Protokoll der Sitzung vom 09.02.2011

Im Jahr 2020 werden wir ein Viertel weniger Erwerbspersonen haben, als das heute der Fall ist. Erwerbspersonen sind diejenigen, die arbeiten oder arbeitslos sind, also für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Selbst wenn jeder Arbeitslose ein passendes Jobangebot bekäme und für die Arbeit geeignet wäre, auch dann hätten wir diesen Fachkräftemangel.

Ich will noch auf einen weiteren Punkt hinweisen, der dazu führt, dass wir über das Thema Fachkräftemangel reden: die gute wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, über die wir uns freuen können.

Im letzten Jahr von Rot-Grün sind unserem Land pro Tag 2 000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Wenn wir uns einmal anschauen, wie es im vergangenen Jahr aussah: Dort sind jeden Tag 1 100 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Das ist eine sehr erfreuliche Nachricht. Darauf

sind wir stolz. Wir sind froh, dass Arbeitsplätze entstanden sind.

(Beifall bei der CDU – Jürgen Gansel, NPD: Leiharbeiter! – Zuruf der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Wir haben in Sachsen mittlerweile die niedrigste Arbeitslosenquote seit 20 Jahren. Im vergangenen Jahr gab es Monate, in denen die Arbeitslosenquote bei 10 % lag. Diesbezüglich möchte ich noch einmal den Blick auf die letzte Zeit von Rot-Grün werfen: Zu dieser Zeit gab es Monate, in denen die Arbeitslosenquote 20 % betrug, also das Doppelte der heutigen Arbeitslosenquote. Im vergangenen Jahr sind allein 23 000 – –

(Lachen der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Ja, es ist ganz gut, wenn man das einmal hört. Hören Sie zu, um zu erfahren, woran das liegt.

(Stefan Brangs, SPD: Was gab es denn in der Pause zu Mittag? – Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Wenn man nichts zu sagen hat, verbreitet man Lügen!)

Frau Dr. Stange, ich will nicht verhehlen, dass ich Jägerschnitzel gegessen habe, aber das hat sich auf meinen Redebeitrag nicht ausgewirkt.

(Zurufe von der SPD)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Krauß?

Ja, wenn sie nicht zu den Ernährungsgewohnheiten ist, gern.

Frau Dr. Stange, bitte.

Sehr geehrter Herr Krauß, könnten Sie mir sagen, wer Anfang der Neunzigerjahre in

diesem Land regiert hat und wie hoch die Arbeitslosenquote zu dieser Zeit war?

(Robert Clemen, CDU: Habt ihr jetzt schon Alzheimer? – Christian Piwarz, CDU: Jetzt aber!)

Ich wollte nur darauf eingehen, wie sich die wirtschaftliche Situation innerhalb von sechs Jahren verbessert hat. Ich denke, das kann sich sehen lassen. Wenn sich die Arbeitslosenquote um 10 % reduziert hat, ist das eine große Leistung. Es hätte vor sechs Jahren niemand von uns gedacht, dass wir heute so gut dastehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Im vergangenen Jahr ist in Sachsen nicht nur die Arbeitslosenzahl um 25 000 gesunken, sondern es sind auch 23 000 neue Jobs entstanden. Das ist eine tolle Leistung. Wir haben im vergangenen Jahr bei der Arbeitslosenquote mittlerweile ein westdeutsches Bundesland überholt. Ich bin mir sicher, wenn ich mir das Bundesland NordrheinWestfalen anschaue, das leicht vor uns liegt, und Rot-RotGrün dort so weitermacht wie bisher, dann werden wir dieses Bundesland dieses oder nächstes Jahr auf jeden Fall überholen.

(Beifall bei der CDU – Christian Piwarz, CDU: Nämlich verfassungswidrige Haushalte beschließt! – Robert Clemen, CDU: Genau!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es denn nun? Wir haben festgestellt, dass es einen Fachkräftemangel gibt, und wir wissen, dass dieser Fachkräftemangel leider Gottes zunehmen wird. Diesbezüglich möchte ich drei Punkte ansprechen:

Erstens. Wir müssen das in Sachsen vorhandene Potenzial nutzen. Zweitens. Wir müssen Menschen, die Sachsen verlassen haben, ansprechen und zurückholen.

