Protokoll der Sitzung vom 30.09.2010

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz zur Einführung öffentlicher Petitionen per Internet beim Sächsischen Landtag an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss zu überweisen. – Herr Brangs, es gibt noch einen weiteren Antrag?

Herr Präsident! Ich beantrage für meine Fraktion, dass zusätzlich und in Ergänzung noch der Petitionsausschuss beteiligt wird, weil wir glauben, dass es bei solch einem Verfahren sinnvoll ist, dass er dazu auch seine Stellungnahme abgeben kann, und der

GO-Ausschuss, weil es in der Konsequenz Auswirkungen auf die Geschäftsordnung haben könnte.

Meine Damen und Herren! Ich komme auf den Vorschlag und den von Herrn Brangs vorgetragenen Antrag zurück. Bevor ich über den Vorschlag des Präsidiums abstimmen lasse, lasse ich zunächst über diesen Antrag abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Ist jemand dagegen? – Möchte sich jemand enthalten? – Damit ist diesem Antrag entsprochen worden.

Ich bitte Sie nun um Ihr Handzeichen, wenn Sie auch dem Vorschlag des Präsidiums folgen, dass der Gesetzentwurf an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss überwiesen wird. – Vielen Dank. Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Meine Damen und Herren, damit ist die Überweisung des Gesetzentwurfes an den Petitionsausschuss, den GO-Ausschuss und den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss beschlossen.

Meine Damen und Herren! Nun frage ich Sie noch nach der Federführung in diesem Verfahren. Ich möchte Ihnen vorschlagen, hier der Empfehlung des Präsidiums zu folgen, dass die Federführung beim Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss liegt. Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Den kann ich nicht feststellen. Dann verfahren wir so. Ich bedanke mich. Der Tagesordnungspunkt 2 ist damit beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 3

1. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen und zur Änderung des Gesetzes über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid

Drucksache 5/3705, Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE

Meine Damen und Herren! Auch hier liegt keine Empfehlung des Präsidiums vor, eine allgemeine Aussprache durchzuführen. Daher spricht nur die Einreicherin, die Fraktion DIE LINKE. Ich erteile Frau Abg. Roth das Wort. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kennen Sie Paul Valery? – Nein. Paul Valery ist ein französischer Lyriker, Essayist und Philosoph aus dem vergangenen Jahrhundert. Von ihm stammt der Satz: „Politik ist die Kunst, Leute daran zu hindern, sich um das zu kümmern, was sie angeht.“ Ich möchte mit diesem Zitat zum Thema überleiten, nämlich, dass in der Verfassung des Freistaates Sachsen vom Mai 1992 direktdemokratische Regelungen verankert sind. Diese ermöglichen den Bürgerinnen und Bürgern die Mitsprache in Form einer Volksgesetzgebung. Die Sächsische Verfassung ermuntert also die Leute, sich auf Landesebene um die Dinge zu kümmern, die sie angehen.

Unsere Fraktion, DIE LINKE, meint nun, dass es im 20. Jahr der Neugründung des Freistaates Sachsen angebracht ist zu prüfen, ob die diesbezüglichen Artikel in der Verfassung und das Gesetz über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid tatsächlich so gestaltet sind, dass sie die Leute nicht hindern, sich um ihre Angelegenheiten selbst zu kümmern.

Ziehen wir zuerst die Statistik zu Rate: Seit 1990 wurden in Sachsen acht Volksanträge und vier Volksbegehren beim Präsidenten des Sächsischen Landtages eingereicht. Sie wissen aber, nur ein Volksbegehren konnte bis zum Volksentscheid geführt werden. Nur einmal gelang es also in 20 Jahren, die Hürde des Quorums von 450 000 Stimmen zu überspringen. Ja, ich sagte bewusst: Hürde. 450 000 Unterstützerunterschriften sind eine Hürde oder eben ein Hindernis. Auch aus diesem Grunde fiel Sachsen im „Volksentscheids-Ranking 2010“ des bundesweiten Vereins „Mehr Demokratie“ weiter zurück und liegt nun

nur noch im Mittelfeld auf Platz 7 und 8. Für seine gesetzlichen Regelungen bei Bürger- und Volksbegehren wurde vom Verein die Gesamtnote „Ausreichend“ vergeben.

