Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich im Namen aller drei Fraktionen allen danken, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus, jegliche andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie gegen antidemokratische Tendenzen in unserer Gesellschaft engagieren.
(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – vereinzelt anhaltender demonstrativer Beifall bei der NPD)
Dieser Dank ist unabhängig davon, ob dieses Engagement von Dienst wegen passiert, ehrenamtlich oder von Fördermitteln unterstützt wird.
Frau Köditz, ich bitte Sie mal kurz Ihren Redebeitrag zu unterbrechen. Herr Gansel und Herr Schimmer, ich fordere Sie auf, Ihre Beifallsbekundungen einzustellen. Das ist kein einzelner Beifall, sondern lang anhaltender Beifall.
Sollten Sie weiter die Sitzung stören, werde ich Ihnen beiden einen Ordnungsruf erteilen. Sie können sicher sein, dass ich von weiteren Ordnungsrufen Gebrauch machen werde.
Danke sehr, Herr Präsident! Der Dank der drei einreichenden Fraktionen ist völlig unabhängig davon, ob dieses Engagement von Dienst wegen passiert, ehrenamtlich oder von Fördermitteln unterstützt wird. Ob es während der Arbeitszeit oder in der Freizeit passiert – Sachsen braucht dieses Engagement in seiner Vielfältigkeit heute mehr denn je.
Umso erschreckender ist eigentlich die Tatsache, dass wir uns heute damit beschäftigen müssen, dass Initiativen und Projekte in diesem Bereich einem Generalverdacht
unterworfen werden. Gestern hatten wir schon das Thema Generalverdacht. Da wurde es weit von sich gewiesen, als es um die Kennzeichnungspflicht von Polizistinnen und Polizisten ging. Heute dagegen soll Generalverdacht legitim sein? Projekten, die sich für Demokratieförderung einsetzen, wird ganz einfach unterstellt, sie würden sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einsetzen. Zweierlei Maß also in diesem Haus.
Aber das Desaster geht noch weiter. Die genannten Projekte sollen ihre Pressemitteilungen mit dem Ministerium absprechen, und ich hoffe ganz einfach nicht, dass dies als solches ein Basisbestandteil einer freiheitlichdemokratischen Grundordnung ist. Aber nicht genug mit Bekenntniszwang und Zensur – bis zum heutigen Tag haben die genannten Projekte noch keine Fördermittelbescheide. Diese Projekte arbeiten seit über drei Monaten ohne Geld.
Sie leben von Rücklagen, nehmen private Einschnitte hin. Das ist aktuell die Grundlage des Engagements der Menschen in den Projekten und Initiativen für die Demokratie in diesem Land.
Meine Damen und Herren, seit über sechs Jahren gibt es das Programm „Weltoffenes Sachsen“. Es ist kein komplexes Handlungskonzept, in dem die Verantwortlichkeiten aller Ministerien zusammenfließen, es ist kein Konzept zur Verbindung der einzelnen Handlungsebenen von den Kommunen bis zur Staatsregierung, und es ist auch kein Ansatz zur strukturellen Förderung von Vernetzungsprojekten. Es ist nur ein Fördermittelprogramm.
Sachsen ist diesen Weg gegangen. Brandenburg nahm mit seinem Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ einen anderen Weg, und zwar mit Erfolg. Im Landtag Brandenburg sitzt keine rechtsextreme Partei mehr. Der sächsische Weg überträgt immer mehr Aufgaben an Initiativen, Projekte und Vereine, die sich dann immer wieder mit Anträgen, Fördermittelbescheiden, Abrechnungen und anderen bürokratischen Hürden abkämpfen müssen. Gegen diese Bürokratie habe ich übrigens von der FDP noch nichts gehört.
Stattdessen forderte sie auf ihrem letzten Landesparteitag wieder ganz massiv diese Extremismuserklärung.
