Protokoll der Sitzung vom 27.09.2007

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Die Fraktion der GRÜNEN; Frau Herrmann, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Abg. Petzold beweist am heutigen Tag zum wiederholten Mal eine tiefe Ahnungslosigkeit von dem Thema, über das er hier zu sprechen vorgibt, und er ist offenbar darüber hinaus auch nicht in der Lage, sich selbstständig mit einem Thema auseinanderzusetzen. Im Gegenteil, er kommt immer wieder auf braune Vergangenheit zurück, und wir wissen ja, wie in dieser Vergangenheit mit sogenanntem genetisch minderwertigem Material umgegangen wurde.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Abgesehen von diesem Beitrag von Rechts ist es aber durchaus positiv, dass wir uns heute ohne den Druck einer aktuellen Straftat im Nacken über die Qualität der Sozialtherapie unterhalten. Mit diesem Druck steht nämlich die Arbeit der Justiz immer wieder unter dem Generalverdacht, alles falsch zu machen. Wenn wir heute ohne Druck darüber sprechen können, dann finde ich das positiv, und so verstehe ich auch den Berichtsantrag der Koalition. Trotzdem muss ich anmerken: Wir vergeben uns eine wesentliche Chance, wenn wir hier nur über Quantitäten, nur über Zahlen sprechen. Dazu möchte ich zwei Anmerkungen machen:

Erstens. Wir dürfen die Debatte über Sozialtherapie nicht allein auf die Behandlung von Sexualstraftätern verkürzen. Das haben hier nicht sehr viele Abgeordnete getan, es hat in dieser Debatte heute keine große Rolle gespielt. Aber es spielt im Allgemeinen eine große Rolle. Dazu muss man sagen: Auch wenn in den sozialtherapeutischen Einrichtungen die Anzahl der Sexualstraftäter steigt, wie es Frau Schütz richtig angesprochen hat, kann eine andere bedenkliche Entwicklung nicht ignoriert werden. Studien belegen, dass die Zahl der jungen Gefangenen steigt, die eine im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung weit überdurchschnittliche psychische Belastung haben und weit weniger soziale Kompetenzen mitbringen. Das heißt konkret: Wir haben im Vollzug neben sozialpädagogischen und rückfallvermindernden Behandlungen einen zunehmenden Bedarf an psychotherapeutischer, auch an jugendpsychiatrischer Behandlung. Darauf müssen wir reagieren. Dafür ist Sozialtherapie geeignet. Sie ist geeignet, als Vorbereitung und Begleitung von psychotherapeutischen und jugendpsychiatrischen Behandlungen eingesetzt zu werden.

Zweitens. Wir dürfen den Erfolg von Sozialtherapie nicht an formalen Eckdaten festmachen. Aus diesem Grund hat der „Arbeitskreis sozialtherapeutischer Anstalten im Justizvollzug“ schon 1986 inhaltliche Mindestanforderungen entwickelt, die man vielleicht einmal nachlesen sollte. Auf diese Mindestanforderungen werde ich später noch im Zusammenhang mit dem Änderungsantrag zurückkommen.

Entgegen der Antragsbegründung der Koalition sagen die in Ihrem Antrag erfragten Eckdaten nichts oder nur sehr wenig über die Qualität der Arbeit in den sozialtherapeutischen Abteilungen aus. Sie sagen nichts darüber aus, was dort inhaltlich oder organisatorisch geschieht. Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen.

Ein Bestandteil des sogenannten Behandlungsprogramms für Sexualstraftäter ist es, in einem deliktunspezifischen Teil die Ressourcen der Gefangenen und die Fähigkeit, Stress zu bewältigen, Gefühle wahrzunehmen usw., zu stärken. Gibt es in diesem Bereich bei Gefangenen Defizite, so wirken sich diese natürlich auch auf das Klima in den Abteilungen aus, und um dem entgegenzuwirken, müssen alle Mitarbeiter, auch die des allgemeinen Vollzugsdienstes, besonders geschult sein. Der von Ihnen erfragte Personalschlüssel ist deshalb nur dann wirklich

aussagekräftig, wenn – erstens – nach den Fachdiensten und dem allgemeinen Vollzugsdienst unterschieden wird und – zweitens – auch nach Qualifikation, Schulung, Weiterbildung und Supervisionsangeboten gefragt wird.

