Protokoll der Sitzung vom 19.05.2010

Ich möchte ausdrücklich begrüßen, dass sich der Freistaat Sachsen den erwähnten Protokollnotizen anschließen wird. Ich freue mich, dass das hier auch so bekannt gegeben wurde.

Ich möchte noch einmal auf einen Aspekt eingehen, der sowohl vom Kollegen Herbst als auch in den Ausführungen des Staatsministers sehr deutlich herausgestellt wurde. Es wurde immer wieder darauf verwiesen, es gehe vor allem um die freiwillige Kennzeichnung von Angeboten, die gefiltert werden können oder gefiltert werden sollten.

Das Problem dabei ist: Wenn man sich ein Stück weit in die technische Struktur des Internets hineinbegibt, dann stehen wir vor dem Problem, dass die Mechanismen, die für eine freiwillige Filterung benötigt werden, im Grunde genommen ähnlich gelagert sind wie für eine netzseitige Filterung.

Ich möchte das noch einmal verdeutlichen. Wie gehen wir denn mit Inhalten von Leuten um, die ihr Angebot nicht mit einer Alterskennzeichnung versehen haben? Werden diese Angebote unter einen Generalverdacht gestellt, werden sie dann pauschal herausgefiltert? Oder wie gehen wir damit um? An dieser Stelle ist also ausdrücklich eine Gefahr für die Freiheit des Internets gegeben.

Stellen Sie sich einfach einmal vor, Sie würden einen Brief schreiben und müssten freiwillig angeben, für welche Altersstufe der geschriebene Brief geeignet ist, und dann kann der Brief entsprechend der Altersstufe erfolgreich zugestellt werden. Wer entscheidet denn dann, wenn Sie darauf verzichten, Ihren Brief mit der Alterskennzeichnung zu versehen, ob er für den Empfänger geeignet ist? Das ist, denke ich, ein geeignetes Bild, um klarzumachen, dass im Internet oft über Regelungen diskutiert wird, die in der analogen Welt zu einem großen Aufschrei der Empörung führen würden.

(Beifall der Abg. Julia Bonk, Linksfraktion, und Johannes Lichdi, GRÜNE)

Herr Beermann, Sie haben ausführlich dargelegt, was im Bereich Medienkompetenz bereits an Schulen geleistet wird. Das hört sich alles auch sehr gut an, aber die Rückmeldungen von den Praktikerinnen und Praktikern, von denjenigen, die die Inhalte umsetzen, den Lehrerinnen und Lehrern, lauten oft anders. Es wird oft eingeschätzt, dass das bestehende Angebot in dieser Hinsicht nicht ausreichend ist.

Insgesamt halte ich es für wichtig, dass wir in der netzpolitischen Debatte nicht wieder in die Diskussion verfallen,

in der der Schutz von Kindern und Jugendlichen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung ausgespielt wird. Lassen Sie uns bitte vielmehr darüber nachdenken, wie ein Jugendmedienschutz gestaltet werden kann, der der technischen und auch der kulturellen Realität des Internets und vor allem auch des Web 2.0 gerecht wird.

Unser Antrag zielt darauf ab, eine solche Fehlentwicklung zu verhindern, die der Freiheit von Information und Kommunikation schadet, aber dem Jugendschutz auch nicht wirklich weiterhilft. Wir wollen auch eine Perspektive auf einen wirksamen internetgerechten Jugendschutz eröffnen. Wir behaupten dabei nicht – das möchte ich unterstreichen –, wir hätten den Stein der Weisen gefunden. Aber ich glaube, es ist unstrittig, dass die Förderung von Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen eine sehr große Rolle spielen muss.

Es erscheint uns als ein unerlässlicher Faktor, bei dieser Aufgabe neue Maßstäbe zu setzen. Das ist auch der Grund, warum wir diesen Punkt im Antrag noch einmal ausführlich formuliert haben. Wir möchten von der Staatsregierung gern als Erstes einen ausführlichen Überblick über den Sachstand haben. Dabei wird man nicht stehen bleiben können, aber bei dem jetzigen Stand der Dinge ist es ein erster Schritt. Weitere werden folgen müssen. Ich habe es in meinem Eingangsstatement schon herausgestellt: Auch der Bundestag hat gerade erst begonnen, sich mittels der Enquete-Kommission zum Thema schlau zu machen.

