Protokoll der Sitzung vom 15.03.2007

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Wenn wir also von Überbelegung des Maßregelvollzugs sprechen, dann ist das eher dem Justizressort als dem Sozialressort anzulasten. Für die Situation in Großschweidnitz, wo mehr als die Hälfte der Entweichungen im sächsischen Maßregelvollzug geschehen, ist mit ursächlich dafür, dass der Sicherheitsbereich dort relativ klein ist und bis zur Fertigstellung des Neubaus – –

Schlusssatz, bitte.

– im Jahr 2009 die Situation noch so bleibt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der Staatsministerin Helma Orosz)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. Herr Bartl, bitte.

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir finden es zunächst außerordentlich bemerkenswert, dass es die Koalition für geeignet und angängig hält, innerhalb einer Aktuellen Debatte die Situation im Maßregelvollzug in Sachsen einzuschätzen.

(Widerspruch des Abg. Heinz Lehmann, CDU)

Die Maßregeln zur Besserung und Sicherung sind zunächst in § 61 des StGB für die Bundesrepublik Deutschland geregelt und betreffen sechs Kategorien: erstens die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, zweitens die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, drittens die Unterbringung in Sicherungsverwahrung, viertens die Führungsaufsicht, fünftens die Entziehung der Fahrerlaubnis und sechstens das Berufsverbot. Wir durften uns heute erst einmal Gedanken machen, worüber wir reden wollen. Jetzt haben wir es mitbekommen: Aus Großschweidnitz ist einer entwichen. Nebenbei bemerkt, der dort entwichen ist, hat in seinem Leben noch nie einer Fliege etwas zuleide getan. Der sitzt regelmäßig nur wegen Diebstahls von Fahrzeugen und dafür, dass er das

Fahrzeug fährt, bis der Tank leer ist. Zwischendurch organisiert er sich gewöhnlich noch durch Betrugshandlungen Benzin.

(Marko Schiemann, CDU: Aber nicht nur!)

Das ist die Gefährlichkeit dieses Täters, der ein Hangtäter ist, weil er dem Alkohol zuspricht.

(Widerspruch der Staatsministerin Helma Orosz)

Das Problem ist doch folgendes: Der Anlass, es zu thematisieren, sind tragische Ereignisse, wie der Fall von Mitja in Leipzig. In Großschweidnitz sitzt kein Täter, der derart schwere Sexualstraftaten begangen hat. Es ist eine Einrichtung der Suchttherapie. Demzufolge ist Großschweidnitz von vornherein ganz anders klassifiziert – nämlich mit Verwahrstandard – als zum Beispiel die Einrichtungen, die die Verurteilten nach § 63 unterbringen.

(Staatsministerin Helma Orosz: Genau darum geht es!)

Genau darum geht es.

(Staatsministerin Helma Orosz: Schön, dass Sie das auch verstehen!)

Im Gegensatz zu Ihnen gehe ich dort regelmäßig aus und ein, Frau Ministerin. Entwichen bin ich auch schon des Öfteren dort.

(Vereinzelt Heiterkeit bei der Linksfraktion.PDS und der CDU)

Wenn wir die Problematik Maßregelvollzug ernsthaft diskutieren wollen, dürfen wir es nicht von der Oberfläche her tun, sondern müssen uns Einrichtung für Einrichtung vornehmen und die tatsächliche Situation untersuchen. Zu fragen ist, welchen Bedarf es generell an Therapieplätzen mit den jeweiligen Spezifika und welche sich überschneidenden Krankheitsbilder es gibt. Wir haben die große Not, dass es zum Beispiel Hangtäter gibt, die zugleich eine Schizophrenie haben können, weiterhin Täter, die betäubungsmittelsüchtig sind und zugleich einen Persönlichkeitsdefekt haben, aber eine kombinierte Therapie ist in kaum einer der Einrichtungen möglich. Das sind die Dinge, die teilweise fehlen.

Kollege Bräunig fragt, warum so wenige rausgelassen werden. Das ist doch völlig klar! Wenn die Politik und die Medien jeden Richter oder Gutachter, der irgendjemand rausgelassen hat, quasi selbst vor Gericht gestellt wissen will, wird die Bereitschaft der Richter oder der Therapeuten, eine Aussetzung oder Erprobung zu riskieren, in der Tendenz ständig weiter abnehmen. Wir werden immer mehr Leute mit immer längerer Verweildauer im Maßregelvollzug haben.

