Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwischen meiner Fraktion und der Antragstellerin besteht wohl Einigkeit dahingehend, dass für beide die angesprochenen Urteile des Bundesverfassungsgerichtes jeweils schallende Ohrfeigen für die etablierten politischen Eliten dieser Republik in Gesetzgebung und Exekutive darstellen.
Jetzt bewahrheitet sich, was die Nationaldemokraten schon zur Einführung von Hartz IV in diesem Hause verkündet haben. Durch Hartz IV wird das Sozialstaatsprinzip als ein tragendes Strukturelement unserer Verfassung ausgehebelt.
Dennoch können wir dem hier vorliegenden Antrag der Linken nicht unsere Zustimmung erteilen. Dies liegt zum einen daran, dass wir – wie schon einmal erläutert – die Zuständigkeit für die Betreuung und Vermittlung der
Langzeitarbeitslosen eben nicht bei der Bundesagentur für Arbeit, sondern bei den Kommunen angesiedelt sehen wollen.
Wir Nationaldemokraten sehen ganz klar die erste Verantwortung für die unmittelbaren Lebens- und Daseinszusammenhänge bei den Kommunen, also bei den Landkreisen, Städten und Gemeinden. Wir fordern hierfür gleichzeitig die entsprechende Finanzausstattung seitens des Bundes und der Länder ein.
Einig sind wir uns wiederum darin, dass eine armutsfeste Grundsicherung für Bezieher von Arbeitslosengeld II mit den geltenden Regelsätzen nicht erreicht wird, ganz besonders was die Kindergrundsicherung angeht. Die Forderung der Linken nach einer Anhebung des Eckregelsatzes auf monatlich 500 Euro scheint uns aber zu pauschal, vorschnell und holzschnitzartig. Sie lässt sich auch aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar dieses Jahres gar nicht ableiten.
Wir von der NPD werden uns selbstverständlich nicht dafür hergeben, mit den Linken in einen sozialpopulistischen Überbietungswettbewerb einzutreten nach dem Motto „Wer bietet mehr?“ oder nach dem Gysi-Prinzip „Reichtum für alle“. Denn die sozialverpflichtete und gemeinschaftsbezogene Politik der NPD schließt eine pure Klientelpolitik aus. Sie will alle Angehörigen unseres Volkes in die Solidargemeinschaft einbeziehen.
Das heißt natürlich auch, dass neben den Hartz-IVBeziehern ebenso Geringverdiener wie die täglich hart ums Überleben kämpfenden kleinen und selbstständigen Unternehmen im Fokus unseres Interesses stehen müssen. Deswegen haben wir von der NPD-Fraktion auch vorgeschlagen, dass die Einführung eines Mindestlohnes mit Lohnzuschüssen an kleine und mittelständische Unternehmer einhergeht. Dies ist aber mit den einseitigen Maximalforderungen der Linken haushaltspolitisch nicht machbar.
Somit halten wir auch an dem von der NPD bereits 2006 geforderten branchenunabhängigen Mindeststundenlohn von 8,80 Euro fest. Dieser Betrag orientiert sich an der von der Europäischen Sozialcharta festgelegten Armutsgrenze. Diese liegt demnach bei der Hälfte des durchschnittlichen monatlichen Bruttolohnes. Unter Zugrundelegung einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden ergibt sich ein Stundenlohn von 8,80 Euro.
In einem Interview mit dem Magazin „Spiegel“ spricht sich im Übrigen der Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgesellschaft ver.di, Frank Bsirske, dafür aus, die Mindestlohnforderung der Gewerkschaften von 7,50 Euro auf 8,50 Euro pro Stunde zu erhöhen, weil der durchschnittliche Mindestlohn der westeuropäischen Nachbarn bei etwa 8,40 Euro pro Stunde liegt und diese deswegen auch noch nicht in größere wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind.
Sie sehen also, dass sich wirklich Experten den NPDForderungen zunehmend annähern. Obwohl wir die Kritik
der Linken an der Hartz-IV-Gesetzgebung durchaus teilen – Sie wissen, dass wir völlig ohne ideologische Scheuklappen an alle Themen herangehen –, muss meine Fraktion den vorliegenden Antrag leider aus den genannten Gründen und aus sozialstaatlicher Gesamtverantwortung heraus ablehnen.