Auch das möchte ich herausstellen: Wir bleiben nicht bei einer pauschalen Ablehnung des neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrages stehen. Insofern sind wir da deutlich konstruktiver als der schon genannte FDP-Bundesparteitag. Daher wüsste ich auch nicht, warum die Koalitionsfraktionen und insbesondere die FDP Bauchschmerzen mit unserem Antrag haben sollten.

Auch der Antrag der Linken bezieht sich in seiner Ablehnung auf den vorliegenden aktuellen Entwurf des Staatsvertrages. Auch in dieser Ablehnung sind wir uns unter den Vertretern der demokratischen Fraktionen von CDU, FDP, SPD, DIE LINKE und GRÜNE einig. Daher wird dieser Antrag unsere Zustimmung finden. Aber man kann sich damit nur zur aktuellen Fassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages positionieren.

Die Frage ist also: Wie würden wir damit umgehen, wenn es einen neuen Entwurf eines JugendmedienschutzStaatsvertrages geben würde? Dass ein neuer Entwurf kommen wird, erscheint mir relativ gesichert, wenn man sich die aktuellen Debatten der letzten Tage in den einschlägigen Internetforen anschaut. Deshalb haben wir versucht, Kriterien zu formulieren, mittels derer die befürchteten negativen Folgen eines künftigen neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrages ausgeschlossen werden können. Ich denke, das sollte eigentlich im Sinne aller demokratischen Fraktionen sein. Daher bitte ich um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Vielen Dank, Herr Jennerjahn. – Meine Damen und Herren, das Schlusswort hat die Fraktion DIE LINKE, Frau Abg. Bonk.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist interessant zu erfahren, dass die Sächsische Staatsregierung der Protokollnotiz beitreten möchte, aber es ist aus unserer Sicht nicht genug. Deswegen möchte ich noch einmal für unseren Antrag werben, mit dem wir den aktuellen Entwurf aussetzen wollen.

Es bestehen immer noch Fragen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu den mit dem Gesetzentwurf einhergehenden Nebenwirkungen, und unser Antrag entspricht dem Diskussionsbedarf, der in allen Fraktionen zum aktuellen Entwurf noch vorhanden ist. In dieser Debatte ist von Ihnen nichts mehr zu dem Problem der Zeitregelung im Internet gesagt worden, dazu, inwiefern es Sinn macht, Uhrzeiten im aktuellen Entwurf anzugeben. Das deutet für mich darauf hin, dass auch Sie erkannt haben, dass man daran wahrscheinlich nicht festhalten kann.

Zweitens ist zum Problem User Generated Content, Inhalte, Haftung und Kennzeichnung, vielleicht noch nicht allen vollkommen klar, wie das funktioniert. Es ist nicht so, dass die Eltern das Programm herunterladen und dann funktioniert es. Es ist vielmehr so, dass die Verpflichtung bei den Anbietern der Inhalte bleibt. Ich bin darauf eingegangen, dass es gerade für die Anbieter von privaten Websites und Mikromedien aufgrund der Kosten nicht möglich ist, sich von der SFK in diesem Sinne prüfen zu lassen, sondern dass dort noch enormer Diskussionsbedarf vorhanden ist, wie man mit dem Problem User Generated Content und seiner Wandelbarkeit umgeht.

Drittens sind hier von Ihnen keine alternativen Möglichkeiten zum Jugendmedienschutz vorgestellt worden. Ich schließe mich der Auffassung von Kollegen Jennerjahn an, Herr Staatsminister, dass die Maßnahmen, die bisher in den Schulen geleistet werden, noch nicht ausreichend sein können. Sie sind auf Medios eingegangen. Aber wenn wir Computerkabinette haben, die für den Unterricht gar nicht offen zur Verfügung stehen, wenn es nur ein Computerkabinett für die gesamte Schule gibt, wenn

die Medien also nicht in den Unterricht einbezogen werden können oder veraltet sind, dann sind wir auf keinen Fall an der Stelle angekommen, an der man sagen kann, dass es schon genug ist.

Verehrte Kollegen von der SPD, wenn Sie noch Diskussionsbedarf haben, kann ich gar nicht verstehen, warum Sie unserem Antrag nicht zustimmen wollen, der Ihnen gerade die Möglichkeit gibt, noch weiter zu diskutieren.

