Protokoll der Sitzung vom 19.04.2011

Tagesordnungspunkt 3

2. Lesung des Entwurfs Studienreformgesetz

Drucksache 5/3443, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/5218, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien

Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Aussprache in folgender Reihenfolge erteilt: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, Linksfraktion, SPD, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht.

Wir beginnen mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Herr Dr. Gerstenberg, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen kam das 11. Studierendensurvey im

Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu einer ernüchternden Bilanz des BolognaProzesses. Die Böckler-Stiftung fasste die Ergebnisse mit den Worten zusammen: Bachelor im Mehrfachstress. Nach wie vor hakt es bei den Bachelorstudiengängen. 40 % der betroffenen Studierenden klagen über zu viele Einzelprüfungen. Nur jeder Fünfte findet, dass die Studiengänge gut strukturiert und die Prüfungsinhalte darauf abgestimmt sind.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

In vergleichbaren Diplomstudiengängen sind diese Werte deutlich besser. Verschwindende 4 % der Studierenden absolvieren ein Auslandsstudium. Gerade einmal 7 % absolvieren ein Auslandspraktikum, während in den Magisterstudiengängen diese Werte um ein Vielfaches höher liegen.

(Andreas Storr, NPD: Das Bologna-Desaster ist ein grünes Desaster!)

Der permanente Stress, dem Bachelorstudierende offenbar ausgeliefert sind, wird dadurch verschärft, dass zwei von drei Studierenden nebenbei arbeiten müssen. Angesichts dieser Situation verwundert es kaum, dass sich jeder zweite Studierende Sorgen macht, ob er den Abschluss schafft.

Diese aktuellen Zahlen zeigen, dass sich an den Ursachen der Studierendenproteste im Herbst 2009 kaum etwas geändert hat. Veränderungen sind weiterhin dringend notwendig. Zwar fällte die Kultusministerkonferenz bereits im Oktober 2009 Beschlüsse zu Kernpunkten der Proteste; aber nur wenige Landesregierungen veränderten tatsächlich ihre Hochschulgesetze: zum Beispiel Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und zuletzt Bremen. Diese gesetzlichen Novellierungen setzen mehr oder weniger stark Kernforderungen der Studierenden um. Sie zeigen, dass es eben nicht reicht, an die Hochschulen zu appellieren und als Gesetzgeber die Hände in den Schoß zu legen.

Unser heute in 2. Lesung debattiertes Studienreformgesetz befindet sich also in guter Gesellschaft. Auch die Staatsregierung bereitet zurzeit eine Hochschulgesetznovelle vor. Anstatt die Kritiken am Bologna-Prozess sowie die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz konstruktiv aufzugreifen und dadurch wirksame Verbesserungen für die Studierenden auf den Weg zu bringen, würde der Referentenentwurf neben der Beseitigung handwerklicher Mängel zu deutlichen Verschlechterungen für die Studierenden führen.

Die Koalition macht nun offenbar ernst mit Langzeitstudiengebühren in Höhe von 300 Euro ab einer Studienzeitüberschreitung von drei Semestern. Aus schlechten Studienbedingungen wird auf diese Weise noch ein neues Geschäftsmodell für die Hochschulen: Je geringer die Chancen auf Einhaltung der Regelstudienzeit sind, umso größer wäre die Wahrscheinlichkeit, die betroffenen Studierenden dafür abkassieren zu können. Das halte ich wahrlich für perfide.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition! Wir machen Ihnen mit unserem Gesetzentwurf einen Vorschlag, wie man es besser machen kann. Unser Studienreformgesetz wurde nicht nur in enger Abstimmung mit den Betroffenen entwickelt. Seine inhaltlichen Punkte wurden in der Anhörung mehrheitlich von den Experten begrüßt.

Was sind die wichtigsten Änderungen? Wir wollen die Studienorientierung erleichtern und die Zahl der Studienabbrecher verringern. Wir möchten deshalb eine verbindliche Studieneingangsphase einführen. Zugleich wollen wir die vielfältigen Lebenslagen anerkennen und deshalb die Möglichkeit des Teilzeitstudiums verbessern. Sowohl die Hochschulleitungen als auch die Studierenden konnten in der Anhörung Wege aufzeigen, wie ein Teilzeitstudium bei intelligenter Organisation grundsätzlich kostenneutral zu organisieren ist.

Nicht mehr, sondern weniger Mobilität ist das absurde Ergebnis der bisherigen Bologna-Reform. Eine ausgesprochene Mobilitätsbremse ist die verbreitete Unsicherheit, ob an ausländischen Hochschulen erbrachte Prüfungsleistungen nach der Rückkehr überhaupt anerkannt werden. Ein Studierendenvertreter zeigte in der Anhörung mit einem praxisnahen Beispiel einer Studierenden aus Chemnitz, dass es in Finnland auch anders geht. Deshalb sollen Studienleistungen, die an deutschen sowie Hochschulen des europäischen Hochschulraumes erbracht wurden, künftig als gleichwertig festgestellt und anerkannt werden. Ihre Nichtanerkennung wäre begründungspflichtig.