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. In der „SZ“ vom 7. März, Region Döbeln, äußert sich der uns viele Jahre als Landtagsmitglied bekannte Bundestagsabgeordnete Peter Jahr wie folgt: Auch das Bundestagsmitglied Peter Jahr, CDU, wirft der Politik Ohnmacht und Inkonsequenz vor. „Wer Terroristen begnadigt, wer Kinderschänder bis

zur nächsten Tat auf Freigang setzt, muss sich auch für Fehlleistungen verantworten.“ Aus seiner Sicht habe ein Täter, der solche Verbrechen verübt, sein Mitwirkungsrecht an der Gesellschaft verwirkt. „Jedes falsche Baugutachten wird härter bestraft als das falsche Gutachten über einen angeblich therapierten Sexualstraftäter.“

Wenn ein Bundestagsabgeordneter die Denkweise hat, dass man einen Arzt bzw. einen Therapeuten, der in den Kopf hineinschauen muss – wobei eine Prognosesicherheit von 15 bis 20 % besteht –, genauso behandeln kann wie einen Bausachverständigen, dann zeigt das das gesamte Dilemma, die gesamte Inkompetenz, die gesamte schlimme, drastische Biertischebene, wie heute auf dem Gebiet Politik passiert.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN)

Frau Nicolaus hat sehr angenehm begonnen, das will ich gar nicht in irgendeiner Form denunzieren, aber es ist doch nicht in einer Aktuellen Debatte zu leisten, über diese Dinge zu reden. Hier geht es um prinzipielle Fragen des Verständnisses, wohin wir mit der Strafpolitik zukünftig wollen. Meinen wir, dass wir mit der Verschärfung des Repressionsmomentes Opferschutz betreiben können, oder müssen wir es tatsächlich mit der Verbesserung der Therapie tun? Müssen wir es mit der Bereitstellung von Mitteln für die Therapierung tun oder müssen wir mehr Justizvollzugsanstalten bauen? Brauchen wir mehr Verwahrsicherheit oder müssen wir mehr Interventionsmöglichkeiten gegenüber den Tätern haben?

Bitte zum Schluss kommen.

Diese Fragen stehen vor uns. Es ist nicht verkehrt, darüber zu sprechen, aber die Aktuelle Debatte ist dafür eine denkbar ungünstige Gelegenheit.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort. Herr Apfel, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den §§ 63 und 64 StGB werden psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter im Maßregelvollzug zur Besserung und Sicherung untergebracht. Diese Unterbringung ist aber an Bedingungen geknüpft. Die Rechtsbrecher müssen im Sinne der §§ 20 und 21 als schuldunfähig oder als vermindert schuldfähig gelten und es muss eine weitere Gefährlichkeit der Täter zu erwarten sein.

§ 63 bezieht sich auf schuldunfähige oder vermindert schuldfähige Straftäter, die wegen ihrer Erkrankung für die Allgemeinheit als gefährlich gelten und von denen weitere Gewalt- und Sexualdelikte zu erwarten sind. Diese Maßregel ist unbefristet und der Vollzug findet in einer psychiatrischen Anstalt statt.

§ 64 bezieht sich auf suchtkranke Straftäter. Diese Maßregel ist auf maximal zwei Jahre befristet, die Unterbringung erfolgt in einer Entziehungsanstalt. Der Maßregelvollzug findet in psychiatrisch-forensischen Fachkrankenhäusern oder in psychiatrischen Abteilungen allgemein oder in Fachkrankenhäusern statt.

Vom Strafvollzug und von der Sicherungsverwahrung gefährlicher Wiederholungstäter ist der Maßregelvollzug zu unterscheiden. Der Vollzug der Maßregel nach den §§ 63 und 64 StGB wird in dem Sächsischen Gesetz über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten geregelt. – Soweit die rechtlichen Grundlagen.

