Protokoll der Sitzung vom 19.04.2011

Defizite und Versäumnisse bei der innerdeutschen Angleichung der Lebensverhältnisse dürfen nicht die Bemühungen um eine EU-weite Angleichung der Lebensverhältnisse belasten. Das ist klar. Klar ist aber gleichwohl, dass wir im Freistaat Sachsen diese Übergangsregelungen brauchen.

Meine Damen und Herren! Eine weitere Frage, in der unbedingt Klarheit herrschen muss, ist die: Wenn wir die Ziele der Aktuellen Debatte wirklich erreichen wollen, sind Aufgaben zu erfüllen, die über die bisherige Reisetätigkeit unseres Ministerpräsidenten weit hinausgehen.

So steht zum Beispiel Schwarz-Gelb in Sachsen vor der Aufgabe, mit Schwarz-Gelb im Bund zu klären, wie die

Bundesregierung erfolgreich mehr Strukturmittel als bisher ab 2014 absehbar aus dem EU-Haushalt herausholen soll, wenn dieselbe Bundesregierung die vom Europaparlament vorgeschlagene Erweiterung dieses EUHaushalts in scharfem Ton ablehnt.

Meine Damen und Herren! Wenn sich der Eindruck verfestigt, insbesondere bei unseren europäischen Partnern, wie er so bereits in einer Regionalzeitung der Woiwodschaft Lubuskie kolportiert wurde, dass es – ich zitiere – „Deutschlands Ziel sei, keinen neuen größeren Topf für alle aufzustellen, sondern eine Extrakelle für sich selbst aus dem alten kleinen Topf“, dann stehen SchwarzGelb im Bund und im Land vor einem großen Problem; allerdings vor einem hausgemachten. Das Problem dabei ist, dass es uns alle betrifft.

Die Unterstützung für dieses Projekt, für diese Übergangsregelungen müssen wir insbesondere dort einholen, wo wir scheinbar die Gegenseite vermuten. Das sind die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die nach 2004 beigetreten sind. DIE LINKE im Sächsischen Landtag hat ihren Teil der gemeinsamen Verantwortung hierbei wahrgenommen. Wir haben am vergangenen Sonnabend eine Tagung der gemeinsamen Kommission linker Fraktionen aus Woiwodschaftsparlamenten aus Polen, aus Bezirkstagen aus Tschechien und aus Landtagen hier in diesem Hohen Hause durchgeführt. Wir haben diese Tagung aufgrund eines Kooperationsvertrages, den wir schon im Jahre 2004 geschlossen haben, abgehalten. Wir sind einmütig zu der Position gelangt, dass Übergangsregelungen, Übergangsförderung für den Freistaat Sachsen und vergleichbare Regionen derzeit auch von unseren polnischen und tschechischen Partnern unterstützt werden. Ich denke, das ist bisher einmalig in der politischen Debatte.

Grundlage ist dabei allerdings – –

Die Redezeit läuft ab, Herr Kollege.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Grundlage ist hierbei allerdings, dass wir diese Regelung nicht im Rahmen einer sogenannten Lex Saxoniae durchsetzen werden, sondern auf der Grundlage eines erkannten Problems bei Regionen, die noch Entwicklungs- und Festigungsbedarf bei der Förderung haben. Das kann nach 2020 auch bei polnischen und tschechischen Regionen der Fall sein.

Gestatten Sie mir abschließend – –

Jetzt ist aber die Redezeit wirklich zu Ende, Herr Kollege.

Herr Präsident, gestatten Sie mir abschließend die Bemerkung.

(Lachen des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Aber jetzt wirklich abschließend.

Herr Präsident! Wir haben gemeinsam viel zu tun. Wir haben eine Verantwortung wahrzunehmen. Wir haben uns an die Entscheidungsträger zu wenden hier in der Bundesrepublik Deutschland,

(Alexander Delle, NPD: Jetzt reicht es! Aufhören!)

aber auch bei unseren europäischen Nachbarn.

Die Redezeit ist abgelaufen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war der Abg. Kosel für die Fraktion DIE LINKE. – Als Nächster spricht für die SPD-Fraktion erneut Kollege Jurk.

(Zuruf: In freier Rede! – Stefan Brangs, SPD: Das kann Thomas!)