Ich werde mich später noch beim Änderungsantrag zu unseren Vorstellungen äußern.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wird von den Fraktionen weiter das Wort gewünscht? – Das sieht nicht so aus. Herr Staatsminister Mackenroth, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute einen Antrag mit der bereits abgegebenen Stellungnahme der Staatsregierung, der einen speziellen Aspekt des Kernthemas von Strafvollzug schlechthin betrifft: die Resozialisierung von Straftätern durch einen vernünftigen, individuell angepassten Behandlungsvollzug. Wie Sie wissen, ist dieses Vollzugsziel für mich von ebenso großer Bedeutung wie beispielsweise der Aspekt der Sicherheit. Da in der Stellungnahme meines Hauses zum Antrag der Koalitionsfraktionen zum Thema bereits umfangreiches Zahlenmaterial dargestellt ist, kann ich mich auf einige wesentliche Ausführungen beschränken.

Zuerst: Was ist Sozialtherapie überhaupt? Im Rahmen der Sozialtherapie erhalten besonders gefährliche und damit besonders behandlungsbedürftige Täter eine wissenschaftlich fundierte, personalintensive Betreuung und Behandlung, die speziell auf die Defizite genau dieser Tätergruppe abgestimmt ist und darauf eingeht. Im Vordergrund steht hier die Behandlung von Sexualstraftätern, aber auch von Gefangenen, die andere Gewaltstraftaten begangen haben. Zutreffend ist darauf hingewiesen worden, dass wir die Anwendung von Sozialtherapie in Zukunft aller Voraussicht nach immer mehr auch auf andere Tätergruppen ausdehnen werden. Vorrangig durch eine gezielte, individuelle und auf die Defizite wie Bedürfnisse dieser Tätergruppe abgestimmte Behandlung wollen wir – das ist das Ziel – die Rückfallgefahr senken. Das ist deshalb so wichtig, da gerade bei der Ausgangsgruppe Sexualstraftäter/Gewaltstraftäter ein Rückfall immer auch mit schweren und schwersten körperlichen oder psychischen Schäden beim Opfer verbunden ist. Jeder Rückfall ist einer zu viel.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Torsten Herbst, FDP)

Die Bedeutung dieses Behandlungsansatzes speziell für Sexual- und Gewaltstraftäter hat der Freistaat Sachsen früh erkannt und entsprechend gehandelt. Schon im Jahre 1995 wurde in der JVA Waldheim die erste sozialtherapeutische Abteilung für männliche Strafgefangene im Freistaat eingerichtet. Diese Abteilung wurde in den Folgejahren stetig ausgebaut und erweitert. Sie verfügt nunmehr über 120 Haftplätze. Im Jahre 1999 wurde in der JVA Zeithain eine sozialtherapeutische Abteilung für

männliche Jugendstrafgefangene neu eingerichtet – bundesweit eine der ersten sozialtherapeutischen Einrichtungen im Jugendstrafvollzug überhaupt –, und ich erinnere mich noch genau daran, wie im Herbst 2003 die Bundesjustizministerin Kollegin Zypries sich dies angesehen, all das für gut befunden und sogar Einfluss auf ihren Entwurf des Jugendstrafvollzugsgesetzes nehmen lassen hat. Die in dieser Abteilung derzeit untergebrachten Jugendstrafgefangenen werden mit die ersten sein, die in wenigen Wochen in die neue Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen verlegt werden. Diese Anstalt bietet allen Jugendstrafgefangenen – und damit auch denen der sozialtherapeutischen Abteilung – vorbildliche bauliche Voraussetzungen für einen modernen Vollzug und eröffnet zudem die Möglichkeit, die sozialtherapeutische Abteilung nochmals zu erweitern. Seit 2004 schließlich besteht in der JVA Dresden die Möglichkeit, weibliche Gefangene in einer sozialtherapeutischen Abteilung zu behandeln.

