Protokoll der Sitzung vom 01.09.2010

Es hat zu tun mit Energiegiganten, die sich, wie wir in den letzten Wochen erleben durften, aufführen, als gehöre ihnen diese Republik und auch die Kanzlerschaft. Gehört ihnen auch Sachsen, Herr Ministerpräsident? Wer bei einer Klimadebatte die Energiefrage nicht berührt, hat das Ziel um viele Meilen verfehlt.

Ich habe dieser Tag gelesen, dass Herr Tillich und Herr Morlok in dieselbe Richtung marschieren und dies schon etwas sei. Sie können gerne so etwas machen, meine Herren, wenn Sie sich so gut leiden können. Das ist ein freies Land. Aber Sie ziehen viele Sachsen mit auf diesen Irrweg. Da hört das Zwei-Herren-Wandervergnügen auf.

Wir stehen vor einem Jahrzehnt der Veränderungen und des Umbruchs. Jeder einzelne Politiker steht vor ideologischer Ernüchterung und realistischer Lageeinschätzung in vielen Politikbereichen; denn die Bedingungen für unser Leben haben sich zum Teil schon drastisch geändert und werden sich weiter drastisch ändern. Irgendwann kommt das auch in Annaberg-Buchholz an, Herr Flath. Ideologische Gewissheiten zerrinnen in kürzester Frist. Grundentscheidungen unseres Gemeinwesens werden hart durch die Realitäten infrage gestellt.

Der Klimawandel findet statt. Bei Ihnen, Herr Tillich, habe ich heute herausgehört, dass Sie das akzeptieren. Andere arbeiten noch daran. Die Wetterereignisse werden häufiger und heftiger. Das sind Vorboten des Klimawandels. Da ist sich die Fachwelt einig, und die Politik wird es irgendwann nachvollziehen müssen.

Wir GRÜNEN haben uns übrigens – um das einmal zu klären, meine Damen und Herren von der Union – veränderten Lebensbedingungen in einer schweren Frage schon gestellt und diese in dieser Woche beantwortet. In der morgigen Haushaltsdebatte werden wir den gesunkenen finanzpolitischen Rahmen akzeptieren, da sind wir realistisch. Wir werden natürlich eine Qualitätsoffensive für die sächsischen Staatsfinanzen starten. Einfach nur ohnmächtig zu konstatieren, dass es ist, wie es ist, ist noch keine Politik, sondern erregt nur Mitleid.

Die CDU muss sich den Realitäten stellen und auch endlich zugeben, dass der Klimawandel stattfindet. Ihr Ministerpräsident scheint das zu konstatieren. Das wäre ein erster Schritt zu einer umweltpolitischen Ausnüchterung der Sächsischen Union. Als Sie nachgeschaut haben, war aber die Realität so schrecklich, dass Sie gleich wieder zurückschreckten und ins alte Muster zurückfielen.

Was haben wir? Statt Vorschläge für einen umweltgerechten Hochwasserschutz vorzulegen, beschimpfen Sie Bürgerinitiativen und Umweltschützer – manchmal stellvertretend durch Ihren Umweltminister, heute durch Ihren kleinen Wadenbeißer hier –, denen Sie Behinderung beim Dammbau vorwerfen. Ratlosigkeit lässt herrisch werden, Herr Ministerpräsident. Das wirkt sogar ein wenig hysterisch.

Sie sollten erstens froh sein, dass es Bürger gibt, die in dieser wichtigen Frage weiter sind als Sie und sich rege an der Demokratie beteiligen,

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und vereinzelt bei der SPD)

anstatt königlich verärgert darauf herabzublicken.

Zweitens verfallen Sie gleich wieder in den grundsätzlichen Fehler Ihrer CDU-Politik beim Hochwasserschutz. Seit dem Jahre 2002 haben Sie den Menschen vorgegaukelt, man könne mit einem Mehr an technischem Hochwasserschutz alles beherrschen. Ein Ingenieur, Herr Tillich, darf so denken, ein Ministerpräsident nicht!

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Sie haben die Bürger in falscher Sicherheit gewiegt. Deren eigene Aufmerksamkeit der Natur gegenüber hatte wieder enorm nachgelassen. Der technische Hochwasserschutz hat seine Berechtigung, er reicht aber nicht.

Ziehen Sie im naturnahen Hochwasserschutz und in der Eigenvorsorge nach! Der Staat kann diese Aufgabe aber nur mit den Bürgern zufriedenstellend lösen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein Beispiel ist Drausendorf, ein Ortsteil von Zittau. Die Pressemitteilung der Landesdirektion Dresden vom Dezember 1997 war überschrieben mit der Überschrift „Drausendorf wird hochwassersicher“. Die Sicherheit sollte eine Deichinstandsetzung bringen. Die Leute fühlten sich auch sicher, bis vor einigen Wochen das Wasser kam und den Deich nicht ernst nahm. Es hat nicht ganz so geklappt wie geplant. Das Wasser hat alle überrascht. An einer Bürgerinitiative oder Umweltschützern hat das nicht gelegen.

