Protokoll der Sitzung vom 20.05.2010

Gern, Herr Lehmann.

Herr Lehmann, bitte schön.

Herr Kollege Weichert, geben Sie mir recht, dass der 1. Oberlausitzer Genussmarkt ein riesengroßer Erfolg war, über den sich die Bürger sehr gefreut haben, alle Gäste des Lobes voll waren und er deswegen in diesem Jahr wiederholt werden soll?

Darin gebe ich Ihnen vollkommen recht. Ich werde in diesem Jahr auch dabei sein. Noch besser wäre es gewesen, wenn sich die Unternehmer darüber gefreut hätten. Dazu möchte ich Ihnen gleich noch kurz etwas vorlesen. Am Schluss kam nämlich das dicke Ende: Die Förderstelle war plötzlich der Meinung, die teilnehmenden landwirtschaftlichen Unternehmen, Herr Lehmann, wären durch die Marketingmaßnahmen, für die die 5 000 Euro Fördersumme bereitgestellt wurden, nun doch indirekt bevorteilt gewesen, und darum sollte jedes Unternehmen eine vierseitige Deminimis-Erklärung ausfüllen, um anschließend 64 Euro Förderung zu erhalten. Sie können sich vorstellen, wie die Unternehmer reagiert haben. Am Ende hat die Stadt

Neusalza-Spremberg auf die Förderung aus diesem Programm für diesen sehr erfolgreichen und gern zu wiederholenden Bauernmarkt verzichtet. Das kann ja wohl nicht Sinn und Zweck dieser Projekte sein.

Herr Staatsminister Kupfer! Wenn es das Ziel der Förderung ist, dass die Antragsteller freiwillig auf das Geld verzichten, können wir eigentlich die Richtlinien vergessen. Es wäre ja gar kein Verlust. Ein Verlust wäre es aber, wenn Akteure wie die Stadt Neusalza-Spremberg demotiviert weitere Projekte bleiben ließen.

Ein Verlust ist ebenfalls, wie der Freistaat mit dem Potenzial der Regionalmanager umgeht. Diese Fachleute wurden beauftragt, sich vor Ort Gedanken über die regionale Entwicklung zu machen. Die Ergebnisse scheinen die Staatsregierung jedoch nicht zu interessieren. Von mehreren Seiten höre ich immer wieder Klagen darüber, dass die Managements von Informationen des Landes abgekoppelt und in die Ausgestaltung der Förderung über das Jahr 2013 hinaus nicht einbezogen sind. Stattdessen veranstaltet der Freistaat Schulungen, auf denen beigebracht wird, wie man richtig Protokolle schreibt. Na, bitte schön!

Also: Hören Sie endlich damit auf, das Potenzial der Regionalmanager zu verschleudern und sie zu Fördermittelverwaltern zu degradieren! Binden Sie die Akteure in die Strategieentwicklung für den ländlichen Raum ein und nutzen Sie deren Wissen und Ideen für Sachsen!

Oder haben Sie vielleicht überhaupt keine Strategie? Dieser Eindruck könnte entstehen, schaut man sich alle Maßnahmen der Staatsregierung an, die sie uns als Förderung der ländlichen Entwicklung verkaufen will. Da werden Programmdörfer gefördert, ohne dass dies mit dem ILEK abgestimmt wird. Vereine bekommen Demografieprojekte gefördert, mit denen sie am Regionalmanagement – und damit am ILEK – vorbei arbeiten. Das geht sogar bis zur Entwicklung touristischer Angebote, was eigentlich eine Aufgabe der regionalen Tourismusverbände sein sollte.

Sehr geehrter Herr Staatsminister! Können wir uns diese Form planloser Förderung von Doppelstrukturen bei der derzeitigen Kassenlage leisten? Ich glaube nicht. Darum sollten Sie Ihre Hausaufgaben machen und nach dem heutigen Jubel über Ihre Erfolge wieder mit der Arbeit beginnen. Dabei können Sie auf meterhohe Papierstapel zurückgreifen, die im Auftrag der Staatsregierung in den vergangenen Jahren zum Thema Ländlicher Raum produziert wurden. Zu fast jedem Problem gibt es Analysen, Zielvorgaben und Handlungsempfehlungen. Es wäre interessant, einmal zu errechnen, wie viel Geld das gesammelte Wissen den sächsischen Steuerzahler bisher gekostet hat. Doch was nützen all die guten Vorschläge, wenn Sie mit Ihrer Politik dann doch etwas ganz anderes machen?

