Protokoll der Sitzung vom 08.06.2007

Im Übrigen wäre es schön, wenn wir von Ihrem Konzept nicht nur in der Plenardebatte hören würden, während wir diesen dünnen Antrag vorliegen haben, sondern der normale Weg wäre, Sie bringen Ihr Konzept in den Koalitionsausschuss ein. Dann können wir in der Öffentlichkeit über die Ergebnisse diskutieren. Die CDU muss dann deutlicher sagen, wo ihr Weg hingeht.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Sebastian Scheel, Linksfraktion.PDS: Da können wir lange warten!)

Bislang, meine Damen und Herren, hat der Arbeitsminister in seinen Antworten und Stellungnahmen zu unseren Anträgen die Vorstöße der Linksfraktion im Wesentlichen mit dem Argument abgewehrt, dass ja nun der Bund Vorschläge für neue, innovative Projekte für Arbeitslose geplant hätte. Ja, da warten wir nun seit zweieinhalb Jahren auf eine Ansage des Bundes wie ein Kleinkind auf das Christkind. Entwickeln Sie, Herr Minister Jurk, doch selbst Initiativen und Ideen!

(Staatsminister Thomas Jurk: Das mache ich!)

Der Bund vertagt und vertagt, etwa auch im aktuellen Bericht der Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“. Ein Programm für bis zu 100 000 Langzeitarbeitslose, diejenigen mit Vermittlungshemmnissen, soll jetzt geplant werden. Da dürfen wir gespannt sein, wie wenige dieser Menschen im Laufe der aktuellen Legislatur überhaupt noch in den Genuss dieser Maßnahmen kommen.

Beim Stichwort „Bürgerarbeit“ heißt es in jenem Bericht: „Es soll geprüft werden.“

Sie sind aus dem Stadium der Vorprüfung seit zweieinhalb Jahren Koalition nicht herausgekommen, und das verbindet Sie, Herr Minister Jurk, mit Ihrem Kollegen Müntefering auf Bundesebene. Sie sind beide Dauerprüfer.

Meine Damen und Herren! Die 220 000 Langzeitarbeitslosen haben mehr verdient als einen Prüfauftrag nach dem anderen. Sie haben es verdient, dass gehandelt wird, und zwar jetzt und in Sachsen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wenn die Koalition nur prüfen will – wir können helfen. Die Linksfraktion und auch die Fraktion GRÜNE haben beide Anträge mit konkreten Vorstellungen vorgelegt. Es wird Sie von der Fraktion GRÜNE nicht verwundern, dass ich für unser Konzept werben werde.

Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg ist ein erster Ansatz. Das anerkennen wir auch. Das haben wir als Linke immer gesagt. Gut, dass dort unter einem CDU-Bürgermeister der Versuch unternommen wurde, mit neuen arbeitsmarktpolitischen Initiativen etwas Wind in die Debatte zu bringen. Ich denke, man kann mehr daraus machen. Man könnte auch mehr aus dem vorhandenen Geld machen, das wir in der Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung haben. Deswegen haben wir auch Kritikpunkte am Konzept der Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg und deswegen eben auch zum Antrag der GRÜNEN. Ich will sie kurz benennen.

Das Erste wäre die Entlohnung. Die Bürgerarbeit von Bad Schmiedeberg wird ja zum Teil mit weniger Geld als für einen Ein-Euro-Jobber bezahlt. Wir haben immer gesagt, Arbeit darf nicht arm machen. Das muss natürlich dann auch für die Bürgerarbeit gelten.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Deswegen lehnt die Linksfraktion Bürgerarbeit zum Billigtarif ab.

Wenn es gelingt, aktive und passive Leistungen miteinander zu kombinieren, wenn der Bund dafür endlich grünes Licht gibt, dann wäre auch genügend Geld vorhanden, um diese Arbeit ausreichend finanzieren zu können. Ich habe ausgerechnet, dass je nach Verhandlungsergebnis mit der Bundesagentur für Arbeit 3 000 Stellen öffentlich geförderte Beschäftigung – nennen Sie es meinetwegen auch Bürgerarbeit mit Mindestlohn – den Freistaat zwischen 7 und 21 Millionen Euro jährlich kosten würde.

(Mario Pecher, SPD: Das ist eine große Spanne!)

