Protokoll der Sitzung vom 28.09.2007

mitnehmen. Das ändert aber nichts an der traurigen Tatsache, dass arbeitsrechtliche Standards für die Praktika fehlen.

(Beifall der Abg. Regina Schulz, Linksfraktion)

Was hat ein Praktikum zu leisten? Welche Aufgaben dürfen Praktikanten übernehmen und welche nicht? Steht einem Praktikanten eine Vergütung zu und, wenn ja, in welcher Höhe? Welche Rechte und welche Pflichten haben Praktikageber und Praktikanehmer? – Das sind Unklarheiten, die sich bis in die sächsische Staatsverwaltung ziehen. Wie die Stellungnahme zu unserem Antrag und zu dem Antrag der Linksfraktion zeigt, unterliegen Praktika in den Ministerien und Behörden bisher keinen verbindlichen Regelungen.

Auch wenn der eine die „Generation Praktikum“ als aufgeblasenen Medien-Hype abzutun versucht oder wenn der andere das Phänomen mit zurückgehenden Arbeitslosenzahlen als weitgehend erledigt ansieht, kommt man an der Tatsache, dass Praktika für viele –für zu viele – hoch qualifizierte junge Leute den Einstieg in prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse bedeuten, nicht vorbei. An dieser unbefriedigenden Situation wird sich nichts ändern, solange Standards für faire Praktika fehlen. Solche Standards wurden von verschiedenen Seiten entwickelt, insbesondere von der DGB-Jugend. Sie sind in den Kernpunkten auch unumstritten und finden sich in unserem Antrag wieder:

Erstens. Praktika sind keine Arbeitsverhältnisse, sondern Lernverhältnisse. Sie ersetzen folglich keine regulären Stellen, sondern sind zusätzlich einzurichten.

Zweitens. Die Dauer eines Praktikums richtet sich danach, welche spezifischen Fähigkeiten und Kenntnisse erworben werden sollen. Sie sollte deshalb in der Regel vier Monate nicht überschreiten.

Drittens. Praktika sollen nur von Personen in Ausbildung, also meist von Studierenden, absolviert werden. Deutlich abzugrenzen ist dagegen eine andere Situation. Wenn nämlich bereits ein Hochschulabschluss oder ein Berufsabschluss vorliegt, dann geht es nicht um ein Praktikum, sondern um einen qualifizierten Berufseinstieg oder ein Berufstraining, welches entsprechend zu vergüten ist.

(Beifall der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE, sowie der Abg. Regina Schulz und Caren Lay, Linksfraktion)

Viertens. Der den Praktikantinnen und Praktikanten entstehende Aufwand ist zu entschädigen. Wir schlagen

hierfür mindestens 250 Euro monatlich vor, sofern keine tarifvertraglichen Regelungen existieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesen verbindlichen und einheitlichen Standards innerhalb der sächsischen Staatsministerien, der Landesverwaltung und der nachgeordneten Bereiche soll der Freistaat seiner Vorbildfunktion nachkommen und selbst faire Praktika anbieten. Allein dass dies trotz der lange anhaltenden Diskussion zum Thema noch nicht geschehen ist, verwundert schon. Dass die Staatsregierung solche Standards aber grundsätzlich nicht einmal für notwendig hält, wie in ihrer Stellungnahme zum Ausdruck kommt, verwundert nicht nur, sondern das empört. Ich kann die Staatsregierung und die Koalitionsfraktionen hier nur auffordern, die negative Botschaft, die von einer solchen Position der öffentlichen Hand ausgeht, ernst zu nehmen und ihre Haltung zu ändern.

Faire Praktika in der sächsischen Staatsverwaltung können aber nur ein Anfang sein. Anders als die Linksfraktion wollen wir, dass der Freistaat nicht nur im Bereich der eigenen Verwaltung aktiv wird, sondern auch die Instrumente der Förderpolitik nutzt, um Standards für Praktika bei öffentlichen und privaten Einrichtungen durchzusetzen. Damit sollen nicht zuletzt Einrichtungen in freier Trägerschaft – etwa im Kultur- oder im Bildungsbereich – dazu angehalten werden, faire Praktika zum Bestandteil ihrer Arbeitsbedingungen zu machen.

