Protokoll der Sitzung vom 15.03.2007

Dr. Rüdiger Söhnen: Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, getreu der Verfassung des Freistaates Sachsen und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu dienen.

Ich danke Ihnen. Ich wünsche alles Gute zu Ihrer Wahl auch im Namen der Abgeordneten des Sächsischen Landtages.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren! Damit ist der Tagesordnungspunkt 1 abgeschlossen.

Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 2

Aktuelle Stunde

1. Aktuelle Debatte: Situation im Maßregelvollzug

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

2. Aktuelle Debatte: Haltung der Sächsischen Staatsregierung zu den aktuellen familienpolitischen Auseinandersetzungen

Antrag der Linksfraktion.PDS

Die Verteilung der Gesamtredezeit der Fraktionen hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 39 Minuten, Linksfraktion.PDS 31 Minuten, SPD 14 Minuten, NPD,

FDP, GRÜNE je 12 Minuten und die Staatsregierung 20 Minuten, wenn gewünscht.

Wir kommen zu

1. Aktuelle Debatte

Situation im Maßregelvollzug

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

Zunächst haben die Fraktionen der CDU und der SPD als Antragsteller das Wort. Die weitere Reihenfolge in der ersten Runde: Linksfraktion.PDS, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung. Die Debatte ist eröffnet.

Ich bitte den Vertreter der Fraktion der CDU das Wort zu nehmen. Frau Nicolaus, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor dem Hintergrund der Ereignisse der letzten Wochen, was die Sexualstraftaten betrifft, Übergriffe auf Kinder oder Entweichungen aus dem Maßregelvollzug, sind wir gehalten, die Situation im Maßregelvollzug aus unserer Sicht hier darzustellen und zu diskutieren.

Zuerst einmal muss man feststellen, dass nicht jeder Sexualstraftäter im Maßregelvollzug ist und dass nicht jeder, der im Maßregelvollzug ist und dort betreut wird, ein Sexualstraftäter ist. Das erst einmal zuvörderst. Zudem muss man unterscheiden zwischen einer Sicherungsverwahrung und den jeweils nach § 63 betreuten Patienten im Maßregelvollzug. Das wird immer wieder miteinander vermischt.

Die Sicherungsverwahrung ist ein Mittel, das nur in den Justizvollzugsanstalten zum Einsatz gebracht wird und worüber das Gericht jeweils entscheidet.

Der Maßregelvollzug bedeutet Sicherheit für die Bevölkerung und eine sinnvolle Therapie für den jeweiligen Patienten.

Bei der letzten Entweichung – das möchte ich immer zuvörderst voranstellen – in Großschweidnitz – dazu gab es auch eine Kleine Anfrage meiner Kollegin von der FDP-Fraktion – ist festzustellen, dass der Patient, der dort

nach § 64 Strafgesetzbuch untergebracht war, jeden Tag am hellerlichten Tag hätte in die weite Welt hinausspazieren können. Stattdessen ist er nachts aus dem Fenster gesprungen und hat das Auto des Anstaltsleiters genommen und das Weite gesucht. Hier kann man nur davon sprechen, dass es immer zwei Paar Schuhe gibt. Ich will das noch ein bisschen näher erläutern.

Wir haben im Maßregelvollzug Patienten, die nach § 63 aufgenommen werden. Dazu muss man feststellen, dass diese unbefristet dort eingewiesen sind. Es gibt auch Menschen, die keine Haftstrafe zu verbüßen haben, sondern einfach vom Gericht laut diesem Paragrafen dort eingewiesen worden sind. Es sind natürlich Schizophrene, Depressive, aber auch Sexualstraftäter, die nach § 63 in den freien Maßregelvollzügen in Sachsen untergebracht und therapiert werden.

Bei denen, die nach § 64 eingewiesen sind, ist es so, dass diese maximal zwei Jahre dort verbleiben können und dürfen. Entweder werden sie dann entlassen oder sie werden, was der geringere Prozentsatz ist, in die JVA zurückgeführt.

