Protokoll der Sitzung vom 14.03.2007

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Herr Dr. Gerstenberg, Sie beschließen die erste Runde für die Fraktion GRÜNE.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen scheint auf den ersten Blick eine Formalie zu sein. Innerhalb des eingespielten Systems der Studienplatzvergabe, der Festlegung von Quoten und der Kapazitätsermittlung zwischen den Ländern ist er eine Fortschreibung und ein kleiner Fortschritt zugleich.

Aus grundsätzlicheren Erwägungen ist der vorliegende Staatsvertrag jedoch alles andere als eine Formalie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, zu dieser abendlichen Stunde einmal mit mir in die Vergangenheit zu schauen. Blicken Sie gemeinsam mit mir kurz zurück in das Jahr 1972, das Jahr, in dem die ZVS, die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen, eingerichtet wurde.

Diese frühen Siebzigerjahre wurden zu Recht als Jahre der Bildungsexpansion bezeichnet. Die Expansion wurde angestoßen durch die Diskussion über eine allgemein festgestellte Bildungskatastrophe. Dieser Begriff, der

damals übrigens von dem christlich motivierten Pädagogen Georg Picht geprägt wurde,

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Lang ist das her!)

verwies nicht in erster Linie auf qualitative Mängel als vielmehr auf die viel zu niedrige Zahl von Abiturienten und Hochschulabsolventen. Der liberale Soziologe Ralf Dahrendorf forderte ebenfalls in dieser Zeit das Bürgerrecht auf Bildung ein.

Die Reaktionen darauf waren alsbald umfassende Reformen des Bildungswesens, die Bund-Länder-Kooperationen und im Bereich der Hochschulen ein massiver Ausbau der Kapazitäten. Auch in der DDR setzte ein ähnlicher, wenngleich weitaus verhaltenerer Prozess ein. Bezeichnend für diese Zeit war etwas, das für uns heute fast unvorstellbar ist: Es wurden neue Universitäten gegründet.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Mit Herrn Biedenkopf an der Spitze!)

Die in diesem Geist ebenfalls gebildete ZVS diente dem Ziel, die Ausweitung der Kapazitäten mit einer gerechten Verteilung der Studierenden zu verbinden. Im Laufe der Zeit, insbesondere in den Achtzigerjahren, ausgerechnet mit einer christlich-liberalen Bundesregierung, stagnierte diese Entwicklung und die ZVS begann sich allmählich von einem Verteilungsinstrument in Zeiten der Expansion zu einem Begrenzungsinstrument in Zeiten der Studienplatzknappheit zu verändern.

Parallel entwickelten die Länder vielfältige, komplizierte Instrumente zur Zulassungsbegrenzung und zur Kapazitätsberechnung. Nicht das Bürgerrecht auf Bildung, sondern der Numerus clausus und die Wartezeit zwischen Erwerb der Hochschulreife und Studienbeginn wurden zu entscheidenden Kriterien eines Hochschulzugangs. Seitdem wurde dieser Staatsvertrag viermal angepasst, zuletzt 1999.

Vor zwei Jahren haben wir hier im Sächsischen Landtag über ein Hochschulzulassungsgesetz debattiert – darauf wurde schon mehrfach hingewiesen –, das sich von Abiturdurchschnitt und Wartezeit entfernt und spezifischere Verfahren wie etwa Auswahlgespräche erlaubt. Der vorliegende Staatsvertrag folgt diesem Weg, der im Prinzip begrüßenswert, im Detail aber damals wie heute höchst umstritten ist. Die Erfahrungen zeigen inzwischen, dass die Hochschulen diese neuen Auswahlverfahren eher zurückhaltend nutzen und eine entsprechende Beratung sinnvoll ist. Dass nun die ZVS die Servicefunktion einer solchen Beratung übernimmt, ist meines Erachtens folgerichtig und sinnvoll, auch wenn man hier über Details – etwa die Kostenpflichtigkeit des Serviceangebotes – streiten kann.

