Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

In Brandenburg wurde festgestellt, dass nur in bestimmten Deliktgruppen und dort nur in bestimmten Fällen Erfolge nachweisbar seien, so eher bei Eigentumsdelikten, weniger bei Körperverletzungsdelikten. Auch wurde darauf hingewiesen, dass sich in einigen Fällen ein anfänglicher Reduzierungseffekt wieder umkehrt; meine Vorredner haben darauf hingewiesen. Die angeblich positive Erfahrung definiert die Staatsregierung allein über den Vergleich mit der Kriminalitätsrate vor und während der Videoüberwachung in Leipzig; ich verweise auf den berühmten Artikel in der „Sächsischen Zeitung“ vom 17. Januar. Herr Bandmann, das sind übrigens keine Angaben der „Sächsischen Zeitung“, sondern des Innenministeriums; die „Sächsische Zeitung“ hat die Angaben nur wiedergegeben.

Die Statistik spricht aber – anders, als Sie es suggerieren und an die Presse weitergegeben haben – keine eindeutige Sprache. Eine sinkende Kriminalitätsrate in überwachten Gebieten bedeutet nicht, dass Kriminalität nicht stattfindet, sondern nur, dass sie nicht an diesem Ort stattfindet. Sozialwissenschaftlich erforderlich und korrekt wäre es gewesen, Vergleiche mit angrenzenden Gebieten und Vergleiche zum gesamten Stadtgebiet zu ziehen. Das tun Sie wohlweislich nicht. Ich sage Ihnen: Das grenzt schon an Fehlinformation der Öffentlichkeit.

Wie ist es tatsächlich? Die Kriminalitätsrate in Leipzig sinkt insgesamt, auch in den nicht überwachten Bereichen. Sie sinkt ungefähr im gleichen Takt wie in GesamtSachsen. Da wir glücklicherweise noch keine flächendeckende Videoüberwachung haben, muss der Rückgang in Leipzig andere Ursachen haben. Die Kriminalitätslage erfordert daher im Umkehrschluss logischerweise auch keine Ausweitung der Videoüberwachung. Meines Erachtens platzt Ihr Nachweisballon wirklich wie – – Na ja, okay.

Meine Damen und Herren! Eines ist vielleicht noch viel wichtiger; auch meine Vorredner haben es angesprochen. Im Übrigen irrt Herr Kollege Brangs. Herr Dr. Buttolo, Sie gehen in Ihrer Eigenschaft als Innenminister her und wollen über Polizeirecht in einen Stadtteil hineinregieren, von dem ich den Verdacht habe – Herr Bandmann hat es bestätigt –, dass er Ihnen schon seit Langem wegen vieler Dinge ein Dorn im Auge ist. Sie benutzen jetzt diese Gelegenheit. Der Eindruck besteht jedenfalls in der Neustadt. Das sage ich Ihnen. Das müssen Sie sich anhören.

Ich frage mich schon, warum es nicht möglich gewesen sein soll, die Täter der vergangenen Silvesterrandale, nachdem eine solche schon im Vorjahr stattgefunden hatte, rechtzeitig zu ergreifen, bevor sie marodierend durch die gesamte Neustadt ziehen konnten. Diese Frage stelle ich mir. Ich habe Ihnen diese Frage im Innenausschuss gestellt und harre Ihrer Antwort. Das sind doch die Fragen, die wir uns stellen müssen. Wir brauchen nicht solche Scheindebatten zu führen, ob wir durch das Hinhängen einer Kamera das Problem bewältigen würden.

Ich weise noch einmal darauf hin: Die Neustadt ist ein Stadtteil, in dem sich viele Menschen sicher fühlen können, beispielsweise Studierende und Migranten, die sich in anderen Stadtteilen Dresdens oder Sachsens insgesamt nicht sicher fühlen können.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Na, na, na!)

So ist es leider! Reden Sie einmal mit den Leuten!

