Protokoll der Sitzung vom 23.03.2011

Meine Damen und Herren! Abschließend darf ich noch einmal aus der Anhörung zitieren: „Wenn Sie das hohe Niveau, das im Output dieses Bundeslandes“ – Sachsen – „international erreicht worden ist, erhalten wollen, sollten Sie von diesem Vorschlag“ – gemeint ist der Gesetzentwurf – „Abstand nehmen.“ – Genau das werden wir tun.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Für die SPDFraktion Frau Dr. Stange, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist immer wieder interessant zu hören, wie selektiv Anhörungen doch wahrgenommen werden. Ich möchte auch aus der Anhörung zitieren bzw. lassen Sie mich einen Schritt vorwegnehmen. Ich zitiere: „Wir sind bereit zum Schulfrieden! Den Eltern sind die ständigen Schulreformdebatten leid. Wir haben ideologisch abgerüstet. Wir machen Frieden mit integrierten Schulsystemen.“

Das war der Generalsekretär der CDU in NordrheinWestfalen, Oliver Wittke am 10.02.2011. Wann wird die sächsische CDU zu dieser Erkenntnis kommen? Wann

wird sie ideologisch abrüsten und hinhören, was die Mehrheit der Menschen in Sachsen will?

Der vorliegende Antrag der LINKEN kommt vielleicht zu spät, denn die Koalition hat sich bereits mit dem Koalitionsvertrag und der Absage an das zarte Pflänzchen Gemeinschaftsschule ohne Not in ihre Gräben verschanzt. Statt die Evaluation wenigstens abzuwarten, Herr Colditz, um dann Aussagen treffen zu können, statt evtl. mal die Eltern zu fragen, was sie für ihre Kinder wollen, hat man die wenigen zarten Pflanzen in Cunewalde, Dresden, Geithain und in anderen aktiven Kommunen zertreten. Dennoch, und das ist schon erstaunlich, liegen die Anmeldezahlen in diesem Schuljahr erfreulich hoch, was für die Attraktivität der Schulkonzepte spricht.

Der SPD-Fraktion ging es übrigens nie um eine reine Schulstrukturdebatte, Herr Colditz, so auch nicht heute. Das Schulgesetz kann und sollte die Möglichkeit der Entwicklung von Gemeinschaftsschulen eröffnen. Insofern werden wir dem Antrag zustimmen. Aber so wie jetzt die Mittelschulen zu Oberschulen umetikettiert werden sollen, stellen wir uns keine Schulentwicklung vor. Die SPD will eine Schule, die wirklich gleichwertig zum Gymnasium ist, weil sie ohne zusätzliche Hürden durchlässig bis zum Abitur führt. Sie will eine Schule, die Kinder länger gemeinsam lernen lässt, bei der Eltern nach Klasse 4 auf Grundlage einer Bildungsberatung frei über den weiteren Bildungsweg mit ihren Kindern entscheiden dürfen. Wir wollen eine inklusive Schule, die gleichzeitig Kinder mit besonderem Förderbedarf individuell fördert. Wir wollen eine Schule, die ernst macht mit einem rhythmisierten ganztätigen Schulalltag und nicht von Freizeithäppchen ja nach Kassenlage getragen wird, eine Schule, die mit einem eigenen Budget und eingebettet in ein kommunales Bildungsnetzwerk soziale Benachteilung gezielt ausgleichen kann, zum Beispiel durch Schulsozialarbeit, Familienberatung, Schulpsychologen, aber auch mit Praxistagen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition! Dass wir nicht von einer fernen Zukunft träumen, machen uns andere Länder in Deutschland längst vor, auch unter Konstellationen, wo die SPD gar nicht in der Regierung ist. Schauen Sie nach Nordrhein-Westfalen. Die Einführung der Gemeinschaftsschule ist unter CDU/FDP-Regierung geschehen. Schauen Sie nach Schleswig-Holstein. Dort ist es unter der Großen Koalition geschehen. Oder schauen Sie nach Bremen. Spannend wird die Situation in Baden-Württemberg. Wie ich am vergangenen Wochenende hörte, liegen dort im Ministerium bereits mehrere hundert Anträge, auch von CDU-Kommunen, auf die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen vor. Man wartet offenbar nur auf den Regierungswechsel am nächsten Wochenende.

