Protokoll der Sitzung vom 03.11.2010

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Tischendorf?

Sehr gern.

Sie haben ja in meiner Rede zur Kenntnis nehmen müssen, dass ich durchaus die Länder kritisiere, die das machen – mal ganz davon abgesehen, dass es in Berlin eine etwas andere Regelung gibt, und das wissen Sie auch; denn es gibt nur die vier Sonntage, und für andere Sonntage gibt es eine andere Regelung. Das kann ich Ihnen gern einmal heraussuchen.

Nun ist meine Frage, wenn Sie sagen, natürlich entscheidet das Bundesverfassungsgericht für ganz Deutschland: Gilt das dann auch für das Sächsische Ladenöffnungsgesetz, das wir heute beschließen? Und was sagen Sie denn zu den Vorhaltungen, die ich Ihnen gemacht habe, wo das Bundesverfassungsgericht genau entgegen dem entschieden hat – unabhängig davon, was Brandenburg und Berlin machen? Wollen Sie das alles umgehen?

Lieber Kollege Tischendorf, auch wenn wir der Freistaat Sachsen sind, gehören wir trotzdem zum Geltungsgebiet der Bundesrepublik Deutschland.

(Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Genau!)

Selbstverständlich urteilt das Bundesverfassungsgericht auch für Sachsen, genauso wie es für Berlin und Bran

denburg und 15 andere Bundesländer außerhalb Sachsens urteilt.

Wenn Sie unseren Gesetzentwurf denn mal lesen würden, könnten Sie teilweise sogar wortwörtlich die Begründung des Bundesverfassungsgerichtes in den Formulierungen wiederfinden. Wir haben genau darauf reagiert, wir haben genau das berücksichtigt. In Berlin, lieber Kollege Tischendorf, müssten Sie vielleicht mal mit Ihrem PGFKollegen sprechen, gibt es seit Kurzem ein verändertes Ladenöffnungsgesetz. Es gibt dort zehn offene Sonntage: Es gibt acht Sonntage, an denen stadtgebietsweit aufgemacht wird, und zwei auf Bezirksebene, anlassbezogen – ähnlich, wie wir das mit unseren Festsonntagen planen. Und was in Berlin gut ist, kann doch in Sachsen nicht schlecht sein, wenn dort die LINKEN mitregieren.

(Beifall bei der FDP und des Staatsministers Sven Morlok)

Im Übrigen haben sogar die Kirchen die neue Berliner Lösung begrüßt, lieber Kollege Tischendorf.

(Zurufe – Unruhe)

Ich war bei den weiteren Liberalisierungen und Flexibilisierungen stehen geblieben: Blumenhändler, Bäcker, Videotheken und Autowaschanlagen; und was noch angesprochen war, lieber Kollege Tischendorf – leider mit einem falschen Zungenschlag –: Beim Eventshopping bauen wir in der Tat Bürokratie ab, weil künftig eine Anzeigepflicht reicht.

Wir haben darüber hinaus – deshalb ist das Gesetz auch noch einmal geändert worden – im Bereich des Rhythmisierungsverbotes an Adventsonntagen eine Veränderung vorgenommen, um zu verhindern, dass manche Kommunen, die Schwierigkeiten haben, Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen zu lesen, falsche Rechtsverordnungen erlassen. Deshalb haben wir bewusst noch eine Klarstellung in das Gesetz aufgenommen, um hier mehr Rechtssicherheit zu schaffen.

Ich will noch ein Argument entkräften, das hier immer kommt, und zwar mit den Arbeitszeiten. Wir werden ja als die schlimmen Menschen dargestellt, die jetzt alle Schleusen öffnen, dass jetzt die Mitarbeiter ausgebeutet werden können.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Tischendorf?

Ja, wenn ich Herrn Tischendorf etwas erklären kann, helfe ich ihm gern auf die Sprünge.

Danke, Frau Präsidentin. – Es war ein Stück weiter vorn. Sie haben von Eventshopping gesprochen und dass die Kommunen nun frei entscheiden können. – Können Sie mir bitte eine Stelle im Gesetz zeigen, auf welcher Grundlage die Gemeinde entscheiden kann, ob das Eventshopping jetzt wirklich im Sinne des Ladenöffnungsgesetzes ist oder nicht? Können Sie mir bitte genau die Stelle zeigen, damit mein Bürgermeister in meiner Stadt entscheiden kann: Jetzt schaue ich

mal ins Gesetz, jetzt hat das jemand beantragt, und jetzt sind es die Versagungsgründe oder ist es der Sachgrund, dass aufgemacht werden kann? Wenn Sie dazu etwas finden, gebe ich Ihnen einen aus.

Lieber Kollege Tischendorf, auch nach dem geltenden Gesetz gibt es diese Möglichkeit; das wissen Sie sehr wohl.