Dass Sie ausgerechnet in diesem Stadtteil mit Ihren polizeistaatlichen Methoden zuschlagen wollen – ohne Berücksichtigung des Ortsbeirates, ohne Berücksichtigung der Meinung in der Stadt –, werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Wir werden härtesten Widerstand leisten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN – Volker Bandmann, CDU: Dummes Zeug!)

Wer wünscht von den Abgeordneten noch das Wort? – Bitte, Frau Abg. Bonk.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist wirklich schade, mit wie wenig Sachlichkeit seitens der Regierungskoalition ein solches Thema hier behandelt werden kann.

Herr Brangs, es ist vielleicht eine feine Ausflucht, wenn Sie sagen, Sie würden dem Antrag nicht zustimmen, weil Sie es für ein lokalpolitisches Problem halten. Es ist aber leider auch nicht mehr als eine Ausflucht. Die SPD vor Ort hat sich klar gegen die Videoüberwachung gewandt. Uns ist klar, dass es sich in erster Linie um ein Dresdner Problem handelt, in zweiter Linie um das des Stadtteils. Aber nicht nur. Es ist bekannt geworden, dass die Auseinandersetzungen, die dort stattfinden, nicht in erster Linie von Neustädterinnen und Neustädtern hervorgerufen werden, sondern durch ein bestimmtes Potpourri, das sich dort bildet.

(Zuruf des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Ja, Herr Bandmann, aber Politik kann man nicht nur mit dem Gruselmärchenbuch machen, sondern vor allem dadurch, dass man die Ursachen von Problemen analysiert.

Wir möchten das gern auf städtischer Ebene machen. Die Polizeiverordnung des Ordnungsbürgermeisters des Stadtrates ist diskutiert worden. Es gab ein Alkoholverbot. Der Ortsbeirat hat sich positioniert. Es wird über die Umgestaltung der Straße usw. diskutiert. Aber die Videoüberwachung will niemand in der Stadt; sie kommt von der Landesebene. Deshalb war es leider notwendig, das Thema auf die Tagesordnung des Landtages zu setzen. Wir müssen uns hier damit beschäftigen.

Ich gehe davon aus, dass Kollege Brangs das Protokoll aufmerksam lesen wird. Er hat viel von Videoüberwachung gesprochen und davon, dass er sie problematisch findet. Leider ist noch nicht hundertprozentig absehbar, was mit solchen Daten alles gemacht werden kann. Sie kennen die technischen Fortschritte. In Mainz wird zurzeit ein Projekt erprobt, wonach durch Vergleich von Kamerabildern mit den biometrischen Personenfotos, die zurzeit erfasst werden, die Identifikation jeder Person zu jedem Zeitpunkt an überwachten Orten möglich sein soll. Das ist definitiv ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger.

(Zuruf von der CDU: Haben Sie etwas zu verbergen? – Heftiger Widerspruch des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

So kann man nicht darüber diskutieren. Zum Rechtsstaat gehört eine bestimmte Privatsphäre, die für die Bürger gewährleistet sein muss. Darum müssen sich diejenigen, die für das Recht auf informationelle Selbst

bestimmung eintreten, nicht immer gleich fragen lassen, ob sie etwas zu verbergen haben.

Die Krawalle und Auseinandersetzungen müssen sowohl stadtplanerisch als auch gesamtgesellschaftlich aufgearbeitet werden. – Ich hoffe, Sie hören mir zu. – Prävention wäre, diese Ursachen zu bekämpfen. In dem Moment, da klar ist, dass Videoüberwachung die Probleme nicht löst, sondern verdrängt, ist der Einsatz von Kameras eben keine Prävention, sondern Repression gegen die Menschen, die sich dort aufhalten.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Zuruf von der CDU: Sie wissen gar nicht, was Repression ist!)