Meine Damen und Herren! Die praktischen Erfahrungen der vergangenen Jahre in Sachsen und die positiven Entwicklungen in der Rahmengesetzgebung anderer Bundesländer zeigen, dass neben dem Quorum auch noch andere Hindernisse vorhanden sind, zum Beispiel die freie Sammlung der Unterschriften, die Fristen der Behandlung im Landtag, die Ausschließlichkeit, Volkes Stimme nur über einen Gesetzentwurf Gehör bei den Politikern verschaffen zu können.

Meine Damen und Herren! DIE LINKE als konstruktive, gestaltende Opposition hat nicht nur geprüft, um Defizite und Schwachstellen bei den Regelungen zur sächsischen Volksgesetzgebung zu finden; wir übergeben heute der Öffentlichkeit einen sehr modernen Gesetzentwurf, mit dem die Verfassung des Freistaates Sachsen und das Gesetz über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid zum besseren Sich-kümmern-Können der Leute in Sachsen geändert werden kann. Mit unserem Gesetzentwurf vereinfachen und erweitern wir die Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger, an der Gesetzgebung und an der politischen Willensbildung teilzunehmen – das Volk als wirklicher Souverän. Unser Anliegen entspricht damit voll und ganz der Verfassung, die dem Volksgesetzgeber und dem Landtag eine gleichrangige Gesetzgebungskompetenz zugewiesen hat.

Wie sehen nun die Änderungen im Einzelnen aus? Wie ich schon sagte, gliedert sich unser Artikelgesetz in zwei Teile.

Artikel 1 umfasst die Änderungen der Verfassung des Freistaates Sachsen. Artikel 71 und 72 werden mit folgenden Zielen geändert bzw. ergänzt:

Erstens. Den Bürgerinnen und Bürgern wird ermöglicht, den Landtag im Rahmen seiner Entscheidungszuständigkeit mittels eines Volksantrages auch mit Gegenständen der politischen Willensbildung zu befassen.

Zweitens. Die Bürgerinnen und Bürger erhalten das Recht, auf Antrag eines Drittels der Mitglieder des Landtages ein vom Landtag beschlossenes Gesetz über einen Volksentscheid anzunehmen oder abzulehnen.

Drittens. Das Quorum für den erfolgreichen Abschluss eines Volksbegehrens wird auf 175 000 Unterstützerunterschriften deutlich herabgesetzt, jedoch nicht mehr als 5 % der Stimmberechtigten.

Viertens. In Anbetracht des demografischen Wandels wird das Quorum für den erfolgreichen Abschluss eines Volksantrages auf 35 000 Unterstützerunterschriften gesenkt, also auf 1% der Stimmberechtigten.

Fünftens. Die Frist für die Behandlung eines veröffentlichten Volksantrages durch den Landtag wird von sechs auf drei Monate verkürzt. Das geschieht mit der Möglich

keit, diese bei Einwilligung des Antragstellers auf vier Monate zu verlängern.

Sechstens. Bisher ist nur in der Geschäftsordnung des Landtages der Grundsatz der öffentlichen Beratung von Volksanträgen im Plenum sowie in den Ausschüssen enthalten. Auch das Anwesenheits- und Rederecht der Vertreterinnen und Vertreter der Antragsteller in den Ausschüssen des Landtages, in die der Volksantrag zur Beratung überwiesen wird, ist nur in der Geschäftsordnung geregelt. Jetzt werden diese Regelungen gesetzlich normiert.

Ich komme zu Artikel 2, den Änderungen des Gesetzes über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid, der die eben genannten Änderungen der Verfassungsnorm noch einmal aufgreift und zusätzlich folgende Inhalte regelt:

a) Unterstützungsunterschriften für ein Volksbegehren (also nur für die zweite Stufe des Volksgesetzgebungsver- fahrens) sollen neben der Beibehaltung der freien Unterschriftensammlung auch durch Auslegung von Unterschriftsbogen in den Gemeindeverwaltungen ermöglicht werden.

b) Außerdem wird die Möglichkeit geschaffen, das Volksbegehren auch im Wege der elektronischen Signatur zu unterstützen.

c) Die Pflicht des Präsidenten des Landtages wird festgeschrieben, die Vertrauenspersonen über die rechtlichen Voraussetzungen eines geplanten Volksantrages auf deren Antrag hin zu beraten.

Meine Damen und Herren! Wie ich schon sagte, liegt Ihnen ein moderner Gesetzentwurf vor. Er garantiert dem Volk, wirklich gleichberechtigter Gesetzgeber zu sein, und erweitert und verbessert seine Möglichkeiten zur politischen Teilhabe. Damit schafft er beste Voraussetzungen für die Leute, sich um das zu kümmern, was sie angeht.