Kollegen von der FDP, genau um Informations- und Meinungsfreiheit muss es auch weiterhin gehen. Aber es kann nicht nur darum gehen, diese zu nennen, sondern die Strukturen müssen auch so gefasst sein, dass Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit von den neuen Regelungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages nicht beeinträchtigt werden. Diesbezüglich sind Ihre Antworten noch nicht ausreichend gewesen.

Die Einwände und der Diskussionsbedarf, die überall in der Republik bestehen, zeigen uns, dass dieser Entwurf noch nicht abstimmungsfähig ist. Deswegen bitte ich um Ihre Unterstützung dafür, den Ministerpräsidenten aufzufordern, diesen Entwurf am 15. Juni nicht zu unterzeichnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Vielen Dank, Frau Bonk. – Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit der Drucksachennummer 5/2327. Ich bitte um die Dafürstimmen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei zahlreichen Stimmen dafür und wenigen Stimmenthaltungen hat der Antrag nicht die erforderliche Mehrheit gefunden und ist abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über die Drucksache 5/2181, Antrag der Fraktion DIE LINKE. Auch hierzu bitte ich wieder um die Dafürstimmen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Sehr überraschend. Bei Stimmenthaltungen und zahlreichen Stimmen dafür hat der Antrag nicht die erforderliche Mehrheit gefunden, ist abgelehnt und der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Erklärung zu Protokoll

Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit sind eine wesentliche Grundlage der Demokratie. Nur dort, wo ich meine Meinung frei äußern und mich informieren kann, können gesellschaftliche Probleme im Diskurs ausgehandelt werden. Kurzum: Für eine freiheit

lich-demokratische Staatsform ist die Meinungs- und Informationsfreiheit schlechthin konstituierend.

Daher schützt Artikel 5 des Grundgesetzes „das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“

Aber unsere Verfassung sagt auch, dass die Meinungsfreiheit Grenzen hat, wie zum Beispiel der Schutz der persönlichen Ehre. Eine dieser Grenzen ist im Artikel 5 des Grundgesetzes sogar explizit benannt: der Jugendschutz. An erster Stelle steht dabei die Verantwortung der Eltern. Darüber hinaus gibt es aber auch eine Verantwortung derjenigen, die Inhalte zur Verfügung stellen, und es gibt die Verantwortung des Staates, der die Grenzen der Meinungsfreiheit zum Schutz der Kinder definiert. Der Staat legt somit die Regeln fest, nach denen die Ersteller und die Vertreiber von Inhalten handeln müssen. Das ist das Prinzip des Jugendschutzes.

In der analogen Welt können wir uns das gut vorstellen. Wer als Elternteil würde auf die Idee kommen, seinem Vorschulkind zum Einschlafen Charles Bukowski vorzulesen? Keine Bibliothekarin der Welt würde einem Achtjährigen eine Rambo-DVD ausleihen.

Die Grundsatzfrage, die wir uns heute stellen müssen, lautet: Wie kann Artikel 5 des Grundgesetzes einschließlich der dreigeteilten Verantwortung auch in einer digitalen Welt, in der Menschen global miteinander vernetzt sind, durchgesetzt werden? Und wenn ja: Wie definieren wir diese Grenzen? Welche Instrumente sind geeignet und auch praktikabel, um den Interessenausgleich zwischen Jugendschutz und Meinungsfreiheit zu gewährleisten? Das ist auch die Frage, die die GRÜNEN in ihrem Antrag ansprechen.

Mit dem Jugendmedienschutzgesetz von 2002 hat man den Gesetzen der digitalen Welt insofern Rechnung getragen, als man für den Jugendmedienschutz das Prinzip der regulierten Selbstregulierung definierte, eine Lösung, die das Hans-Bredow-Institut in der Evaluation des Gesetzes als praktikabel befunden hat. Die bisher vorliegenden Entwürfe für eine Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages enthalten nun Änderungen, die vielfältige Kritik auf den Plan rufen.

Auf den ersten Blick bieten die bisher vorliegenden Änderungsvorschläge eine gute Diskussionsgrundlage. Die Anbieter von Telemedien sind verpflichtet abzuschätzen, ob und inwieweit ihre Inhalte die Entwicklung von Kindern beeinträchtigen können. Wenn dies der Fall ist, müssen sie technische Schutzmaßnahmen ergreifen.

