sich in Sangerhausen sicherlich freuen wird. Ich sage das so, denn bei einem hart umkämpften Markt sucht jeder Arbeit und Beschäftigung, nur das Verfahren war allerübelst. Ich habe meinen Kollegen vor Lone Star gewarnt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch kurz auf die im Dringlichen Antrag gestellten Fragen eingehen. Zunächst zum Thema kartellrechtliche Prüfung, was mehrfach angesprochen wurde. Was der Antrag fordert, ist bereits im Kaufvertrag zwischen Lone Star und Mifa enthalten. Dass derartige Kaufverträge unter dem Vorbehalt aufschiebender Bedingungen geschlossen werden, zu denen die kartellrechtliche Freigabe gehört, ist allgemein Usus, so auch in diesem Fall. Der Antragsteller hätte sich dazu durch einen Blick auf www.aktienmarkt.net ohne Weiteres informieren können.

Im Übrigen halte ich es für völlig unverantwortlich, die Chance für den Standort Neukirch allein von einer kartellrechtlichen Prüfung des Verkaufs von Biria an Mifa abhängig zu machen. Nach allen Erfahrungen haben die Beteiligten gute Aussichten, die kartellrechtliche Unbe

denklichkeit bescheinigt zu bekommen. Wie gesagt, die Prüfung läuft, aber die Erfahrung lehrt uns. Das Bundeskartellamt hat nämlich den relevanten Markt zu betrachten, in dem sich das durch den Kauf entstehende Unternehmen bewegen wird. Dieser Markt beschränkt sich nun einmal nicht nur auf Ostdeutschland. Darauf hat der Abg. Brangs zu Recht hingewiesen. Nur hier hätte Mifa nach dem Erwerb von Biria einen größeren Marktanteil.

Die Aufforderung schließt, mit der Belegschaft und der Gewerkschaft Gespräche über die Zukunft des Standortes aufzunehmen. Die braucht ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister wahrlich nicht, schon gar nicht aus der rechtsextremen Ecke.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der NPD: Genau!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht nur hart, es ist, ich will sagen grausam, wenige Tage vor Weihnachten erfahren zu müssen, dass die Firma, der man Lohn und Brot verdankt, in wenigen Tagen zumachen wird. Ich habe aus meinem Herzen keine Mördergrube gemacht und den verantwortlichen Managern meine Meinung gesagt. Auf die Gefahr hin, dass es pathetisch klingt – ich bin mit dem Herzen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Biria. Ich war lange genug Facharbeiter und Handwerker, um nachzufühlen, wie es ihnen jetzt gehen mag. Ich bin aber zugleich Realist genug, um zu wissen, dass das allein ihnen nicht helfen wird.

Darum werden wir alles, aber auch alles in unserer Macht Stehende an Mühen und Anstrengungen unternehmen, um nach geeigneten und tragfähigen Lösungswegen für Neukirch zu suchen. Wir waren in Neustadt und Singwitz erfolgreich, warum soll es nicht auch in Neukirch klappen!

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN)

Das Schlusswort hat die Fraktion der NPD. Herr Dr. Müller, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abgesehen von einiger linkslastiger Propaganda seitens der Linksfraktion.PDS und der SPDFraktion,

(Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS – Lachen des Abg. Stefan Brangs, SPD)

sind wir uns ansonsten aber alle im Anliegen einig. Was wir mit unserem Dringlichen Antrag wollten, ist, dass wir die Sache, die in der Region wirklich eine Katastrophe ist und, Sie haben es gesagt, vor Weihnachten für die Famili

en wirklich katastrophale Auswirkungen haben wird, thematisiert wissen. Das ist mit der Debatte gelungen.

(Unruhe im Saal)

Auf eine Abstimmung können wir verzichten. Die Debatte musste stattfinden, sie musste auch im Landtag stattfinden, nicht immer nur vor Ort, wo es irgendwie auch untergeht. Ich denke, das Anliegen, darin sind wir uns einig, ist erreicht worden. Deswegen verzichten wir auf die Abstimmung.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Damit ist der Tagesordnungspunkt beendet.

Gestatten Sie mir noch einige wenige Worte zum Abschluss eines bürgerlichen Jahres.

(Unruhe im Saal)

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen zu danken, die mit uns in diesem Jahr – –

Es dauert wirklich nicht mehr lange. Ich bitte doch, mir wenigstens die Möglichkeit zu geben, denen zu danken, mit denen wir in diesem Jahr zusammengearbeitet haben.

Ich danke der Staatsregierung, Herrn Ministerpräsidenten und seinen Ministern, den Staatssekretären und allen, die sie im Landtag unterstützen, den Referenten. Ich danke aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Verwaltungen, die unsere Arbeit begleiten und auch vielen, die in den Institutionen mit uns im Gedankenaustausch stehen.

Zum Schluss möchte ich aber, wie immer, unseren Stenografen danken,

(Beifall bei allen Fraktionen und der Staatsregierung)