Ich möchte noch einmal daran erinnern: Vor wenigen Tagen hatten wir in Dresden eine Gerichtsentscheidung, in der es um eine Kellnerin ging. Der Arbeitgeber der Kellnerin hatte erfahren, dass sich die Frau ein Kind wünscht, und er hatte ihr daraufhin gekündigt. Das muss man sich mal vorstellen: Der Arbeitgeber hat mitbekommen, die Frau wünscht sich ein Kind, und die Frau hat dafür die Kündigung erhalten. Sie war noch nicht einmal schwanger.
Das Arbeitsgericht hat die Kündigung zum Glück aufgehoben. Das ist richtig, aber es macht deutlich: Das Bewusstsein dafür, dass Familie und Beruf zu vereinbaren sind und dass das etwas Gutes ist, fehlt an der einen oder anderen Stelle noch.
Wir als Gesellschaft können uns ein solches asoziales Verhalten des einen oder anderen Arbeitgebers nicht leisten. Ich sage es ganz deutlich: Auch ein Betrieb kann es sich zukünftig nicht leisten, mit solch einer asozialen Einstellung heranzugehen.
Lassen Sie mich zu einer nächsten Gruppe, den älteren Arbeitnehmern, kommen. Auch dort können wir sagen, dass es einen gewissen Fortschritt gibt. 2005 hatten wir 155 000 Arbeitnehmer in Sachsen, die älter als 50 Jahre waren. 2010 hatten wir 223 000 ältere Arbeitnehmer, also eine Zunahme um circa 50 %. Wir sehen also, der Jugendwahn, bei dem man sagte, es dürfen nur junge Leute auf dem Arbeitsmarkt tätig sein, ist zu Ende. In den Unternehmen greift der Gedanke Raum, dass wir das Erfahrungswissen älterer Arbeitnehmer stärker nutzen sollten. Ältere Arbeitnehmer gehören nicht zum alten Eisen, sondern jeder Arbeitgeber sollte ein zweites Eisen im Feuer haben. Er sollte nicht nur auf die Tatkraft der Jugend setzen – was auch wichtig ist –, sondern auch die Erfahrung der älteren Generation nutzen.
Deshalb haben wir in unserem Antrag aufgenommen, dass das Thema Weiterbildung stärker in das Blickfeld rücken muss. Dort haben wir schon etwas getan. Herr Staatsminister Morlok, auch im Bereich der Weiterbildungsgutscheine – das ist ein wichtiger Ansatzpunkt. Wir müssen dorthin kommen, dass Weiterbildung als etwas Normales betrachtet wird. Jemand, der 50 Jahre alt ist, weiß, dass er noch mindestens 15 Jahre im Berufsleben tätig ist. Er gehört nicht aufs Abstellgleis. Wir benötigen eine höhere Weiterbildungsbereitschaft, sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Arbeitnehmern.
Ich möchte noch ein weiteres, sehr großes Potenzial ansprechen, über das wir verfügen: die Arbeitslosen, insbesondere die Langzeitarbeitslosen. Dieses Potenzial liegt bei circa 250 000 Menschen im Freistaat Sachsen. Klar ist, nicht jeder wird für den ersten Arbeitsmarkt geeignet sein – da müssen wir uns nichts einreden –, aber ein Großteil ist es. Es gibt mit Sicherheit einige, die einen Ein-Euro-Job oder einen Minijob haben und der Ansicht sind, sie würden anstatt für 400 Euro oder für 165 Euro lieber in Vollzeit arbeiten. Auch dieses Potenzial müssen wir nutzen. Wir müssen uns dort mehr anstrengen und können dieses Feld nicht brachliegen lassen. Aus meiner Sicht ist dies das größte Potenzial, bei dem wir schauen müssen, wie wir es nutzen können.
Zum Zweiten. Wenn wir das Potenzial, über das wir verfügen, ausgeschöpft haben, sollten wir schauen, wie wir Abwanderer zurückholen können, bzw. sollten wir sie nicht erst gehen lassen.
Ich hatte vorhin eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erwähnt. Es gibt noch eine andere interessante Zahl: Ein Drittel der jungen Leute, die eine Ausbildung suchen, beginnen ihre Ausbildung nicht in Sachsen, sondern in einem anderen Bundesland. Jeder dritte Jugendliche fängt außerhalb Sachsens mit der Lehre an. Diese Zahl müssen wir deutlich reduzieren.