Meine Damen und Herren! Die erste Runde der Aussprache ist beendet. Wir kommen zur zweiten Runde. Es liegt eine Wortmeldung der Fraktion DIE LINKE vor. Es spricht Frau Abg. Werner. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich war ziemlich gespannt auf diese Diskussion. Ich wollte gern wissen, wie die Koalition hier reagiert. Es war ja sehr spannend, wie Frau von der Leyen auf das Urteil reagiert hat, die es so dankend angenommen und sich auf die Aufgaben gefreut hat. Ich hätte gern gesehen, dass wir hier im Landtag vielleicht auch so etwas hinbekommen hätten, dass wir gemeinsam sagen: Es gibt dieses Urteil, wie können wir jetzt gemeinsam Lösungen dafür finden? Wie können wir die Bundesregierung beauftragen, entsprechend dem Urteil tätig zu werden?
Herr Jennerjahn, ich kann Ihren Eindruck verstehen. Ich meine das gar nicht böse, wenn ich sage, Sie sind jetzt neu im Landtag. Ich muss sagen, dass wir als Linksfraktion all diese Themen, die Sie auf diesem einen Antrag gefunden haben, in der 4. Legislatur tatsächlich sehr oft diskutiert haben, immer wieder. Es fanden Anhörungen statt. Leider gab es bisher kein Resultat. Wir haben nun das Urteil zum Anlass genommen, hier einmal eine Gesamtheit als Konzept auf die Tagesordnung zu bringen, weil immer angemahnt wurde, man müsste das Ganze im Komplex sehen. Das war sozusagen unser Anliegen. Aber ich kann verstehen, dass man da beim ersten Mal
Das machen wir einmal bilateral. Über die Qualität von Anträgen kann man tatsächlich streiten. Ich denke, dass man das jetzt nicht nur auf DIE LINKE beziehen könnte.
Ich muss sagen, ich hatte eben auch die Erfahrungen ziemlich zermürbender Diskussionen hier im Landtag genau zu diesen Themen, weil immer irgendwie ausgewichen wurde. Wenn man gefordert hatte, dass öffentliche, soziale, kulturelle Bildungsinfrastruktur vorgehalten wird, wurde immer wieder darauf verwiesen, dass der Bund hier aktiv werden müsste. Wenn man gefordert hat, dass Kinder und Jugendliche in ihrem Leben unterstützt werden durch kostenloses Mittagessen, durch Lernmittel usw., wurde wieder darauf verwiesen, dass Eltern mit dem Geld nicht umgehen können. Wenn man gesagt hat, es
muss in Bildung investiert werden, dann werden hier die Mittel für die Elternbildung gestrichen usw.
Ich habe gehofft, dass heute etwas anderes stattfindet. Bisher habe ich das leider noch nicht wahrgenommen. Ich glaube aber, dass das Urteil sehr wichtig ist, weil es uns gezeigt hat, dass ein gesunder Mix notwendig ist. Der Mensch oder die Kinder leben eben nicht vom Brot allein. Aber Schule und Kita machen halt auch nicht satt. Das heißt, Kinder und Jugendliche brauchen für eine gedeihliche Entwicklung beides, und zwar ausreichend.
Man muss sagen – und deshalb finde ich auch die Ausführungen von Herrn Zastrow schwierig –: Der derzeitige Zustand ist eben so, dass für viele Kinder, die in Not sind, das, was angeboten wird, zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Satz auch Empörung auslöst. Aber ich nehme eigentlich nur darauf Bezug, was Frau Staatssekretärin Fischer beschrieben hat. Sie hat gesagt, man könne gewisse bildungsferne Schichten einfach nicht mehr erreichen.
Ich weiß, es ist sehr schwer. Aber ihr Denkergebnis war einfach unverschämt, indem sie gesagt hat, dass es bei der Familienbildung Einschnitte geben müsse, dass der überbordende Sozialstaat Dinge bezahle, die keinen gesellschaftlichen Wert hätten. Das ist, finde ich, sehr gefährlich, denn in letzter Konsequenz wird hier zwischen werten und unwerten Menschengruppen unterschieden. Es werden Menschen, die in Sachsen in sehr schwierigen Lebenssituationen leben, aufgegeben und damit wird die Würde von Menschen verletzt.
Das Urteil hat etwas anderes gesagt. Das Urteil hat darauf Bezug genommen, dass das Sozialstaatsprinzip für jeden Menschen eingehalten werden muss und – das wurde vorhin schon zitiert – dass der Mensch notwendig in sozialen Bezügen existiert. Wenn die Gefahr besteht, dass Menschen aus diesen Bezügen herausrutschen können, ist es unsere verdammte Pflicht, sie wieder teilhaben zu lassen.
Das wurde gestern versäumt, indem man die Jugendpauschale gekürzt hat und indem man bei der Jugendhilfe gekürzt hat. Nun sollen auch bei den Ganztagsangeboten 4 Millionen Euro eingespart werden. Ich denke, das ist das falsche Zeichen.
