Die Koalition ist dazu bereit, den eingeschlagenen Weg mit Lösungsmaßnahmen weiter zu bestreiten. Ich fordere Sie auf, werte FDP-Fraktion, bevor Sie hier irgendwelche Fakten, die qualitativ nicht hundertprozentig untersetzt
sind, nennen und populistische Reden veranstalten: Bringen Sie endlich sachliche, fachliche Vorschläge und helfen Sie mit, die Basis im Bund möglich zu machen, dass die Gesetze geschaffen werden,
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Strempel, wir hatten das schon bei einer vorangegangenen Aktuellen Debatte, als es um die Kinderärzte ging. Natürlich ist möglicherweise das eine oder andere überzogen, nur sollten wir die Dinge schon zur Kenntnis nehmen, die nicht ganz unproblematisch sind, und dann entsprechende Vorschläge unterbreiten.
Vielleicht sind Sie ja mit mir – und Frau Staatsministerin, vielleicht auch Sie – darin eins, wenn ich sage, die Kriterien für den Grad der ärztlichen Versorgung stimmen schon lange nicht mehr und müssen geändert bzw. den tatsächlichen demografischen und örtlichen Verhältnissen angepasst werden, auch unter Berücksichtigung dessen, dass wir den weichen Faktor Kultur im ländlichen Raum ausgestalten müssen.
Es war vom gefühlten Ärztemangel die Rede. Ich war kürzlich im Leipziger Land. Ältere, chronisch kranke und gehbehinderte Bürger eines Ortes, darunter Rollstuhlfahrer, äußerten sich besorgt. Drei Hausärzte im Wohnort hatten aus Altersgründen ihre Praxis geschlossen, Nachfolger fanden sich nicht. Der nächste Arzt befindet sich im Nachbarort in zwölf Kilometer Entfernung. Dorthin kann man mit öffentlichen Verkehrsmitteln aber nur einmal am Vormittag und einmal am Nachmittag fahren. Die Betroffenen haben weder ein Auto noch einen Führerschein. Rollstuhlabhängige Menschen kommen mit dem Bus nicht mit. Private wie Taxis sehen sich außerstande, die rollstuhlbedürftigen Personen zu transportieren. Dieser Personenkreis beklagt zudem, regelmäßig Schwierigkeiten zu haben, wenn sie bei ihren Krankenkassen um die Übernahme der notwendigen Fahrtkosten bitten. Für diejenigen, die sich nur noch im Elektrorollstuhl fortbewegen können, stellt sich die Situation noch dramatischer dar. Der vorhandene gemeinnützige mobile Behindertendienst eines Trägers der freien Wohlfahrtspflege hat seinen Geschäftsbetrieb eingestellt. Der Kreistag hat die
Förderfähigkeit und die Finanzverwaltung die Gemeinnützigkeit des Unternehmens nicht mehr gesehen, also konnte er sich nicht mehr halten.
Lösungen gibt es keine. Das ist alles in allem ein unbefriedigender Zustand für die Menschen im Ort. Die Stellen, die den Versorgungsauftrag zu realisieren haben, können die Bürger zwar verstehen, aber sie sehen das natürlich nicht so wie die Bürger, auch nicht die Staatsregierung. Eine Unterversorgung wird unter Zugrundlegung der geltenden Kriterien nämlich nicht festgestellt.
Dies ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus der Zulassungsverordnung. In den Bedarfsplanungsrichtlinien Ärzte des gemeinsamen Bundesausschusses wird Unterversorgung wie folgt beschrieben: „Eine Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten liegt vor, wenn in bestimmten Planungsbereichen Vertragsarztsitze, die im Bedarfsplan für eine bedarfsgerechte Versorgung vorgesehen sind, nicht nur vorübergehend nicht besetzt werden können und dadurch eine unzumutbare Erschwernis in der Inanspruchnahme vertragsärztlicher Leistungen eintritt, die auch durch die Ermächtigung von Ärzten und ärztlich geleiteten Einrichtungen nicht behoben werden kann.“ – Alles klar?!
„Die Vermutung einer Unterversorgung liegt vor, wenn der im Bedarfsplan ausgewiesene Bedarf an allgemeinärztlicher Versorgung um mehr als 25 % oder der Bedarf an fachärztlicher Versorgung um mehr als 50 % unterschritten ist. Von einer drohenden Unterversorgung ist auszugehen, wenn eine größere Zahl der in einem Planungsbereich vorhandenen Vertragsärzte überaltert ist und mit ihrem Ausscheiden in absehbarer Zeit gerechnet werden muss.“
Nun wieder zurück zum Leipziger Land. Dort beträgt der Versorgungsgrad der Hausärzte 110,4 % mit Stand vom 21.09.2007. Rechnet man die Ärzte heraus, die 60 Jahre und älter sind, dann liegt der Versorgungsgrad bei 91,2 %. Also danach muss nichts gemacht werden. Das sehen die Bürger, von denen ich eingangs gesprochen habe, aber anders. Für sie besteht ganz klar ein Mangel an Ärzten. Sie erleben ihn, sie fühlen ihn. Wir dürfen darüber nicht hinwegsehen, meine Damen und Herren. Es sind hier viele Beispiele gekommen, wie man es machen kann.
Ich wiederhole es: Der Fehler liegt im System. Die Bedarfsberechnung muss nach anderen Kriterien unter Beachtung der lokalen Besonderheiten erfolgen. Für die Lenkung der Niederlassung der Ärzte sind die staatlichen Stellen verantwortlich zu beteiligen.
Schließlich, meine Damen und Herren, ist auch die Infrastruktur so zu gestalten, dass die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich die Möglichkeit haben, den Arzt aufzusuchen, wenn sie ihn brauchen.
Mit Blick auf die bevorstehende Gebietsreform im Freistaat Sachsen erscheint mir dies zwingender denn je. Hier liegt die Verantwortung übrigens nicht bei den Krankenkassen oder bei der Kassenärztlichen Vereinigung, sondern bei Ihnen, Frau Staatsministerin, bei der Staatsregierung, bei den Kommunen, bei der kommunalen Selbstverwaltung. Also packen wir es doch an, meine Damen und Herren!
Wird von den GRÜNEN noch das Wort gewünscht? – Die FDP? Anderthalb Minuten noch, darauf darf ich hinweisen. – Gut. Dann Frau Staatsministerin, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin zunächst einmal dankbar, dass ich die Gelegenheit habe, die durch die FDP-Fraktion hier vorgetragenen Behauptungen zu korrigieren und nochmals den Versuch zu starten, den einen oder anderen Kollegen aus dieser Fraktion vielleicht doch noch durch Fakten zu überzeugen.
Schenkt man, Herr Zastrow, Ihren Ausführungen Glauben – das Gleiche gilt für Frau Schütz –, bewegen wir uns auf einen medizinischen Abgrund zu.
Da stellt sich, glaube ich, die berechtigte Frage hier in diesem Hohen Hause zum wiederholten Male: Reden wir denn in der Tat noch von demselben Freistaat Sachsen? Reden wir etwa von dem Bundesland, in dem derzeit Spitzenforscher in Dresden ein Krebszentrum planen? Reden wir von dem Bundesland, in dem die Lebenserwartung stetig steigt? Und reden wir von dem Bundesland, das erst kürzlich in einem bundesweiten Krankenhausvergleich allein mit drei Kliniken unter die ersten zehn Plätze kam?
Schlechte Noten für Sachsen – ein tatsächliches Fragezeichen. Herr Zastrow, eigentlich sollten Sie es besser wissen. Ihre Vorwürfe heute beziehen sich vor allen Dingen, wie schon angemerkt, auf eine Studie, die das Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegeben hat.
Grundsätzlich begrüße auch ich Studien; denn sie versprechen neue Erkenntnisse. Aber oft wird dieses Versprechen nicht optimal eingelöst, und so ist es auch in diesem Fall. Ich erspare es mir aber, an dieser Stelle noch einmal auf die Einzelheiten hinzuweisen. Hätten Sie sich einmal das Untersuchungsdesign nur oberflächlich ange
schaut, hätten Sie die Kriterien nur oberflächlich einmal hinterfragt und hätten Sie – wie Frau Strempel vorhin richtig angemerkt – wenigstens einmal die Schlusszusammenfassung gelesen! Ich bin mir sicher, dass auch Ihr Erkenntnisprozess ein anderer wäre als der, den Sie heute hier vorgetragen haben.
