Ressort übergreifendes frauen- und gleichstellungspolitisches Handlungskonzept für den Freistaat Sachsen erarbeiten
Drucksache 5/3534, Antrag der Fraktionen DIE LINKE und der SPD, mit Stellungnahme der Staatsregierung
Ich bitte Sie bei der Stellungnahme gegebenenfalls darauf Bezug zu nehmen. Das können Sie in der folgenden Reihenfolge tun: Für die erste Runde SPD, DIE LINKE, CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Keine Treffer!“ Diesem Satz begegnen Mann und Frau, wenn sie in der Datenbank des Gender-Kompetenzzentrums nach Datenmaterial aus dem Bundesland Sachsen suchen. Knapper und treffender kann die Gleichstellungswirklichkeit in Sachsen kaum beschrieben werden.
Jedenfalls werden für eine ähnliche Aussage deutlich weniger Wörter benutzt als in der Stellungnahme der Staatsregierung zum vorliegenden Antrag.
Was heißt „Stellungnahme zum vorliegenden Antrag“? Die Staatsregierung geht gar nicht auf den Antrag und seine Forderungen ein. Der Begriff „Handlungskonzept“ kommt in der Stellungnahme gar nicht vor. Wieder keine Treffer! Stattdessen ist die Stellungnahme ein Gemisch aus Allgemeinplätzen und Bericht.
Sehr geehrte Frau Staatsministerin, Sie müssen uns sicherlich nicht davon überzeugen, welchen Stellenwert die Gleichstellungspolitik hat bzw. haben sollte. Der vorliegende Antrag will sich mit der klaffenden Wunde
zwischen dem verfassungsrechtlichen Gleichstellungsgebot und der gesellschaftlichen Realität nicht abfinden. Deshalb fordern wir die Staatsregierung auf, den Worten endlich Taten folgen zu lassen. Dazu bedarf es aus unserer Sicht eines konkreten Fahrplans, wann welche Maßnahmen ergriffen werden und wirken sollen.
Diesen Fahrplan zur Umsetzung klarer Teilziele und des Gesamtziels fordern wir nun mit der Erstellung eines konkreten Handlungskonzeptes ein. Um mit dem immer noch vorhandenen Missverständnis, Geschlechtergerechtigkeit sei Sozialpolitik, aufzuräumen, müssen alle Ministerien eingebunden sein. Frauen und Männer müssen in allen Belangen des Lebens und der gesellschaftlichen Realität gleichberechtigt sein.
Meine Damen und Herren! Wir wollen, dass die Staatsregierung nicht nur aufzählt, welche geschlechtsspezifischen Probleme existieren, sondern wir wollen, dass sie uns auch verrät, was sie und wann sie etwas dagegen unternehmen will. Wir wollen, dass Politik in Sachsen die Systematik der Ungleichbehandlung erkennt und dann ein Gesamtpaket an Maßnahmen entwickelt und umsetzt. Wir wollen, dass Frauen in Sachsen keinen Benachteiligungen mehr ausgesetzt sind. Lohnunterschiede, kaum Führungsverantwortung, eine eklatante Armutsrisikoquote bei Alleinerziehenden, was vorwiegend Frauen sind, immer noch größere Unterbrechungen der Erwerbsbiografien als bei Männern sollen der Vergangenheit angehören.
Da hilft auch nicht, dass die Ganztagsbetreuung bei Kindern in Sachsen besser ist als in manch anderem
Wie sieht es konkret in Sachsen aus? Wo bleibt ein Gleichstellungs- und Frauenfördergesetz für die Privatwirtschaft im Freistaat Sachsen? Wie viele Führungspositionen im öffentlichen Dienst oder in Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung im Freistaat Sachsen sind weiblich besetzt? Wie viele Frauen vertreten den Freistaat in Aufsichts- oder Verwaltungsräten? Wo unterstützt die Staatsregierung die Bundesarbeitsministerin bei einer gesetzlichen Geschlechterquote für Vorstände und Aufsichtsräte? Was unternimmt der Freistaat zum Beispiel über das Landeselterngeld, um die Elternzeit von Männern stärker zu fördern? Wo bleiben Partnermonate oder Ähnliches? Wie unterstützt die Staatsregierung die Gesundheitsprävention und den Gesundheitsschutz von Frauen? Was ist denn mit einem klaren Gender Budgeting bei der Haushaltsaufstellung?