Drittens erwarten die Bürger natürlich Hilfe von der Politik, aber sie erlebten kommunale und Landesbehörden, die sich gegenseitig angriffen, Verantwortung abschoben und ein kleinliches Gezänk unter Parteifreunden oder Ex-Parteifreunden aufführten. Wie groß ist eigentlich das Misstrauen innerstaatlich, in den Kommunen und in

den Landkreisen, gegenüber der Landesebene? Das muss man sich fragen.

Viertens ist es, ehrlich gesagt, einfach frech, demokratisch vorgebrachte Vorschläge anderer, wie zum Beispiel den zur Eigenvorsorge, mit lächelnder Chuzpe als eigene auszugeben, um die eigene Ratlosigkeit zu bemänteln. Sie nehmen da etwas die unangenehmen Züge Ihres Koalitionspartners an, Herr Tillich. Sie betonen auf einmal die Eigenvorsorge. Das ist ja in der Sache richtig, aber Ihnen fällt die ideologische Scheuklappe erst jetzt angesichts der klammen Kassen und der Hilferufe aus der Bevölkerung nach finanzieller Unterstützung ab. Sie hatten am 9. Dezember 2008 in der 2. Lesung zum Doppelhaushalt 2009/2010 die Gelegenheit, unserem Antrag auf einen Fonds zur Förderung der privaten HochwasserEigenvorsorge zuzustimmen. Sie haben das ohne Aussprache abgelehnt. Sie hätten mit relativ wenig öffentlichem Geld erhebliche Privatinvestitionen zur Eigenvorsorge auslösen können, bei Privaten und bei Unternehmern, und das zu einer Zeit, als die sächsischen Kassen noch nicht so klamm waren.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Ist die Sächsische Union in der Lage, sich diesen neuen Realitäten zu stellen? Haben Sie die Kraft, können Sie das? Oder flüchten Sie aus der Realität und verweigern sich neuen Einsichten, Maßnahmen und Aufgaben? Es wird nämlich jetzt ernst mit dem Gegensteuern zum Klimawandel, mit den Anpassungen zum Klimawandel. Das ist keine theoretische Debatte mehr. Die Natur lässt sich nicht einfach kanalisieren und eindämmen, nachdem wir sie selbst so hochgeheizt haben. Etwas mehr Demut und Augenmaß sind jetzt an der Tagesordnung.

Sie dachten, Sie müssen einfach nur Deiche und Dämme aufrüsten, und gut wär’s. Aber die Natur hat „nachgerüstet“. Ihre neuen Deiche sind schon wieder zu niedrig oder sie stehen am falschen Ort, oder, oder, oder.

Diese Fragen nüchtern zu betrachten, um Menschen unnötiges Leid zu ersparen, Schäden auf Dauer zu begrenzen, ist wichtig, denn der Staat ist für die Bürger da. Und wenn es nicht in Luxusausführung sein kann, dann in einer klugen, ermutigenden und mitfühlenden Variante bitte. Landflucht gibt es für den Staat nicht! Der Staat zieht sich aus der Fläche zurück, die Rettungswege sind länger geworden, aber er kann und darf seine Bürger nicht ohnmächtig zurücklassen. Die Menschen brauchen neue Möglichkeiten zur Selbsthilfe, von Sirenen bis ehrenamtlichen Hochwasserhelfern vor Ort, von Rückhalteflächen bis hin zu einem sächsischen Wetterfonds, von leicht lesbaren Merkblättern bis hin zu Umsiedlungshilfen.

Seit Jahren werden in Sachsen keine Überflutungsgebiete mehr angelegt, obwohl immer mehr Flächen versiegelt werden. Diese müssen ersetzt werden, aber das machen Sie nicht, und die Begründung ist verwaltungstechnisch hanebüchen. Sie brauchen natürliche Auelandschaften und angelegte Polder. Sie müssen bei den Fließgewässern

zweiter Ordnung an den Oberläufen etwas tun, und wenn es die Erhöhung der Dichte von Pegelmessern ist. Mein Kollege Lichdi hat das in den letzten Jahren immer wieder vehement und zu Recht vorgetragen. Ein Fluss und sein Verhalten sind doch ein Tatsachenbericht seiner geografischen Umgebung und des Einwirkens seiner Einwohner. Wenn er zugebaut wird, beginnt er zu wüten. Was kann man daran nicht verstehen?