Alles in allem könnte dieser Staatsvertrag durchaus zustimmungsfähig sein. Allerdings fühlt man sich an diesem Punkt etwas an die Frage des Philosophen Theodor W. Adorno erinnert, ob es ein richtiges Leben im falschen gibt. Dieser Staatsvertrag regelt nämlich prinzi

piell das Richtige, allerdings das Richtige innerhalb einer falschen Systematik.

Ich möchte deshalb davor warnen, eine teilweise detailverliebte Diskussion dieses Staatsvertrages zu führen, wie es jetzt schon anklang, und dabei das grundsätzliche Problem aus den Augen zu verlieren. Die vorliegenden Regelungen zur Vergabe von Studienplätzen zementieren wie die vorhergehenden Staatsverträge die Tatsache, dass jedes Jahr Tausende junge, gebildete Leute von den Hochschulen und von ihrem Studienwunsch ausgeschlossen werden. Indem dieser alljährliche Ausschluss zementiert wird, wird zugleich das von Dahrendorf geforderte Bürgerrecht auf Bildung geleugnet.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Wer diesem Staatsvertrag zustimmt, stimmt nichts anderem als einem Dokument des Mangels zu. Wer die Studierendenquote von 38 % hierzulande mit der europäischen Normalität von 50 oder 60 % Studierenden eines Jahrgangs vergleicht, dem wird klar, dass wir heute längst in einer neuen Bildungskatastrophe stecken.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Auf Kosten anderer!)

Auf diesen Notstand gibt der vorliegende Staatsvertrag keinerlei Antworten.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Wichtiger als die Fortschreibung des Status quo ist es deshalb aus Sicht meiner Fraktion, das grundsätzliche Problem des Studienmangels anzugehen. Wir haben hier in diesem Haus mit unseren Anträgen zum Hochschulpakt 2020 weitreichende Vorschläge gemacht, wie über die Bewältigung der anstehenden demografischen Probleme hinaus mit einem Hochschullastenausgleich eine Dynamik entfacht werden kann, die zu mehr Studienplätzen führt. An die Stelle von Kapazitätsverordnungen und Zulassungsquoten muss ein System treten, das es für jede Hochschule attraktiv macht, ihre Kapazitäten auszuweiten und Studierende anzuziehen. In der Grundtendenz muss es uns darum gehen, jungen Leuten in ausreichender Zahl Studienplätze zur Verfügung zu stellen, die ihren individuellen Bildungswünschen entsprechen.

Ein Staatsvertrag, der dem Ziel entspricht, das Bürgerrecht auf Bildung endlich wieder ernst zu nehmen und zu verwirklichen, wäre weitaus notwendiger als der vorliegende, der das Richtige im Falschen regelt. Unsere Fraktion wird sich deshalb der Stimme enthalten.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Danke schön. – Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde der Fraktionen. Gibt es seitens der Fraktionen weiteren Aussprachebedarf? – Das ist nicht der Fall. Frau Staatsministerin Dr. Stange, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Schade, Herr Gerstenberg, dass Sie nicht zustimmen können. Nach Ihrer Rede habe ich eigentlich gedacht, Sie könnten das.

Ich kann denen zustimmen, die sagen, man sollte dieses Gesetz zum Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen nicht durchwinken. Ich denke, die Diskussion hat dargestellt, dass dieses Gesetz zum Staatsvertrag nicht alle Probleme, die derzeit in den Hochschulen anstehen, lösen kann; dazu greift es eben nur ein Segment heraus. Aber es greift ein sehr wichtiges Segment heraus. Nach welchen Kriterien wir jungen Menschen den Zugang zu unseren Hochschulen ermöglichen, wer und nach welchem Verfahren über die Anträge angehender Studierender zur Hochschulzulassung entscheidet, hat schließlich maßgeblichen Einfluss auf die individuellen Lebenswege vieler Menschen.

