Protokoll der Sitzung vom 08.11.2007

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der FDP)

Darüber hinaus ist ebenso unklar, wie eine Integration der verschiedenen Studiengänge und Fachschulausbildungen institutionell gewährleistet werden soll. Aus unserer Sicht soll es eben nicht nur möglich sein, als Erzieherin mit Fachschulausbildung den Zugang zur Hochschule zu erhalten. Es muss ebenso möglich sein, einzelne Module der Studiengänge an verschiedenen Hochschulen zu absolvieren und die Angebote zu kombinieren.

Für diese Anforderungen brauchen Hoch- und Fachschulen eine angemessene Struktur. Wir können uns deshalb vorstellen, die derzeitigen und künftigen Ressourcen in Forschung und Lehre unter dem Dach eines sächsischen Institutes für Frühpädagogik zu versammeln und dort auch zu koordinieren. Darüber, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir jetzt bereits diskutieren. Das ist ungeheuer wichtig. Damit könnten wir auch einige der Kritikpunkte, die hier genannt wurden, aufnehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Heike Werner, Linksfraktion)

Zu den Studienplatzkapazitäten: Mit den geplanten 120 Studienplätzen werden die derzeitigen Kapazitäten vervielfacht. Die Staatsregierung verschweigt an dieser Stelle allerdings, dass die beteiligten Hochschulen die Studiengänge noch mehr erweitern könnten, nämlich auf 200 Studienplätze.

Wir fordern: Stellen Sie sich ehrgeizige Ziele! Wir können und müssen mittelfristig 30 bis 50 % der Erzieherinnen und Erzieher an den Hochschulen ausbilden. Machen Sie die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern zu einem Modell, das diesen Namen und den wissenschaftlichen Anspruch verdient, dann haben Sie auch uns als Partner an Ihrer Seite.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Bitte, Frau Staatsministerin Dr. Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte einmal so einsteigen: Frau Werner, Sie sagten, vor zwei Jahren habe es den ersten Antrag gegeben. Ich habe mich vor zehn Jahren zum ersten Mal mit diesem Thema befasst und möchte damit nur deutlich machen, dass die Diskussion in diesen zehn Jahren – genau diese Zeit ist es, seitdem die Diskussion über die frühkindliche Pädagogik an Dynamik gewonnen hat – mittlerweile parteienübergreifend zu der Erkenntnis geführt hat, dass wir in eine Akademisierung der Erzieherinnenausbildung hineinmüssen.

Als Erstes – dies übrigens auch an die Adresse der NPD – war es nicht PISA, das diese Erkenntnis hat reifen lassen, sondern die Empfehlungen gehen auf den alten Bildungsplan von vor 30 Jahren zurück; und wenn man es aktueller haben will, dann gab es unmittelbar ein Jahr vor der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse die Empfehlungen des „Forums Bildung“ der Bundesregierung, in denen an erster Stelle die Empfehlung stand, den qualitativen und quantitativen Ausbau der Kindertagesstätten voranzutreiben. Damit will ich auch darauf aufmerksam machen, dass eine ursprünglich quantitativ geführte Diskussion in der Bundesrepublik sehr schnell und mit hoher Dynamik insbesondere in den letzten drei Jahren in eine qualitative Diskussion umgeschlagen ist – Gott sei Dank, kann man sagen, zugunsten der Kinder, die in die Kindertagesstätten gehen.

Ich freue mich heute, auch in Anbetracht unserer Koalitionsvereinbarungen und der engen Übereinstimmung der Positionen zwischen den beiden Koalitionspartnern in der Frage der Weiterentwicklung der Kindertagesstätten und der Akademisierung der Erzieherinnenausbildung in Sachsen, dass wir sie sehr schnell vorantreiben können. Ich will nicht wiederholen, was dazu inhaltlich gesagt wurde, da Frau Schöne-Firmenich und Gisela Schwarz im Prinzip das gesamte Konzept vorgestellt haben.