Ich weiß natürlich, dass gerade kulturelle Einrichtungen, wie etwa Museen, allzu oft mit sehr, sehr knappen Mitteln kalkulieren müssen und dass dies häufig zulasten von Stammpersonal und eben auch Praktikantinnen und Praktikanten geht. Das kann und darf aber weder eine Ausrede für Dumpinglöhne hauptberuflicher Mitarbeiter noch für die Ausbeutung von Praktikanten sein. Faire Bedingungen und leistungsgerechte Vergütung der Beschäftigten sind existenzielle Voraussetzungen für anhaltend hohe Qualität gerade in der Kultur- und Bildungsarbeit. Ohne motivierte Beschäftigte in diesen Bereichen ist deren Arbeit nur die Hälfte wert und das muss auch der Freistaat bei den Förderkriterien wie bei der finanziellen Ausstattung der Förderprogramme zur Geschäftsgrundlage machen.

In Bezug auf die Einrichtungen außerhalb der Staatsverwaltung und des Förderbereichs halten wir eine Selbstverpflichtung zur Einrichtung von Praktikaplätzen für das geeignete Instrument. Hier sollte der Freistaat die Rolle des Initiators und des Moderators einnehmen.

Das von uns vorgeschlagene unabhängige Gütesiegel für ein Praktikum soll vor allem dort zu der notwendigen Transparenz beitragen, wo staatliche Regelungen nicht greifen. Mit dem Grad seiner Verbreitung wächst nicht nur die Anzahl fairer Praktika, sondern steigt auch der Druck auf diejenigen, die noch keine Regelung getroffen haben. Ein unabhängiges Gütesiegel könnte einerseits für die Praktikantinnen und Praktikanten ein Anreiz sein, sich gerade um diesen Platz zu bemühen, weil sie dort faire und geregelte Verhältnisse erwarten. Für den Praktikums

geber andererseits ist es ein werbewirksames Aushängeschild.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Praktika müssen auch weiterhin für beide Seiten attraktiv sein. Die Voraussetzungen dafür sind aber faire Bedingungen, wie wir sie im vorliegenden Antrag beschrieben haben. Über die Praktikasituation und die notwendigen Veränderungen haben wir in einer Veranstaltungsreihe mit Studierenden, mit der DGB-Jugend, mit der Praktikantenvereinigung Fair Work diskutiert. Wir haben aber nicht nur geredet, wir haben auch selbst gehandelt. Unsere Fraktion hat in einer Selbstverpflichtung Anfang dieses Jahres Richtlinien für ein faires Praktikum verabschiedet und damit sehr gute Erfahrungen gemacht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Manchmal sind es nicht die großen Worte, sondern die kleinen Zeichen, die aufmerken lassen. Ein solches Zeichen stand vorhin, bevor ich herunterkam, in der Teeküche unserer Fraktion: eine Schale mit Süßigkeiten und daran ein Zettel mit den Worten „Vielen Dank für die schöne und interessante Praktikumszeit.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie, nehmen Sie Ihre Verantwortung gegenüber den Praktikantinnen und Praktikanten in unserem Lande wahr – und das nicht nur wegen eventuell in Aussicht stehender Dankesbeweise, sondern weil diese ein Recht auf faire Bedingungen haben. Verhelfen Sie ihnen zu diesem Recht, tragen Sie dazu bei, eine hohe Qualität für die Praktika zu sichern. Stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Die Linksfraktion. Frau Abg. Lay, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Problematik der „Generation Praktikum“ macht die Runde. Viele junge Menschen scheitern nach ihrer Ausbildung an einem gelungenen Berufseinstieg, an der sogenannten zweiten Schwelle. Ohne sich monatelang in unbezahlten oder schlecht bezahlten Praktika zu verdingen, ist es in vielen Branchen kaum mehr möglich, einen regulären Job zu finden. Das große Problem sind dabei die sogenannten Scheinpraktika. Es gibt Branchen, vor allen Dingen im Bereich der neuen Medien, in denen Praktikanten tatsächlich ausgebeutet werden, anstatt dass neue Stellen eingerichtet werden.