Meine Damen und Herren! Nehmen wir den demografischen Wandel, dessen Folgen besonders den ländlichen Raum treffen und der die Entwicklung dort ganz entscheidend beeinflusst. In ihrem Handlungskonzept vom

27. April 2010 fasst die Staatskanzlei zusammen, wie die Regierung den demografischen Wandel gestalten möchte. Was darin steht, ist konsensfähig – ich zitiere –: „... Bildungsqualität, weil gut gebildete, sozial und interkulturell kompetente Fachkräfte in Zukunft verstärkt gesucht werden und Wissen sowie lebenslanges Lernen wichtige Grundlagen für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit einer Gesellschaft sind.“ Ich könnte noch viele weitere Stellen zitieren, an denen die richtigen Schwerpunkte, Ziele und Leitsätze aufgeschrieben wurden.

Schaue ich mir nun die reale Politik der Staatsregierung an, kann ich kaum glauben, dass sie den Inhalt der eigenen Papiere kennt. Wie sonst kann Ministerpräsident Tillich denen das Wort reden, die eine Senkung der Bildungsausgaben im Visier haben, und wie kann die Mehrheit der CDU-Fraktion dazu Beifall klatschen? „Mehr Geld macht nicht automatisch klüger“ – ich glaube, das wird das Zitat des Monats –, damit haben Sie recht, Herr Ministerpräsident. Aber weniger Geld im Bildungssystem macht automatisch dümmer;

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

denn die Folgen sind Lehrermangel, Schulschließungen und die Streichung weiterer Bildungsangebote. Schöne Grüße von Herrn Wöller nach Arzberg!

Wenn Sie sich hier hinstellen, Herr Staatsminister, und sich zu einer gesicherten Daseinsvorsorge auch auf dem Land bekennen und das auch –

Herr Weichert, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

– angesichts der demografischen Entwicklung weiter finanzieren und erhalten wollen, dann reicht eben ein Demografiecheck bei den Bewilligungsbehörden nicht aus. Es gehört auch mehr Ehrlichkeit in die Debatte, und wir müssen mit den Menschen über Rückbau, Dezentralisierung oder neue Mobilität sprechen.

Meine Damen und Herren! Dafür haben wir in Sachsen wirklich noch jede Menge Potenzial, das gehoben werden könnte. Also: konzeptionsloses „Weiter so!“ weg! Packen wir es an, aber bitte nicht als Spiel – auch nicht als unser Spiel, Herr Staatsminister –, sondern als eine ernsthafte Aufgabe, die wir gemeinsam mit Tatkraft und Nachhaltigkeit angehen müssen und auch wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Einen kleinen Moment, Herr Dr. Müller, es gibt jetzt sicherlich eine Kurzintervention. – Bitte schön.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition! Lieber Herr Weichert! Als Vorsitzender des Koordinierungskreises Dresdner Heidebogen möchte ich einmal ganz kurz das Wort ergreifen, um einige falsche Darstellungen richtigzustellen.

Punkt 1. Es ist mitnichten so, dass wir nur durchwinken. Wir haben dort längere Sitzungen – die nächste findet übrigens am Donnerstag nächster Woche wieder in Königsbrück statt –, und es wird ganz genau geprüft und nachgeschaut, ob die Punkte, die dort angesprochen bzw. eingebracht werden, auch wirklich genehmigungsfähig sind. So haben wir auch mehrere Punkte zurückverwiesen, die zur weiteren Bearbeitung wieder vorgelegt werden müssen.

Punkt 2 ist mir sehr wichtig. Natürlich gibt es auch Antragsteller aus der Ernährungswirtschaft. In der letzten Sitzung haben wir beispielsweise einem Bäckermeister einen Anbau für seinen Hinterhof genehmigt. Er kann ein größeres Backhaus bauen. Weiterhin haben wir in Königsbrück einen Speiseeishersteller, der weit über die Grenzen hinaus bekannt ist, der ebenfalls neue Maschinen anschaffen kann – nur über diese Förderung.

Als 3. Punkt muss ich sagen: Die Schulung im Protokollschreiben kann man sicher auch ambivalent sehen. Wir machen in unserem Koordinierungskreis eine Schulung für Vereine, die lernen, wie man mit Bürokratie umgeht, um keine Formfehler zu begehen. Diese Schulungen werden sehr gut angenommen, und ich kann immer nur unterstreichen, sehr geehrter Herr Staatsminister: Das Programm ist richtig, und es ist gut. Dass Sie dafür mehr Geld ausgeben, findet meine vollste Unterstützung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Weichert, möchten Sie auf die Kurzintervention antworten? – Das ist nicht der Fall. Damit erteile ich Herrn Dr. Müller von der NPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Fachregierungserklärung ist insofern interessant, als in dieser Legislaturperiode möglicherweise auch eine Aktualisierung des Landesentwicklungsplanes und eine Gemeindegebietsreform erfolgen sollen, und es ist somit zu begrüßen, wenn Themenbereiche aus diesem Gesamtkomplex, wie die Integrierte Ländliche Entwicklung, frühzeitig debattiert werden.