Wir haben ein deutschlandweit einmaliges Aus- und Fortbildungskonzept, das eine Durchlässigkeit von der Fortbildung bis in den Forschungsbereich ermöglicht, und es ist tatsächlich so, dass damit eine „Sackgassenausbildung“ überwunden wird, sodass eine Erzieherin – es sind ja meist Frauen –, die einmal in den Beruf hineingekommen ist, bisher aufgrund ihrer Ausbildung kaum eine Möglichkeit hatte, tatsächlich weiter auf ihrer Karriereleiter aufzusteigen. Diese wird durch die Akademisierung durchbrochen.

(Zustimmung der Abg. Dr. Gisela Schwarz, SPD)

Warum ist diese Akademisierung notwendig? Das ist eine Diskussion, die in den letzten Jahren ins Bewusstsein gerückt ist. Dazu hat sicherlich PISA ein Stück beigetragen. Die Akademisierung ist vor allem deshalb notwendig, weil sich Erkenntnisse im Bereich der Neurowissen

schaften, der Bildungsforschung, der Entwicklungspsychologie, aber auch im Umgang mit Heterogenität von Kindern in dieser Altersgruppe so rasant entwickelt haben, dass sie nicht mehr allein über die Fachschulausbildung umgesetzt werden können.

Nun komme ich zu unserem Ansatz. Wir haben in Sachsen eine 150-jährige gute Tradition in der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern und einer Ausbildung des Lehrkörpers für die Fachschulen; denn diese Ausbildung der Fachschullehrer selbst findet seit dieser Zeit an der Technischen Universität Dresden statt. Das heißt, wir können das, was wir an der Technischen Universität Dresden aufgebaut haben – den Master-Studiengang, der in diesem Jahr zum ersten Mal läuft, und das Zentrum für frühkindliche Pädagogik, das gerade eingeweiht wurde –, unmittelbar in die Ausbildung der Fachschullehrerinnen und -lehrer und damit auch in die Fachschulausbildung transportieren.

Ich warne jedoch vor einem pauschalen internationalen Vergleich unserer Fachschulausbildung in Deutschland, auch hier in Sachsen. Wir haben eine dreijährige duale Fachschulausbildung, die ihresgleichen sucht. Das sagen uns auch unsere italienischen und skandinavischen Kollegen.

(Beifall der Staatsministerin Helma Orosz)

Was wir brauchen – deswegen ist die Akademisierung notwendig –, ist eine enge Verbindung zwischen dem Forschungsansatz auf der einen Seite – deshalb haben wir in Sachsen Wert darauf gelegt, dass wir nicht nur an der Ausbildung arbeiten, sondern auch am Aufbau einer Forschungskapazität – und der Ausbildung der Erzieherinnen, egal, ob an Fachschulen oder in zukünftigen Bachelor- und Masterstudiengängen, auf der anderen Seite.

Die Fortbildung ist bereits auf einem guten Weg und wird, wie hier gerade zum Ausdruck gekommen ist, auch in den nächsten Jahren sowohl für die Fachberater als auch über die Konsultationskindertagesstätten fortgesetzt werden und natürlich für alle Erzieherinnen und Erzieher offen sein. Wir werden an der EHS und an der HTWK auch alle berufsbegleitenden Bachelor-Studiengänge fortsetzen. Die EHS hat dazu vom SMS und vom SMWK gerade eine finanzielle Unterstützung bekommen, um diese berufsbegleitenden Studiengänge fortsetzen zu können.

Ich denke, das ist ein wichtiges Standbein neben der Etablierung von grundständigen Bachelor-Studiengängen, die wir im ersten Schritt als Erweiterung des Studienangebotes an der HTWK, in Zittau-Görlitz und vielleicht auch an der Berufsakademie in Breitenbrunn betrachten, um auch dieses Standbein zu nennen. Deswegen der Verweis auf unseren Hochschulpakt 2020. Auch da wird gemeinsam mit dem Arbeitskreis an der Fortsetzung der dualen Ausbildung gearbeitet.

Ich gehe davon aus, dass sowohl die Universität Dresden als auch unsere Fachhochschulen, die an diesem Prozess beteiligt sind, ihre Mittel des Innovationsfonds, den sie

aufgrund unserer Hochschulvereinbarung haben, auch für den Ausbau dieser innovativen Studiengänge verwenden werden.

