Protokoll der Sitzung vom 09.07.2014

Das Landeswahlgesetz, das Kommunalwahlgesetz, die Landeswahlordnung: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten dazu schon im letzten Plenum diskutiert. Die gegenwärtigen wahlrechtlichen Vorschriften, die insbesondere Menschen mit Behinderung die Wahlausübung ermöglichen sollen, greifen in Sachsen zu kurz. Die Vorschriften zur Barrierefreiheit der Wahlräume entfalten keine ausreichende Wirkung. Die gegenwärtigen Vorschriften, die zum Beispiel die Unterstützung durch Dritte beim Wahlvorgang vorsehen, sind restriktiv formuliert und berücksichtigen vor allem nicht, dass es über das Nicht-Lesen- bzw. Nicht-Schreiben-Können hinaus auch andere Verständnisprobleme geben kann, die eine weitere Unterstützung an der Wahlurne erforderlich machen.

Zu nennen wären auch noch das PsychKG – darüber werden wir uns morgen umfassend auseinandersetzen – und Vorschriften der Bauordnung. In § 50 sind die Regeln zur Barrierefreiheit festgelegt. Dort wird aber nach wie vor nicht ausreichend geprüft, sodass beispielsweise Anforderungen an Wohngebäude regelmäßig nicht eingehalten werden.

Zum Bauplanungsrecht: In Bauleitplanungen werden die Themen des Umweltschutzes sehr umfänglich behandelt, die Belange der Barrierefreiheit finden dagegen regelmäßig keine bzw. nur wenig Beachtung. Da Bebauungspläne zu vereinfachten Baugenehmigungsregeln führen, ist die Durchsetzung der Bauordnung nicht mehr möglich.

Beim Brandschutz existieren in Sachsen keine vertieften Regelungen zur Evakuierung von Rollstuhlbenutzern. Maßgebend ist allein die Bauordnung. Das führt dazu, dass dieses Thema in Brandschutzkonzepten regelmäßig zu kurz kommt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich könnte hier noch viele andere Gesetze aufführen. Das sind nur einige Beispiele. Um den gesamten gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu ermitteln, soll die Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention ein Gutachten für

Sachsen erstellen. Für diesen Weg hat sich auch das Land Berlin entschieden. Dann würden wir hier Bescheid wissen, an welcher Stelle Regelungsbedarf besteht, und wir könnten uns einen Aktionsplan vornehmen, wie wir diesem Regelungsbedarf nachkommen wollen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Für die CDUFraktion spricht Herr Abg. Krasselt. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns in dieser Legislaturperiode mehrfach mit der UN-Konvention über die Belange von Menschen mit Behinderungen und deren Umsetzung auseinandergesetzt, und ich denke, das war auch gut so.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat am 13. Dezember 2006 sowohl das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen als auch das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen verabschiedet. Am 26. März 2009, 30 Tage nach Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde bei den Vereinten Nationen, ist die UN-Behindertenrechtskonvention als deutsches Recht in Kraft getreten.

Ziel der Konvention ist es, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen von den Menschenrechten Gebrauch machen können. Dieses ausdrücklich erklärte Ziel der Konvention fußt auf der weltweiten Erkenntnis, dass Menschen wegen einer Beeinträchtigung stärker in der Wahrnehmung ihrer Rechte eingeschränkt sein können als Menschen ohne Behinderung.

Dieses Ziel ist ausdrücklich zu begrüßen und verpflichtet natürlich alle Beteiligten zur schrittweisen Verwirklichung der in der Konvention festgelegten Rechte. So verpflichten sich die Vertragsstaaten nach Artikel 4 der Konvention, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderungen zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten unter anderem, alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen, alle geeigneten Maßnahmen – einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen – zur Änderung oder Aufhebung bestehender Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen, den Schutz und die Förderung der Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen in allen politischen Konzepten und allen Programmen zu berücksichtigen, Handlungen oder Praktiken, die mit diesen Übereinkommen unvereinbar sind, zu unterlassen und dafür zu sorgen, dass die staatlichen Behörden in öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit diesem Übereinkommen handeln.

Hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verpflichtet sich jeder Vertragsstaat, unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel – und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit –, Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen, unbeschadet derjenigen Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen, die nach dem Völkerrecht sofort anwendbar sind. Bei der Ausarbeitung der Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten zur Durchführung dieses Übereinkommens und bei anderen Entscheidungsprozessen in Fragen, die Menschen mit Behinderungen betreffen,

führen die Vertragsstaaten mit den Menschen mit Behinderungen – einschließlich Kindern mit Behinderungen – über die sie vertretenden Organisationen enge Konsultationen und beziehen diese selbstverständlich aktiv mit ein.