Auf dieses umfassende sozialtherapeutische Behandlungsangebot kann der sächsische Justizvollzug mit gutem Recht stolz sein. Ich möchte nur kurz erwähnen, dass wir im Rahmen der sogenannten Initiative Mitteldeutschland dem Land Sachsen-Anhalt sowie dem Freistaat Thüringen die Möglichkeit bieten – natürlich gegen entsprechende Kostenerstattung –, weibliche Gefangene für die Dauer einer erforderlichen sozialtherapeutischen Behandlung in der JVA Dresden unterzubringen.

Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Debatte. Ich werde die Anregungen, die Sie mir gegeben haben, aufnehmen. Wir sind auch in dem Punkt nicht auseinander, dass hier nicht noch das eine oder andere besser werden kann, wenn Sachsen seine führende Stellung auf diesem Gebiet behalten will.

Herr Abg. Schiemann, Ihre Hinweise darauf, dass Arbeit die Behandlung begleiten muss und dass wir den Gefangenen in gewissen Fällen eine Art soziale Grundausbildung zuteil werden lassen müssen, ihnen also eine Grundstrukturierung geben müssen, sind sicher völlig richtig. Wir werden darauf genauso achten müssen.

Herr Abg. Bräunig, Ihren Hinweis, Sozialtherapie sei kein Luxus, kann ich nur unterstreichen, und Ihre Auffassung, dass der Bedarf steigen wird – schon deshalb, weil wir damit insgesamt gute Erfahrungen machen –, halte ich ebenfalls für richtig.

Herr Bartl hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir uns überlegen müssen, wie wir in der Diagnostik weiterkommen, wie wir erkennen können, welche Gefangenen wirklich eine sozialtherapeutische Behandlung brauchen. Es trifft auch zu, dass wir die Gefangenen nach ihrer Haftentlassung weiter begleiten lassen müssen und dass wir diese Begleitung optimieren müssen. Oftmals ist es so, dass wir die schönste Behandlung anbieten und dass bei der Entlassung die guten Vorsätze verschwinden wie die Federn im Wind.

Nicht richtig finde ich dagegen das, was der Vertreter von Rechtsaußen hier gesagt hat. Es geht nicht um Gefühle oder um einfühlsame Behandlung, die im Rahmen einer

undifferenzierten Gemengelage angeboten wird, sondern es ist harte professionelle Arbeit, die hier geleistet wird.

Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, all den engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im sächsischen Justizvollzug und insbesondere in der Sozialtherapie für ihre aufopferungsvolle Arbeit ausdrücklich zu danken.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP und den GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Baier, fraktionslos)

Auch den ausländischen Inhaftierten schulden wir nach meiner festen Überzeugung ein gutes Angebot an strukturiertem Behandlungsvollzug. Auch bei den Straftätern, denen irgendwann einmal eine Abschiebung droht, werde ich mich nicht davon abhalten lassen, meine Fürsorgepflicht und die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber diesen Menschen so lange wahrzunehmen, wie wir sie bei uns in Gewahrsam haben. Das ist eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Eine Erfolg versprechende sozialtherapeutische Behandlung erfordert qualitativ und quantitativ eine gute Ausstattung mit Personal. Dazu braucht man, wie Sie alle nur zu gut wissen, nicht unerhebliche finanzielle Mittel. Hiervon dürfen wir uns aber nicht abschrecken lassen. Herr Bartl hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das gut angelegtes Geld ist, denn die Erfahrungen zeigen, dass die Sozialtherapie den Straftätern tatsächlich die Chance bietet, den eingeschlagenen Weg nachhaltig zu verlassen und ein Leben ohne Straftaten zu beginnen. Damit helfen wir den Straftätern, die sich in ein rechtschaffenes Leben integrieren können, wir helfen aber vor allem auch potenziellen Opfern.