Nun noch einmal zu den jeweiligen Begrifflichkeiten und zu dem, was jetzt im Freistaat Sachsen an Möglichkeiten vorhanden ist, die betreffenden Menschen zu betreuen. Betrachten wir zunächst die Möglichkeiten nach § 63. Das ist das, was die Leute – Herr Dr. Martens, Sie lachen mich schon so an – berührt. Wir müssen hier differenzieren, dass wir in den drei Maßregelvollzügen in Arnsdorf, Altscherbitz und Rodewisch 269 Plätze haben. Hier besteht das Problem, dass wenige Entlassungen durchgeführt werden, aber mehr Einweisungen erfolgen. Das ist natürlich ein Problem für den Freistaat Sachsen; das ist ganz klar. Aber wir haben uns dieser Aufgabe gestellt,

denn in diesem Doppelhaushalt wurden jeweils 34 Millionen eingestellt, um die Situation zu verbessern oder entscheidend auf eine Leistungsstufe zu stellen.

Ich will nur noch einmal zuvörderst anführen: Die Maßregelvollzüge im Freistaat Sachsen entsprechen dem bundesdeutschen Niveau und liegen zum Großteil auch darüber. Dazu gibt es externe Gutachten, die eingeholt worden sind, und hier wird uns das auch bescheinigt.

Bei denjenigen, die nach § 64 untergebracht sind, sind es in Großschweidnitz 48 Plätze und im Klinikum „Sankt Georg“ in Leipzig, also in Dösen, 96 Plätze.

Auf die Entweichung in Großschweidnitz bin ich ja bereits eingegangen. Hier muss man den Menschen, die die Betreuung durchführen, den Ärzten, dem pflegerischen Personal und den Therapeuten ausdrücklich danken, dass sie sich dieser Aufgabe stellen.

Nachdem wir uns vor Ort ein Bild gemacht haben – mein Kollege Marko Schiemann und Enrico Bräunig –, bin ich der Meinung, dass wir durchaus in der Lage sind, uns dieser Herausforderung und diesen Aufgaben hier im Freistaat zu stellen und durchaus gute Bedingungen haben, therapeutisch zu wirken und dem Schutz der Bevölkerung dementsprechend Folge zu leisten.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Herr Bräunig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich befinden wir uns in einer Debatte über den richtigen oder vielleicht auch falschen Umgang mit besonders gefährlichen Straftätern. Der Maßregelvollzug ist – das dürfen wir nicht negieren – ein Teil dieser Debatte. Was dabei häufig vergessen wird, ist, dass es sich bei Personen im Maßregelvollzug streng genommen nicht um Straftäter handelt, sondern um Patienten, die zwar von einem Gericht eingewiesen wurden, aber eben weil sie zum Beispiel erhebliche Defizite in ihrer Schuldfähigkeit aufweisen.

Die Unterbringung dieser psychisch Kranken, auch suchtkranken Patienten – Rechtsbrechern –, erfolgt dabei in speziellen psychiatrisch-forensischen Kliniken, wie eben dem Krankenhaus Großschweidnitz oder den weiteren sechs forensischen Krankenhäusern in Sachsen. Dabei werden die Erkrankungen – Abhängigkeitserkrankungen, Persönlichkeitsstörungen und sexuelles Triebverhalten – von speziell geschulten multiprofessionellen Teams behandelt. Sie bestehen aus Psychologen, Ärzten, Sozialarbeitern, Ergotherapeuten, Pädagogen und Pflegepersonal. Auf jeden Patienten kommt nahezu ein Mitarbeiter.

