Protokoll der Sitzung vom 01.09.2010

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Kollege Herbst?

Teilen Sie meine Schätzung, dass die Investitionsquote im Landeshaushalt ohne CityTunnel bei unter 5 % liegt?

Diese Einschätzung teile ich nicht.

Darf ich nachfragen: Wie hoch ist sie dann ohne City-Tunnel?

Ich kann Ihre Rechnung nicht nachvollziehen. Das mache ich jetzt nicht im Kopf. Aber wir haben 50 Millionen Euro pro Jahr für den City-Tunnel eingestellt. Ich finde es gut, dass zum ersten Mal ein Wirtschafts- und Verkehrsminister Transparenz hinsichtlich der Frage schafft, was der City-Tunnel tatsächlich kostet. Das hat übrigens nicht die aktuelle Regierung zu verantworten; das waren unsere Vorgänger. Wenn ich etwas länger nachdenke, fällt mir ein, dass auch Oberbürgermeister von der SPD am Tunnelprojekt beteiligt waren.

(Stefan Brangs, SPD: Und Georg Milbradt!)

Dass wir mit den Folgen umgehen müssen, auch damit, wie die Verträge geschlossen wurden, ist doch klar. Ich finde es besser, diese Kostenposition im Haushalt transparent zu machen, statt sie, wie unter dem Vorgänger, einfach den allgemeinen Investitionen zuzuschlagen und dann zu erzählen: „Na ja, das finanzieren wir dann irgendwie daraus. Dass dann für den Rest kein Geld mehr da ist, nehmen wir halt billigend in Kauf.“ Ich finde den sauberen, transparenten Weg richtig.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Das ist der einzige Punkt, in dem Sie recht haben!)

Ich werde zum Thema Sparen in meiner zweiten Runde noch einige Ausführungen machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das war Herr Abg. Herbst. Er sprach für die FDP-Fraktion. – Als Nächstes die Fraktion GRÜNE mit Frau Kollegin Jähnigen. Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die von der Regierung vorgeschlagenen Kürzungen beim öffentlichen Nahverkehr stehen für uns GRÜNE unter drei großen „U“: unverschämt, unglaublich, unhaltbar.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Unverschämt sind die Kürzungen wegen der guten finanziellen Ausstattung Sachsens aus dem Bundeshaushalt. Meine Vorredner haben es schon gesagt: Allein in den nächsten zwei Jahren bekommen wir vom Bund

33 Millionen Euro mehr aus den Regionalisierungsmitteln.

Es ist auch unverschämt, bei der Vergabe der Entflechtungsgelder – früher: GVFG-Mittel – den schon bescheidenen Anteil von 25 % für den öffentlichen Verkehr jetzt noch einmal auf 14,7 % herunterzufahren und bei der Straße aufzustocken –

(Beifall der Abg. Dr. Monika Runge, Linksfraktion)

weitere mindestens 18 Millionen Euro, die dem öffentlichen Verkehr fehlen werden.

An dieser Stelle möchte ich richtigstellen, Frau Kollegin Springer, dass der von Ihnen angegebene Anteil von 8 % des öffentlichen Verkehrs an allen Wegen nur auf den ländlichen Raum zutrifft. Schauen Sie sich die SrV-Studie der TU Dresden von 2008 genau an: In den Ballungsräumen und Großstädten ist der Anteil des öffentlichen Verkehrs gestiegen, oft schon über 20 %, und er muss weiter steigen.

Höhere Zuweisungen vom Bund und dann diese Kürzung – das ist unverschämt. Das ist auch deshalb unverschämt, weil im öffentlichen Nahverkehr bereits um die 70 % der Kosten durch Einnahmen gedeckt werden. Dieser Wert ist bundesweit gut und im Osten spitze. Zum Dank wird das Landesinvestitionsprogramm für Bus und Bahn fast gleich mit abgeschafft, und im finanzpolitischen BermudaDreieck des Leipziger City-Tunnels drohen Bus und Bahn von Plauen bis nach Görlitz unterzugehen.

Da sorgt sich die FDP scheinheilig darum, dass mitunter halbleere Bahnen durch Sachsen fahren. Wann beschäftigen Sie sich eigentlich mit den dreiviertelleeren Straßen, die das Ressorts Ihres Kollegen Morlok ganz ungebremst weiter planen will? Da sind Sie blind!

Es ist unglaublich – nach dieser Diskussion muss ich fast sagen: unterirdisch –, dass Sie die drohenden Folgen der Kürzungen nicht reflektieren wollen. Ihre öffentlichen Einlassungen offenbaren ein erschreckendes Unverständnis von Verkehr und Betriebswirtschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Meinen Sie wirklich, dass angesichts abbestellter Nahverkehrsstrecken und zurückgefahrener Investitionen Sachsen gute Karten bei den Neuverhandlungen über die Bundesmittel hat? Das ist eine Steilvorlage an die Konkurrenz aus klügeren Bundesländern. Durch den gleichzeitigen Wegfall von Betriebs- und Investitionsgeldern treffen Sie ganz besonders die mittelständischen Verkehrsunternehmen, die Busbetreiber und die Fahrgäste im ländlichen Raum. Ihre Änderung der Finanzierungsverordnung verstößt gegen das Rückwirkungsverbot und stellt den von Ihnen ausgehandelten kommunalen Finanzausgleich infrage. In den Verkehrsunternehmen schüttelt man nur die Köpfe: Abbestellungen mit hohen Schadensersatzfolgen, Ausgleichskosten, zurückgegebene Fördermittel für sanierte Bahnstrecken, die noch genutzt werden müssten.

Aber es ist noch schlimmer: Durch die Kurzfristigkeit und die Höhe der Kürzungen werden nun nachfragestarke Angebote infrage gestellt, zum Beispiel Nahverkehrszüge auf der Sachsen-Franken-Magistrale und im City-Tunnel. Das Selbstlob der Regierung für die wenigen Verbesserungen geht schon jetzt im Protest gegen die Kürzungen unter. Denn mit diesen Kürzungen auf nachgefragten Bahnstrecken verlieren Sie Einnahmen im öffentlichen Verkehr. Ausdünnungen und Tariferhöhungen als Folge der Kürzungen – der VVO hat das im Halbjahresrhythmus ankündigen müssen –: Darüber stimmen die Fahrgäste mit den Füßen ab.

Wir brauchen für den öffentlichen Verkehr eben auch die Fahrgäste, die gut verdienen, die pendeln, nicht nur die Alten und die Kinder. Wir wollen im öffentlichen Verkehr alle fahren lassen, die das wollen und können. Wenn die Fahrgäste wegfallen, droht dem öffentlichen Verkehr eine Abwärtsspirale, und die Finanzierungssituation wird sich verschlechtern.

Das ist unhaltbar! Sie sagen, Sie wollen sparen. Aber Sie kürzen, ohne zu sparen. Nachhaltige Haushaltswirtschaft sieht anders aus. Sie sichern sich so nur einen Platz im Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes.

An dieser Stelle muss ich aber auch sagen: Hier haben bereits mehrere Regierungen ihre Hausaufgaben nicht erledigt. Unter dem sozialdemokratischen Verkehrsminister wurde ebenso wenig ein ganzheitliches und nachhaltiges ÖPNV-Konzept für Sachsen erarbeitet wie unter seinen Vorgängern von der CDU. Dabei hat Sachsen gute Potenziale im Bahnverkehr. Wir haben das mit unserer Studie „Sachsentakt 21“, erstellt unter Johannes Lichdi, nachgewiesen.

Ihre Redezeit läuft ab.

Ich komme zum Schluss. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, der Verkehrshaushalt bietet gute Potenziale, um dem Morlokhausgemachten Nahverkehrschaos ein Ende zu setzen. Machen wir die Kürzungen wett!

Ihre Redezeit ist zu Ende, Frau Kollegin.

Finden wir eine gute Finanzierung, um öffentlichen Verkehr auf die Schiene und nicht auf die Straße zu verlagern!

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Für die Fraktion GRÜNE sprach Frau Kollegin Jähnigen. – Als Nächstes für die NPD-Fraktion der Abg. Schimmer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Streichungen der Staatsregierung beim ÖPNV sind die wohl verheerendste verkehrspolitische Weichenstellung seit der Gründung des Freistaates Sachsen im Jahr 1990 – eine Weichenstellung weg von einem

flächendeckenden und bezahlbaren Nahverkehr hin zu einem ausgedünnten Netz von Bussen und Bahnen. Diese Streichungen werden die Lebensqualität im Freistaat Sachsen mindern. Die Anbindung des ländlichen Raumes wird sich ebenso verschlechtern wie das Mobilitätsangebot für eine demografisch alternde Gesellschaft. Das Ziel der Reinhaltung der Luft gerät ins Hintertreffen. Außerdem drohen den Verbünden nun hohe Remanenzkosten.

Die Streichungen werden wieder einmal den ländlichen Raum bis ins Mark treffen. Sie zeigen vor allem eines: dass die Staatsregierung kein Schienenverkehrskonzept hat. Einerseits realisiert die Staatsregierung ihre Sparziele durch enorme Streichungen bei den ÖPNV-Zuschüssen. Andererseits ist es ihr gleichgültig, wie die kommunalen Zweckverbände dann mit der Unterfinanzierungssituation zurechtkommen sollen.

Mitglieder der Staatsregierung geben sich wahlweise empört oder überrascht, wenn die kommunalen Zweckverbände dann ihrerseits mitteilen, dass sie in Reaktion auf die Kürzungen auch Strecken stilllegen müssen, die bislang als besonders wichtig für den sächsischen Schienenverkehr galten. So hat der Verkehrsverbund Oberelbe vor Kurzem mitgeteilt, dass er die Züge auf der Strecke Neustadt–Sebnitz–Bad Schandau stilllegen muss. Dagegen hat sich schon im Kreistag Sächsische Schweiz eine große Koalition von André Hahn bis Dr. Johannes Müller gebildet.

(Lachen und Kopfschütteln des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion – Johannes Lichdi, GRÜNE (lächelnd) : Ich bin entsetzt!)

Ich finde es gut, dass verschiedene politische Kräfte gegen die Streichungen beim ÖPNV zusammenarbeiten.

Selbst die innersächsische Hauptmagistrale Dresden– Leipzig gerät nun ins Kürzungsvisier. Wie Landrat Gerhard Gey, Verbandsvorsitzender des Zweckverbandes Nahverkehr Leipzig, mitteilte, stehen nun auch die gut nachgefragten Strecken von Leipzig nach Dresden, Chemnitz, Borna, Halle und Delitzsch teilweise zur Disposition. Man überlegt, dort jeden zehnten Zug abzubestellen.

Dies hat weitere negative Folgen. Die lokale Wirtschaft wird durch das Zurückfahren der Investitionstätigkeit in Mitleidenschaft gezogen. Viele Bahnbenutzer werden sich jetzt, nach den Tariferhöhungen, überlegen, ob sie nicht doch wieder zum Auto zurückwechseln.

Die Staatsregierung scheint bei ihren Kürzungsvorhaben zu vergessen, dass Bus- und Bahnverkehr Teil der Daseinsvorsorge und damit allererste Staatspflicht sind. Hohe Preise für immer schlechtere Anbindungen werden die Landflucht derer begünstigen, die weg können, und die sozialräumlichen Verwerfungen innerhalb Sachsens noch verschärfen.

Zuletzt noch ein Wort zu Sachsens verkehrspolitischem Turmbau zu Babel, dem City-Tunnel Leipzig, der, wie schon vielfach angesprochen wurde, mittlerweile fast alle ÖPNV-Investitionen in Sachsen komplett verdrängt.

Dieser City-Tunnel wurde eigentlich für sechs neue SBahn-Linien konzipiert, die nun wegen der Kürzungen der ÖPNV-Zuschüsse gar nicht mehr gebaut werden können, was den Nutzwert des Tunnels schon vor seiner Fertigstellung stark minimiert.

Eine solche Schildbürgerpolitik spart nichts ein, sondern verschiebt nur hohe Folgekosten in die Zukunft. Diese Schildbürgerei wird bei den anstehenden Haushaltsberatungen auf den entschiedenen Widerstand der NPDFraktion stoßen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)