Ich habe gesagt, es kommt auf das Verhandlungsergebnis an. Herr Pecher, das ist eine große Spanne. Dass das viel Geld ist, ist auch richtig. Angesichts der Tatsache, dass wir bis 2013 870 Millionen Euro zur Verfügung haben und dass wir allein im letzten Jahr 40 Millionen Euro ESF-Gelder verschenkt haben, wären diese 3 000 Stellen durchaus finanzierbar.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir kritisieren zweitens die Tatsache, dass das Modellprojekt in Bad Schmiedeberg – bzw. sieht es der Antrag der GRÜNEN vor, hier kann ich mit der Kritik des Kollegen Brangs mitgehen – auf Städte und Gemeinden mit hoher Arbeitslosigkeit außerhalb der Ballungsräume beschränkt werden soll. Nun zeigen Sie mir einmal die Städte und Gemeinden in Sachsen, die keine massenhafte hohe Arbeitslosigkeit haben. Die Agentur in Leipzig verzeichnet die höchste Arbeitslosigkeit und nicht die niedrigste. Deswegen können wir die Ballungsräume von diesen Modellprojekten oder besser noch flächendeckenden Projekten nicht ausnehmen.

Ihre Kritik an unserem Antrag, Herr Kollege Brangs, würde ich gern annehmen. Natürlich wären mir auch flächendeckend und dauerhaft angelegte Maßnahmen lieber. Da wir uns aber in der Vergangenheit mit dieser Forderung nicht durchgesetzt haben, ist es gewissermaßen ein Entgegenkommen an die Koalition, dass man vielleicht mit Modellprojekten startet. Wenn Sie diese flächendeckend ausweiten wollen, sind wir natürlich dabei.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Der letzte Kritikpunkt, meine Damen und Herren: Auch ich kann die Beschränkung auf über 55-Jährige und kranke Behinderte nicht nachvollziehen. Alle Bevölkerungsgruppen in Sachsen sind von Langzeitarbeitslosigkeit, ja Massenarbeitslosigkeit betroffen. Deshalb sollten innovative Arbeitsprojekte auch allen Menschen zur Verfügung stehen.

Einschränkungen will die Linke nur bei unter 25-Jährigen. Hier muss Priorität auf Ausbildung und Berufseinstieg gelegt werden. Auch das haben wir bereits in der Vergangenheit bei unseren Initiativen immer gesagt.

Meine Damen und Herren! Ich denke, dass wir mit unserem Antrag – 3 000 Stellen öffentlich geförderte Beschäftigung in Sachsen – einen guten Ansatz haben, sodass wir in Sachsen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren können. Stimmen Sie unserem Antrag zu!

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die Fraktion der GRÜNEN; Frau Abg. Herrmann, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur aktuellen Arbeitsmarktsituation in Sachsen haben meine Vorrednerin und die Vorredner schon gesprochen. Ich möchte jetzt den Blick auf die Betroffenen richten.

Langzeitarbeitslosigkeit macht krank. Zu den Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit gehören unter anderem Depressivität, Ängstlichkeit, Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen und in der Folge vermehrt HerzKreislauf-Erkrankungen usw. Je öfter sich die Menschen umsonst beworben haben, desto mehr sinkt ihr Glaube an sich selbst und an die eigene Kraft, dass sie die Situation verändern könnten.

Die Kontrollen der Sozialbürokratie kennen wir zum Beispiel aus Löbau mit den Zimmern, die verschlossen sind und kontrolliert werden. Derartige Kontrollen, die eigentlich Missbrauch verhindern sollen, verstärken das Gefühl von Ohnmacht und Ungerechtigkeit bei den Einzelnen.

In Bad Schmiedeberg werden die Betroffenen nicht nur als Transferempfänger behandelt, sondern ihre Motivation und ihre Fähigkeiten werden geschätzt. Genau damit wird erreicht, dass ihr Selbstbewusstsein gestärkt wird. Dazu gehört, dass sie durch die Arbeit, die sie leisten und die gebraucht wird, finanziell unabhängig werden. Genauso

unabhängig werden sie von der sozialen Kontrolle über das Einkommen. Durch die Zusammenführung von direkten und indirekten Leistungen der Bundesagentur und der Kommune wird es möglich, das Einkommen als Leistungsentgelt und nicht nur als Sozialtransfer zu empfangen. Darüber hinaus gibt es eine sehr persönliche Betreuungsphase auch über die Zeit der Vermittlung in die Bürgerarbeit hinaus. Das ist der Kern des Modells.

Anliegen unseres Antrages ist, auch in Sachsen solche Modelle zu ermöglichen. Da im Modell „Bad Schmiedeberg“ alle Arbeitslosen angesprochen werden, ist das Ziel der erste Arbeitsmarkt. Immerhin wurden in Bad Schmiedeberg 23 % vermittelt. Circa die Hälfte musste danach noch ergänzend aufstockende Leistungen erhalten.