Meine Damen und Herren, gesetzliche Regelungen, die Menschenrechte betreffen, haben in Deutschland bereits einen sehr hohen Entwicklungsstand erreicht. So hat die deutsche Gesetzgebung bereits vor längerer Zeit einen Paradigmenwechsel vollzogen. Danach werden Menschen mit Behinderungen nicht mehr als Objekte der staatlichen Fürsorge angesehen. In der Gesetzgebung setzt sich die Erkenntnis durch, dass Menschen mit Behinderungen Anspruch auf gleichberechtigte Behandlung durch alle staatlichen Stellen haben, dass sie die gleichen Rechte haben wie Menschen ohne Behinderungen und alle ihre Rechte auch selbst ausüben und einfordern können und sollen. 1994 wurde ins Grundgesetz das ausdrückliche Verbot der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung aufgenommen; auch die Ausgestaltung des SGB IX verdeutlicht diesen Paradigmenwechsel.

Gleichwohl gilt es zu schauen, wie weit mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention die Vorgaben der Konvention über Regelungen der sächsischen Gesetze hinausgehen und Handlungsbedarf besteht. Der vorliegende Antrag sieht dies vor und fordert die Einbeziehung der Monitoring-Stelle hinsichtlich der Überprüfung aller bestehenden landesrechtlichen Normen. Sicher, das ist eine Möglichkeit. Aber was sollte das im Ergebnis bringen? Denn gleichzeitig ließen sich nicht alle möglichen Veränderungen umsetzen.

(Horst Wehner, DIE LINKE: Immer wieder dieselbe Leier!)

Hören Sie doch erst einmal bis zum Ende zu!

(Zuruf von den LINKEN: Wir kennen das Ende schon!)

Dabei geht es insbesondere darum, die vorhandenen Möglichkeiten, die bei uns genutzt werden, weiter auszubauen und umzusetzen. Sie sind aus meiner Sicht in den letzten Jahren sehr positiv umgesetzt worden. Diesbezüglich mögen wir unterschiedlicher Auffassung sein, aber ich denke, das ist das Recht der Opposition: dies immer wieder zu beklagen und zu sagen, was nicht erreicht wurde.

(Zuruf von der SPD: Stimmen Sie jetzt zu?)

Dabei gilt es, dass neue Gesetze und Verordnungen bereits im Stadium ihrer Vorbereitung an den Maßstäben der UN-Behindertenrechtskonvention gemessen werden und dass die Beteiligung der Verbände von Menschen mit Behinderungen sichergestellt wird. Überdies wird der Beauftragte der Staatsregierung für Belange von Menschen mit Behinderungen bei allen Gesetzen, Verordnungen und anderen Vorhaben einbezogen, sofern entsprechende Fragestellungen aufkommen. Diesen Weg halten wir für sinnvoller und werden daher Ihrem Antrag nicht folgen.

(Beifall bei der CDU)

Für die Linksfraktion spricht Herr Abg. Wehner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Krasselt, es überrascht nicht wirklich – auch zum Schluss der 5. Legislatur nicht –: Immer wieder diese Leier. Meine Damen und Herren, die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN bittet die Staatsregierung zu Recht, den gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Freistaat Sachsen zu ermitteln. Als wir, meine Damen und Herren – damit meine ich die Abgeordneten und Mitarbeiter der Fraktionen SPD und DIE LINKE –, Ende 2011 bzw. Anfang 2012 mit der Erarbeitung des Gesetzentwurfs für ein Sächsisches Inklusionsgesetz begannen, stellten wir schnell fest, dass der gesetzliche und untergesetzliche Novellierungsbedarf hinsichtlich der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, also der UN-BRK, sehr hoch ist.

Trotzdem haben wir uns damals entschieden, uns zunächst mit der grundlegenden Überarbeitung des Sächsischen Integrationsgesetzes zu befassen und somit den Rahmen für weitere Rechtsanpassungen zu stecken. Unser Gesetzentwurf hätte als Grundlagengesetz das Sächsische Integrationsgesetz ablösen sollen. Vor allem aber hätte es den Blick auf Menschen mit Behinderungen im Sinne der UN-BRK geändert – wirklich geändert, Herr Krasselt. Ich will das hier nicht weiter ausführen, denn über das Inklusionsgesetz aus Drucksache 5/11841 wurde hier im Hohen Hause an verschiedenen Stellen lange beraten, bevor es schließlich im April dieses Jahres von der Regierungsmehrheit abgelehnt wurde. Die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN beantragt nach unserem Verständnis eine Normenprüfung in Auftrag zu geben, wie sie die Monitoring-Stelle zur UN-BRK, die beim Deutschen Institut für Menschenrechte angesiedelt ist, für das Land Berlin bereits durchgeführt hat.

Die Kurzdarstellung des Ergebnisses ist übrigens auf der Internetseite der Monitoring-Stelle abrufbar. Ich möchte hier nicht weiter darauf eingehen.