Meine Fraktion freut sich auf eine interessante und bereichernde Diskussion im Ausschuss mit dem Ziel, aus den besten Voraussetzungen vielleicht ideale Voraussetzungen für das Volk zu schaffen.

Heute veröffentlichte der Verein „Mehr Demokratie“ zu unserem vorliegenden Gesetzentwurf eine Pressemitteilung, in der es heißt: „Das Ranking macht deutlich, dass in Sachsen weiterhin Reformbedarf besteht.“ Die „Mehr Demokratie“-Vorstandssprecherin sagte: „Der Landtag sollte die Gelegenheit nutzen und eine umfassende Reform beschließen. Das wäre eine gute Gelegenheit, das Jubiläum der deutschen Einheit und den aufrechten Gang der Bürgerinnen und Bürger im Herbst ’89 zu feiern.“

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

„Sachsen, das Land der lebendigen Demokratie“ – das wäre doch eine tolle Dachmarke für den Freistaat, und die ist ganz kostenlos zu haben.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Arne Schimmer, NPD)

Vielen Dank, Frau Roth.

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen und zur Änderung des Gesetzes über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss zu überweisen. Wer diesem Vorschlag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Meine Damen und Herren, wir haben einstimmig die Überweisung dieses Gesetzentwurfes an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss beschlossen.

Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine Damen und Herren! Wir hatten uns zu Beginn der 22. Sitzung darauf verständigt, dass wir nach dem Tagesordnungspunkt 3 in eine Mittagspause eintreten und dafür die 22. Sitzung unterbrechen. Das machen wir nun. Wir gehen in eine 45-minütige Mittagspause. Ich lade Sie ein, 13:45 Uhr wieder hier zu sein. Bis dahin guten Appetit!

(Unterbrechung von 12:59 bis 13:46 Uhr)

Meine Damen und Herren! Die Mittagspause ist beendet. Ich hoffe, Sie hatten ausreichend Gelegenheit, sich zu erholen, und wir können die Tagesordnung fortsetzen. Wir sind noch in der 22. Sitzung. Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 4

Kindeswohl stärken – unverheirateten Müttern und Vätern gemeinsames Sorgerecht einräumen

Drucksache 5/3682, Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP

Die Fraktionen können hierzu wie folgt Stellung nehmen: zunächst die einreichenden Fraktionen CDU und FDP, DIE LINKE, SPD, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Meine Damen und Herren! Wir beginnen mit der Aussprache. Es spricht für die Fraktion der CDU mein Namensvetter, Herr Abg. Wehner, Oliver. Sie haben das Wort, Herr Wehner.

Danke schön, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Kollegen! Wir sprechen nun über das Sorgerecht von Männern und Frauen sowie über dessen Verbesserung. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, welches exemplarisch für eine ganze Reihe von Personen steht und nicht etwa ein Einzelschicksal zeigt.

Sie können sich vorstellen: Ein nicht verheiratetes Paar hat ein Kind bekommen, und ein Jahr später trennt sich die Frau von ihrem Partner, also vom leiblichen Vater des Kindes, und gründet 400 Kilometer entfernt von der bisherigen Lebensstätte eine neue Familie. Danach will natürlich der leibliche Vater sein Kind sehen, und die Frau verwehrt ihm dies. Die Frau führt nun verschiedene Gründe dafür an. Sie sagt beispielsweise, der leibliche Vater sei ein Choleriker, könne nicht mit Kindern umgehen, und dazu trinke er noch. Der Vater hat nun keine Möglichkeit, das Sorgerecht für das Kind zu bekommen. Das ist ein Umstand, den wir in der Koalition, in der CDU und der FDP, nicht länger so hinnehmen wollen. Der Vater trifft nun das Kind nach 19 Jahren, und das Kind ist ganz erschüttert und sagt: Mensch, so habe ich das von der Mutter nie gesagt bekommen; und plötzlich verstehen sie sich dann doch.

Wie ist die gesetzliche Regelung bisher? Die Väter haben nur das Sorgerecht, wenn die Mutter zustimmt. Der

Gesetzgeber hat 1998 angenommen, dass unverheiratete Eltern die Möglichkeit haben, das gemeinsame Sorgerecht zu beantragen, und dieses dann auch nutzen. Man dachte, Mütter legen nur ein Veto ein, wenn sie ihr Kind beschützen wollen, also zum Wohle des Kindes handeln, und nicht etwa im eigenen Interesse. Doch diese optimistische Annahme hat sich in der Praxis nicht bestätigt. Die Karlsruher Richter stellten fest: