Protokoll der Sitzung vom 24.01.2008

Ich hatte das Vergnügen, mit Kollegen Piwarz, der auch Mitglied dieses Hohen Hauses ist, dazu im Ortsbeirat Loschwitz zu diskutieren, und er hat – –

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Ist das ein Vergnügen gewesen? – Zuruf des Abg. Lars Rohwer, CDU)

Entschuldigen Sie, Herr Kollege Hahn, ich muss jetzt höflich bleiben. Natürlich war es ein Vergnügen, mit Herrn Piwarz dort zu diskutieren.

(Zuruf des Abg. Lars Rohwer, CDU)

Jedenfalls hat er die von mir dargestellte – –

Herr Rohwer, wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? – Ich lasse sie gern zu.

(Lars Rohwer, CDU: Nein, es reicht mir schon!)

In Ordnung. – Jedenfalls hat uns das veranlasst, hier eine klarstellende Gesetzesregelung vorzunehmen, die eindeutig regelt, dass die Ortschaftsverfassung auch auf das gesamte Gemeindegebiet einer Stadt ausgedehnt werden kann. Wir belassen es aber nicht dabei, sondern nehmen es zum Anlass, weitere Regelungen einzufügen, die geeignet sind, das Zusammenspiel der Ortschaften mit der Gesamtgemeinde zu erleichtern.

Wir machen dazu zwei Vorschläge, die ich Ihnen kurz darstellen möchte:

Die geltende Gemeindeordnung sieht vor, dass die Ortschaften für die Pflege des örtlichen Brauchtums oder bei der Frage, welche Straßen in welcher Reihenfolge zu sanieren sind, für Dorffeste etc. Geld ausgeben können. Dafür können sie im Rahmen der kommunalen Haushaltsdebatte Mittel beantragen. Sie bekommen sie in der Regel in der Haushaltssatzung auch zugewiesen.

Was aber bis jetzt offensichtlich immer noch etwas streitig ist bzw. als ungewöhnlich gilt, ist, ob es zulässig sein kann, dass der Gemeinderat eine Richtlinie festlegt und zum Beispiel sagt: Wir wollen das örtliche Vereinswesen, die örtliche Jugendhilfe in dieser und jener Weise mit dieser und jener Zielrichtung fördern, und ob dann der Ortschaftsrat befugt ist, dies zu tun, was üblicherweise beispielsweise das Jugendamt der Stadt tut. Wir wollen hier klarstellend regeln, dass der Gemeinderat diese Ermächtigung über eine Richtlinie – die er natürlich weiterhin festlegen muss, weil er das Letztentscheidungsrecht hat –, dieses Recht auch dem Ortschaftsrat zuweisen kann.

Unser dritter Vorschlag ist, dass wir dem Ortschaftsrat ein sogenanntes aufschiebendes Veto gegen Beschlüsse des Bürgermeisters und des Gemeinderates zusprechen wollen. Wir haben jetzt bereits das Recht auf Anhörung des Ortschaftsrates im Stadt- und Gemeinderat. Wir wissen aber – das weiß ich aus meiner eigenen Praxis und Erfahrung –, dass dieses Recht mitunter – ich sage ein

mal: zu 60 % – nicht beachtet wird. Wir entscheiden im Stadtrat in Dresden – ich nehme an, in anderen Städten ist es nicht anders – oft, ohne dass die jeweiligen Voten der Ortschaften oder der Stadtbezirke vorliegen. Dies führt bei den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die sich für dieses Ehrenamt zur Verfügung gestellt haben, natürlich dazu, dass sie fragen: Warum sitze ich da und lese die Vorlagen, wenn ich dann doch nicht angehört werde? – Das heißt, wir brauchen eine rechtliche Regelung, die das tatsächliche Stattfinden der Anhörung sicherstellt.

Wir schlagen dazu vor, dass es ein aufschiebendes Veto geben soll, wenn gegen den Willen eines Ortschaftsrates beschlossen wird. Selbstverständlich kann dieses aufschiebende Veto nicht bis in die Unendlichkeit gelten; natürlich muss es zur Wahrung des Selbstentscheidungsrechtes des Bürgermeisters und des Gemeinderates in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen überstimmbar sein. Dies legen wir ausdrücklich fest. Wir schlagen hierzu vor, dass es frühestens drei Wochen nach dem Einlegen des Vetos möglich ist; aber dazu kann man sich möglicherweise in der Diskussion noch andere Fristen überlegen.