Gegenüber unseren jungen Menschen tragen wir damit eine sehr große Verantwortung. Schon deshalb darf ein Gesetz nicht durchgewinkt werden, sondern muss ernsthaft und in seinen Grenzen diskutiert werden. Gleichzeitig – dies haben die Debatten gezeigt – ist die Frage der Regelung des Hochschulzuganges auch für die Hochschulen selbst ein ganz wichtiges Element ihrer Qualitätsentwicklung und zunehmenden Selbststeuerung. Das habe ich aus vielen Redebeiträgen herausgehört und das kann ich nur unterstreichen.

Wir haben viel über Selbstständigkeit und Verantwortung unserer Hochschulen gehört und werden dies mit der anstehenden Novellierung des Sächsischen Hochschulgesetzes umsetzen. Mit diesem Staatsvertrag geben wir den Hochschulen ein gutes Stück Selbstständigkeit bei der Auswahl der Studierenden. Sie entscheiden nunmehr eigenständig nach Abzug einer sogenannten Vorabquote, beispielsweise für soziale Härtefälle oder für die in der beruflichen Bildung Qualifizierten, die über keine sonstige Studienberechtigung verfügen, über die Vergabe von 60 % der Studienplätze. Herr Schmalfuß ist jetzt zwar nicht da – –

(Zuruf des Abg. Tino Günther, FDP)

60 % der Studienplätze sind in eigener Verantwortung der Hochschulen. Es geht hierbei nur um die Studienplätze – das möchte ich hervorheben, weil es in der Diskussion vielleicht ein wenig untergegangen ist –, die unter einem bundesweiten Numerus clausus liegen. Es geht mitnichten um alle Studienplätze, sondern nur um ein schmales Segment, über das wir hier reden. Bei diesem schmalen Segment besteht eine hohe Eigenverantwortung der Hochschulen. Grundlage der Entscheidung bildet der Kriterienkatalog des schon angesprochenen Sächsischen Hochschulzulassungsgesetzes, der ausdrücklich die Eignung und Befähigung der Bewerberinnen und Bewerber für den jeweiligen Studiengang in den Vordergrund stellt.

In einem weiteren Schritt werden wir auch für örtlich beschränkte Studiengänge, die nicht Regelungsgegenstand dieses Staatsvertrages sind, die Auswahlkriterien und die Hauptquoten für die Vergabe zugunsten des Auswahlrechts der Hochschulen neu festlegen. Gerade bei den örtlich beschränkten Studiengängen, die in jüngster Zeit in erhebliche Kritik geraten sind, weil sie teilweise überdimensioniert von den Hochschulen gebraucht wurden, benötigen wir neue Regelungen, damit die Hochschulen verantwortungsbewusst mit diesem eigenständigen Instrument umgehen können.

Damit sollen die sächsischen Hochschulen in die Lage versetzt werden, auch im Bereich der Hochschulzulassung selbstbestimmte Akzente zu setzen. Das heißt nicht nur, die Abiturnote zugrunde zu legen, sondern weitere Entscheidungskriterien heranzuziehen. Mit der größeren Freiheit ist eine gewachsene Verantwortung der Hochschulen für die Studierenden und für die eigene Qualitätsentwicklung, das heißt auch die Überprüfung des jeweiligen Auswahlverfahrens, verbunden. Dem müssen die Hochschulen künftig Rechnung tragen.

Der Kriterienkatalog unseres Hochschulzulassungsgesetzes ermöglicht es den künftigen Studierenden – das möchte ich noch einmal hervorheben –, neben der Abiturnote auf sehr vielfältige Weise ihre Eignung für den jeweiligen Studiengang unter Beweis zu stellen. Angesprochen wurde, die Abbrecherquote in den Hochschulen zu senken. Maßgeblich ist nicht nur ein vernünftiges Auswahlverfahren – auch Beratung und Betreuung sind notwendig.

Wir brauchen ein vernünftiges Auswahlverfahren, das zum Beispiel einzelne Fächernoten, die für diese Studiengänge von besonderer Bedeutung sind, ins Blickfeld rückt. Zum Beispiel können Berufsausbildung oder Berufstätigkeit, besondere Vorbildung, praktische Tätigkeiten, außerschulische Leistungen und Qualifikationen über die Eignung in einem gewählten – beispielsweise sozialen – Studiengang Aufschluss geben. Die Ausweitung der Auswahlkriterien ermöglicht es den Studierenden, ihre besonderen Stärken in den Vordergrund zu stellen und eventuell vorhandene individuelle Schwächen – welche Ursachen sie auch immer haben mögen –, die sich zum Beispiel in Abiturnoten ausdrücken, auszugleichen.

Der vorliegende Staatsvertrag weitet genau diese Chancen der Studierenden auf eine noch größere Zahl von Studienplätzen aus. Natürlich, Herr Gerstenberg, Sie haben vollkommen recht: Der Staatsvertrag kann das Problem fehlender Studienplätze nicht lösen. Das ist auch nicht sein Handlungsgegenstand. Aber ich stimme Ihnen vollkommen zu: Wir brauchen ausreichend Studienplätze für die jungen Menschen, die die Hochschulberechtigung haben und den Weg zu den Hochschulen wählen wollen – ob sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Ich bitte Sie deshalb, dem Gesetz zu diesem Staatsvertrag über die Vergabe der Studienplätze Ihre Zustimmung zu geben.

Darauf richten sich zum Beispiel unsere Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Hochschulpakt 2020, womit wir hoffen, genau dieses Problem etwas besser lösen zu können. Danke.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das lösen andere EU-Länder bereits für uns, Österreich zum Beispiel!)

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Danke schön. – Ergibt sich hieraus noch einmal Aussprachebedarf? – Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Auch gegen die artikelweise Abstimmung erhebt sich kein Widerspruch. Wir stimmen ab auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien mit der Drucksachennummer 4/8112.

Ich betone noch einmal: Es kommt entscheidend darauf an, wie die Hochschulen diese Auswahlprozesse ausgestalten. Das Instrumentarium für eine die Chancengleichheit wahrende Auswahl der Studierenden haben wir Ihnen an die Hand gegeben. Ich versichere Ihnen, die Staatsregierung wird die sozialen Auswirkungen des Staatsvertrages mit großer Aufmerksamkeit verfolgen. Ob Auswahlverfahren grundsätzlich oder auch im hier diskutierten Zusammenhang zur sozialen Ungleichbehandlung führen, vermag ich nicht sogleich zu erkennen. Ich sage es noch einmal: Wir müssen diesen Prozess genau beobachten.

Wer stimmt der Überschrift zu? – Wer stimmt der Überschrift nicht zu? – Wer enthält sich? – Bei mehreren Enthaltungen und Gegenstimmen ist dem mehrheitlich zustimmt.

Gleichermaßen ist eine Übertragung der Kosten des Auswahlverfahrens auf die Studierenden aus meiner Sicht unsozial. Ich werde alle rechtlichen Möglichkeiten prüfen, um auch das zu verhindern. Der Staatsvertrag selbst gibt dazu keine Handhabe, das an die Studierenden durchzureichen. Bei der ZVS – bei der jetzt getroffenen Regelung für eine neue Serviceeinrichtung, die unter dem Namen ZVS noch läuft – werden die Hochschulen in die Pflicht genommen und nicht die Studierenden, wie es ursprünglich geplant war – ganz ausdrücklich, weil sich die sächsische Staatsregierung dagegen gewandt hat, dass diese Kosten der ZVS auf die Studierenden umverlagert werden.

Wer stimmt dem Artikel 1 zu? – Wer stimmt nicht zu? – Wer enthält sich? – Bei einigen Enthaltungen und einer größeren Anzahl von Gegenstimmen ist dem Artikel 1 zugestimmt.

Wer stimmt dem Artikel 2 zu? – Wer stimmt nicht zu? – Wer enthält sich? – In etwa gleiches Abstimmungsverhalten wie soeben. Artikel 2 ist angenommen.

Da keine Änderung vorgenommen wurde, erhebt sich auch kein Widerspruch, dass wir zur 3. Lesung übergehen. Es ist auch kein allgemeiner Aussprachebedarf zu erkennen.