Dabei gibt es drei Arten von technischen Schutzmaßnahmen: erstens eine zeitliche Begrenzung – das kennen wir alle aus dem Fernsehen, aber auch in Mediatheken wird dieses Instrument genutzt –, zweitens die Altersverifikation. Das bedeutet, dass der Inhalteanbieter den Zugang nur für eine bestimmte Altersgruppe sicherstellt, zum Beispiel Pornoseiten. Die dritte Möglichkeit ist die Alterskennzeichnung. Die Novelle setzt nun stärkere Anreize für die freiwillige Kennzeichnung. Wer kennzeichnet, kommt seiner Verpflichtung des Jugendschutzes bereits nach. Eltern sollen dann die Möglichkeit haben, über Jugendschutzprogramme ihren Kindern nur die Inhalte zugänglich zu machen, die ihrem Alter entsprechen.

Soweit die Theorie. In der Praxis würden diese Änderungen zu vielfältigen Problemen führen. Während 2002 der

Jugendmedienschutz noch auf relativ genau adressierte Akteure im Netz traf, existiert heute eine Vielzahl von Content-Produzenten. Wir haben das Mitmach-Internet – das Web 2.0.

Der Wunsch, über eine freiwillige Kennzeichnung Jugendmedienschutz zu betreiben, mutet an wie eine moderne Form von „Hase und Igel“. Schon die Vielzahl von Webseiten im Netz bildet eine praktische Barriere. Wenn allein die öffentlich-rechtlichen Anstalten fünf Millionen Webseiten kennzeichnen müssten, dann würde das bei 220 Arbeitstagen im Jahr und acht Stunden Arbeitszeit pro Tag für eine Person gut acht Jahre in Anspruch nehmen. Von den Problemen für die Millionen privaten Web-2.0Akteure ganz zu schweigen.

Darüber hinaus stößt die angestrebte nationale Insellösung im Internetzeitalter auf Hindernisse. Ohne Probleme ist es heutzutage möglich, eine Webseite im Ausland zu hosten und trotzdem in Deutschland zugänglich zu machen – dann aber außerhalb des geltenden deutschen Rechts.

Aktuell wird im gesamten politischen Spektrum über die Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages kontrovers diskutiert. Selbst in der CDU gibt es widersprüchliche Aussagen zum derzeitigen Verfahrensstand. Mir liegt ein aktuelles Schreiben der Vorsitzenden der AG Medien der großen Fraktionsvorsitzendenkonferenz der CDU/CSU, Marlies Kohnle-Gros, vom heutigen Tage vor, in dem sie die Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU unter anderem dazu auffordert, „mitzuhelfen, dass es einen neuen Anlauf für eine wirksame gesetzliche Konkretisierung des Jugendmedienschutzes gibt“.

Kurzum: Eine Vereinbarung des bisher vorliegenden Entwurfs des Staatsvertrages durch die Landesparlamente ist mehr als unwahrscheinlich.

Was die vorliegenden Anträge von GRÜNE und DIE LINKE angeht, wäre es sinnvoll, sich mit diesem Thema weiter im Ausschuss zu befassen. Wir müssen klären, welchen Änderungsbedarf Sachsen sieht. Im Plenum geht das aber nur schwerlich. Laut Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages ist die Überweisung dieses Antrages an den Ausschuss nicht mehr möglich.

Auch wenn sich der Sächsische Landtag mit diesen Anträgen heute nicht mehr befassen kann, so wird uns das Thema doch weiter beschäftigen. Wir als SPD-Fraktion hoffen, dass es im weiteren Verlauf der Diskussion Verbesserungen am bisher vorliegenden Entwurf geben wird, und zwar Verbesserungen derart, dass sinnvolle Instrumente Eingang finden, die dem wichtigen Anliegen des Jugendmedienschutzes gerecht werden.

Zu den beiden vorliegenden Anträgen: Da beide neben der begrüßenswerten Intention wichtige Teilbereiche der aktuellen Diskussion ausklammern, wird sich die SPDFraktion bei beiden Anträgen enthalten.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 12

Ablehnung von Finanzhilfen an Griechenland – Euro-Vertragsbruch verhindern