– Ich darf meinen PGF jetzt nicht enttäuschen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für mich ist wichtig, dass wir eine Bestandsaufnahme hinsichtlich der Wirksamkeit und auch der Erfolge der drei Strukturfonds, die wir im Freistaat Sachsen bewirtschaften, EFRE, ESF, ELER, vornehmen. Da stelle ich auch die kritische Frage, woran es zum Beispiel liegt, wenn wir Mittel nicht vollständig abrufen können. Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass man den jetzigen Prozess noch nutzen muss. Wir sind inmitten der bisherigen Förderperiode.

Es gab letzte Woche offensichtlich die Reise des Staatsministers für Umwelt und Landwirtschaft, Herrn Kupfer, zusammen mit dem Arbeitskreis der CDU-Fraktion nach Brüssel, wo es insbesondere um die Frage der Änderung des Operationellen Programms innerhalb des ELER gegangen ist. Sie wissen, dass wir im Freistaat Sachsen ein großes Problem mit der Ausstattung von Schulbaufördermitteln haben. Insbesondere der ländliche Raum soll Unterstützung erfahren bei der energetischen Sanierung von Schulbauten. Ich habe nur über eine Rundfunkinformation gehört, dass das erfolgreich sein soll. Das begrüße ich zunächst einmal. Aber die Frage stellt sich jetzt natürlich in der konkreten Umsetzung. Wir müssen schauen, dass wir diese Gelder rechtzeitig bis zum Ende der Strukturfondsperiode verausgaben und möglichst sinnvoll, weil – ich glaube, ich habe den Geschäftsführer des Städte- und Gemeindetages, Herrn Woitscheck, richtig verstanden – dieser befürchtet, dass das Antragsverfahren kompliziert werden kann. Auf der anderen Seite steht dann natürlich die Frage nach Kosten/Nutzen an dieser Stelle, ob wir einen hohen Standard tatsächlich auch

bezahlen können, weil das immer mit Eigenmitteln verbunden ist.

Ich will an dieser Stelle auch gern eine Information der Staatsregierung abfordern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht natürlich auch darum, wenn man heute bereits weiß, dass man mit weniger Mitteln auskommen muss, dass man sich Gedanken macht, wofür man dieses Geld einsetzt. Ich traue der Regierung zwar zu, was in der Vergangenheit auch schon öfter praktiziert worden ist: Wenn man selber nicht genau weiß, wohin man will, dann nimmt man sich das, was man hat, und streicht weg, was einem politisch nicht gefällt. Das haben wir in den letzten Monaten häufig erlebt.

Ich denke aber, man darf sich das nicht so einfach machen, sondern muss ganz klar die Prioritäten an aktuelle Entwicklungen anpassen. Hier muss die Regierung ihre Hausaufgaben machen.

Ich kann mich gut erinnern, dass ich bei einem BrüsselBesuch mit dem Generaldirektor der Direktion Regio, Herrn Dirk Ahner, darüber gesprochen habe, welche Schwerpunkte Brüssel gemeinsam mit uns in Sachsen voranbringen kann. Es war sicherlich auch der Arbeit der damaligen Staatsregierung zu verdanken, dass er sofort auf das Stichwort demografischer Wandel kam.

Nun ist das sicherlich ein wesentlicher Punkt, der bei der Ausreichung von Fördermitteln berücksichtigt werden muss. Die Frage der Überalterung und der Lebensansprüche in diesen Regionen bis hin zu der Frage, Fachkräftepotenzial zu generieren, dürfte ein ganz entscheidender Punkt sein.

Worauf ich aufmerksam machen möchte, ist, wenn wir dieses Feld beschreiten, müssen wir auch sehen, dass uns nicht Auflagen oktroyiert werden, die uns dann die Mittelverwendung schwerer machen. Aber das Thema als solches hinterfrage ich ausdrücklich.

(Beifall des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Ich kann es mir nicht erklären: Wenn ich zum Ministerpräsidenten schaue, springt einem seine Lustlosigkeit quasi entgegen. Ich darf an dieser Stelle ausdrücklich fragen: Herr Tillich, wie erfolgreich waren Sie denn nun eigentlich bei Ihrer letzten Reise nach Straßburg? Das sind Sie uns schuldig geblieben. Aber ich vermute, Sie werden uns in dieser von den Koalitionsfraktionen an exponierter Stelle angesetzten Aktuellen Debatte sicherlich noch einiges wissen lassen wollen.