Ein zeitgemäßer Hochwasserschutz ermutigt und ertüchtigt die Bürger. Wir werden unseren Antrag zur Eigenvorsorge – modernisiert natürlich – wieder einbringen. Die meisten Menschen in den betroffenen Regionen haben nicht viel Geld. Schadensbegrenzung und Schadensvermeidung sind existenzielle Fragen für diese Menschen. Eine gute Eigenvorsorge erhöht nicht nur die Eigenverantwortung des Einzelnen, auf die sich ein zurückziehender Staat einlassen muss, auf die er angewiesen ist, eine gute Eigenvorsorge verhindert auch das Angewiesensein der Bürger auf staatliche Hilfe im Schadensfall.

Ein zeitgemäßer Hochwasserschutz muss zum Beispiel auch leicht lesbare Merkblätter für schnelles und umsichtiges Verhalten, die schnell gedruckt und verteilt sind, im ländlichen Raum verteilen. Dort leben viele ältere Menschen. Überlassen Sie diese doch nicht ihrem Schicksal, nur weil sie nicht googeln können. Ermutigen Sie die Landräte und Bürgermeister zu schnellen Hilfen. Der Landkreis Görlitz hat das DRK, das bereitstand, viel zu spät abgerufen, weil wohl die Frage der Kostenübernahme nicht geklärt war. Offensichtlich genießt diese Staatsregierung nicht einmal das Vertrauen der jeweils örtlichen Politik.

Sie haben mit der Kreisgebietsreform viele im Hochwasserfall nötigen Helfer zentriert und damit deren Anfahrtswege verlängert. Daran müssen Sie etwas ändern, denn das sind die Folgen Ihrer Politik. Das geht auf Ihre Verantwortungszeit zurück. Aber Sie beschimpfen erst einmal die allein zurückgebliebenen Bürgermeister im ländlichen Raum als „lesefaule SMS-Muffel“.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Für die NPD hat der Abg. Müller das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch seitens der NPD-Fraktion gilt zunächst das Mitgefühl den Betroffenen der Hochwasserkatastrophe und der Dank den vielen Helfern.

Ich möchte diese Debatte vor allen Dingen dazu nutzen, den Umgang der Staatsregierung mit den sächsischen Opfern der Flutkatastrophe vom 7. und 8. August zu hinterfragen und eine erste Bewertung des Verhaltens vorzunehmen.

Herr Ministerpräsident, Sie werden am Ende nicht am Händeschütteln der Betroffenen und an Ihren netten Reden gemessen, sondern an den Taten. Ich habe mir heute Ihre Zitate notiert: „Niemand steht am Ende allein

da.“ „Niemand soll in Existenznot geraten.“ – Das werden wir am Ende hinterfragen.

Die kläglichen und zudem nur tröpfchenweise beschlossenen Hilfsmaßnahmen der Staatsregierung haben nicht nur bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch bei den Kommunalpolitikern für erheblichen Unmut gesorgt. Dazu kommt eine Sprache gegenüber den Flutopfern, aber auch gegenüber den Kommunalpolitikern der betroffenen Orte, die inakzeptabel ist. Im vorliegenden Fall kann man Ihnen nicht einmal Unwissenheit und Ahnungslosigkeit bescheinigen, wie das bei anderen Themen oft der Fall ist, nein, denn der Ministerpräsident und die Staatsminister Ulbig, Kupfer und Morlok waren mehrfach in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten.

Umso unverständlicher ist es, wie gegenüber den Opfern argumentiert wird. Die NPD-Fraktion empfindet es schlichtweg als zynisch, wenn der Ministerpräsident gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“ äußert, er wolle kein Füllhorn für die Opfer der Katastrophe ausschütten, und Staatsminister Kupfer äußerte laut MDR, dass das Begehren der Bürgermeister der betroffenen Orte unverschämt sei. Ich glaubte zunächst meinen Ohren nicht zu trauen, als ich das erste Mal Ihre Wortwahl vernahm, doch leider hatte ich mich nicht verhört. Herr Tillich, es mag sein, dass die Nerven zumindest am Anfang blank lagen, aber mit Verlaub: Diese Sprache ist gegenüber den sächsischen Bürgern, deren Interessen Sie als Ministerpräsident dieses Landes mit Ihrem Kabinett zu vertreten haben, einfach unverschämt.