(Enrico Stange, DIE LINKE: Sagen Sie doch endlich einmal, wie!)

Drittens. Wir müssen um ausländische Fachkräfte werben.

Mir ist bei dieser Aufzählung auch die Reihenfolge wichtig. Deshalb möchte ich zum ersten Punkt noch einige Ausführungen machen. Vorhandenes Potenzial in Sachsen nutzen heißt, dass wir unsere jungen Leute gut ausbilden. Das beginnt im Kindergarten und mit einer guten Schulbildung. Wenn wir uns den PISA-Test anschauen, dann wissen wir, dass wir auf einem guten Weg sind und den jungen Menschen gute Möglichkeiten bieten, sich zu entwickeln.

(Zurufe der Abg. Cornelia Falken und Thomas Kind, DIE LINKE)

Es geht weiter über eine gute Berufs- und Studienorientierung, die wir brauchen. Auch in diesem Bereich sind wir gut. Aber für alle Bereiche gilt: Wir können auch noch besser werden.

Die Industrie- und Handelskammer hat im vergangenen Jahr eine Befragung zur Ausbildungsreife von Schulabgängern unter sächsischen Unternehmen durchgeführt. Aus dieser Untersuchung zur Ausbildungsreife von Schulabgängern möchte ich zitieren. Mehr als die Hälfte der Unternehmer sagt, dass die Leistungsbereitschaft und Motivation bei einigen Bewerbern fehle. Mehr als die Hälfte der Unternehmer sagt, dass die Belastbarkeit bei einigen Bewerbern zu gering sei. Mehr als die Hälfte der Unternehmer sagt, es gebe keine elementaren Rechenfertigkeiten. Mehr als die Hälfte der Unternehmer sagt, dass das mündliche und schriftliche Ausdrucksvermögen zu bemängeln sei.

All diese Dinge sollten uns nachdenklich machen. Das ist eine Herausforderung an die betroffenen Schüler, aber auch an deren Eltern, denn für die Erziehung ist in erster Linie das Elternhaus zuständig. Aber es ist auch eine Herausforderung an die Gesellschaft.

(Zuruf der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

In Richtung der Unternehmer möchte ich sagen: Natürlich wird es nicht mehr so sein, dass man nur noch Abiturienten für die Ausbildung nimmt. Diese Zeiten sind vorbei. Man kann nicht mehr die Crème de la Crème nehmen, sondern man muss auch den Jugendlichen eine Chance geben, die leichte Probleme haben.

Es geht auch nicht, dass man darauf hofft, dass andere ausbilden und man ihnen diese Ausgebildeten dann abwirbt. Auch diese Zeiten sind vorbei. Wer gutes Personal haben möchte, darf sich nicht auf andere verlassen, sondern muss selbst ausbilden.

Ich möchte noch etwas zur Berufs- und Studienorientierung sagen. Wir haben auf der einen Seite in einigen Bereichen sehr viele Bewerber – hier nenne ich zum Beispiel Kfz-Mechaniker, Friseure oder Bürokräfte –, in denen es mehr Bewerber als freie Stellen gibt. Wir haben auf der anderen Seite einige Berufe, in denen es einen Mangel an Bewerbern gibt. In Sachsen waren es im vergangenen Jahr zum Beispiel Elektriker, Werkzeugmacher, Formgießer oder Textilhersteller. Hier ist in einigen Bereichen teilweise eine verschärfte Situation eingetreten.

(Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Bei den Textilherstellern war es ein Bewerber auf zehn Lehrstellen. Sie sehen, dass hier Angebot und Nachfrage noch nicht zusammenpassen.

Wir wissen, dass viele Betriebe und Schulen sehr aktiv sind, was Ausbildungsmessen und Praktika betrifft. An dieser Stelle nenne ich auch den Berufswahlpass. Es wird versucht, dass junge Leute ein Gespür dafür bekommen, welche Berufe nachgefragt sind und mit denen man gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat. All das ist wichtig und sollte weiter vertieft werden.