Ich zitiere aus Ihrer Stellungnahme auf unseren Antrag „Fortbildungsmaßnahmen des Staatsministeriums im Bereich Gender Mainstreaming sowie Gender Budgeting“. Darin heißt es: „Gesonderte Angebote zum Themenkreis Gender Budgeting existieren aktuell bei der AVS nicht. Ein diesbezügliches Erfordernis sieht eine Staatsregierung nicht.“ – Also wieder einmal keine Treffer!
Meine Damen und Herren! Manchmal ist ein kleines Wort entscheidend, um den Sinn einer Aussage zu entstellen. Das passiert, wenn zum Beispiel das Wort „ein“ anstatt „kein“ steht oder durch das Fehlen eines Wortes. Dafür möchte ich Ihnen ein konkretes Beispiel aus der Stellungnahme der Staatsregierung nennen. Ich zitiere dazu den letzten Satz der Stellungnahme: „Daher fördert die Leitstelle für Gleichstellung von Frau und Mann den Frauenpolitischen Dachverband, den Landfrauenverband und die Landesstelle für Frauenbildung und Projektberatung aus Landesmitteln.“
Ganz abgesehen davon, dass man den frauenpolitischen Dachverband ebenfalls hätte mit Namen nennen können, fehlt hier das entscheidende Wort „letztmalig“. Da die Stellungnahme erst nach der Verabschiedung des Haushaltes ausgegeben wurde – das Datum der Ausgabe ist der 17.03. –, kann es sich hier nur um einen Fehler handeln – allerdings um einen mit gravierender Sinnentstellung. Denn der Landesfrauenrat, der ja wohl hier gemeint ist, bekommt schon ab April keine Förderung mehr. Die Rahmenbedingungen für Frauen- und Gleichstellungsarbeit beschreibt der sächsische Doppelhaushalt. Das sind die harten Fakten.
Sehr geehrte Frau Staatsministerin, Ihre Zuversicht, unter diesen Bedingungen eine gute Frauen- und Gleichstellungsarbeit zu machen, teilen wir nicht. Da reicht uns auch nicht Ihr immer wieder angeführtes Argument, dass das nicht immer nur mit Geld verbunden sein muss. Wir
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Mit unserem gemeinsamen Antrag fordern wir, bis zum nächsten Jahr ein ressortübergreifendes frauen- und gleichstellungspolitisches Handlungskonzept für die nächsten Jahre zu erarbeiten.
Wir wissen, dass fachliche Breite und Querschnittscharakter Gleichstellung zu einem Politikfeld mit besonderen Herausforderungen machen. Geschlechter- und Gleichstellungsfragen sind in allen Lebens- und Politikbereichen relevant: von der Arbeitsmarkt- und Familienpolitik über die Gesundheits- und Bildungspolitik bis hin zur Steuer- und Verkehrspolitik. Gleichstellungsthemen überschneiden sich fast immer mit Themen anderer Ressorts. Gleichzeitig durchschneidet die Ressortlogik einer Regierung oft fachliche Zusammenhänge von Gleichstellungsthemen. Dies macht die Notwendigkeit zur ressortübergreifenden Zusammenarbeit zum Regelfall in der Gleichstellungspolitik.
Das stellen Sie auf den Internetseiten der Leitstelle für Gleichstellung des Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz dar, Frau Ministerin. Aber mehr auch nicht.
Wie sieht es wirklich im Freistaat aus? Über die Besetzung von Führungspositionen mit Frauen haben wir ja schon beim letzten Plenum diskutiert. Frau Deicke hat soeben viele andere Beispiele kurz angerissen. In Sachsen existiert eine Reihe von Rahmenbedingungen, die ein gleichberechtigtes Leben von Frauen und Männern erheblich erschweren. Auch die Bilder von Frauen und Männern in der Öffentlichkeit und in den Medien sind noch sehr stark von Geschlechterstereotypen bis hin zu Sexismus geprägt.
