Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

(Beifall bei der FDP und der Abg. Freya-Maria Klinger, Linksfraktion.PDS – Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Es geht um rund 100 000 Jugendliche. Es geht um die Generation, die am allermeisten für die Fehler und für die Versäumnisse der Politik von heute bezahlen muss. Ich spreche über die Rente. Ich spreche nur die heutigen sozialen Sicherungssysteme an. Es geht auch um die Generation, die – anders als die meisten hier in diesem Raum – nicht mit 65 in Rente gehen wird, sondern zwei Jahre länger, nämlich bis 67, arbeiten muss.

Hören wir auf, Mitbestimmungsplacebos zu verteilen, geben wir den Jugendlichen endlich ein echtes Mitbestimmungsinstrument in die Hand! Geben wir den 100 000 Jugendlichen endlich ein Werkzeug in die Hand, mit dem sie wirklich auf ihre Interessen aufmerksam machen können. Dieses Werkzeug – ich habe es vorhin schon gesagt – sind eben keine Runden Tische, sind keine Gesprächskreise, sondern das ist das Wahlrecht. Stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. Frau Klinger, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wir sollten die Kinder in die Mitte unserer Betrachtung stellen und die Entfaltung ihrer vielfältig angelegten Fähigkeiten zum Blühen kommen lassen. Unter diesem positiven Ansatz sollten wir die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung diskutieren.“

Dieses Zitat, meine sehr geehrten Damen und Herren, stammt von der derzeitigen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Sie sehen also, nicht nur die Linksfraktion.PDS im Sächsischen Landtag macht sich Gedanken zu diesem Thema, auch andere politische Kräfte in diesem Land und in diesem Staat tun es.

(Rico Gebhardt, Linksfraktion.PDS: Außerhalb Sachsens!)

Wir fordern mit unserem Gesetzentwurf die Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen im Freistaat Sachsen, die Aufnahme von Rechten für Kinder und Jugendliche in die Verfassung. Kraft dieser Regelung sollen Kinder und Jugendliche als eigenständige Grundrechtsträger eine nachhaltige Aufwertung ihrer Rechtsposition erhalten.

Dies ist auch in Anbetracht der heftig geführten Debatten um das Kindeswohl, um den Schutz vor Vernachlässigung und Misshandlung ein längst überfälliger Schritt. Die Rechte des Kindes müssen Verfassungsrang erhalten.

Es reicht aber nicht, wie es Frau von der Leyen will, die jungen Menschen nur in den Mittelpunkt unserer Betrachtung zu stellen. Denn das würde bedeuten, über sie zu

reden. Wir wollen mehr: Wir wollen mit den jungen Menschen sprechen und sie selbst zu Wort kommen lassen und auch zur Tat.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Dies wollen wir mittels zweier Dinge erreichen: Erstens wollen wir das Wahlalter absenken und zweitens wollen wir den jungen Menschen eigene Instrumente, eigene Werkzeuge mit auf den Weg geben, um aktiv zu lernen, was es heißt, Teil einer demokratischen Gesellschaft zu sein.

Lassen Sie mich zuerst ein paar Ausführungen zur Absenkung des Wahlalters machen. Wir wollen mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf das Wahlrecht dahin gehend verändern, dass wahlberechtigt für den Landtag ist, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat.

Weiterhin wollen wir, dass junge Menschen ab 16 Jahre nicht nur über die Zusammensetzung der Kommunalparlamente entscheiden sollen, wie es der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion vorsieht, sondern wir wollen, dass die jungen Menschen selbst für ebendiese Kommunalparlamente kandidieren können.

Einwohneranträge sollen bereits ab dem vollendeten 14. Lebensjahr unterzeichnet werden können.

Dass diese Forderungen zeitgemäß sind, wurde nicht nur in der Anhörung unseres Gesetzentwurfes im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss deutlich. So führte dort der Soziologe Prof. Herrmann – Kollege Zastrow hat ihn schon erwähnt – aus, dass die Absenkung des Wahlalters der tatsächlichen Entwicklung der Jugendphase entspreche. Jugendliche erfahren im Alter von 14 Jahren die erste Strafmündigkeit, die bedingte Geschäftsfähigkeit sowie Religionsfreiheit. Auch in vielen Parteien kann man inzwischen mit 14 Jahren Mitglied werden. Da frage ich doch: Mitglied ja – wählen nein?