Im Unterschied zu Sachsen-Anhalt möchten wir uns in unserem Antrag auf Menschen beschränken, die ohne Bürgerarbeit wenig oder gar keine Chancen hätten, überhaupt wieder auf den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Das ist genau der Unterschied zu dem Antrag, den die Linksfraktion vorgelegt hat. Das heißt, wir sprechen Menschen an, die über 55 Jahre alt und schon lange arbeitslos sind, und Menschen, die aufgrund gesundheitlicher Handicaps ebenfalls für den ersten Arbeitsmarkt nicht genügend belastbar sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Alle anderen vergessen wir nicht, sondern für jene sehen wir andere Wege, sie wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Bad Schmiedeberg ist unserer Meinung nach kein Modell für langzeitarbeitslose, junge Menschen. Mit dieser Einschränkung sind die Auswirkungen auf den ersten Arbeitsmarkt geringer, nämlich dass die Gefahr besteht, dass reguläre Arbeitsplätze zugunsten der billigeren Bürgerarbeit abgebaut werden.

In der Stellungnahme der Staatsregierung wird auf das sächsische Modell TAURIS verwiesen; es war vorhin schon im Gespräch. Ein genauer Blick auf die wissenschaftlichen Begleitstudien zu diesem Modell lohnt sich aber. Dem Modell wird tatsächlich bestätigt – wie es auch schon von meinem Kollegen ausgeführt wurde –, dass die Angebote geeignet sind, die psychische Gesundheit zu verbessern und Angst- und Depressionssymptome abzubauen. Das Selbstwertgefühl und damit das Wohlbefinden verbessern sich nach vier Monaten. Allerdings zeigt sich nach zwölf Monaten TAURIS-Tätigkeit, dass sowohl das Wohlbefinden als auch die Fähigkeit, die Situation als zu bewältigende Herausforderung zu sehen, wieder gesunken ist, und zwar unter das Ausgangsniveau. Das heißt, die stabilisierenden Effekte des TAURIS-Projektes sind nur kurzfristig.

(Allgemeine Unruhe im Saal)

Ähnliche Erfahrungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen viele Projekte, die für ein halbes bis maximal ein Jahr Angebote für Langzeitarbeitslose unterbreiten. Die Frustration wächst auf beiden Seiten. Die Langzeitarbeitslosen werden wieder in ihren Hoffnungen

(Glocke der Präsidentin)

auf eine nachhaltige Veränderung ihre Lebensbedingungen enttäuscht. Die Projektanbieter sind enttäuscht, wenn deren Kunden wieder in Resignation zurückfallen, anstatt anschließend ehrenamtlich tätig zu sein. Genau deshalb brauchen wir Angebote mit einer anderen zeitlichen Perspektive. Schnupperzeiten von einem Jahr helfen Langzeitarbeitslosen nicht. In Bad Schmiedeberg wird im Moment diskutiert, das Modellprojekt unbefristet weiterzuführen.

Allerdings sehen wir mit Freude, dass der DGB Sachsen das Modell „Bürgerarbeit“ ebenfalls unterstützt. Auch er sieht in diesem Modell die einzig realistische Alternative zu Dauerarbeitslosigkeit oder kurzatmigen Ein-Euro-Jobs ohne reale Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt. Ebenso teilt der DGB in seiner Position vom 21. Mai die Sorge, dass reguläre Beschäftigung durch Bürgerarbeit ersetzt werden könnte. Deshalb fordert er für Bürgerarbeit eine tarifliche oder ortsübliche Bezahlung bzw. einen gesetzlichen Mindestlohn.

Im Gegensatz zum DGB lehnt die Linksfraktion die Bürgerarbeit nach dem sachsen-anhaltinischen Modell ab. Dem Problem Billigtarife will sie mit 3 000 Stellen aus öffentlich geförderter Beschäftigung mit einem Entgelt von 1 400 Euro begegnen, ohne für das Ganze eine Abgrenzung zu regulären Arbeitsplätzen vorzusehen. Genau diese Abgrenzung wäre wesentlich, um Auswirkungen auf den ersten Arbeitsmarkt gering zu halten. Deshalb kann das vorgeschlagene Modell der Linksfraktion nicht ernsthaft eine linke Alternative sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Sie ist geradezu eine Einladung zum Abbau von Standards. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus Erfahrung wissen wir genau, dass es nicht die eine Lösung für alle Arbeitslosen gibt.

(Caren Lay, Linksfraktion.PDS: Richtig!)

Wir können nicht davon ausgehen, dass die individuellen Fähigkeiten – unabhängig von der konkreten sozialen Lage – einfach abrufbar sind. Selbst bei aktiven Menschen kann es Einstellungshindernisse geben, die sie nicht zu verantworten haben, zum Beispiel das Alter.

Wir brauchen deshalb Lösungen, die flexibel auf die unterschiedlichen Ausgangssituationen zugeschnitten sind. Das Modellprojekt kann eine Möglichkeit sein. Ein Modellprojekt ist auch nicht das Ende, sondern es ist ein Anfang.

(Caren Lay, Linksfraktion.PDS, steht am Mikrofon.)

Man macht genau deshalb Modellprojekte, um die Erfahrungen auf andere Bereiche auszudehnen.

Danke.