Freiheit ist ein Recht, so ist Herr Bandmann eingestiegen, und er werde keine rechtsfreien Räume im Land Sachsen ermöglichen. Ich muss fragen, ob es keine Räume der Freiheit mehr in diesem Land geben soll. Leider ist nichts von anderer Qualität zu erwarten gewesen. Aber da, wo es eben bedenklich wird, sind Ihre Zungenschläge bedenklich. Sie haben offensichtlich auch nicht zugehört, wenn Sie sagen, es sei Vorbeugungsarbeit. Verdachtsunabhängige Eingriffsbefugnisse für die Polizei sind eben keine Vorbeugungsarbeit, sondern im Grundsatz ein Eingriff in Grundrechte. Sie sind in der Tendenz unrechtsstaatlich.

Ich möchte noch kurz auf die Stellungnahme des Innenministers eingehen. Er hat geschrieben: Die Beeinträchtigung des nicht straffälligen Bürgers besteht nur darin, dass unter Umständen sein Verhalten in der Öffentlichkeit, aber nicht seiner Privatsphäre von anderen wahrgenommen wird.

Wir haben ja im Moment eine relativ starke gesellschaftliche Diskussion zu diesem Thema. Darum liefert uns wieder ein „Spiegel“-Artikel interessante Informationen, und zwar über die Erkenntnisse, die in Wien durch Aktivistinnen vom Chaos-Computerclub gewonnen werden konnten. In Österreich darf die Polizei seit Anfang 2005 öffentliche Plätze per Videokamera überwachen. So schraubte die Wiener Polizei eine neig- und drehbare Kamera an einen Laternenmast auf dem Schwedenplatz. Es ginge darum, die Sicherheit zu erhöhen und den Drogenhandel einzudämmen, also allerlei Argumente, die man in verschiedener Zusammensetzung auch immer wieder hört, so hieß es.

Der Verein Quintessenz, der sich der Wiederherstellung der Bürgerrechte im Informationszeitalter verschrieben hat und in dem zwei Genannte vom Chaos-Computerclub mitarbeiten, hat sich das genauer angeschaut. Sie hatten über Infrarot die Möglichkeit zu beobachten, in welche Richtungen die Kameras gelenkt wurden. In dem Moment, als es im öffentlichen Raum nichts zu beobachten gab – so haben eindeutig auch die Mitschnitte der Polizeikamera gezeigt –, wurde einfach in private Wohnungen hinein gefilmt. Da, wo Datenerfassung ist, findet man auch Missbrauch. Darum muss die Zivilgesellschaft und muss der Rechtsstaat genau darauf achten, welche Daten er von seinen Bürgerinnen und Bürgern erhebt und welche nicht.

Die Problemlösung muss weiterhin natürlich in DresdenNeustadt betrieben werden. Aber das ist die landespolitische Grenze. Ich bin ehrlich gesagt auch von dem angekündigten Abstimmungsverhalten der FDP als klassische Bürgerrechtspartei enttäuscht, sich heute hinzustellen und zu sagen, ja, Videoüberwachung ist kein Allheilmittel, aber auf der anderen Seite: Videoüberwachung ist nicht alles, und damit auch einzugestehen, dass Videoüberwachung ein Mittel ist, das man bereit ist zu akzeptieren. Deswegen unserem Antrag nicht zuzustimmen ist leider der Abschied von der Bürgerrechtspartei FDP.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir haben ganz bewusst eine absolute Formulierung in unseren Antrag eingebracht, weil wir sagen, es muss zivilgesellschaftliche, sozialpolitische und stadtplanerische Lösungen unterhalb dieser Grundrechtsverletzungen geben. Darum kann ich einfach mit den Anwürfen nichts anfangen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wird weiter vonseiten der Fraktionen das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Die Staatsregierung, bitte; Herr Dr. Buttolo.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst noch einmal zum Inhalt des Antrages der Linksfraktion.PDS. Sie fordert in Ziffer 1 den Verzicht auf jegliche Form der Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume im Dresdner Stadtteil Neustadt mit optischelektronischen Einrichtungen. In Ihrer Ziffer 2 verlangen Sie die Vorlage eines Konzeptes präventiver Maßnahmen unterhalb der Schwelle von Videoüberwachung zur Verhinderung von Gewalttaten und Vandalismus in der Dresdner Neustadt an den Sächsischen Landtag.