Der Freistaat wird daher – so hoffe ich – auch zukünftig die Mittel zur Verfügung stellen, die erforderlich sind, um ein adäquates Angebot an sozialtherapeutischer Behandlung sicherzustellen. In diesem Sinne hoffe ich auf die nächsten Haushaltsverhandlungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Das Schlusswort hat die Koalition. Bitte, Herr Abg. Schiemann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ein sehr ernstes Thema, mit dem wir es hier zu tun haben. Dennoch bin ich ebenfalls für diese Debatte sehr dankbar. Es ist richtig, dass wir auch in Zukunft über das Thema Personal nachdenken müssen. Sicherlich kann man mit dem Antrag nicht alle Themen umfassend ansprechen.

Ich danke ebenfalls allen, die in den Haftanstalten dazu beitragen, dass durch diese Arbeit die innere Sicherheit in diesem Land auch in den Haftanstalten gewährleistet wird. Ein herzliches Dankeschön!

(Beifall bei der CDU sowie der Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion, und Enrico Bräunig, SPD)

Es wird ja verkannt, dass viele dazu beitragen, dass den Menschen, die kriminell geworden sind, eine Chance geboten wird, nach Haftverbüßung wieder ein normales Leben in der Gesellschaft zu führen.

Dennoch möchte ich noch einmal auf folgenden Umstand hinweisen: Etwa 60 % aller in der Sozialtherapie Befindlichen sind Sexualstraftäter, haben anderen Menschen entweder sehr viel Leid zugefügt, weil sie die sexuelle Selbstbestimmung dieser Menschen missachtet haben, oder sie haben Menschen bis zum Tod drangsaliert.

Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, diese Therapie zu intensivieren, und dass wir damit die Wiederholungsgefahr entscheidend minimieren. Frau Herrmann, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass wir heute, was das Sexualstrafrecht angeht, nicht zu einem tagesaktuellen Problem diskutieren; denn dann ist es schon zu spät. Wir müssen aber angesichts der Vielzahl der Sexualstraftäter, die es auch in unseren Haftanstalten gibt – wobei deren Zahl bedauerlicherweise zunimmt –, verhindern, dass diese Täter nach Haftverbüßung wieder mit krimineller Energie anderen Menschen Leid zufügen und zu Wiederholungstätern werden.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Geert Mackenroth)

Deshalb sind alle Überlegungen vernünftig, die dazu beitragen, die Zahl der Wiederholungstäter zu reduzieren. Sozialtherapie ist präventiver Opferschutz, Schutz vor möglichen Tätern, und sie ist ein wichtiger Beitrag zur inneren Sicherheit im Freistaat Sachsen.

Der Freistaat machte von der Möglichkeit der Einführung der Sozialtherapie frühzeitig Gebrauch und baute die Kapazitäten aus. Wenn man sich die Realität anschaut, wird man sehen, dass vieles noch besser werden muss. Dieser Frage müssen wir uns stellen. Das ist eine ständige Herausforderung an die Politik. Wir werden uns dieser Frage stellen. Ich gehe davon aus, dass wir auch über das Thema Personal, so wie es Staatsminister Mackenroth hier angesprochen hat, diskutieren müssen. Dort, wo es notwendig ist, müssen wir auch etwas ändern.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen allen für die Diskussion über den Antrag. Ich würde Ihnen vorschlagen, dass der Antrag aufgrund der Stellungnahme der Staatsregierung nach § 37 Abs. 3 der Geschäftsordnung von den Koalitionsfraktionen als erledigt erklärt wird.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD sowie der Abg. Klaus Bartl und Andrea Roth, Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Wir können jetzt zur Abstimmung kommen.

Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion GRÜNE auf.