Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Prof. Schneider, bitte.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Jetzt könnte er uns überraschen – braucht nur zuzustimmen!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beide Gesetzentwürfe, die soeben vorgestellt worden sind, betreffen das Wahlrecht, und zwar die Absenkung des Wahlalters. Die FDP will mit ihrem Entwurf Jugendlichen ab Vollendung des 16. Lebensjahres das aktive Wahlrecht zu Kommunalwahlen einräumen. Herr Zastrow hat es soeben noch einmal, wie im Gesetzentwurf, damit gerechtfertigt, dass dadurch frühzeitig die Interessen junger Menschen stärker in den Prozess der politischen Willensbildung einfließen könnten.

Die PDS will darüber hinausgehende Wahlrechte für Minderjährige, auch auf der Landesebene. Auch will sie eine Regelung der Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen in den Gemeinden und Landkreisen, wie das soeben vorgestellt worden ist. Sie meint, der Landesgesetzgeber habe einen verfassungspolitischen Auftrag, einer immer geringer werdenden Wahlbeteiligung und Politikverdrossenheit entgegenzusteuern. Dem müsse hiermit entgegengewirkt werden.

Beide Vorredner haben sich auf die Anhörung von Sachverständigen bezogen, die am 6. November 2006 vor dem Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss durchgeführt worden ist. Herr Zastrow, einiges von dem, was Sie eben ausgeführt haben, und auch Sie, Frau Klinger, ist zu korrigieren. Meines Erachtens hat die Sachverständigen

anhörung die Auffassung der CDU-Fraktion bestätigt: Beide Entwürfe helfen nicht weiter. Sie enthalten allenfalls – das gilt vor allem für den Entwurf der PDSFraktion – eine Verschlimmbesserung ohne politischen Gewinn. Wir werden beide Entwürfe ablehnen.

(Beifall bei der CDU)

Als Argument für die Herabsenkung des Wahlalters wird angeführt, dass in anderen Bundesländern, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, entsprechende Regelungen verabschiedet worden sind.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS)

Ein wirkliches Argument ist das aber nicht, Herr Hahn. Die in anderen Bundesländern getroffenen Entscheidungen müssen nicht zwingend die besseren sein.

(Beifall bei der CDU)

Andersherum wird ein Schuh draus: Hätte sich der Freistaat Sachsen in den vergangenen 16 Jahren immer nur danach gerichtet, was andere gerade entschieden haben, dann würden wir gewiss nicht auf Platz 1 des Rankings in den ostdeutschen Ländern und gewiss nicht im Ranking bundesweit an vorderer Stelle stehen. Wir hätten kein Abitur nach zwölf Schuljahren. Wir hätten keinen Doppelhaushalt, der ohne Neuverschuldung auskommt.

(Holger Zastrow, FDP: Was hat das mit dem Wahlrecht zu tun?)

Ich nenne Ihnen, Herr Zastrow, nur ein paar Beispiele. Ich sage vor allem: Gott sei Dank, dass wir im Freistaat selbstständig denken und dass wir uns nicht blindlings auf andere verlassen, die dieses oder jenes tun. Ein Argument ist der Hinweis auf Entscheidungen in anderen Ländern also nicht.

Für das Wahlrecht wird ein – so ist es gesagt worden – besonderes Bedürfnis von Jugendlichen in diesem Alter angeführt. Was daran ein besonderes Bedürfnis sei, das haben Sie uns jedoch nicht genannt. Im kommunalen Bereich im Freistaat Sachsen ist das jedenfalls nicht der Fall, wie Kollege Kupfer mit seiner Frage eben deutlich gemacht hat. Von massiven Forderungen Jugendlicher in dieser Richtung sei nichts bekannt, hat beispielsweise der Sachverständige Wolf Groneberg vom Sächsischen Landkreistag ausgeführt. Er hat gesagt; das Bedürfnis von Jugendlichen nach dem Führerschein mit 16 sei das Entscheidende und nicht die Herabsetzung des Wahlalters. – Das hätten Sie auch sagen können, Herr Zastrow.

Mit der Absenkung des Kommunalwahlalters und des Wahlalters auf 16 solle Politikverdrossenheit entgegengewirkt werden. Meine Damen und Herren, Politikverdrossenheit zeigt sich jedoch bei denen, die das Wahlrecht innehaben und die sich an Wahlen nicht beteiligen. Hier müssen wir ansetzen! Wir hatten bei der letzten Kommunalwahl 2004 in Sachsen eine erschreckend niedrige Wahlbeteiligung von 46 %. Weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten sind zur Wahl gegangen. Das ist unter

anderem der Grund, weshalb eine Fraktion hier im Landtag vertreten ist, die wir alle nicht wollen. Das rechtfertigt aber die Herabsenkung des Wahlalters nicht. Warum sollen denn 16-Jährige lieber oder mehr zur Wahl gehen als 18-Jährige, die das Recht dazu haben? Wollen PDS und FDP allen Ernstes behaupten, dass die Politikverdrossenheit zum Beispiel von 25-, 35- oder 80-Jährigen dadurch behoben wird, dass ein 16-Jähriger eventuell den Kreistag oder die Gemeindevertretung wählen darf? Das ist blanker Unfug!