Vor wenigen Tagen fand in Leipzig die Beisetzung des neunjährigen Mitja statt, rund zwei Wochen nach seinem gewaltsamen Tod. Mitja wurde am 22. Februar entführt, sexuell missbraucht und schließlich ermordet – und dies von einem Beschuldigten, der bereits fünfmal wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden war. Der „Focus“ fragte danach zu Recht: „Wie viele Kinder müssen noch sterben? Die Ermordung des neunjährigen Mitja zeigt auf tragische Weise, dass der Staat zu wenig Schutz vor Sexualstraftätern bietet. Die Angst der Eltern wächst.“

Auch wir, meine Damen und Herren, fragen: Warum können Sexualstraftäter immer wieder morden? Wie viele Verbrechen müssen noch passieren, bis Politiker der Altparteien nicht nur markige Sprüche klopfen, sondern endlich handeln? Wie war es möglich, dass der mehrfach vorbestrafte Kinderschänder Uwe K. aus Leipzig am 22. Februar nicht in sicherem Gewahrsam saß, sondern in einer Straßenbahn neben seinem Opfer?

Die Ermordung dieses Jungen zeigt einmal mehr auf furchtbare Weise, wie polizeibekannte Sexualstraftäter Nutznießer sind, Nutznießer von offenkundig erkenntnisresistenten und leichtfertig urteilenden Psychotherapeuten, weichgespülten Richtern, verträumten Behörden und inkonsequenten Politkern.

Während der Staat Verbrechern wie Uwe K., Mario M. und vielen anderen ständig neue Chancen gewährt, sind die Opfer von Sexualstraftätern ebenso wehr- wie chancenlos. „Mit jedem neuen Verbrechen wird die Sorge der Eltern größer. Sie begleiten ihre Kinder auf dem Weg zur Schule, statten sie mit Mobiltelefon für den Notfall aus oder schicken sie in Selbstverteidigungskurse“, so der „Focus“.

Meine Damen und Herren! Wenn ein Bauingenieur eine Brücke konstruiert, ihm ein Berechnungsfehler unterläuft, diese Brücke einstürzt und das Menschenleben kostet, dann kommt der Bauingenieur in den Bau. Wenn aber Schultern klopfende Experimentaltherapeuten kein Problem damit haben, überführte Sexualstraftäter in eine zweite, dritte oder – wie bei Mitja – gar fünfte Runde zu schicken und diese dann Kinder ermorden oder wie im Fall Stefanie Kinder verschleppen und wochenlang missbrauchen, dann kommen diese Experimentaltherapeuten im Gegensatz zum Bauingenieur ungeschoren davon.

Meine Damen und Herren! Auch bei dieser Aussprache zum Maßregelvollzug sprechen wir wie schon zu unserem vor Monaten eingebrachten Antrag zur Wiedereinführung der Todesstrafe für Kindermörder Klartext. Nach dem Willen der NPD-Fraktion muss diese unerträgliche Narrenfreiheit für gutmenschelnde Gutachter endlich beendet werden; für ihre fatalen Entscheidungen sollten angeblich sachverständige Psychologen zur Rechenschaft gezogen werden.

Herzlichen Dank zunächst für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort; Herr Dr. Martens.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Maßregelvollzug ist ein schwieriges Thema. Dem muss man sich mit der notwendigen Distanz und Sachlichkeit widmen. Manchem in diesem Haus ist das leider nicht möglich.

Herr Bartl, wenn Sie im Hinblick auf den Maßregelvollzug Beispiele wie des jüngst entwichenen Insassen nennen und sagen, dass dieser eigentlich ungefährlich und immer nur drinnen sei, weil er betrunken fahre oder tanke, ohne zu bezahlen, dann muss ich sagen: Wenn man das lange genug macht und therapiert werden muss, dann muss das passieren!

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS)

Dann kann dieser nicht draußen herumfahren. Ich kann dann auch nicht sagen, dass das ungefährlich sei, Herr Bartl. So einfach kann man es sich nicht machen.

(Beifall bei der FDP und der Staatsregierung)

Bei der heutigen Aktuellen Debatte zum Maßregelvollzug kann man sich in der Tat die Frage stellen, ob das der richtige Ort ist, um über dieses Thema zu sprechen. Ich möchte mich aber auf einige Sachen beschränken, und zwar auf das, was aktuell im Maßregelvollzug in Sachsen möglicherweise nicht richtig läuft: die Sicherheit.

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