(Klaus Tischendorf, DIE LINKE, und Stefan Brangs, SPD: Wo denn?)

Und dass diese Regelung, die wir in Sachsen haben, in anderen Bundesländern auch funktioniert.

(Zurufe: Wo steht denn das?)

Schauen Sie bitte in die Begründung des Gesetzes hinein, wir blättern das dann zusammen durch, wenn Sie es unbedingt sehen wollen. Ich habe es jetzt nicht hier vorn, sorry.

(Starke Unruhe – Zurufe)

Ich will etwas zu den Arbeitszeiten sagen. Das Arbeitszeitgesetz, lieber Kollege Brangs, gilt auch bundesweit; es gilt in allen Bundesländern. Wenn wir hier mit der Videothekenöffnung angeblich die Leute ausbeuten, dann frage ich mich wirklich: Was machen denn dann Ihre Berliner Kollegen? In Berlin stellen Sie doch den regierenden Bürgermeister. Damit haben Sie keine Probleme, dass dort das Arbeitszeitgesetz gilt und an zehn Sonntagen geöffnet ist? Das ist doch reichlich scheinheilig, was Sie hier von sich geben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und ganz vereinzelt bei der CDU)

Das, was wir in diesem Gesetz ändern, sind sinnvolle Änderungen, und solche Veränderungen sind offenbar nun in einer bürgerlichen Koalition möglich; das klappt natürlich mit der SPD nicht, mit den LINKEN auch nicht.

(Stefan Brangs, SPD: Was ist denn das jetzt? Du musst dich doch mal entscheiden!)

Deswegen bin ich froh, dass wir ein klares Signal für mehr Lebensqualität gesendet haben, dass wir Arbeitsplätze sichern. Und wenn Sie beispielsweise mit Videothekenbetreibern oder auch Betreibern von Autowaschanlagen sprechen, dann werden Sie feststellen, dass dort zusätzliche Arbeitsplätze entstehen – genauso, wie diese, als diese Regelungen bis 1996 zum Teil waren, weggefallen sind. Dass die Konkurrenz mit dem Internet natürlich ein Problem für den Handel ist, haben mittlerweile selbst Sie erkannt, da Sie ja meinen, Computer sind heute zugelassen. Ich hoffe, dass Sie bei Amazon nie nach 22:00 Uhr einkaufen, lieber Herr Brangs. Ich hoffe, das tun Sie nie – leider kann ich es nicht kontrollieren.

(Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Warum denn nicht? – Heiterkeit)

Ich will es auch nicht kontrollieren, denn als Liberaler ist mir der Datenschutz heilig. Aber ich werde Sie sicher am

Sonntag mal irgendwann in der Gaststätte oder an der Tankstelle erwischen, und da können wir gern festhalten, ob Sie sich dort zufällig hin verirrt haben, oder ob Sie, um den Arbeitnehmern Mut zuzusprechen, am Sonntag einfach mal die Tankstelle ansteuern und der Verkäuferin einen Blumenstrauß im Namen von ver.di überreichen. Das kann ja auch sein, das weiß man ja nie.

(Thomas Kind, DIE LINKE, und Stefan Brangs, SPD, stehen zu einer Zwischenfrage am Mikrofon)

Es gibt jetzt zwei Zwischenfragen.

Unsere politische Philosophie, meine Damen und Herren, ist es, nur das zu regeln, was unbedingt nötig ist. Das haben wir im Rahmen des Sonntagsschutzes getan. Darüber hinaus müssen wir weder die Bürger noch die Händler in diesem Land bevormunden. Sachsen wird ein Stück freiheitlicher, der Sonntagsschutz ist bewahrt. Es ist eine sinnvolle Lösung und allemal besser als dieses Gesetz, das Sie früher gemacht haben, was bei Gericht gleich mehrmals Schiffbruch erlitten hat, Herr Brangs.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU – Zurufe – Unruhe)

Ich rufe die Fraktion GRÜNE auf. Frau Abg. Giegengack, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selten wurde ein Gesetzentwurf so heftig diskutiert wie das Gesetz über die Ladenöffnungszeiten im Freistaat. Ich muss zugeben, auch in unserer Fraktion haben wir uns sehr viel Zeit genommen, über diesen Gesetzentwurf zu reden. Es scheint allerdings so, als ob es hier um das Wohl und Wehe einer ganzen Partei ginge, wenn wir den Gesetzentwurf diskutieren. Das mache ich an der Tatsache fest, dass eine Urteilsbegründung noch aussteht und trotzdem der Gesetzentwurf im Landtag knallhart durchgepeitscht wird. Vielleicht liegt das auch daran, dass die FDP seit dem Beginn ihrer Regierungsbeteiligung kaum eigene Akzente setzen konnte und jetzt unter dem Motto „besser als nüscht“ versucht, die Sonntagsöffnung von Videotheken und Waschanlagen als Beleg fleißiger Arbeit und politischen Erfolges zu verkaufen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Koalitionspartner CDU hat sich sehr schwergetan. Das konnte man von hier vorn sehr gut sehen, denn die Beifallsbekundungen kamen ausschließlich von der FDPFraktion. Man hat trotzdem der FDP schweren Herzens diese Spielwiese überlassen. Herr Krauß hat sich eindeutig geäußert, dass er das sehr kritisch sieht. Man hat es trotzdem zugelassen, obwohl die Kirchen bis zum Schluss immer wieder darauf hingewiesen haben, dass sie mit diesen Einschnitten bei den Sonntagsöffnungszeiten große Probleme haben.