(Beifall der Staatsministerin Helma Orosz)

Wir rufen auch nicht gleich nach neuen Mitteln. Das tun auch die Universitäten und Hochschulen nicht, wenn sie im Zuge der Studienreform neue Bachelor- und MasterStudiengänge etablieren, die auf dem Arbeitsmarkt eine gute Chance haben. Das ist ein symptomatischer Effekt, der hierbei eintritt, dass sofort nach zusätzlichen Stellen gerufen wird, übrigens nicht von den Hochschulen, sondern aus der Politik. Die Hochschulen wissen sehr wohl damit umzugehen und werden in diesem Prozess von uns unterstützt. Wenn es im Rahmen der Haushaltsverhandlungen möglich ist, den Hochschulen dafür zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, sind wir dazu gern bereit. Aber ich denke, der Hochschulpakt 2020 gibt die ersten Möglichkeiten dazu.

Gestatten Sie mir noch eine Aussage zu dem Thema, warum wir das Ganze machen, und auch zur Verbindung mit der Grundschullehrerausbildung. Frau SchöneFirmenich hat darauf hingewiesen.

Ich hätte mir gewünscht, dass es in Sachsen möglich ist, in der Konzeption der Lehramtsausbildung diesen Aspekt von vornherein zu berücksichtigen. Das ist nicht mehr so ohne Weiteres möglich. Wir haben uns für ein sächsisches Modell der Lehramtsausbildung entschieden, was auch seine Vorzüge hat. Wir werden aber an der TU Dresden über das Zentrum für Lehrerbildung und über die Professur für Grundschulpädagogik, die eventuell in eine Professur für Grundschulpädagogik und frühkindliche Pädagogik umgeschrieben wird, eine enge Verzahnung zwischen den beiden Ausbildungssträngen herstellen, ohne sie sofort zusammenzuführen. Erforderlich dazu ist eine Diskussion mit der Universität, weil die Universität natürlich auch bereit sein muss, dies perspektivisch mitzutragen. Der Weg dazu ist offen; das Zentrum für

Lehrerbildung ist dazu geeignet, auch die Erkenntnisse der Grundschullehramtsausbildung, der Grundschulpädagogik einzubeziehen.

Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zur Bedeutung der Erzieherinnenausbildung und dazu sagen, warum es mir so wichtig ist, dass wir an diesem einmal eingeschlagenen Weg konsequent weiter arbeiten. Ich habe mich immer darüber geärgert, dass von Anfang an darüber diskutiert wurde, warum man die Erzieherinnenausbildung akademisieren muss. Kein Mensch spricht darüber, warum die Gymnasiallehrerausbildung akademisiert ist. Unsere finnischen Kollegen haben vor einiger Zeit gesagt, dass ein Gymnasiallehrer weniger Schaden anrichten kann als eine Erzieherin.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD, der Linksfraktion, der FDP und den GRÜNEN)

Die ersten sechs Lebensjahre sind nämlich die wichtigsten Bildungsjahre. Das, was eine Erzieherin oder ein Erzieher falsch macht, auch was Eltern in dieser Zeit falsch machen, hinterlässt viel stärkere Spuren, als das bei einem Gymnasiallehrer gegenüber Jugendlichen im Alter von 16, 17 oder 18 Jahren der Fall ist.

(Beifall des Abg. Volker Bandmann, CDU, und der Staatsministerin Helma Orosz)

Deswegen bitte ich, diesen Prozess, den wir eingeleitet haben, tatkräftig zu unterstützen. Die Koalition ist sich hier einig, und ich glaube, wir sind auf einem sehr, sehr guten Weg.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die 1. Aktuelle Debatte, beantragt von den Fraktionen CDU und SPD, zum Thema „Erzieher- und Erzieherinnenausbildung im Freistaat Sachsen“, beendet.

Wir kommen nun zu

2. Aktuelle Debatte

Kinderarmut in Sachsen

Antrag der Linksfraktion

Zunächst hat die Antragstellerin, die Linksfraktion, das Wort. Danach sprechen CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE; Staatsregierung, wenn gewünscht. Das Wort hat Herr Neubert von der Linksfraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kinderarmut existiert in unserer Gesellschaft, und Kinderarmut wächst in erschreckender Weise. Erst gestern hat sich Herr Huber von der evangelischen Kirche zu diesem Thema in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet und Unterstützung für arme Kinder gefordert, ebenso wie in den

Monaten vorher verschiedene Institutionen und Wohlfahrtsorganisationen.