Über die Dauerbelastung durch Prüfungen klagen Studierende wie Lehrende zu Recht. Anstelle von derzeit zwei oder drei Prüfungsleistungen pro Modul greifen wir die Vorschläge der Kultusministerkonferenz auf. Wir wollen gesetzlich festlegen, dass je Modul nur eine Prüfungsleistung zu erbringen ist. Dabei sind Ausnahmen für größere und komplexere Module möglich. Zusätzlich wird die Anzahl der Modulprüfungen auf fünf pro Semester begrenzt.

Hoch aktuell ist die Frage des möglichst freien Zuganges zum Master; denn die ersten großen Bachelorjahrgänge stehen jetzt vor der Entscheidung zwischen Praxis- und Masterphase. Wir wollen, dass die Zulassung zum Masterstudium in konsekutiven Studiengängen auf der Grundlage des Bachelorabschlusses ohne weitere Zugangsvoraussetzungen erfolgt.

Neben unmittelbaren Regelungen zum Studium kommt es auch auf die Rahmenbedingungen an. Deshalb wollen wir die bisherige Erprobungsklausel des Hochschulgesetzes durch eine Abweichungsklausel ersetzen, die es zusätzlich erlaubt, zentrale Gremien wie Rektorat und Senat, aber auch Personalkategorien abweichend zu gestalten. In diesem Zusammenhang wollen wir auch die Verantwortung für den Personaleinsatz vollständig in die Hände der Hochschulen legen, ohne die Tarifbindung und die Be

schäftigung als Landesbedienstete aufzugeben. Die Hochschulen sollen künftig Umfang und Art der Dienstaufgaben ihres Personals eigenständig durch eine Ordnung oder durch Vereinbarung des Gesamtlehrvolumens mit den Fakultäten regeln können.

Dem Rektor der TU, Prof. Matthes, sprechen diese Regelungen – wie wahrscheinlich vielen anderen Hochschullehrern – aus dem Herzen. An diesem Punkt bin ich wirklich sehr gespannt, wie sich die FDP positionieren wird, die sich erst am vergangenen Wochenende für mehr Autonomie eingesetzt hat.

Der vielleicht umstrittenste Punkt betrifft das Promotionsrecht. Der Bologna-Prozess nähert Universitäten und Fachhochschulen an. Die logische Konsequenz daraus ist aus unserer Sicht die Öffnung der Fachhochschulen für die Promotion. Die Koalition eiert – mit Verlaub gesagt – in dieser Frage seit Monaten herum. Während Prof. Schmalfuß immer wieder den Durchbruch angekündigt hat, finden sich im Referentenentwurf des Wissenschaftsministeriums nur kleine Änderungen beim kooperativen Promotionsverfahren. Jeder, der sich auskennt, weiß jedoch, dass das kooperative Verfahren – bei aller Achtung vor den wenigen laufenden Verfahren – nie die große Lösung sein wird.

Sächsische Fachhochschulen weisen zumindest auf einzelnen Gebieten hervorragende Leistungen in der Forschung auf. Mir ist auch keine einzige Fachhochschule bekannt, die das Promotionsrecht in voller Gänze möchte. Deshalb soll auf Antrag einzelnen Fachgebieten mit besonderen Forschungsleistungen das Promotionsrecht übertragen werden können. Voraussetzung ist eine positive Bewertung der wissenschaftlichen Gegebenheiten durch eine Fachkommission. Genau diese zielgenaue Lösung wird auch durch Fachhochschulen eingefordert.

Lieber Herr Prof. Schmalfuß, statt weiter mit einer Schmalspurlösung am kooperativen Promotionsverfahren herumzudoktern, geben Sie sich einen Ruck und bringen Sie Ihre Fraktion dazu, uns zumindest in diesem Punkt zu unterstützen!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf würde der Freistaat wirksame Konsequenzen aus den anhaltenden Problemen bei Bachelor und Master ziehen. Ich fordere Sie auf, unser Angebot anzunehmen und endlich zu handeln. Ansonsten könnte der permanente Mehrfachstress für die Bachelorstudierenden in einem nächsten "Protest-Herbst" oder "Protest-Frühling" zu einem ausgesprochenen Stresstest für die derzeit Regierenden werden.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Gerstenberg. – Für die Fraktion der CDU spricht Herr Abg. Dr. Mackenroth; Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich darf zu Beginn klarstellen, dass ich nicht promoviert bin, was mir vielleicht die eine oder andere momentane Schwierigkeit erspart.

(Leichte Heiterkeit bei den GRÜNEN und der NPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben alle noch die Anhörung vor dem Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien zu dem Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Erinnerung. Nach meiner Kenntnis hat der versammelte Sachverstand einem Gesetzentwurf selten eine deutlichere Abfuhr erteilt als in diesem Fall. Das Kernargument der Sachverständigen war: Solange der mit diesem Gesetzentwurf verbundene erhebliche Mehraufwand nicht ausfinanziert ist, sind die Vorschläge schlicht unrealistisch.

(Andreas Storr, NPD: „Grünes Desaster“ kann man dazu sagen!)

