Protokoll der Sitzung vom 04.11.2010

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Martin Gillo, CDU – Alexander Delle, NPD: Zum Thema!)

Allerdings erkennt die NPD selbst mit diesem hier vorliegenden Antrag nach wie vor nicht, dass sich unsere Gesellschaft stetig weiterentwickelt. In der Begründung zu diesem Antrag wird das auch ganz deutlich.

Wenn Mütter arbeiten gehen, dann eben nicht – laut NPD –, weil sie Karriere machen oder sich selbst verwirklichen wollen. Nein, wenn Mütter arbeiten gehen, dann nur, weil sie wirtschaftlichen Zwängen unterworfen sind. So sagt es jedenfalls der Begründungstext Ihres Antrages.

Wenn die NPD das sagt, negiert sie ebenso die qualitativ gute Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung außerhalb der Familie im Freistaat Sachsen. Sie degradiert geradezu Kindertagesstätten und Tagespflegepersonen zu wohl oder übel hinzunehmenden Ersatzprodukten. Die Dame und Herren der NPD benutzen die positiven Bestrebungen von Kommunen, Freistaat und Bund im Bereich der Kinderbetreuung, um wieder einmal ihr krudes Weltbild in dieses Hohe Haus zu tragen.

Werte Abgeordnete! Der vorliegende Antrag strotzt vor Widersprüchen. Zum einen verfolgt die NPD als Endziel die Abschaffung der von ihr sogenannten Fremdbetreuung.

(Jürgen Gansel, NPD: „Endlösung“, wollten Sie doch sagen!)

Auf dem Weg dahin soll aber der Staat noch einmal kräftig in die Tasche greifen. So fordern die Antragsteller nicht nur einen Betreuungsschlüssel von 1 : 4, sondern auch noch die Übernahme der anfallenden Mehrkosten durch Bund und Freistaat, und zwar in einer Höhe, die Ihnen, sehr verehrte Abgeordnete von Rechts, noch nicht einmal bekannt sind.

Dabei verkennt die NPD auch, dass es nicht allein der Entscheidungskompetenz des Bundes obliegt, wer für welche Aufgaben verantwortlich zeichnet. Das zeigt im Übrigen wieder einmal, wie wenig die braunen Akteure von Demokratie und dem Sinn und Zweck von Föderalismus in der Bundesrepublik wissen oder wissen wollen. Länder und Kommunen sind über den Bundesrat und die Spitzenverbände in den Prozess der Gesetzgebung integriert. Sie werden dort angehört und ihr Meinungsbild wird entsprechend berücksichtigt und diskutiert.

(Zuruf des Abg. Alexander Delle, NPD)

Meine Damen und Herren! Wir sollten an dieser Stelle den Willen des Bundes und des Freistaates nach einer umfassenden Finanzierung und Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung anerkennen und entsprechend herausstellen. Das Kinderförderungsgesetz von 2008, dem auch der Bundesrat zugestimmt hat, setzt dafür den gesetzlichen Rahmen. Wie sich der Wille zur Weiterentwicklung der Kinderbetreuung ausdrückt, zeigt auch der vorliegende Entwurf zum Doppelhaushalt 2011/2012 in Sachsen. Mehr als 16 Millionen Euro jährlich stellt der Bund dem Freistaat Sachsen im Rahmen des Investitions

programms Kindertagesbetreuung zum Ausbau für die unter Dreijährigen zur Verfügung. Diese Mittel fließen den Kommunen als Aufgabenträger in vollem Umfang zu.

Darüber hinaus investiert Sachsen im Rahmen des kommenden Doppelhaushaltes fast 398 Millionen Euro im Jahr 2011 und mehr als 400 Millionen Euro im Jahr 2012 in die frühkindliche Bildung. Die steigenden Ausgaben zeigen deutlich die steigenden Zahlen der betreuten Kinder – und das, die Dame und die Herren von der NPD, ist auch gut so.

Hier unterstützen wir die Kommunen nachhaltig und vor dem Hintergrund unserer grundsätzlichen Haushaltsentwicklung auch ausgewogen. Wünschenswert ist natürlich immer vieles, aber wir müssen derartige Ausgaben auch unter den anstehenden Haushaltsvorgaben betrachten.