Ziel eines frauen- und gleichstellungspolitischen Handlungskonzeptes muss es deshalb auch sein, die Debatte um Geschlechtergerechtigkeit neu zu beleben, sie mit aktuellen, übergreifenden Fragestellungen zu verbinden und die wichtigsten Handlungsfelder für die nächsten Jahre zu bestimmen. Mit der Umsetzung eines solchen Handlungskonzeptes soll sich die Gleichstellung der Geschlechter in Sachsen spürbar verbessern und der Freistaat fit gemacht werden für die Lösung gesellschaftspolitischer Probleme, die ohne Überwindung traditioneller Rollenstereotype nicht wirksam zu bewältigen sind. Im Abbau von einengenden Geschlechterrollen zugunsten einer freien Entfaltung von weiblichen und männlichen Identitäten,
die mehr Selbstbestimmung, Kreativität, Innovationsfähigkeit für den Einzelnen ermöglichen, liegt die große Chance für ein besseres gemeinschaftliches Miteinander.
Mit einem gleichstellungspolitischen Handlungskonzept könnten auf der Grundlage fundierter Analysen die wichtigsten politischen Handlungsfelder benannt und Ziele formuliert werden. Das soll damit erreicht werden. Darauf aufbauend müsste ein Masterplan „Gleichstellung“ mit konkreten Maßnahmen und Aktionen erstellt werden.
Nicht alle Ziele können allein in der Verantwortung der Staatsregierung oder über Regelungskompetenzen auf Landesebene erreicht werden. Der Prozess der Zielerreichung muss in diesen Bereichen durch eine sorgfältige Zusammenarbeit und Abstimmung mit anderen maßgeblichen Akteurinnen und Akteuren und den Sozialpartnern erreicht werden. Kollegin Deicke hat dargestellt, dass gerade die Zusammenarbeit mit Dachverbänden und mit entsprechenden frauenpolitisch aktiven Organisationen wesentlich verstärkt werden muss.
Dieses Handlungskonzept könnte sich anfangs für fünf oder auch mehr wesentliche Politikbereiche der Landespolitik aussprechen und dafür Handlungsfelder und Ziele definieren, zum Beispiel in der Bildungspolitik, bei der Schaffung existenzsichernder Beschäftigung, bei der Bewältigung des demografischen Wandels, bei der Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit und bei Integration im weitesten Sinne. Jedes dieser Handlungsfelder muss dann untergliedert und mit konkreten Aufgaben untersetzt werden.
Lassen Sie mich das am Beispiel der Bildung erläutern: Wir alle wissen, dass Mädchen und Jungen in ihrem Lernverhalten und in ihren Leistungen bereits in der Grundschule, aber auch später sehr unterschiedlich sind. Es gibt dafür unterschiedlichste Erklärungsmuster. Aufgabe in der schulischen und vielleicht schon in der vorschulischen Bildung muss es also sein, Rollenstereotype abzubauen, die Analyse und gegebenenfalls Veränderung des Lern- und Leistungsverhaltens von Mädchen und Jungen anzustreben, die Erweiterung des Berufswahlspektrums von Mädchen und Jungen zu ermöglichen und vor allem die Eltern einzubeziehen und eine Elternkompetenz zu entwickeln. Jede dieser Aufgaben ist dann mit weiteren, ganz konkreten Maßnahmen zu untersetzen, die verschiedene Bereiche einschließen, zum Beispiel Hochschulen, die Aus- und Weiterbildung, die Berufsberatung und -lenkung, aber auch das Wirken von Kammern, Unternehmerverbänden bis hin zu kommunalen Initiativen.