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Ich denke, das ist zum Beispiel ein Punkt, der dem widerspricht, dass gesagt wird, bei den Jugendlichen gäbe es nur ein geringes politisches Interesse. Auch in Ihrer Partei-Jugendorganisation, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, kann man bereits mit 14 Jahren Mitglied werden und in Ihrer Partei mit 16. Ich habe mich extra kundig gemacht.

(Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Genau richtig!)

Mit 16 Jahren wird den Menschen zum Beispiel zugemutet, dass man bei der Berufswahl eine Entscheidung für das Leben trifft. Aber bei der Frage nach der Gestaltung des Lebensumfeldes hat ein 16-Jähriger zu schweigen.

(Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Warum denn?!)

Auch Frau Heidrun Merk, die ehemalige SPD-Justizministerin des Landes Niedersachsen, sprach sich eindeutig für die Absenkung des Wahlalters aus, wie es in

Niedersachsen in dem Moment geschehen ist, als sie Ministerin war. Sie berichtete aus Niedersachsen und führte aus, dass es dort nicht zu den immer wieder beschworenen Extremwählern in der Altersgruppe der 16- bis 18-Jährigen kam. Sie erklärte weiterhin, dass der Anteil der Wähler in dieser Altersgruppe genauso hoch war wie der Anteil der Wähler in anderen Altersgruppen.

Mit diesen Aussagen trat Frau Merk entschieden zwei Szenarien entgegen, die hier bei der Behandlung des Gesetzentwurfes immer wieder von den Vertreterinnen und Vertretern der CDU-Fraktion angeführt wurden. Es hat sich aber eben an praktischen Beispielen gezeigt, dass weder ein geringes Interesse noch ein extremes Wahlverhalten zu verzeichnen war und ist.

Das aktive Wahlrecht ist ein Grundrecht. So hat es auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof bestätigt. Dieses Grundrecht aber wird derzeit Menschen in Sachsen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, vorenthalten.

Was hier passiert, ist eine Differenzierung in kompetente oder eben nicht kompetente Menschen, die rein willkürlich am Alter festgemacht wird. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass das Wahlalter Schritt für Schritt abgesenkt wird. Die Absenkung auf 16 Jahre kann also nur ein erster, dringend notwendiger Schritt sein.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir sind nicht allein mit dieser Forderung. Ähnliche Vorstöße gab es in den vergangenen Wochen auch seitens der Vorsitzenden der Kinderkommission des Bundestages, Frau Rupprecht, sowie der ehemaligen Bundesfamilienministerin Frau Schmidt und sogar – man höre und staune – vom evangelischen Landesbischof von Bayern. Diese Menschen sprachen sich dafür aus, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken, und das nicht nur für Kommunal- und Landtagswahlen, sondern sogar für Bundestagswahlen.

Ich möchte noch eine Anmerkung zu einem Begriff machen, der auch während der Beratung dieses Gesetzes immer wieder angeführt wurde: der Begriff des Spaßwählers. Erstens frage ich mich: Warum soll Wählen keinen Spaß machen?

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und vereinzelt bei der FDP)

Zweitens, ein Argument des Juristen Dr. Peter Merk in unserer Anhörung: Man kann auch einen offensichtlich betrunkenen Rentner nicht davon abhalten, zur Wahl zu gehen. Ich weiß nicht, wie Sie es sicherstellen wollen, dass dieser keine sogenannte Spaßwahl vollzieht.

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Aber Freude darf es machen!)

Sie sind es, meine Damen und Herren von der CDU, die durch solche Äußerungen junge Menschen verunsichern, die ihnen da Inkompetenz suggerieren, wo erwachendes Interesse für Politik ist.

Auch an Sie, liebe Damen und Herren der SPD-Fraktion, möchte ich mich wenden. Sie gelten eigentlich als Verfechter einer Absenkung des Wahlalters. Aber Sie halten sich lieber an den Koalitionszwang, statt Ihre eigenen Parteibeschlüsse umzusetzen.