Im Zuge unserer Arbeit am Inklusionsgesetz haben wir uns zahlreiche sächsische Fachgesetze angesehen, um die Gesamtdimension des Novellierungsbedarfs zur Rechtsanpassung im Freistaat Sachsen an die UN-BRK zu erfassen. Das will ich Ihnen kurz darlegen.

Zunächst filterten wir alle Fachgesetze heraus, bei denen wir aufgrund unserer fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen Novellierungsbedarf infolge der BRK vermuteten. Aus dem damals aktuellen Fundstellennachweis für Gesetze und Verordnungen ergab sich, dass circa 80 Dokumente von Gesetzesrang infrage kommen. Die haben wir uns angesehen. Im Ergebnis stellten wir fest,

dass bei circa 60, also drei Vierteln davon, mit großer Sicherheit Änderungen vorzunehmen sein werden.

Dabei ist der jeweils erforderliche Änderungsumfang sehr unterschiedlich. Sehr großer Änderungsbedarf besteht – wie Frau Herrmann schon zu Recht ausgeführt hat – bei dem Sächsischen Schulgesetz, der eigentlich eine Neufassung des Gesetzes erfordert. Andere Gesetze wiederum weisen vor allem sprachlichen Änderungsbedarf auf, wobei als diskriminierend aufzufassende und veraltete Begriffe durch diskriminierungsfreie und zeitgemäße zu ersetzen wären. Ein Beispiel ist das Straßenverkehrszuständigkeitsgesetz, in dem von körperlich Behinderten anstelle von Menschen mit Behinderungen die Rede ist. Auch Formulierungen, die auf Fehler der Sinnesorgane und wahrnehmbare Anlagen zu chronischen Krankheiten abstellen, wie sie in mehreren Verordnungen des Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit zu finden sind, sind mit der UN-BRK nicht vereinbar.

Wirklich bedenklich finde ich allerdings, dass sich selbst in Gesetzen, die in diesem Jahr geändert wurden, der Begriff „Gebrechen“ findet. Das steht so im Heilberufekammergesetz, im Sächsischen Wahlgesetz und auch im Kommunalwahlgesetz.

Meine Damen und Herren! Das ist unwürdig im Jahr fünf nach der Ratifizierung der UN-BRK und muss unbedingt und zeitnah geändert werden.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

In diesem Sinne begrüßen wir den Antrag der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, dem wir sehr gern zustimmen werden.

Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, dass ich mich an dieser Stelle persönlich an Frau Kollegin Elke Herrmann wende. Sie wird für eine neue Legislatur des Sächsischen Landtags nicht mehr zur Verfügung stehen. Ich will die Gelegenheit nutzen, um mich auch im Namen meiner Fraktionskollegen sehr herzlich für ihr Engagement – für dein Engagement, liebe Elke – gerade im Bereich der Sicherung der Teilhabe und selbstbestimmten Lebensführung von Menschen mit körperlichen, geistigen, seelischen bzw. Sinnesbeeinträchtigungen im Freistaat Sachsen zu bedanken.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Von Ihnen sind viele Impulse gegeben worden, nicht nur für die parlamentarische Arbeit, sondern auch für die Arbeit in den Selbsthilfegruppen und Behindertenverbänden. Wir stimmten nicht in allen Detailfragen überein. Das ist auch nicht schlimm. Aber in den wesentlichen Positionen, vor allem, wenn es darum ging, die Würde des Menschen zu wahren, gab es Übereinstimmungen.

Vielen Dank, liebe Elke Herrmann. Ich freue mich schon auf weitere Begegnungen in der behindertenpolitischen Arbeit auch außerhalb des Parlaments. Dir persönlich alles Gute und vor allem beste Gesundheit!

Meine Damen und Herren! Stimmen Sie dem Antrag zu!

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Für die SPDFraktion spricht jetzt Frau Dr. Stange; bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die Gebärdensprachübersetzung, damit ich auch zu verstehen bin. Eigentlich ist alles gesagt. Wir sind sehr dankbar für den Antrag der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, der das Thema, mit dem wir uns über die ganzen fünf Jahre immer wieder an den verschiedensten Stellen auseinandergesetzt und bei dem wir Anstöße gegeben haben, zum Ende dieser Legislaturperiode noch einmal so präsent auf die Tagesordnung gesetzt hat. Unter Sozialpädagogen würde man sagen: Dieser Antrag ist ein niedrigschwelliges Angebot, das man annehmen sollte.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Denn es erfordert nichts anderes, als eine Expertise einzuholen, um dann anschließend zu handeln.

Herr Krasselt, wir arbeiten nicht so häufig zusammen, aber Ihre Argumentation konnte ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.

(Einzelbeifall bei der SPD)

Sie tragen uns zunächst fast wortgetreu die UN-Behindertenrechtskonvention vor und sagen anschließend, dass es für uns keinen Handlungsbedarf gibt. Diese Logik erschließt sich nicht nur einem Mathematiker nicht.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)