Wichtig ist, dass wir die duale Ausbildung stärken; denn sie ist sehr stark nachfrageorientiert. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit hatte im vergangenen Jahr eine Studie für

Sachsen vorgelegt, in der festgestellt wurde, dass in Sachsen noch ein Drittel der Ausbildungsverhältnisse überbetrieblich stattfindet. Dieser Anteil ist zu hoch. Wir müssen mehr betriebliche Ausbildungsstellen bekommen. Wir brauchen eine bessere duale Ausbildung. Daran müssen wir arbeiten; denn die Betriebe wissen besser als der Staat, welche Berufe wirklich gefragt sind. Wir können es uns heutzutage nicht mehr leisten, auf Verdacht auszubilden, sondern wir müssen entsprechend der Nachfrage ausbilden. Deshalb ist die duale Ausbildung zu stärken.

Ein weiterer Punkt, wenn es darum geht, das vorhandene Potenzial zu heben – das haben wir auch in unserem Antrag stehen –, ist: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssen wir besser hinbekommen. Viele Frauen würden gern oder etwas mehr arbeiten. Aber auch junge Männer, die sich der Kindererziehung widmen, würden vielleicht mehr arbeiten, wenn die Betreuungsmöglichkeiten besser wären und es eine gesellschaftliche Anerkennung gäbe. Junge Leute wollen Familie und Beruf unter einen Hut bringen. Frauen wollen zum Beispiel nach einem oder zwei Jahren der Kinderbetreuung wieder in den Job einsteigen. Dafür brauchen sie dann einen Krippenplatz oder eine Tagespflegestelle.

Darin sind wir in Sachsen relativ gut. Aber wir müssen aufpassen, dass wir den Vorsprung behalten und wirklich allen Familien das entsprechende Angebot unterbreiten können. Wichtig ist hierbei: Beim Thema Familie und Kinderbetreuung brauchen wir das Verständnis der Arbeitgeber und der Gesellschaft. Wir brauchen eine gesellschaftliche Wertschätzung der Erziehungsleistung.

(Einzelbeifall bei den LINKEN)

Danke schön. – Es ist natürlich auch eine Wertschätzung, die einen realen Hintergrund hat. Denn derjenige, der Kinder erziehen kann, hat eine enorme Sozialkompetenz erworben, und das ist wiederum für das Berufsleben sehr sinnvoll.

Wenn man sich Bewerbungen von jungen Frauen anschaut, dann steht ein Satz drin, der mich ein wenig nachdenklich macht. Bei den Familienverhältnissen steht: ein Kind (ganztägige Kinderbetreuung ist gewährleistet). Die Botschaft, die dahintersteckt, lautet: Entschuldigung, ich habe ein Kind. Es wird auf keinen Fall ein zweites hinzukommen. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass ich irgendwann mal ausfalle.

Ich halte es für problematisch, dass man sich dafür entschuldigen muss, wenn man ein Kind hat. Wir müssen dazu kommen, dass man ein Kind als Wert begreift und sagt, es ist gut, dass man ein Kind hat.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung – Thomas Kind, DIE LINKE: Das ist Ihre Politik gewesen!)

Entschuldigung, schreien Sie jetzt mal nicht dazwischen! – Weiterhin stelle ich manchmal fest: Bei Bewerbungsrunden – man ist ja bei dem einen oder anderen

Verband mit dabei – sitzen meist Herren mit in der Runde, die über die Bewerbungen der Bewerber oder Bewerberinnen zu entscheiden haben. Bei jungen Bewerberinnen fragt das Auditorium der Herren immer: Wie machen Sie das eigentlich mit Ihrem Kind? Wenn man aber einen Heimleiter, einen jungen Mann, sucht, habe ich noch nie erlebt, dass man diesen fragt: Wie machen Sie das eigentlich mit der Betreuung Ihres Kindes? Diese Frage stellt man immer nur der Frau.

(Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Wir müssen aufpassen, dass das nicht in die falsche Richtung geht. Wir müssen dorthin kommen, dass derjenige, der Kinder erzieht, wertgeschätzt wird und dass klar ist, er bringt eine große Leistung, sodass er sich bei Bewerbungen nicht hinten anstellen muss. Das wünsche ich mir.

(Beifall bei der CDU und der FDP)