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, meine Damen und Herren von der Koalition, dass das gegliederte Schulsystem, auch wenn es sich unter dem Dach der Mittelschule versteckt, ausgelebt hat. In den letzten Wochen sind sicher

viele von enttäuschten Eltern und Kindern angesprochen worden, die durch das Raster der verschärften Bildungsempfehlung gefallen sind und nun den Weg zur Mittelschule antreten. Es ist der blanke Hohn, wenn der Kultusminister öffentlich behauptet: „Schülern sollen negative Erfahrungen erspart bleiben.“ Haben Sie einmal erlebt, was in einem enttäuschten Elternhaus los ist und wie groß der Druck auf Kinder und Lehrerinnen und Lehrer im zweiten Halbjahr der Klasse 4 ist, wenn der erhoffte Schritt zum Gymnasium nicht gelingt? Dass Kinder und Jugendliche das Gymnasium verlassen müssen und abgeschult werden, wie es so schön im Bürokratendeutsch heißt, ist doch ein Produkt Ihrer Schulpolitik. Warum lassen Sie denn die Kinder nicht wenigstens bis Klasse 8 gemeinsam lernen, um ihnen diese Enttäuschung zu ersparen?

(Widerspruch bei der CDU)

Die Mittelschule ist keine gleichwertige Schulform neben dem Gymnasium. Nehmen Sie das zur Kenntnis.

(Robert Clemen, CDU: Wer behauptet denn das?)

Sie schafft keine gleichwertigen Chancen, da sie ein pädagogisch ungünstiges Milieu erzeugt.

Ihr Minister behauptet das, Herr Clemen. Vielleicht sagt er es ja nachher wieder.

10 % bleiben ohne Schulabschluss, 8 % verlassen die Schule über eine Förderschule, auch ohne Schulabschluss. Da können sich die besten Lehrer abstrampeln, wie sie wollen, denn zusätzliche Ressourcen bekommen sie ja auch nicht. Da können Sie, Herr Prof. Wöller, den Eltern noch so oft erzählen, dass der Weg zum beruflichen Gymnasium noch alle Blumen blühen lässt. Die Hürden dorthin sind so hoch wie in keinem anderen Bundesland. Es reicht eben nicht einmal ein gut bestandener Mittelschulabschluss, sondern die Durchschnittsnote muss besser als 2,5 sein. Gerade einmal 94 Schüler haben 2010/2011 von der Mittelschule den Sprung zum allgemeinbildenden Gymnasium gewagt. Das spricht Bände.

Wir dürfen uns aus gesellschaftlichen und sozialen Gründen keine Verlierer mehr leisten. Lassen Sie mich abschließend aus der Anhörung zitieren. Herr Dr. Artur Christiansen, seinerseits CDU-Bürgermeister und Parteivorsitzender in Schleswig-Holstein, hat gesagt: „Wir produzieren zu viele Verlierer. Punkt, Aus, Schluss. In Schleswig-Holstein ist man sich sehr klar darüber, dass nur eine gleichwertige Zweigliedrigkeit sinnvoll ist.“ Ja, auch wir dürfen uns gesellschaftlich, sozial und wirtschaftlich keine Verlierer mehr leisten. Lernen Sie endlich, meine Damen und Herren von der Koalition, von Ihren eigenen Parteigenossen und rüsten Sie ideologisch ab.

(Christian Piwarz, CDU: Was? Wir haben keine Parteigenossen!)

Lassen Sie endlich die Gemeinschaftsschule zu.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Ich rufe die FDPFraktion; Herr Bläsner, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Mutlos und inkonsequent“ waren einige Worte, die ich in der Anhörung zu Ihrem Gesetzentwurf gehört habe. Ja, wenn man das Programm der LINKEN liest – und das haben Sie gerade noch einmal bestätigt –, dann ist dieser Gesetzentwurf ein schlechter Kompromiss zwischen Ihrem Programm und der Realität in Sachsen. Wahrscheinlich haben Sie selber erkannt, dass Ihre Ideen, liebe LINKE, in Sachsen nicht umsetzbar sind.