In Ihrer Begründung führen Sie aus, die Videoüberwachung löse nicht die Probleme, sondern verdränge an andere Orte.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: So ist es!)

Warten Sie erst einmal ab!

Des Weiteren begründen Sie, der Bedarf für ein abgestimmtes Konzept präventiver Maßnahmen sei notwendig. Sie stellen weiterhin fest, die Videoüberwachung stelle ein untaugliches Mittel dar und wäre ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

In meiner Stellungnahme vom 20. November habe ich ausgeführt, dass auf die Videoüberwachung – –

Herr Minister, darf ich Sie kurz unterbrechen. Ich bitte die jungen Leute auf der Tribüne, die Mützen abzunehmen. – Danke sehr.

Herr Minister, bitte.

In meiner Stellungnahme vom 20. November 2006 habe ich zum Antrag ausgeführt: „Die Anwendung der Videoüber

wachung im Bereich der Dresdner Neustadt ist nicht verzichtbar und weder Anwohnern noch anderen Bürgern kann zugemutet werden, die vorliegenden Ausschreitungen länger hinzunehmen. Die Ausschreitungen verletzen elementare Rechte des Bürgers, nämlich das Recht auf Freiheit, Gesundheit, das Recht auf Eigentum und Sicherheit. In der Abwägung überwiegt das Gemeinwohlinteresse gegenüber dem Grundrechtseingriff in die informationelle Selbstbestimmung.“

(Beifall bei der CDU)

Ich habe in der Tat Unterstützung durch nichtstaatliche Organisationen. Positiv zu meinem Vorgehen hat sich der Verband Sächsischer Wohnungswirtschaften geäußert, ebenso „Haus und Grund“.

Im Weiteren wird im Zusammenhang zum Antrag der Linksfraktion.PDS klargestellt: Der Einsatz der Videoüberwachungstechnik stellt eine von mehreren präventiven Maßnahmen dar, die Gegenstand eines polizeilichen Gesamtkonzepts sein werden. Die Nutzung von Videoüberwachungstechnik schließt Konzepte anderer Träger der Kriminalprävention unter Beteiligung der Polizei nicht aus.

Rechtsgrundlage, Herr Lichdi, da stimme ich Ihnen zu, für die präventive polizeiliche Videoüberwachung ist in der Tat der § 38 Abs. 2 des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen. Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates hat mit Urteil vom 20. Juli 2003 die Vereinbarkeit gerade dieses § 38 des Sächsischen Polizeigesetzes mit der Sächsischen Verfassung festgestellt. Wesentlicher Inhalt des Urteils ist: Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

Meine Damen und Herren! Der Bereich „Kulturzentrum Scheune“ in der Dresdner Neustadt ist Ausgangsort wiederholter Ausschreitungen. Es gab Rohheitsdelikte. Es gab Sachbeschädigungen. Die Auswertung der Polizeidirektion Dresden hinsichtlich des Vergleichs des Straftatanfalls der Alaunstraße und des näheren Umfelds zur „Scheune“, des Bereiches Louisen- und Hauptstraße ergab ein erhöhtes Aufkommen jeweils von mehr als 60 % in den Jahren 2005 und 2006.

Die gravierenden Ausschreitungen am 15. und 16. sowie am 20. und 21. Oktober 2006 und der erhebliche Einsatz der Polizei zur Normalisierung der Lage waren ausschlaggebender Anlass für die Entscheidung zum Einsatz von Videoüberwachungstechnik. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei der Polizei für diese Einsätze bedanken.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich die Polizei in der Tat eine andere Tätigkeit wünscht, als nur bei Randalen eingesetzt zu werden.