Protokoll der Sitzung vom 23.03.2011

Ich habe schon vorhin versucht, es Ihnen zu sagen: Gewalt ist ein anthropologisches Merkmal von Menschen, und es gibt Menschen, die Gewalt ausüben.

Wir sind eindeutig gegen Gewaltanwendung im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen. Das müssen Sie uns abnehmen, wir sagen es doch deutlich.

(Christian Piwarz, CDU: Erklären Sie das doch mal den Polizisten!)

Das ist doch ebenfalls ein ganz kurzschlüssiges Argument.

Nein, es ist doch ganz einfach: Polizisten sind in dieser Situation mit Gewalt konfrontiert und ihnen ist vollkommen gleichgültig, woher sie kommt. Sie sind mit Gewalt konfrontiert und müssen handeln; das ist vollkommen klar. Es gibt keine politische Erklärung dafür.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den LINKEN)

Kollege Zastrow, wollen Sie darauf reagieren?

(Holger Zastrow, FDP: Hat sich das auf mich bezogen? – Leichte Heiterkeit – Unruhe)

Ja, eigentlich bezog es sich zumindest teilweise auf den Debattenbeitrag. – Gut, keine Reaktion.

Als Nächste in der Rednerreihe folgt die Fraktion DIE LINKE und, ganz ungeduldig, Herr Kollege Bartl; Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will betonen, dass ich

es als sehr wohltuend empfunden habe, wie Herr Bandmann in die Debatte gegangen ist. Zu diesen drei Thesen – Freiheit verteidigen, Rechtsstaat schützen, keine Gewalt – haben wir überhaupt keine Differenz. Sie haben dann gesagt, dass der Rechtsstaat trotz allem Meinungen aushalten muss, die unbequem sind. Das Problem beginnt damit, dass der übergroße Teil der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, dieser Rechtsgemeinschaft, der Überzeugung ist, dass es höchst problematisch ist, dass Nazis gerade an so einem Tag, der an das menschliche Leid, an die Konsequenzen von Krieg und Faschismus erinnern soll, aufmarschieren können.

(Widerspruch des Abg. Andreas Storr, NPD)

Das Problem ist, dass sie an diesem Tag Missbrauch betreiben.

(Widerspruch des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Dass sie an diesem Tag Missbrauch betreiben, will ein übergroßer Teil der Bevölkerung nicht hinnehmen – nicht in Dresden, nicht in Chemnitz, nicht in Leipzig und nirgendwo anders. Sie gehen ganz bewusst an diesem Tag dorthin.

(Beifall bei den LINKEN)

Meiner Auffassung nach ist auch der Staatsminister des Innern im Recht, wenn er ein Problem aufwirft. Der Disput mit dem Staatsminister der Justiz und dem Präsidenten des Oberverwaltungsgerichtes muss ausgetragen werden. Ich bin sehr froh, dass das im Rahmen eines Symposiums oder Ähnlichem geschieht. Es gibt ja durchaus eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, das sogenannte Wunsiedel-Urteil, Beschluss vom 04.11.2009, in dem gesagt ist, dass angesichts des Schreckens und des Unrechts, das die nationalsozialistische Herrschaft verursacht hat, Artikel 5 Abs. 1 und 2 Grundgesetz für Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung der historischen nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft Grenzen setzen, sogar eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts rechtfertigt. Das Verfassungsgericht hat gesagt: Wenn die betreffende Versammlung eigens dazu genutzt werden soll, um die Verbrechen des Faschismus und der Nazis gutzuheißen, zu rechtfertigen und zu relativieren, dann kann das ein Grund für das Verbot der Versammlung sein. Wir haben das Problem, dass dieser Aspekt beim Ansatz der Versammlungsbehörde in Dresden und bei der Abwägung der Grundrechte, die bei der Versammlungsfreiheit zu beachten sind, nicht hinreichend Berücksichtigung findet.