Ich teile die Meinung der Mehrheit der Sachverständigen und werde meiner Fraktion schon deshalb empfehlen, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Allerdings möchte ich nicht verkennen, Herr Dr. Gerstenberg, dass er wichtige Impulse enthält, gerade was die Bologna-Reform betrifft. Hier sind aber nach meiner Auffassung in erster Linie die Hochschulen gefragt, auch, was die Anzahl der Prüfungsleistungen angeht.

Leider beschränkt sich Ihr Gesetzentwurf nicht darauf, die Pannen aus dem Bologna-Prozess zu reparieren; denn wenn wir den Gesetzentwurf insgesamt sehen, stellt er die Dinge dann doch ein wenig von den Füßen auf den Kopf und löst den Zielkonflikt zwischen der Freiheit der Hochschulen und ihrer Verantwortung auf der anderen Seite nur unzureichend.

Ihr Gesetzentwurf räumt den Hochschulen an Stellen große und weitgehende Freiheiten ein, an denen wir nach meiner Meinung regulieren müssen, während er andererseits Teilbereiche reguliert, die ihrerseits wiederum besser in der Autonomie der Hochschule und durch den Gesetzgeber unangetastet verblieben. Schließlich enthält er zahlreiche Regelungen, die die Hochschulen bereits jetzt im Rahmen der ihnen durch das Gesetz gewährten Autonomie einführen könnten. Wenn das so ginge, brauchten wir nach meinem Verständnis aber nicht unbedingt die Tätigkeit des Gesetzgebers.

Ich möchte das an zwei Beispielen belegen. Die Professorenschaft kann, wenn Ihr Entwurf in das Gesetzblatt gelangt, nach Ziffer 15 des Entwurfes ihre Aufgabenwahrnehmung innerhalb der Fakultät quasi selbst definieren. Dies geht nach meiner festen Überzeugung so nicht. Das ist so, als wenn Sie einem Busfahrer zu Beginn seiner Schicht freistellen, wohin er fährt. Das gibt ein Chaos, und ich will wahrlich nicht alle Hochschullehrer unter einen Generalverdacht stellen, aber dies, denke ich, führt nicht zum Ziel.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, DIE LINKE)

Andererseits erfordern bei über hunderttausend Studierenden die von Ihnen gewünschten sogenannten Studenten- sowie die Dissertationsvereinbarungen einen bürokratischen Aufwand, der seinesgleichen suchen dürfte. Auch das will die Koalition im Hochschulbereich nicht. Noch einmal, da es im Ausschuss einige Missverständnisse gab: Dieses Recht, dieser Anspruch ist nicht fakultativ, sondern verpflichtend ausgestaltet. Ich kann mir schon die Schlangen vor den Studentenwerken bzw. den Beratungsstellen vorstellen – ich weiß überhaupt nicht, wer das alles machen soll –, wenn jedem Einzelnen sozusagen ein maßgeschneiderter Studienplan auf den Leib gedrückt wird. Im Übrigen ist das auch mit meinem Verständnis von Studienfreiheit nicht unbedingt zu vereinbaren.

Ein weiterer Kritikpunkt, den wir so nicht akzeptieren werden: Der Gesetzentwurf kippt die bisherige Regelung, nach der ein Votum der Mehrheit der Studierendenvertreter von zwei Dritteln der Gremienmitglieder überstimmt werden kann. Auch das entspricht nicht meiner Vorstellung von autonomer Entscheidungsfindung im Hochschul- und Wissenschaftsbereich, wenn einer Gruppe ein faktisches Vetorecht eingeräumt wird.

Schließlich – Sie haben es angesprochen – werden wir das kooperative Promotionsrecht der Fachhochschulen in der absehbar vorzulegenden Novelle besser regeln. Dies gilt auch für die Überhänge aus dem Bologna-Prozess, sofern sie einer gesetzlichen Regelung bedürfen, und ich schlage vor, dass wir über die Punkte der Novelle dann sprechen, wenn der Entwurf auf dem Tisch liegt.

Insgesamt enthält der Gesetzentwurf einige bemerkenswerte Punkte, die diskussionswürdig sind; aber alles in allem erscheint er mir nicht nur nicht hilfreich, sondern aus den dargelegten Gründen sogar schädlich. Meine Fraktion wird ihn ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Mackenroth, auch für die Klarstellung. – Die Fraktion DIE LINKE ist an der Reihe. Herr Prof. Besier, bitte; Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Wissenschaftsausschuss hat das von den GRÜNEN vorgelegte Studienreformgesetz breite Anerkennung erfahren. Der Gesetzentwurf hat viele wichtige Gedanken der Hochschuldiskussionen aufgegriffen. Dies gilt es, wie ich meine, angemessen zu würdigen.

Folgende Gesichtspunkte sind von besonderer Bedeutung:

Erstens. Mit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge sollte als ein Hauptziel eine größere internationale Mobilität erreicht werden. – Das Gegenteil ist bisher der Fall. Darauf hat Herr Kollege Gerstenberg bereits hingewiesen.