Wie gesagt, den Bereich Bildung habe ich nur exemplarisch ausgewählt. Das müsste für alle Bereiche weiter aufgeschlüsselt werden. Das kann also nicht nur Aufgabe des Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz und der dort angesiedelten Leitstelle für Gleichstellung sein. Alle Bereiche der Gleichstellungspolitik sind zu analysieren, zu planen und zu beeinflussen. Das
Was aber finden wir in der Stellungnahme zum Antrag unserer Fraktionen? Eigentlich liefern Sie mit Ihrer Stellungnahme, Frau Ministerin, vielfältige Argumente für ein ressortübergreifendes Handlungskonzept. Es gibt viele einzelne Aktivitäten und Programme, die Sie aufzählen. Einzelne Analysen werden angefertigt und Berichte geschrieben. All das könnte in solch ein Handlungskonzept einfließen und dort zusammengeführt werden. Mit einem solchen Handlungskonzept wäre eigentlich ein Leitfaden für die Leitstelle des Ministeriums gegeben, damit sie sich in ihren vielen Maßnahmen überhaupt zurechtfindet.
Schauen Sie nach Berlin oder Brandenburg! Erste Erfolge der systematischen und zielgerichteten Planung und Steuerung sind dort sichtbar, was die Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen, aber auch andere Bereiche betrifft. Es ist dringend notwendig, in Sachsen regierungsseitig neue, professionelle Wege in der Gleichstellungspolitik zu beschreiten, wenn wir uns nicht den Titel eines „Dilettantenstaates“ in der Gleichstellungspolitik einhandeln wollen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag verfolgt das Ziel, ein ressortübergreifendes frauen- und gleichstellungspolitisches Handlungskonzept durch die Staatsregierung erarbeiten zu lassen. Wie meine Vorrednerinnen deutlich gemacht haben, ist ein solches notwendig, um die bisher einzeln durchgeführten Maßnahmen zusammenzufassen, zu strukturieren und neu auszurichten.
Aus unserer Sicht erscheint es allerdings nicht notwendig, ein solches Handlungskonzept erarbeiten zu lassen. Denn bekanntlich führen viele Wege zum Ziel, und es muss die Frage gestellt werden, ob es eines Konzeptes, wie beispielsweise in Berlin und Brandenburg, bedarf, um das zugrundeliegende Ziel zu erreichen, oder ob es nicht auch andere Mittel und Wege gibt.
Wie aus der vorliegenden Stellungnahme zum Antrag deutlich wird, sind einzelne Problemlagen erkannt und analysiert worden. Es wurden Maßnahmen ergriffen, um Lösungen zu finden. Um dies zu erreichen, findet auch eine entsprechende Zusammenarbeit in den Ministerien bzw. mit Verbänden, Unternehmen etc. statt.
Der entsprechende Prozess, wie er in dem vorliegenden Antrag auf Erarbeitung eines Handlungskonzeptes gefordert wird, hat damit bereits begonnen und es ist davon auszugehen, dass dieser fortgeführt wird. Ein Handlungskonzept, wie beantragt, erscheint daher unnötig.
Meine Damen und Herren, das geforderte Handlungskonzept erscheint auch aus einem anderen Blickwinkel als
überflüssig, wenn nicht sogar als problematisch. So gibt es ein solches Konzept, wie bereits erwähnt, in Berlin unter dem Titel „Strategien für ein geschlechtergerechtes Berlin“ und ganz neu auch in Brandenburg, wo es in diesem Jahr von der dortigen Regierung vorgelegt wurde. Wirft man dabei einen Blick in das gleichstellungspolitische Maßnahmenpaket des Landes Brandenburg, so wird man feststellen, dass viele dort geforderte Teilziele in Sachsen bereits seit Längerem erkannt worden sind und Maßnahmen dagegen ergriffen wurden.
Als Beispiel seien nur folgende Teilziele genannt: Verdeutlichung und bessere Würdigung der Leistungen von Frauen, weg von typischen Frauen- und Männerberufen, Erweiterung des Spektrums der Berufswahl, Informationen über die Brustkrebsfrüherkennung, Erhöhung des Frauenanteils in den MINT-Fächern.