Es gibt nirgendwo im Versammlungsgesetz, auch in keinem der Kommentare, den Begriff des Trennungsgebotes. Sehen Sie sich den neuesten Kommentar von Kniesel, Dietel usw. zum Versammlungsgesetz an. Der Begriff Trennungsgebot kommt nicht vor. Es gibt das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Es gibt das Grundrecht, einer angemeldeten Versammlung mit Protest in friedlicher Weise entgegenzutreten. Letzten Endes müssen wir es in den Griff bekommen, wenn Menschen in diesem Raum, in dieser Stadt, in diesem Land sich daran stoßen, dass

Nazis an diesem Tag aufmarschieren, dass diese Gegenproteste in Sicht- und Hörweite friedlich bleiben. Bei diesem Problem gebe ich meinethalben den Antragstellern recht, dass man darüber reden muss. Dafür müssen wir Lösungen finden. Die finden wir nicht, indem wir uns über die „Junge Freiheit“, Kollege Zastrow, mit dem Satz begegnen: „Es gibt keinen guten und keinen schlechten Extremismus und keine guten und keine schlechten Diktaturen.“ Das war Ihre Presseerklärung, auf die die „Junge Freiheit“ reagierte. Wer das sagt, Kollege Zastrow, ist trotzdem relativ weit bei der Leugnung der Singularität des Holocaust.

(Holger Zastrow, FDP: Vorsicht, Herr Bartl!)

Der ist nah dran.

(Holger Zastrow, FDP: Vorsicht, Herr Bartl!)

Aber hallo! Dieses Zitat gehört nicht hier hinein.

Es tut mir fast schon leid, dass ich diesen Satz jetzt gesagt habe. Die Zuspitzung, die Sie suchen, Herr Kollege Zastrow, bewirkt das Gegenteil. Es passt nicht zum Format des Fraktionsvorsitzenden in so einer Debatte und hilft nicht, Truppenteile dieser Art und von dieser Sorte in Zukunft von Dresden, von Sachsen und von der Bundesrepublik Deutschland fernzuhalten.

(Beifall bei den LINKEN – Arne Schimmer, NPD, steht am Mikrofon.)

Das war für die Fraktion DIE LINKE der Abg. Bartl. – Ich sehe eine Kurzintervention, die zweite für die NPD-Fraktion. Bitte.

Ich würde gern vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen, denn Herr Bartl hat eben nichts weiter getan, als die Romantik der Volksgemeinschaft von links zu beschwören. Jede nationale Demonstration soll also von der Straße gefegt werden, nur weil angebliche, von Ihnen herbeifantasierte Mehrheiten dagegen sind. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Rechtsstaat endgültig zum Gesinnungsstaat würde.

Herr Bartl, Ihnen als Jurist sei es noch einmal gesagt: Das Recht unterscheidet eben nicht danach, wo die Mehrheits- und die Minderheitsmeinung steht. Wer ein Minderheitenrecht mit Verweis auf Mehrheiten aushebeln will, ist nun wirklich himmelweit vom Grundgesetz entfernt.

(Beifall bei der NPD)

Des Weiteren wird wieder einmal von allen LINKEN am Kern vorbeidiskutiert, wenn es um die Tatsache geht, dass aus der Reihe der Blockierer immer wieder gewalttätige Autonome ihre Angriffe starten konnten. Deswegen ist es heuchlerisch, wenn Sie hier so tun, als hätten sie friedlich demonstriert, denn sie sind auch dafür verantwortlich, dass aus Ihren Reihen hochgradig gewalttätige Angriffe auf Polizisten gestartet werden konnten. Es gibt die von Ihnen herbeihalluzinierte Trennung von friedlichen Blockaden und gewalttätigen Autonomen nicht; denn wenn die gewalttätigen Autonomen wirklich für sich

allein demonstrieren würden, wäre es für die Polizei ein Leichtes gewesen, diese Gruppe unter Kontrolle zu bekommen. Sie geben diesen Leuten Unterschlupf, das ist die Wahrheit!

(Beifall bei der NPD – Klaus Bartl, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Herr Bartl, wollen Sie auf diese Kurzintervention von Herrn Schimmer reagieren? – Bitte.

Herr Präsident, ich bedanke mich.

Erstens. Definitiv ist das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eines der höchsten Rechtsgüter, das die Bundesrepublik Deutschland hat. Es schützt selbstverständlich auch die Auftritte von Minderheiten. Es lässt auch zu, dass Menschen, die neonazistische Auffassungen haben, Versammlungen anmelden können. Es lässt auch zu, dass Menschen, die diese Auffassung haben, die im Grunde genommen den Kernbereich der Würde des Menschen als Grundrecht in Artikel 1 verletzt, aufmarschieren dürfen. Es gibt aber auch Grenzen, zum Beispiel wenn sie die Verbrechen des Faschismus und die Konsequenzen des Leids, das der Zweite Weltkrieg über die Menschen gebracht hat, verniedlichen und dazu das Versammlungsrecht nutzen. Dazu hat sich das Verfassungsgericht geäußert.