(Cornelia Falken, DIE LINKE: Ja, mit Ihrer Regierung nicht!)

Doch auch Ihr schlechter Kompromiss ist eher schädlich als nützlich für uns in Sachsen. Sie wollen, dass einige Schulen auf gesetzlicher Basis in Sachsen Gemeinschaftsschulen werden können, allerdings erst ab Klassenstufe 5. Mit längerem gemeinsamem Lernen hat das eigentlich nicht viel zu tun. So viel zu Ihrer Glaubwürdigkeit. Zudem schaffen Sie, und das wurde in der Anhörung angesprochen, neben der Mittelschule eine weitere Schulart. Obwohl Sie das gegliederte Schulsystem bekämpfen, kommt irgendwie doch eine weitere Schulform hinzu. Ich sage voraus: Damit schwächen Sie sowohl die Mittelschulen als auch die Gymnasien.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir als CDU- und FDP-Koalition wollen das verhindern. Wir haben bereits die Mittelschulen gestärkt, und an diesem Kurs halten wir fest. Statt Verbesserungen für wenige wollen wir bessere Bildungschancen für alle Schüler bieten. Wir werden den Schülern der jetzigen Mittelschule durch eine Verbesserung der Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit bessere Chancen bieten.

Frau Dr. Stange, Sie haben die geringen Wechselzahlen von der Mittelschule zum Gymnasium angesprochen. Da muss man etwas tun, allerdings nicht dadurch, dass wir die Durchschnitte verändern, sondern indem wir die Schüler unterstützen, damit sie ihre Leistungsfähigkeit entfalten und das Niveau erreichen können. Durch einfaches Absenken von Notendurchschnitten werden wir die Situation nicht verbessern.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Mit zahlreichen Maßnahmen – – Frau Dr. Stange, ich sehe – –

Eine Zwischenfrage? – Bitte.

Da Sie gerade angedeutet haben, Herr Bläsner, wie Sie die Durchlässigkeit verbessern wollen, können Sie mir vielleicht auch erklären, warum man in Sachsen nur mit besser als 2,5 zum beruflichen Gymnasium kommt und in Baden-Württemberg mit 2,0? Das ist doch sozusagen unser Musterländle.

Sehr geehrte Frau Dr. Stange! Sie wissen, dass wir in Deutschland Bildungsföderalismus haben. Man kann die Durchschnitte der einzelnen Länder nicht einfach so vergleichen. Deswegen haben die einen anderen Durchschnitt gewählt als wir.

(Beifall des Abg. Torsten Herbst, FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren! Mit zahlreichen Maßnahmen, beispielsweise mit Leistungsgruppen oder auch mit dem Vorziehen der zweiten Fremdsprache, wollen wir den Schülern bessere Fördermöglichkeiten bieten, um die Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit voranzutreiben. Wir wollen die Mittelschulen nicht schwächen, sondern zur Oberschule weiterentwickeln. Der Gesetzentwurf von den LINKEN steht diesem Ziel entgegen.

Zu guter Letzt: Die Anhörung war aufschlussreich. Es war auch der Staatssekretär des Thüringer Bildungsministeriums anwesend und hat sich zu den Plänen, die die Staatsregierung in Thüringen vorhat, geäußert. Auch dort ist auf Betreiben der SPD geplant, die Gemeinschaftsschule einzuführen. Ich glaube, die CDU in Thüringen hat erkannt, welches Problem sich da auftut. Zumindest hat die CDU durchgesetzt, dass die dortigen Regelschulen, die in etwa unseren Mittelschulen entsprechen, ein Qualitätszertifikat bekommen können, was Anreiz bieten soll, den Schülern eine Anschlussfähigkeit zu gewährleisten, um vielleicht später aufs berufliche Gymnasium zu gehen. Dieses Zertifikat heißt komischerweise Oberschule.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Sachsen wollen wir allen Mittelschulen diese Verbesserung angedeihen lassen und deswegen ist der sächsische Weg auch der richtige. Wir brauchen die Gemeinschaftsschulen nicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Frau Abg. Giegengack, Fraktion GRÜNE, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich müsste ich, wenn ich hier vorn stehe, eine Brandrede für den Gesetzentwurf halten, denn es geht ja um Gemeinschaftsschulen. Gerade meine Vorgängerin in der Fraktion war eine glühende Verfechterin derselben. Ich kann mich allerdings nicht so recht für die Gesetzesinitiative begeistern, nicht, weil ich das Anliegen nicht grundsätzlich teile, sondern weil ich glaube, dass hier eine Chance vertan wurde, tatsächlich etwas zu erreichen.