Wir brauchen dort einen Umdenkprozess. Natürlich war es früher so gewesen, dass viele junge Leute und deren Eltern automatisch gesagt haben: Wir bekommen in
Sachsen keine Ausbildungsstelle, wir müssen in den Westen gehen. Diese Situation hat sich vollkommen geändert. Mittlerweile haben wir viele Möglichkeiten für junge Leute, hier eine Lehrstelle zu bekommen. Das setzt aber einen Umdenkprozess voraus, damit man sich nicht automatisch als Erstes im Westen bewirbt,
sondern eine Bewerbung in die eigene Region schickt. Ich denke, wir haben für viele junge Leute Möglichkeiten, dass sie eine Stelle in ihrer Region bekommen – ob im Erzgebirge, im Leipziger Land oder der Oberlausitz.
Das sage ich Ihnen jetzt. Bei mir war eine Zahnarzthelferin gewesen, die in München lebt und die gern zurückkommen würde. Ihr Mann ist Tischler. Sie verdienen natürlich in München mehr als bei uns im Erzgebirge, keine Frage, aber ihnen ist auch etwas aufgefallen: Wenn man eine Familie gründen will, ist das in München wesentlich schwieriger. Wenn man Glück hat, bekommt man dort einen Krippenplatz, bei dem man das Kind aber bereits mittags abholen muss. Das ist bei uns natürlich anders.
Sie haben mitbekommen: Wenn ich eine Familie gründen will, kann ich das am allerbesten in Sachsen tun. Wir brauchen jetzt Arbeitsplätze und Arbeitgeber, die diese Menschen nehmen, damit sie Arbeit bekommen und eine gut bezahlte Arbeit haben. Ein Vorteil sind in der Tat unsere Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Diese Woche hatte mich ein älterer Herr angerufen. Dessen Sohn will aus der Schweiz zurückkommen nach Sachsen, nach Dresden. Er hatte bereits mitbekommen, dass das gar nicht so einfach ist. Bei uns in Schwarzenberg würde er einen Krippenplatz für sein Kind bekommen, aber in Dresden ist das ein wenig schwieriger. Sie suchen ab September einen Krippenplatz – ich habe gesagt, man könne auch bei der Kindertagespflege nachfragen –, weil das Kind dann ein Jahr alt wird und die Frau wieder ins Arbeitsleben eintreten möchte.
Diesen Vorteil, nämlich gute Kinderbetreuungsmöglichkeiten, sollten wir beibehalten. Wir müssen dafür kämpfen, dass wir immer genug Plätze haben, damit sich die Familien bei uns wohlfühlen.
Die Lohnunterschiede erschweren vieles. Wenn auch die Kosten sehr unterschiedlich sind – zum Beispiel ist die Miete in Leipzig geringer als in Stuttgart, was ein Vorteil ist –, wiegt das aber häufig die Lohnunterschiede nicht auf.
Ich gehe davon aus, dass sich das Lohnniveau nach oben bewegen wird, dass Arbeitgeber mehr bieten müssen, um Leute zu halten und zu gewinnen. Das Lohnniveau wird sich in Sachsen nach oben entwickeln, und das halte ich nicht für verkehrt.
Wir haben in den Regionen gute Angebote, zum Beispiel Heimkehrerbörsen bei uns im Erzgebirge, wo Unternehmen auf einer Internetseite einstellen, wenn sie jemanden suchen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die gern wieder in die Region zurück möchten, und dann wird versucht, beide Seiten zusammenzubringen. Hier gibt es interessante Ansätze, die dazu führen, dass wir diejenigen, die schon gegangen sind oder vielleicht auf dem Sprung sind, zurückbringen oder bei uns halten.
Ich komme zum dritten Punkt, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir müssen das bestehende Potenzial in Sachsen ausschöpfen. Doch wenn wir jeden Arbeitslosen in Arbeit bringen oder viele zurückholen, die weggegangen sind, dann reicht es immer noch nicht aus. Wir hätten immer noch freie Stellen, wenn wir an das Jahr 2020 denken.