(Allgemeine Unruhe im Saal)

Ich möchte das ILE-Programm nicht schlechtreden, und das Engagement der Akteure vor Ort verdient auch den Dank der NPD-Fraktion. Aber der Staatsminister bot uns eine geschönte Halbzeitbewertung des Integrierten Ländlichen Entwicklungskonzeptes an, wenngleich die Entwicklungsrealität im ländlichen Raum den entschiedenen Widerspruch meiner NPD-Fraktion hervorruft.

Herr Staatsminister, Sie überschreiben Ihre Rede mit dem Arbeitstitel „Bürger entwickeln ihre Region“, obgleich doch seit Langem die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass diese vielmehr seit zwei Jahrzehnten in zunehmendem Maße ihre Region verlassen müssen – oder vielleicht auch sollen, wie es einmal der Ex-Ministerpräsident

Milbradt für die Ausbildungsplätze suchende Jugend sagte; und somit entwickeln diese ihre Region eben nicht mehr. Weil man sie, die Bürger, dies eben nicht selbstbestimmt tun ließ, sondern auf Leuchttürme setzte, haben wir jetzt diese Entwicklung.

Ich habe heute Morgen extra einmal die Zahlen für meinen Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge aus dem Bericht des Statistischen Landesamtes herausgesucht. Wir haben zwischen dem 31.12.2008 und dem 30.09.2009, also in neun Monaten, im ländlichen Raum eine durchschnittliche Bevölkerungsschrumpfung von 1 bis 2 %. Ich finde das katastrophal.

(Beifall bei der NPD)

Die Entwicklung der ländlichen Regionen in Sachsen war und ist seit der Wende maßgeblich mit von Rahmenbedingungen geprägt, die extern, außerhalb der klassischen Landes- und Kommunalpolitik, zu suchen sind. Diese Rahmenbedingungen wären Globalisierung, ungesteuerter Freihandel, Kapitalverkehrsfreiheit und die EU-Strukturpolitik; und dazu wurden die Bürger bezüglich der Auswirkungen auf ihre Heimatregion niemals befragt.

Es mag vielleicht sein, dass die Staatsregierung jetzt, da sie – zumindest finanziell – nicht mehr weiter weiß, wünscht, die Bürger mögen den Scherbenhaufen selbst beiseite kehren. Doch dies, meine Damen und Herren, hat nichts damit zu tun, die eigene Region zu entwickeln. Vielmehr würde ich hier vom Abwickeln der ländlichen Regionen sprechen. In diesem Kontext liest sich auch die „Richtlinie zur Integrierten Ländlichen Entwicklung“.

Welches integrierte Entwicklungskonzept steht denn eigentlich dahinter? Ich sage es Ihnen: kein anderes als das Konzept der Integration in ein globales Netzwerk von urbanen Ballungszentren; denn anderenfalls wäre es schlichtweg undenkbar, dass ein Regierungskabinett Maßgaben für die Entwicklung ländlicher Räume auflegt, die vom Geiste eines Schrumpfungsparadigmas nur so strotzen.

Ich erinnere im Übrigen an die unsägliche Titulierung ländlicher Gebiete als „Entleerungsräume“, die von der Enquete-Kommission „Demografische Entwicklung“ der 4. Legislaturperiode dieses Hauses geprägt wurde. Dabei von einer ländlichen Förderpolitik mit Wachstumsimpulsen zu sprechen ist Ironie. Während alles schrumpft, wird also die Wirtschaft wachsen. Glauben Sie das?

Dort, wo Menschen abwandern, Bevölkerung überaltert, die Geburtenrate einbricht, fehlt die Nachfrage nach Konsumgütern sowie das Angebot an Fachkräften, und dort bricht mit Zwangsläufigkeit sukzessive die gesamte soziokulturelle und ökonomische Infrastruktur weg. Dann haben wir zwangsläufig früher oder später das Problem der Unrentabilität von Gesundheits-, Bildungs-, Verwaltungs- und Verkehrseinrichtungen.