Sehr geehrte Abgeordnete, die Koalitionsfraktionen von CDU und FDP lehnen den vorliegenden Antrag ab. Er dient weder der Sache selbst noch den Menschen in unserem Land. Zu einer wirklichen und dauerhaften Verbesserung der frühkindlichen Bildung, die wir alle wollen, trägt dieses braune Gedankengut auf jeden Fall nicht bei.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Schreiber. – Ich frage die Fraktion DIE LINKE. – SPD? – FDP? – Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Abg. Giegengack, bitte; Sie haben das Wort.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Die Herren von der NPD-Fraktion möchten den Eindruck erwecken, sie wären lernfähig, wenigstens in puncto Familienpolitik, wenn sie hier einen Antrag einbringen, der auf die Kinderbetreuung abstellt. Dem ist ganz klar nicht so.

Am Sonntag, dem 10.10., hat in Cottbus eine familienpolitische Schulung stattgefunden und ich zitiere aus einer Pressemitteilung des NPD-Kreisverbandes:

„Der Schulungsleiter Ronny Zasowk führte die jungen Aktivisten in die familienpolitischen Forderungen der NPD ein und zeigte auf, mit welch volksfeindlichen Maßnahmen unser Volk immer mehr dezimiert wird.“

(Heiterkeit der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

„Den knapp 30 Teilnehmern wurde anhand eines historischen Abrisses vom Morgenthau-Plan über die Frankfurter Schule bis hin zum heutigen Gender Mainstream dargestellt, wie das deutsche Volk von der Gründung von Familien abgehalten und dem Volkstod entgegengetrieben wird.

Aber Zasowk stellte auch Lösungsvorschläge vor, die wieder zu einer Stärkung der deutschen Familie mit Mann, Frau und Kindern führen würden.“

(Jürgen Gansel, NPD: Sie wären eine gute Pressesprecherin für uns!)

Was soll nach Meinung der NPD grundlegend in der Familienpolitik geändert werden? Zitat aus Ihrem Wahlprogramm: „Demografische Wende – aktive Volkspolitik“: „Um den Lobbyisten der Globalisierung und Masseneinwanderung das Handwerk zu legen, ist eine demografische Wende durch aktive Volkspolitik einzuleiten. Familien sind in der Bundesrepublik einer unsäglichen Hetze durch die mediale und politische Klasse ausgesetzt.“

(Jürgen Gansel, NPD: Wir hätten gar nicht mehr so viel Redezeit gehabt, das alles vorzutragen. Danke schön!)

„Eltern müssen in ihrem intuitiven Talent, Kinder zu erziehen, wieder gestärkt werden. Daher fordert die NPD,“ – hören Sie zu, was Sie eigentlich fordern! – „dem Auseinanderreißen von Familien ein Ende zu setzen. Ziel nationaler Familienpolitik ist es nicht, Kinder möglichst frühzeitig in die Krippe abzuschieben, sondern dafür zu sorgen, dass Kinder möglichst lange bei den Eltern verbleiben und häusliche Wärme erfahren. Eine familienpolitische Kernforderung der NPD ist daher die Einführung eines steuerfreien sozialabgabenpflichtigen Müttergehaltes“

(Jürgen Gansel, NPD: Ja, natürlich!)

„in einer nach Kinderzahl gestaffelten Höhe, und“ – man höre! – „das Müttergehalt wird selbstverständlich nur an deutsche Mütter gezahlt.“

(Beifall und Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD: Was wollen Sie denn damit beweisen?)

Wie können Sie vor diesem Hintergrund eigentlich solch einen Antrag hier einführen? An Ihrer Zielsetzung hat sich nichts geändert; Herr Schreiber hat es schon angedeutet. In der Begründung findet sich nämlich eigentlich Ihr „Endziel“ – das haben Sie wörtlich so geschrieben. Sie als NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag – ich zitiere – „machen kein Hehl daraus, dass Sie in letzter Konsequenz die Etablierung einer Fremdbetreuungsmentalität ablehnen und der Pflege, Betreuung und Erziehung der eigenen Kinder durch die Eltern immer den Vorzug geben werden.“

(Alexander Delle, NPD: Das ist ja furchtbar! So etwas Schreckliches!)