Ich selbst habe – Frau Nicolaus hat es angesprochen – vor einer Woche Großschweidnitz besucht, und zwar mit Kollegen Schiemann, um mir selbst vor Ort ein Bild von der Situation zu machen. Ich kann jedem Abgeordneten

nur empfehlen, dasselbe auch zu tun, denn nur so kann man die Situation begreifen und den Wahrheitsgehalt der Medienberichterstattung einschätzen. Dieser Wahrheitsgehalt ist nicht sehr hoch, das sage ich ganz deutlich.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Das Problem solcher Kliniken besteht darin, dass es zum einen den medizinisch orientierten Krankenhausbetrieb geben muss und zum anderen ein Höchstmaß an Sicherheit vor besonders gefährlichen Insassen gewährleistet werden muss. In diesem Zusammenhang ist Großschweidnitz in die Schlagzeilen gekommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon auffällig, dass in Sachsen innerhalb kürzester Zeit einzelne Straftäter auf Dächern der Justizvollzugsanstalt spazieren gehen, Spritztouren mit dem Wagen des Anstaltsleiters unternehmen oder auch trotz bekannter pädophiler Neigungen in einem Kinderzoo arbeiten.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Wer regiert denn hier?)

Natürlich liegt es nahe, dann nach schärferen Gesetzen zu rufen. Es gibt Politiker, die sogar darum wetteifern, wer den härtesten Vorschlag macht. Was dabei regelmäßig vergessen wird, ist der Blick vor die eigene Haustür, um mögliche Defizite im Vollzug der bestehenden Gesetze zu erkennen. Fakt ist jedenfalls, dass kein Gesetz einem Insassen einer JVA erlaubt, auf dem Dach spazieren zu gehen, kein Gesetz erlaubt einem Patienten, Spritztouren mit dem Wagen des Anstaltsleiters zu unternehmen, und es ist auch Gesetzeslage, dass Personen, die unter der Bewährungsauflage stehen, sich von Kindern fernzuhalten, von Bewährungshelfern und Staatsanwaltschaft entsprechend überwacht werden müssen, ob sie sich daran halten.

Führungsaufsicht und Sicherungsverwahrung, meine Damen und Herren, haben ebenso wie der Maßregelvollzug verfassungsrechtliche Vorgaben. Dabei geht es nicht um Täterschutz – das Wort werden Sie in keinem Gesetz finden –, sondern um Freiheitsbeschränkung, die auf rechtsstaatlichen Grundlagen beruht, um rechtsstaatliche Freiheitsbeschränkung. Ich möchte zu bedenken geben, dass es gerade im Maßregelvollzug einen Rechtsanspruch der Insassen gibt, in verantwortbarer Weise in Vollzugslockerungen erprobt zu werden. Darauf haben sie einen gesetzlichen Anspruch. Zu prüfen ist allerdings, ob etwaige Risiken und der Behandlungsfortschritt eine solche Entscheidung im Einzelfall rechtfertigen. Diese Entscheidung wird nicht von einem einzelnen Arzt, sondern regelmäßig von den multiprofessionellen Teams in einer Teamentscheidung getroffen.

Ich stelle mir auch die Frage, ob wir möglicherweise die Qualität forensischer Gutachten noch verbessern können. Dabei will ich ausdrücklich nicht sagen, dass wir schlechte Gutachter hätten, aber der Umgang mit diesen Gutachten ist in der Regel noch verbesserungsbedürftig. Das gilt im Maßregelvollzug ebenso wie allgemein in der Justiz. Untersuchungen zeigen, dass Therapierung und Resoziali

sierung in vielen Fällen – nicht in allen – möglich ist. Rückfällige Personen, die es leider durch ein unvermeidbares Restrisiko immer wieder gibt, sollten uns Anlass geben, genauer hinzuschauen. Bevor wir den Maßregelvollzug als solchen infrage stellen, müssen wir fragen, ob er optimal funktioniert.

Problematisch ist – Frau Nicolaus hat es angesprochen –, dass einerseits die Einweisungen durch die Justiz erfolgen – sie nehmen erheblich zu –, aber die Justiz relativ zögerlich ist, wenn es um die Rückführung in den allgemeinen Strafvollzug nach Ende der Therapierung geht. Somit werden wichtige Therapieplätze blockiert und der Erfolg des Maßregelvollzugs nachhaltig geschwächt.

Bitte zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.