Zweitens. Ich habe überhaupt kein Problem damit – das möchte ich ausdrücklich sagen –, dass wir mit allem Nachdruck zurückweisen, dass irgendeine gewaltsame Handlung an diesem Tag gutzuheißen ist. Sie desavouiert das, was eigentlich die friedlichen Gegendemonstranten wollten, alle durch die Bank. Es waren sicher auch welche mit CDU- oder FDP-Parteibuch dabei. Das desavouiert es. Das will niemand und das muss verhindert werden. Davon müssen wir uns distanzieren, das ist überhaupt keine Frage. Die Frage ist letzten Endes nur, ob das der Polizei aufgenötigte Herangehen an einem solchen Tag das überhaupt ermöglicht. Dieses vorgegebene Trennungsgebot links und rechts der Elbe war eben nicht durchsetzbar und bringt eine Eigendynamik mit sich, hinter der sich Gewalttäter verbergen können. Mit diesem Problem müssen wir umgehen.

(Beifall bei den LINKEN)

Als Nächstes spricht die SPD-Fraktion. Frau Friedel, bitte.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Mit der roten Fahne!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Zastrow, Sie haben gesagt, Sie finden es genau richtig, heute darüber zu debattieren. Ich bin da anderer Meinung. Ich glaube, es ist ganz falsch, diese Aktuelle Debatte vom Zaun gebrochen zu haben, ich glaube, es ist auch falsch, die Anträge zu stellen, die LINKE und GRÜNE heute Nachmittag noch auf die

Tagesordnung bringen werden, und ich glaube, es ist auch falsch, morgen im Dresdner Stadtrat in der Aktuellen Stunde über dieses Thema zu debattieren. Ich bin mir sicher, auch da werden Sie wieder Distanzierungen von Gewalt fordern, die hier schon fünf Mal gekommen sind und die Sie trotzdem nicht zur Kenntnis nehmen.

Warum ist das falsch? Weil Sie einen Konflikt herbeireden und größer reden, als er einerseits überhaupt ist und wir ihn andererseits gebrauchen können. Sowohl Rücktrittsforderungen als auch Kriminalisierungen und Vorwürfe, die von jeder Seite kommen – Sowjetfahne hinter mir, „Junge Freiheit“ bei Ihrer Pressemitteilung –, helfen uns nicht weiter. Wir müssen doch überlegen, was wir gemeinsam erreichen wollen. Darüber sind wir uns doch hoffentlich einig. Wir wollen gemeinsam erreichen, dass es keine Naziaufmärsche mehr in Dresden gibt.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Ich hoffe, wir sind da noch in einem Boot, Herr Zastrow. Ich wäre traurig, wenn es anders wäre.

(Widerspruch des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Herr Zastrow, es fällt mir schwer, mir auf die Zunge zu beißen, aber ich glaube daran, dass die Gemeinsamkeit erreicht werden kann, und werde Ihnen deswegen jetzt nichts erwidern und gern noch die andere Wange hinhalten.

Solange wir es noch nicht geschafft haben, in Dresden die Nazi-Aufmärsche von den Straßen zu bekommen, so lange müssen wir doch gemeinsam dafür sorgen, dass sich so viele Menschen wie möglich entgegenstellen. Das erreichen wir dann, wenn es nicht untereinander zwischen hier und da und dort die Vorwürfe und Gegenseitigkeiten gibt; denn dann fragen sich die Dresdner zu Recht: Wenn die sich untereinander nicht einmal einig sind, warum soll ich dann auf die Straße gehen und die Demokratie für welche verteidigen, die sich gegenseitig Beleidigungen an den Kopf werfen? Da verstehe ich die Dresdner. Wir müssen doch dahin kommen, dass das nicht mehr passiert, sondern dass die Dresdnerinnen und Dresdner wirklich Lust bekommen, friedlich, sicher und gemeinsam mit allen demokratischen Kräften deutlich zu machen: Wir wollen die politische Auseinandersetzung, aber nicht in Grundfragen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)