Ich möchte gern noch mit einer anderen Mär aufräumen. Es wird gesagt, dass es bestimmte Menschengruppen – Kinder, Jugendliche, Eltern – gibt, die kaum noch erreicht werden. Als Gründe dafür wird immer Bildungsferne oder ein sehr niedriger sozialer Status angegeben. Aber es gibt auch Familien, die nach außen ganz „normal“ wirken, in denen aber trotzdem das familiäre Gefüge gestört ist, in denen es Abhängigkeit, psychische und physische Gewalt usw. gibt. Dafür braucht es Räume und Ansprechpartner für Kinder, für Menschen in Not. Diese müssen niedrigschwellig und erreichbar sein. Die gestrigen Entscheidungen haben auch diesbezüglich eine ganze Menge zerstört.
Es müssen aber auch Rahmenbedingungen existieren, damit Menschen in Familien auf Augenhöhe miteinander umgehen können und Perspektiven für ihr Leben entwickeln können, damit sie stark sind. Wir müssen leider feststellen, dass das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft diesbezüglich mehr zerstört als erreicht hat. Etwa 200 000 vormals leistungsberechtigte Personen, insbesondere Frauen, mit erwerbstätigem Partner haben jeglichen Anspruch auf Unterstützung verloren. Durch die stärkere Anrechnung der Partnereinkommen haben insbesondere Frauen über Nacht ihre eigenen erworbenen Versicherungsansprüche verloren. Mit dem Verlust der eigenen Leistungsansprüche geht faktisch auch der Anspruch auf eigene arbeitsmarktpolitische Maßnahmen verloren. Man darf nicht vergessen, dass das Auswirkungen hat. Es hat Langzeitauswirkungen, übrigens auch auf das Sozialsystem, es hat Auswirkungen auf die Erwerbsbiografie, auf die Rente usw. Es steht auch im Widerspruch zu der sogenannten aktivierenden Politik, weil hiermit Menschen „stillgelegt“ werden.
Die drastische Verschärfung der Sanktionsbestimmungen führte auch zu einer Vielzahl von Kürzungen bis hin zum kompletten Leistungsausschluss, insbesondere bei jungen Erwachsenen bis 25 Jahre. Die Mitglieder des Sozialausschusses werden sich erinnern. Wir hatten kürzlich eine Anhörung zur Wohnungslosigkeit in Sachsen, in der insbesondere das Problem junger wohnungsloser Menschen als Resultat der Hartz-IV-Bestimmungen geschildert wurde. Viele Menschen empfanden diese neue Art der Abhängigkeit als Zerstörung von Familie. Lebenspartner sind auseinandergezogen, es kam zu einem Anstieg ungewollter Singlehaushalte. Das innerfamiliäre Klima wurde stark belastet, da Personen, die sich zuvor auf Augenhöhe begegnet waren, sich von nun an in einem Abhängigkeits- und Aushaltungsverhältnis befanden.
DIE LINKE fordert daher, die rechtliche Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft zu überwinden, um die ökonomische Abhängigkeit und Entwürdigung von erwerbslosen Menschen mit geringem Einkommen sowie deren Familienmitgliedern zu überwinden. Das heißt, jeder bedürftige Mensch hat einen eigenen Anspruch. Das orientiert sich am Individualprinzip.
Der größte Skandal – das wurde hier bisher relativ wenig thematisiert – ist aber die Kinderarmut in Deutschland. Ich denke, dass wachsende Kinderarmut das schwerste und nachhaltigste sozialpolitische Problem Deutschlands ist. In Sachsen ist praktisch jedes vierte Kind davon betroffen. Die Ursache liegt unter anderem in einem nicht bedarfsdeckenden Sozialgeld. Das ist übrigens keine neue Erkenntnis, aber politische Veränderungen im politischen Raum wurden seit Jahren verschleppt. Wir haben Anträge zu kostenlosem Mittagessen, zu kostenfreien Lernmitteln usw. gestellt. Es wurde immer abgewiegelt, es wurde auf Gerichte verwiesen. Was mich immer erschüttert hat, war diese Ignoranz bzw. Abgehobenheit, die ich leider in den Diskussionen auch hier erlebt habe.
Man muss aber auch feststellen – ich hoffe Sie schauen sich das tatsächlich genau an –, dass bereits heute Jahrgänge von betroffenen Kindern bestehen, die in ihrer physischen, psychischen und sozialen Entwicklung nachhaltig geschädigt worden sind. Das nimmt zu. Sie kennen die Zahlen und die Geschichten zu verwahrlosten, zu schlecht ernährten, zu bildungsfernen Kindern. Diese sind nach Staatssekretärin Frau Fischer nicht mehr erreichbar. Ich sage, sie sind unbedingt wieder zu erreichen und einzubinden. Das ist der Auftrag, den DIE LINKE sieht.