Sie haben sich von den Zahlen und Diagrammen, so Sie sie überhaupt gelesen haben – das kann ich eigentlich nicht feststellen –;
aber zumindest haben Sie die Äußerungen der Presse übernommen und sich aus meiner Sicht blenden lassen, statt sich mit den Inhalten dieser Studie tatsächlich auseinanderzusetzen. Es gehört ganz einfach beim Lesen einer Studie dazu, bestimmte Dinge zu hinterfragen.
Warum? Eigentlich hatte ich das bei Ihnen immer so verstanden, dass die Wurzeln Ihrer Partei in Aufklärung liegen, Aufklärung nach dem Motto „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“.
Wir haben berechtigt hinterfragt. Das ist natürlich auch unsere Aufgabe als zuständiges Ministerium. Wir haben uns mit dieser Studie auseinandergesetzt und sind der Auffassung, dass eben – wie schon angekündigt – diese Kriterien nicht für eine differenzierte Binnenbetrachtung der einzelnen Länder geeignet waren, weil der eigentliche Auftrag ja auch hieß „Deutschland im Vergleich mit Europa“.
Es handelt sich in der Tat hier um eine Momentaufnahme einer Situation. Es war zu erkennen, dass die Zahlen weit vor 2007 oder 2006 liegen, teilweise aus 2002 bis 2004 stammen. Auch das muss man noch einmal deutlich sagen.
Ich muss an dieser Stelle bestätigen, dass in der Tat in dieser Studie darauf hingewiesen wird, dass in Sachsen eine geringere Arztdichte als in den anderen Bundesländern aktuell zu verzeichnen ist. Das ist richtig. Aber dass dem so ist, Herr Zastrow, ist in diesem Hohen Haus nichts Neues. Das wussten wir auch vor der Studie. Und wir wussten, dass wir in Sachsen aufgrund der demografischen Entwicklung besonders betroffen sind, auch in der Ärzteschaft, ob im ambulanten Bereich, im stationären Bereich oder im öffentlichen Gesundheitsdienst.
Sie können sich die Protokolle der letzten Diskussionen zu diesem Thema anschauen. Das hat auch keiner von uns anders behauptet. Nur, dass Sie sich hier hinstellen und so tun, als ob wir gemeinsam mit den gesetzlichen Verantwortungsträgern in Sachsen in den letzten vier Jahren nichts getan hätten, das finde ich schon eine Unverschämtheit.
Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, dass in dieser Studie prägnant, aber aus meiner Sicht nicht
korrekt, darauf hingewiesen worden ist, dass die Länder, die in der Finanzierung mehr Geld als Sachsen ausgeben, was den Krankenkassenbereich betrifft, damit im qualitativen Ranking ganz oben stehen. Deswegen möchte ich hier noch einmal deutlich machen: Masse ist in der Tat nicht gleich Klasse. Das gilt auch für diesen Bereich der medizinischen Versorgung.
Eine teure Versorgung ist eben nicht automatisch mit einer guten Versorgung gleichzusetzen. Dies zeigt zum Beispiel auch die Reha-Planung in Sachsen. Dort belegen wir, dass eine bedarfsgerechte effiziente Planung zu einer sehr guten Versorgung geführt hat und auch heute noch nachvollziehbar ist.
Die Folgerungen der Studie sind in weiten Teilen undifferenziert. Darauf habe ich schon hingewiesen. Man hat in der Tat lediglich bei den Hausärzten etwas besser hingeschaut und da auch eine größere Schärfe für Sachsen herausgearbeitet.
Aber eine wahre Grundlage zur aktuellen Beurteilung des Gesundheitssystems – nach Ihren Aussagen auch der Gesundheitspolitik in Sachsen – ist diese Studie nicht. Sie stellt – wie gesagt – die Quantität in den Mittelpunkt, statt die Qualität tatsächlich zu messen bzw. nachzuweisen. Sie ignoriert auch landesspezifische Probleme wie eben den demografischen Wandel oder die Arbeitsmarktsituation.