(Zuruf von der Linksfraktion.PDS: Leider!)

Ich sprach aber auch von eigenen Instrumenten, die wir den jungen Menschen mit an die Hand geben wollen, und das jenseits von Wahlen. Solche Instrumente können zum Beispiel Kinder- und Jugendvertretungen in den Kommunen sein. Der kommunale Raum ist als direktes Lebensumfeld ein unmittelbarer Lernort für Demokratie. Nur, diese Kinder- und Jugendvertretungen müssen auch eigene Rechte bekommen, damit sie eben nicht als Alibiinstrumente der Politik dienen. Was wir brauchen, sind flächendeckende Beteiligungsstrukturen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Dabei wollen wir den Kommunen und natürlich auch den Kindern und Jugendlichen in diesen Kommunen die größtmögliche Freiheit einräumen, diese Vertretungen selbst auszugestalten. Sie müssen nicht zwangsläufig parlamentarischer Natur sein. Auch offene oder projektorientierte Formen haben sich als sinnvoll und praktikabel erwiesen. Beispiele sind in der gesamten Bundesrepublik und auch in Sachsen zu finden.

Weiterhin wollen wir den sogenannten Beteiligungsgrundsatz festschreiben. Wir sehen eine Rechenschaftspflicht in unserem Gesetzentwurf seitens der Kommunen vor. Diese sollen in Zukunft darlegen, wie sie Kinder und Jugendliche in Entscheidungen, in Planungen und Vorhaben, die Kinder- und Jugendinteressen betreffen, einbezogen haben.

Stadtplanung zum Beispiel ist ein wichtiges Schlagwort. Ein Raum, der selbst gestaltet wird, wird anschließend auch besser angenommen. Das gilt nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern für alle Bürger.

Für den Fall, dass die Beteiligung aber nicht stattfindet oder ein Beschluss gefasst wird, der die Interessen von Kindern und Jugendlichen berührt, ohne dass diese vorher dazu gehört wurden, wollen wir die Kinder- und Jugendvertretungen mit einem Vetorecht ausstatten. Dieses Vetorecht hat nur aufschiebenden, keinen aufhebenden Charakter, aber es soll die Möglichkeit gegeben werden, die Meinung von Jugendlichen einzuholen.

Um diese Vertretung nicht schon an den fiskalischen Hürden der Kommunen scheitern zu lassen, sehen wir für die Erfüllung dieser Aufgaben einen Finanzausgleich vom Land zur Kommune vor. Dieser Vorschlag in unserem Gesetzentwurf wurde übrigens vom Vertreter des Sächsischen Landkreistages gelobt.

Wir fordern weiterhin die Bestellung einer oder eines kommunalen Kinderbeauftragten zur Wahrung der Rechte und Belange von Kindern und Jugendlichen. Für eine bessere Berücksichtigung von Kinder- und Jugendinteres

sen brauchen wir trotzdem noch das anwaltschaftliche Eintreten Erwachsener für die jungen Menschen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nur durch frühzeitige Hinführung zur Demokratie ist Interesse an Politik weckbar und bzw. oder verbesserbar. Über die konkrete Erlebbarkeit von demokratischen Strukturen lernen junge Menschen, Verantwortung zu übernehmen. Partizipation von Kindern und Jugendlichen darf nicht als störendes Element oder gar als Behinderung demokratischer Prozesse betrachtet werden. Partizipation muss als das betrachtet werden, was sie ist: als Notwendigkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Gerade in einer alternden Gesellschaft ist es wichtig, diejenigen einzubeziehen, die die Ergebnisse der heute getroffenen Entscheidungen morgen und übermorgen tragen müssen. Die Regelungen, die Ihnen die Linksfraktion im Sächsischen Landtag heute vorschlägt, zollen einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung Tribut. Darum möchte ich heute nicht nur um Ihre Zustimmung werben. Ich möchte Sie heute auch um Ihren Mut bitten, einen Beitrag für die weitere Demokratisierung der Gesellschaft zu leisten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.