Es liegt ein Gesetzentwurf vor, der pauschal die Einführung der Gemeinschaftsschule ins sächsische Schulsystem fordert, ein Anliegen, das schon mehrere Male in dieser Form gescheitert ist und jetzt nach so vielen Anläufen eigentlich nur noch als Bekenntnisantrag taugt. Ich weiß

nicht, welche Intention die LINKEN hatten, als sie diesen Gesetzentwurf verfasst haben. Steter Tropfen höhlt den Stein?

Nun, ich glaube, man wird den politischen Gegner nicht von der Richtigkeit eines Vorschlages überzeugen, nur indem man zehn oder 20 Jahre lang immer wieder die gleichen Argumente bringt. Wenn diese Argumente beim ersten oder zweiten Mal nicht verfangen haben, werden sie dies auch beim zehnten und elften Mal nicht tun.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt, man muss nach weiteren, neuen Gründen suchen, mit denen man seinen politischen Gegner von der Richtigkeit seiner Einstellung überzeugen kann.

Wir haben deswegen zur Anhörung des Gesetzentwurfes einen Sachverständigen eingeladen, der mehr als atypisch für die GRÜNEN ist – er wurde heute schon erwähnt –, einen CDU-Bürgermeister aus Schleswig-Holstein. Er hat, denke ich, überzeugend referiert, dass die Gemeinschaftsschule durchaus eine Alternative im gegliederten Schulsystem darstellen kann, nämlich zum Beispiel – das ist ja in Sachsen auch der Fall –, wenn im ländlichen Raum das Schulnetz bei Beibehaltung der Gliederung so ausgedünnt werden müsste, dass Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis mehr stehen.

Er hat auch deutlich gemacht, dass die Einführung der Gemeinschaftsschule nicht, wie von Ihren Gegnern vermutet, negative Auswirkungen auf die Schülerleistungen hatte. Das haben wir übrigens auch vermutet bzw. es hat uns nicht überrascht, da auch die Zwischenevaluation des Schulversuchs „Gemeinschaftsschule in Sachsen“ keinerlei Anhaltspunkte für diese Befürchtungen geliefert hat.

Wir wollten durch die Einladung dieses Experten, der nicht im Verdacht steht, dem von LINKEN und GRÜNEN favorisierten Modell per se das Wort zu reden, sondern aus seiner eigenen Praxis berichtet, ideologische Gräben, die sich über die Jahre aufgetan haben, überwinden helfen. Hier werfen sich ja beide Seiten Ideologie vor. Wir wollten dazu beitragen, Gemeinschaftsschule als eine Alternative in Sachsen aufzuzeigen.

Die pauschale Forderung der Einführung der Gemeinschaftsschule ins sächsische Schulsystem wird scheitern. Meine Damen und Herren von der LINKEN, Sie können nicht erwarten, dass Abgeordnete, die schon die Weiterführung des Schulversuchs Gemeinschaftsschule abgelehnt haben, nun ein Jahr später der bedingungslosen Etablierung dieser Schulform zustimmen. Sie haben mit Ihrem Gesetzentwurf neue Hoffnung bei Eltern auf längeres gemeinsames Lernen geweckt, aber es gleichzeitig auch so angestellt, dass dieses Anliegen keine Aussicht auf Erfolg hat.