(Beifall bei der NPD)

Die Hilfsmaßnahmen, die Sie erneut vorgetragen haben, sind wenig überzeugend und angesichts der Schäden von circa 800 Millionen Euro, von denen die Staatsregierung inzwischen ausgeht, nicht ausreichend. Ich nehme – im Gegensatz zum Ministerpräsidenten – an, dass das eher eine vorsichtige Schätzung ist und dass das Erreichen der Milliardengrenze nicht völlig aus der Luft gegriffen sein dürfte. Bei Schäden von 800 Millionen Euro wollen Sie nur ganze 5 Millionen Euro als Soforthilfe zur Verfügung stellen. Davon sollen unsere Kommunen auch noch die Hälfte selbst zahlen, indem ihnen diese Mittel aus den FAG-Zuschüssen abgezogen werden.

Dabei waren vom diesjährigen Hochwasser oft jene Kommunen im ländlichen Raum betroffen, die durch Ihre verfehlte Finanz- und Raumordnungspolitik ohnehin schon seit Jahren unterfinanziert sind. Zudem sind diese Kommunen in ihrer Infrastruktur zum Teil selbst schwer geschädigt und haben alle Hände voll zu tun, um ihre Schäden zu beseitigen.

Vollkommen unzureichend war auch Ihr zunächst als alleinige Hilfsmaßnahme verkündetes Darlehensprogramm. 100 Millionen Euro Kreditrahmen für Sachsen hören sich zwar gut an, aber womit sollen das die Flutopfer – wie anfangs verlautet, möglichst innerhalb von 24 Monaten – zurückzahlen.

Viele Menschen in der Sächsischen Schweiz und in der Oberlausitz sind ohnehin noch stark durch Hausbau und Rekonstruktion oder auch den Firmenkredit verschuldet und haben niedrige Einkommen bzw. sind derzeit durch die Flut vollständig ihrer Erwerbs- und somit Existenzgrundlage beraubt.

Auch die Frage der Auszahlung der ohnehin wenigen Flutmittel an die Kommunen ist mehr als dilettantisch gelöst. Was soll ein Festbetrag von circa 500 Euro pro betroffenen Haushalt? Glauben Sie ernsthaft, dass beispielsweise die Gemeinde Kirnitzschtal mit den zur Verfügung gestellten 5 000 Euro adäquat auf Millionenschäden im Kirnitzschtal reagieren kann, nur weil diese nur etwa zehn Haushalte betreffen?

Ich frage mich, ob die Mitglieder der Staatsregierung überhaupt noch wissen, welche Realitäten im Sachsenland herrschen. Zumindest zur Entwicklung und Umsetzung adäquater Lösungen scheint sie nicht fähig oder nicht willens.

Mehr als befremdlich ist es auch, wenn von allen möglichen staatlichen und kommunalen Stellen zu Spenden für Katastrophenopfer im Ausland aufgerufen wird, während gleichzeitig im eigenen Land Not herrscht. Ich weiß nicht, ob allen bewusst ist, dass im Erzgebirge, in der Sächsischen Schweiz und in den Landkreisen Bautzen und Görlitz nicht nur ein paar Keller mit Wasser vollgelaufen sind, sondern dass hier viele Existenzen vernichtet wurden.

Es kann nicht angehen, dass zum Beispiel die Landeshauptstadt Dresden unter der CDU-Oberbürgermeisterin und Ex-Sozialministerin Orosz zu Spenden für alle möglichen Gebiete aufruft, nur nicht für die Opfer vor der eigenen Haustür. Ich kann meinem Sebnitzer Oberbürgermeister nur zustimmen, wenn er im „Amtsblatt“ vom 20. August 2010 völlig zu Recht feststellte – ich zitiere –: „Es gibt nicht nur im Ausland etwas zu tun!“

Das bedeutet nicht, dass man nicht irgendwo humanitäre Hilfe leisten soll; aber die Lebensinteressen des eigenen Volkes müssen im Vordergrund stehen.

(Beifall bei der NPD)

Somit ist es absurd, wenn zum Beispiel der Zittauer Oberbürgermeister Arnd Voigt nach Reichenau, auf Polnisch Bogatynia, eilt, um dort 150 000 Liter Trinkwasser abzuliefern, während in der eigenen Stadt die Trinkwasserversorgung nicht funktioniert.

Nachdem die gröbsten Schäden gesichtet und zum Teil beseitigt worden sind, müssen wir nun die Frage nach der Verantwortung für die Schäden stellen.

Natürlich können wir Menschen Naturkatastrophen nicht verhindern. Die Zunahme extremer Wetterereignisse ist ein Faktum, das wir nicht direkt verändern können, aber die Politik kann versuchen, die schlimmsten Auswirkungen des Wütens der Naturgewalten einzudämmen. Manches schreckliche Detail der Katastrophe ist von Men

schen gemacht, nicht zuletzt durch Nachlässigkeit und fahrlässiges Handeln mancher Verantwortlicher.