Das Problem der Politikverdrossenheit ist nicht altersgruppenabhängig. Es zieht sich durch alle Altersgruppen und lässt sich nur durch Änderungen in der Politik selbst bekämpfen. Das ist unsere Aufgabe, und die verkennen Sie, wenn Sie eine bloße Gesetzgebung auf den Weg bringen wollen.

(Einzelbeifall bei der CDU)

Wenn es um die Absenkung des Wahlalters geht, vermisse ich vor allen Dingen etwas; dazu habe ich von Ihnen beiden bisher keine Silbe gehört, auch in den Beratungen nicht, und im Gesetzentwurf nichts davon gelesen: Es geht auch um Pflichten. Es geht also nicht nur um die eine, sondern auch um die andere Seite. Mehrere der acht Sachverständigen, Herr Zastrow – es waren unter anderem die Herren Groneberg, Haak, Horn, Merk, Schöppner und Hermann –, haben in der Anhörung die Einseitigkeit beider Gesetzentwürfe an dieser Stelle gerügt. Gegen die Absenkung des Wahlalters spricht vor allem die gegebene gesetzliche Einordnung von Minderjährigen in unser Rechtssystem. Das hätte ich gern von Ihnen gehört.

(Holger Zastrow, FDP: Das hat nichts damit zu tun!)

Die Volljährigkeit tritt bekanntermaßen erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres ein. Bis dahin sind Jugendliche nicht voll deliktsfähig. Sie sind nicht voll geschäftsfähig; sie können also Geschäfte nur mit Zustimmung ihrer Eltern auf den Weg bringen.

(Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Sie sind außerdem erst ab Vollendung des 18. Lebensjahres wehr- oder ersatzdienstpflichtig. Vor allem unterliegen Jugendliche bekanntlich noch nicht dem allgemeinen Strafrecht, sondern dem Jugendstrafrecht.

Wer also die Absenkung des Wahlalters will, der muss sich gerade auch mit diesen Fragen auseinandersetzen. Mit der gesetzlichen Einordnung von Jugendlichen unter 18 Jahren, wie dies momentan die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland vorsieht, ist es nicht zu vereinbaren, Minderjährigen bereits das volle Wahlrecht einzuräumen.

Meine Damen und Herren! An dieser Stelle zeigt sich die Einseitigkeit beider Gesetzentwürfe. Wer die Herabsenkung des Wahlalters fordert, muss dieselbe Konsequenz auf der anderen Seite ziehen. Ich hätte gern sowohl von Herrn Zastrow als auch von Frau Klinger gehört, wie sie denn zum Wegfall des Minderjährigenschutzes, zur Frage

der Geltung und der Erstreckung des Erwachsenenstrafrechts eben auch auf diese Personengruppe und zum Beispiel zu Wehr- und Ersatzpflicht stehen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Das hat nichts damit zu tun!)

Meine Damen und Herren! Wenn man über Wahlrecht spricht, dann muss man sich sehr wohl mit diesen Argumenten, Herr Dr. Hahn, auseinandersetzen. Eine isolierte Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre lehnen wir in aller Entschiedenheit ab. Wir halten es auch für falsch, eine kommunale Wahljugendbeteiligung und -mitbestimmung mit den entsprechenden Folgeregelungen in der Gemeinde- und Landkreisordnung vorzusehen.

Die PDS will Kinder- und Jugendvertretungen schaffen. Kommunale Beauftragte für Kinder und Jugendliche soll es geben. Diese sollen in den sie betreffenden Angelegenheiten unter Berücksichtigung ihrer besonderen Belange auf der Gemeindeebene, der Landkreisebene und den dortigen Organen rechtzeitig beteiligt werden. Das Ganze soll – Frau Klinger, da hätte ich mir von Ihnen ein paar Ausführungen mehr gewünscht – wie folgt funktionieren:

Die Kinder- und Jugendvertretungen geben sich eine Geschäftsordnung, in der sie die inneren Angelegenheiten, was auch immer das sein soll, selbst regeln sollen. Sie, die Jugend- und Kindervertretungen, können einem Beschluss des Ortschaftsrates, des Gemeinderates oder des Kreistages widersprechen, wenn sie der Auffassung sind, dass sich dieser Beschluss für die Belange von Kindern oder Jugendlichen nachteilig auswirkt. Ich müsste zum Beispiel schon einmal die Frage stellen, ob die Veräußerung von Krankenhausanteilen eines Landkreises dazu gehört. Völlig unverständlich!