Ich hätte genauso gern gewusst, sehr verehrter Herr Tillich: Was halten Sie von der europäischen Strategie Europa 2020?

Ich glaube, wir wären uns sicherlich auch einig: Die Ziele, die mit der Lissabonstrategie verfolgt wurden, konnten nur teilweise umgesetzt werden.

Ich sehe die Konkurrenzsituation insbesondere auch im Hinblick auf andere Kontinente. Wir müssen in Europa

aufpassen, dass wir uns nicht so sehr einschränken bei unseren Aktivitäten, dass uns andere weiter überholen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt eine Reihe von Punkten, die wir noch diskutieren sollten. Ich merke aber auch – und das ist vielleicht ein Beleg für die Debatte heute selbst –, dass dies eher ein Desinteresse findet.

Ich glaube, Herr Staatsminister Dr. Martens, auch wenn ich Ihren letzten Diskurs über den fünften Kohäsionsbericht als einen Einsteigerkurs für junge EU-Politiker empfunden habe – bitte, verstehen Sie es nicht falsch –, sollten wir den Ausschuss nutzen, um diese Fragen noch gründlicher zu diskutieren, weil ich den Eindruck habe, dass wir in dieser Debatte nicht wesentlich klüger werden; tut mir leid.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Jurk sprach für die SPD-Fraktion. – Für die Fraktion GRÜNE spricht erneut Frau Kollegin Kallenbach.

Danke, Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Sie haben vorhin schon gemerkt, dass sich für mich die Intentionen der Staatsregierung sowie das heutige Thema der Aktuellen Debatte zu sehr um den Anteil Sachsens am Kuchen drehen.

Wir brauchen wirklich eine inhaltliche Diskussion. Übergangslösungen sind nötig. Wie beantworten wir aber die folgenden Fragen: Welche Ziele in der Entwicklung wollen wir definieren? Welche Wege für eine nachhaltige beschäftigungswirksame Entwicklung schlagen wir ein? Wie setzen wir den Aktionsplan „Erneuerbare Energien“ um? Was leistet Sachsen zu der von der EU-Kommission vorgelegten Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“? Wie und wo investieren wir in eine Entwicklung der CO2-armen und ressourcenschonenden Wirtschaftsweise? Welche Strategien sehen wir beim Einsatz von EUMitteln angesichts der demografischen Entwicklung? Wie ist Sachsen auf die Neuausrichtung hinsichtlich einer klima- und umweltorientierten Investitionspolitik für eine zukunftsfähige Landwirtschaft vorbereitet? Das sind Themen, die in diesem Haus sowie im Ausschuss diskutiert werden müssen. Ich wünsche mir in diesem Zusammenhang, dass wir die Zivilgesellschaft einbeziehen. Das ist auch eine Forderung aus Europa: Umsetzung des Partnerschaftsprinzips.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns endlich Folgendes einfordern: Die Landtagsmitglieder müssen ein Mitspracherecht bei den inhaltlichen Diskussionen haben. In diesem Zusammenhang steht noch sehr viel aus.

Zu all den heute geäußerten Forderungen gehört, in Bezug auf die Aufstellung des Budgets auf EU-Ebene seriös zu bleiben. Deutschland darf nicht mauern. Ein zuverlässiger und zeitnaher Haushalt auf EU-Ebene muss aufgestellt werden. Das darf nicht erst nach einer Nacht der langen

Messer geschehen, in der es nur um die Vorteile für die jeweiligen Nationen für die Förderperiode der Jahre 2007 bis 2013 geht. Die Herausforderungen der Zukunft Europas können wir nur gewinnen und handeln, wenn alle Regionen mitgenommen werden und der Transformationsprozess zu einer ressourcensparenden und CO2-einsparenden Wirtschaftsweise gelingt. Wenn wir in Sachsen sehenden Auges – so habe ich es bisher wahrgenommen – weiter vorrangig in Beton investieren und auf Kohle setzen, steht es um die nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft, die Energiewende und eine zukunftsfähige Landwirtschaft schlecht.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)