Meine Damen und Herren, es werden Mittel gekürzt – im Jugendbereich, in der Kultur, im Sport, im sozialen Bereich, bei den Kommunen, in den Vereinen. Probleme, die dadurch vor Ort entstehen, sollen dann durch Projekte im Rahmen des Programms „Weltoffenes Sachsen“ wieder behoben werden. Das ist aus meiner Sicht Irrsinn im Quadrat. Damit werden wir scheitern, wir alle, und es wird nur einen Sieger dabei geben, und der sitzt hier rechts außen.
Die Verunglimpfung der Projekte des Programms „Weltoffenes Sachsen“ wurde durch die NPD hier im Sächsischen Landtag gestartet, und jetzt reagiert die Staatsregierung mit Bekenntniszwang, Zensur und Aushungern. Die Staatsregierung sollte in ihren eigenen Verantwortungsbereichen schauen, was sie gegen Rassismus, Antisemitismus und all die anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit tun kann – in der Bildung, in der Wissenschaft, bei den Kommunen, in der Jugendarbeit, in den Bereichen Polizei und Justiz.
Was erleben wir immer wieder? Zu lange Zeiten, bis die Polizei bei Überfällen vor Ort ist, Ermittlungen, die sich über Jahre hinziehen, Anklagen, die schlecht vorbereitet sind, Urteile, die aufgehoben werden müssen, Bewährungsstrafen für Körperverletzungen, die tödlich hätten enden können. Diese Liste ist leider lange fortsetzbar.
Aber gestatten Sie mir, trotzdem noch ein Beispiel anzusprechen, weil es uns hier im Haus selbst betrifft. Wie lange wird es noch dauern, bis sich der Landtagspräsident und der Rechnungshof einig werden, wie gegen die Wahlkampfaktivitäten der sächsischen NPD-Landtagsfraktion in anderen Bundesländern vorgegangen werden kann? Der sächsische Steuerzahler finanzierte bereits den Wahlkampf der NPD in Sachsen-Anhalt, und aktuell ist schon wieder ein Mitarbeiter der Fraktion als Wahlkampfleiter in Bremen aktiv.
Es gibt viel zu tun, aber wir diskutieren über eine Extremismuserklärung. Es geht doch nicht um das Bekenntnis zum Grundgesetz, es geht doch in Wirklichkeit um die Unterstellung, dass die Projekte irgendetwas mit einem von CDU und FDP mit Unterstützung des Landesamtes für Verfassungsschutz und der Herren Backes und Jesse so definierten „Linksextremismus“ zu tun hätten.
Aber es gibt doch mittlerweile Forschungsarbeiten, die nachweisen, dass in den Projekten keine sogenannten Linksextremisten arbeiten. In diesen Forschungsarbeiten wurde sogar festgestellt, dass die Projekte in ihrer Arbeit auch nichts missbrauchen, um sogenannte linksextreme Ideologien zu verbreiten. Der Innenminister hat ja auch erklärt – der Kollege Jennerjahn zitierte das bereits –, dass es in der Vergangenheit nicht dazu gekommen ist, dass über die Projekte des Programms „Weltoffenes Sachsen“ irgendwelche „extremistischen“ Vereine gefördert wurden.
Also lassen Sie uns gemeinsam aktiv werden für die Achtung der Menschenwürde, für die Gleichheit aller Menschen, für Demokratie und Selbstbestimmung aller, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Nutzen wir dafür bitte die Erfahrung der vielfältigen Initiativen und Projekte, die sich in den letzen Jahren hier in Sachsen dafür engagiert haben, und unterstützen wir deren Wirken ohne formalistischen Bekenntniszwang, ohne Zensurforderung, aber mit sofortiger Versendung der Fördermittelbescheide.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sachsen hat ein Problem mit Neonazis. Viele Initiativen in Sachsen engagieren sich gegen den Rechtsextremismus, und das ist gut so. Unter teils schwierigen Bedingungen auch für ihre persönliche Sicherheit leisten sie Kärrnerarbeit für die Entwicklung einer demokratischen Kultur in Sachsen.
Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten in Sachsen ist überdurchschnittlich hoch. Allein im letzten Jahr hat es in Sachsen mindestens 14 rechtsextremistisch motivierte Brandanschläge gegeben, und dies auch direkt gegen diese Demokratieprojekte und deren Mitarbeiter. Diese Menschen bedürfen unserer nachdrücklichen und außerordentlichen Unterstützung und eines klaren Bekenntnisses der demokratischen Parteien und Fraktionen, dass ihre Arbeit ausdrücklich erwünscht ist, auch und gerade, wenn sie manchmal unbequem ist.
Das praktische Regierungshandeln sieht aber anders aus. Mit der sogenannten Demokratieerklärung stellt die Sächsische Staatsregierung die sächsischen Demokratieinitiativen unter einen Generalverdacht. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten vertreten energisch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und lehnen deshalb die Gesinnungsprüfung ab, weil sie verfassungswidrig ist.
Denn der Bürger/die Bürgerin in einer freiheitlichen Demokratie ist von sich aus frei von Verdacht. Er muss seine Unschuld weder belegen noch beweisen. Das ist eine der wichtigsten Errungenschaften des politischen Liberalismus. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden es deshalb nicht unwidersprochen geschehen lassen, wenn gilt: Wer sich im Freistaat für Demokratie engagiert, macht sich verdächtig. – Das ist das fatale Ergebnis Ihrer verfehlten sächsischen Demokratiepolitik, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Der Bekenntniszwang und die Gesinnungsprüfung der Staatsregierung werden jetzt noch einmal deutlich verschärft. Sie finden diesen Punkt in einem gemeinsamen Änderungsantrag. Zukünftig sollen die sächsischen Beratungsnetzwerke, das Kulturbüro Sachsen und die RAA, ihre Pressemitteilungen zuvor dem Sozialministerium vorlegen.
Das öffnet Tür und Tor für Zensur, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das ist Zensur. Anders kann man das nicht nennen.
Dies ist aus mehreren Gründen inakzeptabel. Wer eine aktive Zivilgesellschaft im Kampf gegen Rechtsextremismus möchte, muss ihr die Unabhängigkeit der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit garantieren. Gerade im Einsatz der Zivilgesellschaft ist eine gewisse Distanz zu staatlichen Behörden dringend geboten, um auch kritische Positionen einnehmen zu können.
Wie soll das denn funktionieren, wenn eine PM, die eine Verharmlosung von Rechtsextremismus durch einen CDU-Bürgermeister vor Ort thematisiert, vorher von einem CDU-geführten Ministerium abgesegnet werden soll? Zivilgesellschaft braucht staatliche Unabhängigkeit. Wer ihr diese nimmt, schadet dem Kampf gegen Rechtsextremismus und handelt gegen die formulierten Interessen des Bundesprogramms „Toleranz fördern und Kompetenz stärken“.
Frau Ministerin, das sieht auch das Bundesfamilienministerium so. Lesen Sie das Protokoll der 101. Sitzung. Da wird das vom zuständigen Staatssekretär gesagt. Ich kann Ihnen sogar sagen, wo der Fehler bei Ihnen liegt: Ein Blick in die Nebenbestimmungen zum Förderbescheid an das Sozialministerium bringt nämlich Klarheit. Es trägt den Titel „Merkblatt für Öffentlichkeitsarbeit“. Genau das wird in der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums immer vorneweg getragen. Darin heißt es – und jetzt Achtung! –: „Bitte legen Sie alle geplanten Veröffentlichungen und Pressemitteilungen der Regiestelle des Bundesfamilienministeriums vor.“ Das steht da drin.
Besonders wichtig: die vorherige Vorlage bei Pressemitteilungen. Das ist also die Begründung des SMS für die angeführte Klausel. Aber schauen Sie sich doch bitte einmal die Adressaten dieses Merkblatts an. Das ist eine Anweisung des Bundesministeriums an das Landesministerium.