Doch wo ist denn, bitte schön, Ihr Konzept dagegen, zum Beispiel interministeriell das Familienressort in eine bevölkerungspolitische Förderpolitik einzubinden? Wo sind die familien- und siedlungspolitischen Anreize? Ihre

bisherige Politik hat bestenfalls wirkungsschwache Maßnahmen ergriffen und krankt vor allem daran, dass der Kompass Ihrer förderungspolitischen Zuwendungsbestimmung die regionalisierte Bevölkerungsprognose ist, die Sie dogmatisch als unabwendbares Faktum setzen, anstatt ebendiese als Problemverursacher zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern.

Die Staatsregierung wird mit ihrer ILE-Richtlinie die ländlichen Regionen nicht retten, wenn sie beispielsweise zwar den Gehweg- oder Straßenbeleuchtungsausbau für förderfähig erklärt, aber bei den Zuwendungsvoraussetzungen im Teil I unter Kapitel 2.5.1 der Richtlinie keinen Ausbruch aus den derzeitigen, den Regionalinteressen widersprechenden Rahmenbedingungen des Vergaberechtes wagt.

Ebenso mag die Förderung des Ausbaues einer Orts- oder Gemeindeverbindungsstraße zwar unbestritten begrüßenswert sein, doch wäre für eine zukunftsträchtige gewerbepolitische Gestaltung ländlicher Peripherieräume auch die Förderfähigkeit des Neubaues von Straßen bzw. die Anbindung von Gewerbegebieten an das überregionale Verkehrsnetz dienlich. Aber genau dies schließt Ihre ILE-Richtlinie im Teil II unter Kapitel c. 3 ausdrücklich aus. Dies zeigt ganz deutlich, dass Sie nicht wirklich gewillt sind, Geld in die Hand zu nehmen, um auch tatsächlich Gestaltungsspielräume für die Entwicklung ländlicher Räume zu schaffen.

Um noch einmal auf den Arbeitstitel Ihrer heutigen Regierungserklärung „Bürger entwickeln ihre Region“ zurückzukommen: Es gibt, verfassungsrechtlich verankert, so etwas wie ein kommunales Selbstverwaltungsrecht. Ich bin selbst seit vielen Jahren Kommunalpolitiker und weiß, dass die Kommunen dieser Verantwortung liebend gern nachkommen möchten. Man müsste diesen lediglich seitens der Staatsregierung über den kommunalen Finanzausgleich die dafür notwendigen – und ihnen meines Erachtens auch zustehenden – Mittel zur Verfügung stellen. Vieles würde sich dann vermutlich förderpolitisch von ganz allein erledigen.

Es gibt zudem so etwas wie ein Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet unter anderem auch so viel wie eine ebenenbezogene Aufgabenerfüllung ohne Wirkungsverluste. Nur widersprechen dem die bei Ihnen vorherrschende Globalisierungsideologie und die real existierende EU-Fremdbestimmung.

Herr Staatsminister, lassen Sie uns als Resümee dieser Debatte das Fazit aus der Halbzeitbewertung ziehen, die ILE-Richtlinie grundsätzlich neu zu fassen, auf Bundesratsebene eine an ländlichen Regionalinteressen orientierte Reform des Vergabewesens einzufordern und den in Rede stehenden Räumen regionale Pauschalbudgets in die Hand zu geben, um die Bürger – wie Sie selbst sagen – ihre Region entwickeln zu lassen! Darüber hinaus können wir uns auf Landesebene über förderpolitische Alternativen mit dem Ziel der Dezentralisierung der Wirtschaft und beispielsweise über die Förderung von regionalen

Filialnetzen sowie infrastrukturelle Schwerpunktverlagerung und vieles mehr unterhalten.

Ich weiß, all dies kostet Geld und birgt Konfliktpotenzial mit der EU-Kommission. Dass dies gescheut wird, ist vielleicht auch dem Umstand geschuldet, dass das Erzgebirge oder die Lausitz eben nicht in Griechenland oder einem der anderen europäischen Problemstaaten liegen. Doch die NPD-Fraktion will es nicht länger hinnehmen, dass seitens der Staatsregierung eine Politik betrieben wird, die die Bürger im Freistaat ebenso teuer zu stehen kommt, ohne jedoch eine Zukunftsperspektive zu bieten.

Meinethalben mögen Sie meine kritischen Worte mit der gewohnten Arroganz der Macht ignorieren. Aber wundern Sie sich bitte nicht, wenn Sie der Wähler politisch dereinst in die von Ihnen zu verantwortenden Entleerungsräume entlässt.