Laut einer Studie des DGB sind 37 % aller Berufsschulabsolventen nach ihrem Studienabschluss erst mal in einem Praktikum und in den letzten zwei Jahren ist die Zahl der Praktika nach dem Hochschulabschluss um mehr als 60 % gestiegen. Das, meine Damen und Herren, können wir uns nicht länger leisten. Wir müssen jungen Menschen eine sichere Perspektive bieten, wir müssen dafür sorgen, dass sie einen guten Berufseinstieg bekommen, dass sie nicht von vornherein im Prekariat landen.

Ein gelungener Berufseinstieg, meine Damen und Herren, ist auch ein wichtiges Instrument, um Abwanderung aus Sachsen nachhaltig zu verhindern. Wir wissen aus der Forschung: So, wie der Berufseinstieg verläuft, so wird es sich im weiteren Berufsleben in aller Regel fortsetzen. Das heißt konkret: Einmal Prekariat – und die Chancen stehen gut, immer im Prekariat zu bleiben.

Deswegen, meine Damen und Herren, braucht es bundesgesetzliche Regelungen, die klarstellen, dass Praktika lediglich zu Ausbildungszwecken dienen und keine regulären Stellen ersetzen dürfen. Praktika sind Lernverhältnisse und keine Arbeitsverhältnisse. Trotz Ankündigung von Arbeitsminister Müntefering warten wir hier auf entsprechende Initiativen der Bundesregierung. Ich freue mich daher, dass sich die betroffenen jungen Leute zur Wehr gesetzt haben. Es gab eine Massenpetition an den Deutschen Bundestag. Über 50 000 Menschen haben die Massenpetition für faire Praktikumsbedingungen unterstützt.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund – so möchte man meinen – hat die Staatsregierung mit ihren Behörden eine Vorbildfunktion; denn solange es keine bundeseinheitlichen Regelungen gibt – was uns das Liebste wäre –, sollten wir in Sachsen mit gutem Beispiel vorangehen – und das natürlich in der Staatsregierung und ihren nachgeordneten Behörden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Sie sollte sich an den von der DGB-Jugend aufgestellten Leitsätzen orientieren. Doch was tut sie? – Meine Kleine Anfrage vor einem Dreivierteljahr hat Folgendes ergeben: Die Staatsregierung zahlt Praktikantinnen und Praktikanten in der Regel keine Vergütung,

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Praktikumsverträge und Praktikumszeugnisse sind kein einheitlicher Standard. Allein im Jahr 2006 gab es 275 Praktika, die länger als drei Monate dauerten, bei denen man also annehmen darf, dass sie den Charakter eines Lernverhältnisses verlassen haben. Es gibt auch eine Reihe von Praktikanten, die trotz abgeschlossener Berufsbildung lediglich als Praktikanten und nicht als Trainee oder als regulär Beschäftigte in der Staatsregierung eingesetzt werden. Das heißt, auch die Staatsregierung verstößt eklatant gegen die Leitlinien, die für faire Praktika gelten sollten. Auch die Linke will, dass in den Behörden des Freistaates Praktikumsverhältnisse eingerichtet werden – selbstverständlich –, aber so, meine Damen und Herren, geht es nicht. Die Linke will einheitliche, hohe Standards für Praktikanten. Stattdessen lesen wir in der Antwort auf meine Kleine Anfrage: „Praktikumsbedingungen werden durch die jeweilige Behörde einzelfallbezogen festgelegt.“ Nein, wir brauchen einheitliche Regelungen!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Bei diesen einheitlichen Regelungen orientieren wir uns am Leitfaden des DGB.

Erstens. Praktikumsplätze sind Lernverhältnisse. Zweitens. Jedem Praktikanten wird eine angemessene Vergütung von mindestens 300 Euro monatlich gewährt. Drittens. Praktika dürfen in der Regel nicht länger als drei Monate laufen. Viertens. Für diejenigen, die schon längst eine Ausbildung beendet haben, müssen Traineeprogramme eingerichtet werden, natürlich mit einer entsprechend anderen Vergütung.

Das, meine Damen und Herren, erwarten wir nicht nur von der Staatsregierung und ihren Behörden. Auch die Linksfraktion hält diese Standards ein. Wir haben Anfang des Jahres einen entsprechenden Beschluss in unserer Fraktion gefasst.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Meine Damen und Herren! Praktika sind eine gute Idee, sie sind ein Schnupperkurs, um Berufsorientierung und erste Einblicke in die Berufswelt zu erlangen. Deswegen begrüßen wir, dass es beim Freistaat Sachsen Praktika gibt. Aber sie müssen fair sein, sie dürfen keine Scheinpraktika sein. Wir wollen, dass hohe Standards für faire Praktika in Sachsen eingehalten werden.

Ich werbe um Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Die CDU-Fraktion bitte. Herr Abg. Patt.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Zum Sendeschluss noch mal ein Höhepunkt!)

Herr Porsch, Ihnen bleibt auch nichts erspart.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einschätzung von Herrn Dr. Gerstenberg, die Empörung, teile ich nicht. Ich teile aber sehr dieses Anliegen, das Sie vorgetragen haben, und mit mir teilen es die Koalitionsfraktionen.

Ich teile die Empörung nicht, weil es einen Unterschied zwischen Handeln und Reden gibt. Dass sich die Staatsregierung kein Siegel für faire Praktika gegeben hat, heißt ja nicht, dass sie unfaire Praktika vergibt. Unsere Staatsregierung geht fair mit Praktikanten um. Wenn man das macht, kann man sich dafür auch ein Siegel geben oder sich den Vorgaben und Richtlinien eines Siegels unterziehen.

Das Ganze ist ein guter Ansatz, den wir begleiten wollen und unterstützen. Das ist für uns ein wichtiges Anliegen. Ich möchte das aber auch auf ältere Menschen ausdehnen. Nicht nur junge, sondern auch ältere Menschen in unserem Lande leben von Praktikum zu Praktikum. Wenn wir an unsägliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und

Ähnliches denken, dann betrifft das nicht nur junge Menschen. Ältere Arbeitnehmer, die sich in andere Berufe eingliedern sollen, denen man Hoffnung macht, dass dort Platz für sie wäre, werden häufig von Praktikum zu Praktikum geschickt. Diese Menschen möchte ich ausdrücklich einbeziehen, wenn wir von fairen Praktika sprechen. Das betrifft sowohl die Bereiche der Staatsverwaltung als auch der freien Wirtschaft.

Der Auftrag zum lebenslangen Lernen, zur Weiterbildung, der jeden Tag an uns ergeht, bedeutet, dass wir uns nicht auf eine einzelne Ausbildung verlassen können, sondern regelmäßig auch in andere Ausbildungen hinübergleiten müssen. Das kann man sehr gut, wenn man sich seiner eigenen Berufsperspektive nicht sicher ist, indem man famuliert, hospitiert, sich selbst ausprobiert.

Es ist auch für die Unternehmer eine wichtige Möglichkeit zu testen, ob derjenige, der sich bewirbt und der mit allen arbeitsrechtlichen Konsequenzen einzustellen ist und ein ordentlicher Mitarbeiter sein soll, auch geeignet ist mit seinen Fähigkeiten, die man sonst nur aus den Bewerbungsmappen kennt.

Ein solches Fairness-Siegel ist ein wichtiger Kompass für Jugendliche oder auch ältere Arbeitnehmer. Der Freistaat Sachsen möchte, wenn wir ihn heute dazu auffordern, damit ein Signal setzen für eigene nachgeordnete Bereiche – ich habe keinen Zweifel, dass es dort schon läuft –, aber auch für die freie Wirtschaft.