Es ist ein Skandal, dass erst das Bundesverfassungsgericht entscheiden muss. Bemerkenswert ist aber auch, welche Eile das Gericht anmahnt, weil tatsächlich Rechte von Kindern eklatant verletzt wurden. Sie haben, muss man sagen, seit Jahren vorbeigeschaut bzw. wurden Eltern verunglimpft, sie könnten mit Geld nicht umgehen. Ich meine, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssten all jene, die das Ausreichen des Regelsatzes für Kinder beschworen haben, doch erschrocken sein ob ihrer Fehlleistung der letzten Jahre. Ich habe aber leider kein Wort des Bedauerns, zum Beispiel von Herrn Krauß, gehört.
Ich persönlich – ich denke, auch im Namen meiner Fraktion zu sprechen – danke den Familien, die unerschrocken gekämpft haben, die ihre Rechte bis zum Bundesverfassungsgericht durchgekämpft haben, die geklagt haben, die durch die verschiedenen Instanzen ausgehalten haben. Ich danke auch jenen, die versucht haben, auf anderem Weg die Ungerechtigkeit zu mindern, zum Beispiel über Tafeln – Frau Franke kann da ein Beispiel nennen – und andere Initiativen. Aber das ist natürlich keine Lösung auf Dauer.
Deswegen halte ich auch gar nichts von der sogenannten Gutscheindebatte, denn das wäre wieder eine Unterteilung von Familien in Familien erster und zweiter Klasse, und es ist auch eine Unterstellung. Familien haben das Recht, selbst zu entscheiden. Sie müssen heraus aus der Obhut der Ämter. Herr Zastrow, ich kann es noch einmal sagen: Es gibt Studien – wenn Sie da einmal hineinschauen würden, Frau Jonas kann Ihnen dabei behilflich sein –, die sagen, dass Eltern immer zuallererst bei sich kürzen, damit die Kinder einigermaßen gut leben können.
Aus dem Urteil möchte ich noch einmal hervorheben, dass alle Menschen das Grundrecht auf die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums haben. Besonders bei Kindern wurde dieses eklatant verletzt. Das heißt, die Regelsätze für Kinder müssen neu berechnet werden. Die bestehenden Regelsätze sind mit der Verfassung nicht vereinbar und sie verstoßen gegen die Menschenwürde und gegen das Sozialstaatsgebot. Ein Skandal ist zum
Beispiel, dass ganze Ausgabenblöcke in die Berechnung der Regelsätze gar nicht einbezogen wurden, zum Beispiel die Ausgaben für Bildung. Das ist solch ein Beispiel, Herr Zastrow. Da diese Ausgaben gar nicht einberechnet waren, mussten Eltern immer zuerst bei sich selbst kürzen, um ihren Kindern vielleicht mal den Kinobesuch, einen Tierparkbesuch oder Ähnliches ermöglichen zu können.
Die Aufgabe der Politik ist also, daran zu arbeiten, die Menschenwürde wieder herzustellen. Der Mensch muss nicht nur essen, sich kleiden und wohnen, sondern er muss auch lernen, lesen und leben, also am sozialen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben teilhaben können. Vielen wurde aber die Teilhabe an Bildung und Kultur verwehrt. Wichtig ist sicherlich für uns in Sachsen, dass das Bundesverfassungsgericht auch klargestellt hat, dass der Bund eine Verantwortung hat.
Es besteht schneller Handlungsbedarf. Die Frist für die Anhebung der Regelsätze ist bis Jahresende. Ich glaube, es ist auch gar nicht so schwer. Man kann eine Kommission einrichten, aber man kann sich auch auf Studien berufen. Es gibt zum Beispiel die des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Das wäre vielleicht für die Übergangszeit eine Möglichkeit.
Liebe Abgeordneten! Zum Schluss noch einmal dieser Hinweis. Am Montag gab es eine Demonstration, eine Kundgebung in Leipzig, zu den Kürzungen. Dort habe ich folgendes Zitat auf einem Plakat gesehen: „Nicht unsere Kinder werden immer schlechter, sondern die Welt wird immer schlechter für unsere Kinder“. – Ich denke, das Bundesverfassungsgericht hat uns die Möglichkeit gegeben, die Welt für Kinder tatsächlich wieder besser zu machen. Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, werden wir da ein ganzes Stück weiterkommen.