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, wirklich unvoreingenommen zu prüfen, ob nicht durch ein sogenanntes kooperatives Modell zwischen der örtlichen und der gesamtstädtischen Ebene eine Entlastung des Bürgermeisters und des Stadtrates stattfinden kann; denn nach meiner Beobachtung ist es durchaus so, dass sich der Stadtrat einer großen Stadt mit Problemen beschäftigt, die ebenso gut auf örtlicher Ebene abschließend entschieden werden könnten. Andererseits beschäftigen sich Stadträte in sehr, sehr kurzen, nicht angemessenen Zeiträumen mit wesentlichen Fragen der Stadt.

Wir erhoffen uns eine bessere Abschichtung der jeweiligen Aufgaben. Deshalb bitte ich um eine offene Diskussion in den Ausschüssen und am Ende um Zustimmung zu unserem Entwurf.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Danke. – Sie verwandten jetzt bei den Ausschüssen den Plural – vorgeschlagen ist der Innenausschuss. – Gibt es dagegen Widerspruch? – Nein. Damit verfahren wir so.

Somit haben wir nunmehr die 1. Lesungen beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 11

City-Tunnel Leipzig – Stolpersteine auf dem Weg bis zur Fertigstellung

Drucksache 4/8042, Große Anfrage der Linksfraktion, und die Antwort der Staatsregierung

Die einbringende Fraktion, die Linksfraktion, beginnt; danach die gewohnte Reihenfolge nach der Fraktionsgröße. – Herr Dr. Külow, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt für die Linksfraktion gute Gründe, heute mit unserer Großen Anfrage zum City-Tunnel Leipzig erneut ausführlich auf das ehrgeizigste und verkehrspolitisch umstrittenste Bauvorhaben in Sachsen einzugehen und vom zuständigen Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit des Freistaates plausible Erklärungen für die neuerliche Kostenexplosion einzufordern. Wir werden uns auch nicht von dem Vorwurf ins Bockshorn jagen lassen – man lese nur den vorliegenden Entschließungsantrag der Koalition –, dass die Debatte im Landtag angeblich zu den unzähligen Versuchen gehört, den City-Tunnel Leipzig zu diskreditieren.

Vor 16 Monaten wollten wir vom Staatsminister Jurk im Landtag wissen, woher Kostensteigerungen von möglicherweise 73 Millionen Euro rühren; und der Minister hatte nichts Besseres zu tun, als unsere Kontrollpflicht der plötzlich aufgetauchten zusätzlichen finanziellen Risiken als Verschlechterung der Verhandlungsposition des Freistaates zu diffamieren und diejenigen, die hart nachfragten, auf das Abstellgleis vermeintlicher – ich zitiere – „Handlanger von Preistreibern“ bugsieren zu wollen und sogar mit dem Staatsanwalt zu jagen. Der Vorwurf war schon damals absurd, doch mehr noch: Das Vorhaben City-Tunnel wird immer abenteuerlicher, ohne dass Licht am Ende der Röhre zu erkennen wäre.

Kurz vor Weihnachten teilte das Jurk-Ministerium kurzerhand mit, nun könnten die Mehrkosten 133 Millionen Euro erreichen. Wenigstens kam diese Nachricht diesmal von den Verantwortlichen selbst, sodass die hanebüchene Behauptung, es würde von der Linken mit vertraulichen Angaben dem Baukonzern in die Hände gespielt, keine Chance auf einen Neuaufguss hatte.

Empörend an den neuerlichen Zusatzkosten ist, dass als Begründung dieselben Gründe genannt werden wie bereits im Sommer 2006: der schwierige Baugrund, notwendige Sicherungsmaßnahmen, geänderte Planung. Damals, vor anderthalb Jahren, wurden uns genau diese Gründe aufgetischt. Wir fragen, was sich seither so gravierend geändert hat, dass nun wieder an den sattsam bekannten Kostenschrauben gedreht wird. Außerdem wollen wir wissen, was es mit dem jahrelang vorgetragenen Argument auf sich hat, dass mit den Konzernen, die den Zuschlag für die drei riesigen Bauabschnitte erhielten, Festpreise bis zur Fertigstellung vereinbart worden seien und die kalkulierten Kosten von insgesamt 572 Millionen Euro – die klingen heute schon fast wie ein Sparmodell – keineswegs überschritten würden.

In damaliger offizieller Lesart hätten die Kosten während der langjährigen Bauzeit durchaus steigen können; doch immer wären es die Baukonzerne gewesen, die sie hätten auffangen müssen, da ja angeblich Festpreise vereinbart waren. Was wir stattdessen erfahren, ist, dass es wohl ein Festpreismärchen, um nicht zu sagen, eine Festpreislüge war, die den Abgeordneten und Wählern – und damit den Steuerzahlern – aufgetischt wurde.

Die Kosten steigen, was bei einem Vorhaben, das drei Jahre dauern sollte und längst mindestens fünf Jahre dauern wird, kein Wunder ist; doch diese gestiegenen Kosten werden durch die Baukonzerne offensichtlich ungeniert bei den öffentlichen Geldgebern abgeladen. Darauf verlangen wir eine Antwort.

Es scheinen hier generell Hase und Igel am Werk zu sein. Nur zur Erinnerung: 572 Millionen Euro sollte der CityTunnel kosten, als das Kernstück des Projektes, die Doppelröhre, vorläufig nur in den Planungsunterlagen stand. 645 Millionen Euro wurden angedroht, als die Tunnelbohrmaschine endlich in Leipzig angekommen war, aber noch keinen Meter gebohrt hatte. 705 Millionen Euro sind es seit Dezember 2007, als die Maschine wenigstens schon einen runden Kilometer Röhre geschafft hatte. Wie soll das weitergehen? Wo soll das hinführen?

Wir sind schon beim nächsten Thema. Mit einem strahlenden Lächeln verkündete die Tunnelpatin, die Ehefrau des sächsischen Ministerpräsidenten, am Beginn der Bohrung am 11. Januar 2007 in der Baugrube unter dem Bayerischen Bahnhof: Das Barbarafest, den Festtag der Bergleute und Mineure, wolle sie mit den Arbeitern Anfang Dezember 2007 am Ende der Röhre, am Hauptbahnhof, feiern. – Niemand widersprach der Patin, da es sich protokollarisch wohl auch nicht gehört. Nun haben wir Ende Januar, doch die Vortriebsmaschine schlummert am Markt. Bis zum Hauptbahnhof ist es noch ein ganzes Stück. Weitere Monate Bauverzug sind seit der Beantwortung der Großen Anfrage im Mai letzten Jahres längst entstanden. Ich verweise diesbezüglich vor allem auf die Antwort zum Punkt 2.9. Grob gerechnet besagte der überarbeitete Bauplan doch immer: 2007 – erste Röhre, 2008 – zweite Röhre, 2009 – technische Ausstattung, 2010 – Abnahme und Probebetrieb, Ende 2011 – Inbetriebnahme, wie die Antwort auf die Frage 4.1 suggeriert.

Wo stehen wir eigentlich jetzt? Wie groß ist die Verzögerung? Und das Wichtigste: Wann soll der City-Tunnel wirklich in Betrieb genommen werden? Wenn es mit den Erläuterungen eng wird, verlegt sich die Staatsregierung ja gern darauf, den Nutzen des City-Tunnel mit dem aufgemöbelten mitteldeutschen S-Bahn-System zu begründen. Wir möchten über den angepeilten Inbetriebnahmetermin hinaus genau wissen, welche geplanten Fahrgastzahlen aktuell sind. Staatsminister Jurk sagte im

September 2006 vor diesem Hause, dass wir davon ausgehen dürfen – ich zitiere –: „..., dass nach Inbetriebnahme aller S-Bahn-Linien der City-Tunnel voll ausgelastet sein wird“. 80 000 Fahrgäste pro Tag auf dem Streckenabschnitt Markt – Hauptbahnhof finden sich in den Planungen.

Ich sage deutlich, warum die Linksfraktion an diesen märchenhaften Zahlen zweifelt: Vor über drei Jahren, als die modernisierte S-Bahn zwischen Leipzig und Halle in Betrieb ging, sagten die Planer voraus, mindestens 20 000 Fahrgäste würden sie pro Tag benutzen. Bis jetzt sind es täglich weniger als 10 000 – und die Bahn spricht von einem Erfolg.

Zurück zur Finanzierung. Nun wissen wir seit der Bruchlandung der Sachsen LB im August 2007 vom Finanzminister, dass der Haushalt des Freistaates den abgepressten sächsischen Bürgschaftsbeitrag leicht hergibt, ohne dass andere Vorhaben mit Kürzungen rechnen müssen. Gilt das auch für die Mehrkosten des City-Tunnels? Können die Kosten weiter steigen und locker vom Landeshaushalt aufgefangen werden? Oder ist eine Konsequenz des Kostendesasters rund um den Tunnel, dass die beiden Röhren irgendwie fertiggestellt werden, dass aber an den viel gerühmten netzergänzenden Maßnahmen gespart wird? An der Verlegung des Haltepunktes LeipzigLeutzsch zum Beispiel an der Herstellung einer wirklich modernen Verknüpfung mit der Straßenbahn? Dank der Umsteigemöglichkeit würde doch wenigstens einmal von den künftigen Nutzern her gedacht. Doch die Zeichen stehen offensichtlich auf Abspeckvarianten und SanktNimmerleins-Tag, worüber in den neuesten Ausgaben der Fachpresse schon trefflich spekuliert wird.

In der Landtagsdebatte um den Antrag der Linksfraktion „Die Verantwortung der Staatsregierung für die explodierenden Kosten beim Citytunnel Leipzig“ stützte sich Minister Jurk im September 2006 auf eine sagenhafte interministerielle Task force, deren Aufgabe es sein sollte – ich zitiere –, „… die Kostenstellen im sächsischen Haushalt für die künftigen Mehrkosten festzustellen“. Die Linksfraktion interessiert brennend, wie intensiv diese Aufklärungseinheit gearbeitet und was sie hervorgebracht hat. Oder war sie weniger Aufklärer, sondern doch nur Nachhut, um die regelmäßig auftauchenden Kostensteigerungen abzusegnen?

Außerdem will die Linksfraktion wissen, wie sich eigentlich die EU als einer der größten Geldgeber des Projekts City-Tunnel Leipzig zu den scheinbar unaufhaltsamen Kostensteigerungen und Terminverzögerungen verhält. Im September 2006 konnte uns Minister Jurk keine befriedigende Antwort auf die Frage geben, ob die Bauzeitverlängerung zu Kollisionen mit den Terminen führt, die für das Abrufen europäischer Fördermittel feststehen. Jetzt wollen wir es genau wissen. Falls sich der Tunnelbau weiter so dahinquält wie bislang, könnte das Ende der EFRE-Förderperiode nahen, und wir buddeln immer noch unter der Leipziger Innenstadt.

Herr Minister Jurk, sagen Sie uns, wie die EU auf die Verzögerung reagiert und ob Fördermittel zu verfallen drohen!

Lassen Sie es mich auf den Punkt bringen. Wirtschaftsminister Schommer wollte aus rein psychologischen Gründen nicht, dass der City-Tunnel mehr als eine Milliarde kostet – D-Mark wohlgemerkt. Müssen wir unter Wirtschaftsminister Jurk vielleicht bald mit einer Milliarde Euro rechnen?

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Mehr wahrscheinlich!)

Oder mehr, Herr Prof. Porsch.

Entweder können bestimmte Verantwortliche, die exakt haushalten und kontrollieren müssen, nicht mit Geld umgehen oder sie werden von den Baukonzernen dreist an der Nase herumgeführt. Weder die eine noch die andere Vorstellung wirkt beruhigend.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass die ganze Wahrheit des City-Tunnels kaschiert wird. Jedenfalls werden die Abgeordneten zum wiederholten Male mit geschönten Angaben abgespeist.

Herr Minister Jurk, es ist an der Zeit, die Karten endlich auf den Tisch zu legen. Nutzen Sie die heutige Debatte dazu.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile der CDUFraktion das Wort. Herr Prof. Bolick, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)