Wie Sie glauben können, dass hier die Abgeordneten von CDU, LINKE, SPD, FDP und GRÜNE dieses rechtsextremistische Gedöns von „Volkstod“ und „Müttergehalt“ absegnen werden, geht mir nicht in den Kopf.

Ich denke, das ganze Haus wird Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, den LINKEN, der SPD und der FDP)

Vielen Dank, Frau Giegengack. – Das war die erste Runde. Wird eine zweite Runde gewünscht? – Herr Abg. Schimmer, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich konkret auf die rechtliche und die finanzielle Seite des ab 2013 durchsetzbaren Rechtsanspruches auf Kinderbetreuung für unter Dreijährige eingehen.

(Stefan Brangs, SPD: Muss aber nicht sein!)

Nicht allein, dass alle Experten von einer zum Teil wesentlich höheren Inanspruchnahme durch den berechtigten Personenkreis ausgehen als die Bundesregierung – um den Anspruch auch tatsächlich qualifiziert umsetzen zu können, müsste mindestens ein Personalschlüssel von 1 : 4 angestrebt werden. Ausgangspunkt hier in Sachsen ist derzeit aber ein Schlüssel von 1 : 6 bis 1 : 7. Die Bertelsmann-Stiftung, die als Ziel sogar einen Schlüssel von 1 : 3 nennt, ordnete Sachsen schon in ihrem Länderreport „Frühkindliche Bildungssysteme für 2008“ in die sogenannte Schlussgruppe ein – das ist die unbequeme Wahrheit –, zusammen mit Brandenburg, Hamburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Während Thüringen letztlich auf Druck der Bürger seine Hausaufgaben diesbezüglich gemacht hat und die Voraussetzungen dafür schaffen will, einen Betreuungsschlüssel von 1 : 4 durchzusetzen, verharrt Sachsen weiterhin bei etwa 1 : 6,5.

Es ist sehr fraglich, ob sich dies bis Anfang 2013 und darüber hinaus noch bessern wird oder ob dann eher durch den zu erwartenden Ansturm auf die Kitas eine weitere Verschlechterung eintreten wird.

Tatsache ist jedoch, dass die Kommunen selbst unter Zugrundelegung des jetzigen Betreuungsschlüssels in Sachsen nicht dazu in der Lage sein werden, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln den Rechtsanspruch zu gewährleisten. Der Freistaat Sachsen hält sich schon bei der Kofinanzierung zurück und der Bundesanteil von 4 Milliarden Euro ist angesichts der zu erwartenden Mindestinanspruchnahme ebenfalls zu gewähren.

Ich fand es deswegen wirklich frech, dass Herr Schreiber allen Ernstes davon spricht, dass diese Staatsregierung die Kommunen dabei unterstützt, die Lasten zu schultern. Es muss doch wohl so sein, dass anscheinend die Hände von Ministerpräsident Tillich oder von Prof. Unland klebrig sind; denn das, was vom Bund an die Kommunen für die frühkindliche Betreuung weitergereicht werden soll, kommt unten nicht an.

(Zuruf)

Nein, das ist nicht gelogen. Mein Kollege Andreas Storr hat schon in einer der ersten Kleinen Anfragen klargestellt, dass es nicht gelogen ist. Selbst der Leipziger SPDVorsitzende Michael Clobes hat klargestellt, dass beispielsweise in Leipzig das Geld, das an die Kommunen weitergereicht werden sollte, nicht angekommen ist.

Deswegen finde ich es einfach unangebracht, wie Sie sich hier wieder einmal produziert haben.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Am Mikrofon 6 Herr Schowtka, bitte.

Herr Schimmer, finden Sie es nicht etwas seltsam, dass Sie sich hier als Familienexperte gerieren, obwohl Sie nicht einmal eine Familie haben, sondern ein Single sind?

Ja, Herr Schowtka, das ist wieder einmal … Es gab einmal eine sehr schöne Situation in der vergangenen Legislaturperiode. Da hat nämlich der Kollege Bartl von Think-Tank-Schowtka gesprochen. Wissen Sie, auf solch dumme Fragen, die nur Sie stellen können, brauche ich gar nicht zu antworten, die richten Sie mal an sich selbst. Ich bin Haushaltsexperte und nicht Familienexperte.