Warnungen gab es auch wegen der handwerklichen Fehler und wegen der fehlenden Rechtssicherheit. Das Urteil der Sachverständigen ist schon zitiert worden. Mit der nachgereichten Regelung der Öffnungszeiten im Advent wurde zwar versucht, eine Rechtsunsicherheit zu beseitigen, aber viele andere bleiben nach unserer Auffassung bestehen.

Wir glauben, dass der Ärger vorprogrammiert ist, wenn dieser Entwurf heute durchgeht. Das aktuelle Urteil des OVG Bautzen bietet einen Vorgeschmack auf kommende Streitigkeiten und lässt Zweifel an der Rechtssicherheit der Novelle aufkommen. Nebenbei bemerkt ist bei einem Gesetz, das vor allen Dingen Ausnahmen vorsieht, auch die Zunahme von Bürokratie vorprogrammiert. Es ist für uns nicht mehr nachzuvollziehen, dass gerade die FDPFraktion diesen Gesetzentwurf mit einbringt, die sich Bürokratieabbau auf die Fahnen geschrieben hat. Herr Herbst hat es vorhin als Entbürokratisierung gelobt. Das liegt außerhalb dessen, was wir noch mittragen können.

Die Fraktion GRÜNE hat ihre Antwort auf den Gesetzentwurf der Staatsregierung in einem Positionspapier zusammengefasst, dessen Inhalt ich ganz kurz nennen will. Bei den werktäglichen Öffnungszeiten befürworten wir die Beibehaltung der jetzigen Regelung, dass Verkaufsstellen werktags von 6 bis 22 Uhr geöffnet sein können. Allerdings lehnen wir die sogenannten LateNight-Shoppingaktionen ab, nicht zuletzt deshalb, weil das Widerspruchsrecht der Kommunen ins Leere geht, solange dafür keine Kriterien definiert werden.

Bei der Sonntagsöffnung sehen wir keinen Bedarf zur Ausweitung. Schon jetzt können die Gemeinden an vier Sonn- und Feiertagen die Läden öffnen. Das reicht nach unserer Überzeugung.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Die Sonntagsruhe in den Geschäften muss die Regel bleiben. Es ist völlig egal, ob man dieses Gebot nun religiös begründet oder sich auf Arbeitnehmerinteressen bezieht. Das ist ganz klar auch vom Bundesverfassungsgericht so beurteilt worden. Der Sonntag als arbeits- und einkaufsfreier Tag ist seit Jahrhunderten Bestandteil unserer Kultur, und daran sollten wir im Grundsatz nichts ändern, denn der Sonntag ist der Familientag. Wir können nicht gleichzeitig darüber reden, wie wir Sachsen kinder- oder familienfreundlicher gestalten, und dann die totale Flexibilität des Arbeitsmarktes fordern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch die Neuregelung der Sonntagsruhe in Kur-, Erholungs- und Wallfahrtsorten sowie in Ausflugsorten lehnen wir ab. Dass es den Gästen nicht zuzumuten sei, ihren Bedarf an Sportartikeln oder Badegegenständen an anderen Tagen als am Sonntag zu decken, ist für uns überhaupt nicht nachvollziehbar. Der Regelfall dürfte weiterhin sein, dass Patienten ihre Badelatschen in den Kurort mitbringen, statt sie dort ausgerechnet am Sonntag zu kaufen. Schlicht absurd ist der Gedanke, dass die

Sonn- und Feiertagsruhe gebrochen werden soll, um Devotionalien zu verkaufen.

Die Forderung zur Öffnung von Autowaschanlagen und Videotheken an Sonntagen ist einer der wesentlichen politischen Inhalte, den die FDP zu transportieren hat. Aber die Begründung, dass Autowaschen eine Art von Freizeitgestaltung sei, ist in unseren Augen ein abenteuerliches Konstrukt. Dass darüber hinaus die Sonntagsöffnung von Autowaschanlagen das illegale Autowaschen reduziert, ist einfach nur abstrus. Wir schaffen ja auch nicht die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn ab, damit wir weniger Verkehrssünder haben.