Natürlich ist es eine Binsenweisheit, dass die Armut von Kindern nicht zu trennen ist von der Armut der Familien, in denen sie aufwachsen. So gesehen, gibt es scheinbar keine spezielle Kinderarmut. Die Armut von Kindern ist die Armut ihrer Eltern und umgekehrt. Dennoch ist es notwendig, hier und heute über Kinderarmut zu sprechen.

Fast jedes dritte Kind in Sachsen gilt als arm, und das ist spürbar für die Kinder. Es ist eine reale Lebenserfahrung mit ganz unterschiedlichen Facetten. Es manifestiert sich am fehlenden Taschengeld, am fehlenden Mittagessen, an

schlechter Gesundheit, an schlechteren Bildungschancen usw. usf.

Sehr geehrte Damen und Herren, das spüren Kinder, und deshalb lässt sich Armut auch nicht mit statistischen Spielchen bekämpfen. Die Staatsregierung hat da eine ganz eigene, ich möchte sagen peinliche, problemverdrängende Sichtweise. Da ist per Definition kein Kind arm, außer die Eltern nehmen die ihnen zustehenden staatlichen Mittel nicht in Anspruch. Man ist sprachlos angesichts einer solchen Aussage. Wie weit ist doch die Staatsregierung von der sächsischen Realität entfernt!

Wir alle wissen, dass die Bildungschancen von armen Kindern wesentlich schlechter sind als die anderer Kinder. In Sachsen werden Kinder von arbeitslosen Eltern teilweise gleich aus der Kita ausgeschlossen. Eine Studie über Kinderernährung machte deutlich, dass das ALG II einfach nicht ausreicht, die Kinder ausgewogen zu ernähren. Und selbst beim Discounter ist eine solche ausgewogene Ernährung für dieses Geld eben nicht zu haben. Vorgestern meldete sich der Bundesverband Deutscher Tafeln zu Wort und erklärte, dass 200 000 Kinder in Deutschland das Angebot einer kostenfreien Essenversorgung nutzen.

Sehr geehrte Damen und Herren, das ist die Realität. Da kommen wir auch nicht mit statistischen Spielchen davon. Das könnten Sie sehen und das könnten Sie spüren. Falls Sie so sehr auf Zahlen stehen, hier eine explizit sächsische Zahl: Görlitz ist mit 46 % deutsche Hauptstadt der Kinderarmut. Vor wenigen Tagen hat eine Kinderstudie aufgezeigt, in welch erschreckender Weise bereits acht- bis elfjährige Kinder ihr Abgehängtsein in der Gesellschaft auch ganz subjektiv widerspiegeln. 44 % der Kinder von Arbeitslosen beschrieben die Einkommenssituation ihrer Familie als schlecht oder sehr schlecht.

Vielleicht kann man ja hoffen, dass das Problem wenigstens teilweise auch in der Koalition angekommen ist. Immerhin ließ uns der Fraktionsvorsitzende der SPD im vergangenen Monat wissen, dass die SPD dieses Thema stärker „in den Mittelpunkt rücken“ und Kinderarmut „nicht akzeptieren“ wolle. Klingt ja richtig vielversprechend. Die SPD will auch über anlassbezogene Leistungen für sozial Schwache „nachdenken“ und schließlich über die tatsächliche Lernmittelfreiheit „diskutieren“. Mein Gott, wie kann man bei diesem Thema nur so unverbindlich sein! Sie hätten auch schon eher darüber nachdenken können: bei unserem Antrag zur Einführung einer Kindergrundsicherung, bei unserem Gesetzentwurf zur Abschaffung der Zugangskriterien zu Kitas, bei unserem Vorschlag zur konsequenten Umsetzung der Lernmittelfreiheit oder auch bei unserem Gesetzentwurf zur kostenfreien Mittagsversorgung für arme Kinder.

(Beifall bei der Linksfraktion)