Unser ehemaliger Ministerpräsident Georg Milbradt hat sich ja seinerzeit schon dazu geäußert. Allein dadurch, wie viele in den Ruhestand gehen und wie wenige nachkommen, entsteht eine Lücke von 800 000 Arbeitsplätzen. Das war vor fünf Jahren schon eine Botschaft, die Georg Milbradt immer gebracht hat. Da hätten Sie einfach einmal zuhören müssen.
Wie gesagt, selbst wenn wir das Potenzial ausschöpfen und Leute zurückholen, werden wir bei Fachkräften einen Engpass haben. Deswegen müssen wir darüber nachdenken, wie wir ausländische Fachkräfte nach Sachsen bekommen können. Die Staatsregierung hat dazu in der vergangenen Woche Vorschläge unterbreitet. Wir sind dem Ministerpräsidenten, Herrn Staatsminister Morlok und Herrn Staatsminister Ulbig sehr dankbar, dass sie sich Gedanken gemacht haben und eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen wollen, um ausländischen Fachkräften Steine aus dem Weg zu räumen. Darum geht es ja. Wir wollen bürokratische Hemmnisse abbauen. Wir wollen die Hürden für Zuwanderer senken, sodass es leichter ist, bei uns in Sachsen eine gut bezahlte Arbeit zu finden. Das bringt auch einen Nutzen für uns.
Wir brauchen natürlich auch ein Klima der Gastfreundschaft. Wir brauchen ein Bewusstsein, dass Ausländer keine Bedrohung für unseren Wohlstand sind, sondern dass es ohne sie diesen Wohlstand nicht gäbe und wir die Lebensqualität ohne sie nicht sichern könnten. Um das noch einmal zu untermauern: Wir haben mittlerweile 1 400 ausländische Ärzte in Sachsen. Hätten wir diese Ärzte nicht, ginge es in den Krankenhäusern katastrophal zu. Wir hätten keine gesicherte medizinische Versorgung mehr.
Die können wir hier nicht einsperren, und da können Sie herumschreien, wie Sie wollen. Ein Arzt kann dorthin gehen, wohin er will.
Ausländer sind für uns keine Bedrohung – auch wenn es da ein paar Hohlköpfe gibt, die leider hier sitzen und dies meinen –, sondern sie sind eine Bereicherung für uns. Sie sind der Garant dafür, dass es Wohlstand und Lebensqualität gibt.
Dazu können wir einmal in die Geschichte schauen. Ich hatte einmal an die Industrialisierung in Chemnitz und damit an den Begründer des sächsischen Maschinenbaus, Richard Hartmann, gedacht. Er wurde 1809 im Elsass geboren, kam 1832 (als Ausländer) nach Chemnitz, wurde 1837 eingebürgert und hat maßgeblich zum wirtschaftlichen Aufschwung Sachsens beigetragen. Ohne ihn wären wir nicht dort, wo wir jetzt sind. Daran erkennt man, dass Ausländer sehr wohl eine Bereicherung für unseren Industriestandort sein können. Das hat eine lang anhaltende Wirkung, selbst wenn das schon 200 Jahre her ist.
Ich möchte Herrn Martin Gillo, unserem Ausländerbeauftragten, danken, der einen Runden Tisch zur Anerkennung ausländischer Diplome und anderer Abschlüsse eingerichtet hat. Hier sollten wir versuchen, Lösungen zu finden und Hemmnisse aufzudecken. Mich ärgert es zum Beispiel sehr, wenn eine Russlanddeutsche zu uns kommt, die in Russland als Lehrerin gearbeitet hat und hier als Putzfrau tätig ist. Eine solche Vergeudung von Ressourcen können wir uns nicht leisten. Denn jemand mit einer solchen Ausbildung muss auch in seinem Beruf arbeiten können.
Lassen Sie mich, meine sehr geehrten Damen und Herren, zusammenfassen. Wir wollen mit unserem Antrag dazu beitragen, dass der Fachkräftebedarf in Sachsen gesichert wird. Wir wollen in erster Linie die bestehenden Potenziale nutzen, zum Beispiel die der Langzeitarbeitslosen. Wir wollen zweitens ausgewanderte Sachsen zurückholen, und weil das nicht reichen wird, wollen wir drittens ausländische Fachkräfte für Sachsen gewinnen.