Kommen wir zum Verfahren zurück. Der Widerspruch müsste nach Auffassung der Linksfraktion.PDS unverzüglich, spätestens jedoch binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Beschlussfassung erhoben werden. Er hat aufschiebende Wirkung und kann vom Ortschaftsrat, Gemeinderat oder Kreistag mit Zweidrittelmehrheit zurückgewiesen werden. Anderenfalls geht es noch einmal in eine Ehrenrunde, eine nochmalige Beratung und Beschlussfassung. Dann muss der Gemeinderat, der Ortschaftsrat oder der Kreistag unter Angabe der Widerspruchsgründe erneut einberufen werden, und die Sitzung hat spätestens einen Monat nach Bekanntgabe der Beschlussfassung stattzufinden. Dass dieses Vetorecht zum Beispiel gegenüber einem Gemeinderatsbeschluss auch mit einer Klage vor einem Verwaltungsgericht durchgesetzt werden kann, sagt der Gesetzentwurf zwar nicht, aber das versteht sich von selbst.

Ich behaupte, ein besseres Beispiel für Politikunfähigkeit hätten Sie von der Linksfraktion.PDS an dieser Stelle nicht geben können. Sie hätten das Gesetz nicht als kommunales Jugendbeteiligungs- und -mitbestimmungsgesetz, sondern eher als kommunales Entscheidungsunfähigkeitsgesetz bezeichnen sollen – frei nach dem Motto: Wie verhindere ich am besten, dass im Landkreis, in der

Stadt und in der Gemeinde Entscheidungen getroffen werden können? Sie hätten auch sagen können: Wie steigern Sie schnellstmöglich die Politikverdrossenheit im Land? Die Entscheidungsfindung auf der kommunalen Ebene wird mit der Einführung eines – so haben die Sachverständigen ausgeführt – „Beauftragtenunwesens“ praktisch unmöglich gemacht. Alles bleibt im Unklaren, niemand weiß von nichts, alle reden über alles und streiten miteinander über Dinge, die sie nicht verstehen. Genau das ist es, was Sie auf den Weg bringen wollen.

(Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS: Wie in der Koalition!)

Der entscheidende Punkt, Herr Tischendorf, ist, dass Sie mit Ihrem Gesetzentwurf, soweit es um die Mitbestimmungsrechte geht, eine Delegitimierung der Kreistage, der Gemeindevertretungen und der Ortschaftsräte in Kauf nehmen.

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion.PDS: Unsinn!)

Den Kreistagen, den Gemeinderäten und den Ortschaftsräten wird Stück für Stück die Zuständigkeit und Entscheidungsmacht genommen. Genau das ist es, was in Ihrem Gesetzentwurf so folgt. Dieselben Parlamentarier – das ärgert nun wirklich –, die solche Regelungen auf den Weg bringen wollen, wundern sich am Ende darüber, dass Politikverdrossenheit im Lande Stück für Stück wächst.

Die Antwort auf den Vorschlag der Linksfraktion.PDS lautet, dass die Beteiligung von Jugendlichen an kommunalen Entscheidungen, die sie betreffen, keines Gesetzes bedarf; sie bedarf vielmehr der politischen Haltung der Entscheidungsträger in der täglichen Praxis.

Wir werden daher, meine Damen und Herren, beide Gesetzentwürfe ablehnen. Politikverdrossenheit und Politikfähigkeit lassen sich nicht per Gesetz verordnen. So geht es nicht. Schauen Sie sich besser einmal den Artikel 21 des Grundgesetzes an. Dort steht: „Die Parteien wirken an einer politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Wir suchen dies in unserer Partei, und zwar auch gerade mit Jugendlichen gemeinsam. Wir gehen miteinander auf sie zu. Das geht nicht durch Gesetzgebung.

Gerade bezüglich des Personenkreises von Jugendlichen, meine Damen und Herren, gehört viel mehr dazu als eine bloße Gesetzgebung. Sie reduzieren Demokratie auf den bloßen Wahlakt, und das war es dann. Das ist zu wenig. Sie sollten sich einmal über den Artikel 21 des Grundgesetzes Gedanken machen, bevor Sie hier solche Gesetze zur Abstimmung stellen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Frau Weihnert, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auch gleich auf den inhaltlichen Kern der beiden Gesetze kommen, denn in der

Umsetzung – das muss man durchaus zugestehen – gibt es wohl das eine oder andere an den Gesetzen zu bemängeln.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Beiden Fraktionen geht es darum, das Wahlalter bei den Kommunalwahlen auf 16 Jahre herabzusetzen.

Jetzt hätte ich mich über Ihren Beifall gefreut, Herr Schiemann.