Protokoll der Sitzung vom 20.04.2011

Mit dem Ausbau des Freiwilligendienstes setzt die christlich-liberale Koalition auf Bundesebene auch einen wichtigen Punkt aus dem Koalitionsvertrag um. Die Einrichtung des Bundesfreiwilligendienstes vor Ort in den Ländern und in den Kommunen ist eine gemeinsame Aufgabe, bei der wir natürlich gern unterstützen wollen, sei es auch nur in der Form, dass wir mit nach außen tragen, was für eine Chance es ist, eine Gesellschaft aktiv mitzugestalten und diese Zeit gleichzeitig als Bildungszeit und Orientierungszeit in jedem Lebensalter zu nutzen.

Zivilgesellschaftliches Engagement ist ein wichtiger Impuls für unsere Zivilgesellschaft und eine Bereicherung für junge Menschen selbst. Lassen Sie uns hier in Sachsen diesen Umbruch als Chance wahrnehmen, als Chance zu mehr Flexibilität und Gestaltungsfreiheit der Träger, zu mehr Pluralität in der Freiwilligenlandschaft und zur Stärkung des Ehrenamtes.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das war Frau Kollegin Schütz für die miteinbringende Fraktion der FDP. – Für

die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt Herr Kollege Pellmann, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, die beiden Vorredner haben es angedeutet: Es ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Ich hätte mir allerdings gewünscht, wenn man schon eine solche Aktuelle Debatte aufruft, dass man dann auch stärker auf den Kern kommt und nicht lediglich die Situation beschreibt, also konkrete Vorschläge bringt.

(Beifall bei den LINKEN)

Die Konzentration möchte ich in meinem Beitrag auf den Pflegebereich richten, Pflegebereich sowohl im Krankenhaus als auch in den entsprechenden Heimen. Hier haben bekanntlich in den vergangenen Jahren Zivildienstleistende eine außerordentlich wichtige Arbeit geleistet, die wir stets außerordentlich anerkannt haben, und sie haben auch sehr viel für ihre spätere berufliche Tätigkeit mitnehmen können.

Mit dem Wegfall der Zivildienstleistenden ist allerdings lediglich mit den Ersatzdiensten, die Sie jetzt ansprechen, auf ein Kardinalproblem noch nicht die notwendige und richtige Antwort gegeben, nämlich: Wir steuern auf einen Notstand in der Pflege zu. Diese Dinge, die Sie hier anbieten, werden uns in keiner Weise weiterhelfen, dem entgegenzuwirken. Deswegen, glaube ich, wird auch der Vorschlag, wie wir ihn in dieser Woche aus CDU-Kreisen lesen konnten – dazu haben Sie heute möglicherweise bewusst geschwiegen –, dass am besten Langzeitarbeitslose herhalten könnten, um solche Zivildienstleistende zu ersetzen, von uns in dieser Weise nicht mitgetragen.

(Beifall bei den LINKEN)

Wir sind allerdings der Auffassung, Arbeitslose können und sollen unter bestimmten Bedingungen durchaus herangezogen werden, nämlich wenn sie selbst sich eignen, wenn sie eine Motivation haben. Es geht nicht um eine Autoreparatur, es geht um Pflege am Menschen. Erst dann, wenn das alles freiwillig geschieht und nicht zu Zwangsmaßnahmen führt und vor allem, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es sich wirklich um Vollzeitjobs mit einer ordentlichen Bezahlung handelt und wenn die entsprechenden bisherigen Arbeitslosen umgeschult, weitergebildet und ausgebildet werden, können wir wirklich dazu beitragen, dass der Pflegenotstand schrittweise und der Fachkräfterückgang abgebaut werden.

Ich sage Ihnen auch eines – das habe ich in Ihren Beiträgen vermisst –: Wenn wir eine neue Situation haben, dass Zivildienstleistende jetzt nicht mehr zur Verfügung stehen, dann sollten wir diese Situation auch als Chance nutzen und umdenken. Ich will Ihnen an vier Punkten kurz andeuten, was das für den Pflegebereich heißen würde.

Erstens. Der Pflegebereich muss generell einen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft erhalten.

(Beifall bei den LINKEN)

Es darf nicht nach der Devise verfahren werden, bei Demenzkranken würden sich Arbeitslose besonders eignen, wie wir das schon vor Monaten kritisiert haben. Das ist ein falscher Ansatz.

Zweitens. Wir brauchen viel mehr qualifiziertes Personal. Allein Hilfskräfte werden uns aus der Misere nicht heraushelfen.

Drittens. Wir brauchen natürlich wesentlich mehr finanzielle Mittel. Es kann nicht sein, dass wir sozusagen sehenden Auges in eine Situation steuern und meinen, wir könnten das allein mit freiwilligen Kräften, die ich für wünschenswert halte, lösen. Das wird nicht funktionieren.

Viertens. Wir brauchen eine solidarische Pflegeversicherung, eine Bürgerversicherung und kein privat abgesichertes Pflegerisiko, wie es insbesondere von der FDP gefordert und immer wieder angedeutet wird.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Genau deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, sage ich Ihnen heute, wir müssen umdenken, wir müssen umsteuern, ansonsten passiert Folgendes: Vor weitaus mehr als zehn Jahren habe ich von diesem Pult aus vor dem drohenden Ärztemangel gewarnt. Sie haben damals gelacht. Nicht alle sind heute noch da, aber immerhin einige, an die ich mich erinnere. Heute haben wir einen manifesten Mangel. Ich sage Ihnen heute: Wenden wir den Pflegenotstand durch intelligente Lösungen ab, heute ist noch Zeit dafür, die wir nicht verschlafen sollten. Wir sollten nicht meinen, dass alles durch freiwillige Kräfte zu lösen ist.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE sprach Herr Dr. Pellmann. – Als Nächstes spricht für die SPD-Fraktion Herr Homann

(Jürgen Gansel, NPD: Den Kampf gegen Rechts nicht vergessen! – Zuruf von der SPD: Gusche halten und zuhören!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es richtig, dass wir uns regelmäßig mit den Freiwilligendiensten in unserer Gesellschaft beschäftigen, denn sie sind ein wichtiger Pfeiler, zum einen für die jungen Menschen und zum anderen für die Einsatzstellen.

Am letzten Freitag hat der Bundesrat die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes beschlossen, und man muss sich fragen, warum die Aktuelle Debatte erst heute kommt. Eigentlich ist der Drops gelutscht, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den LINKEN)

Die wahren Einflussmöglichkeiten sind vorbei. Sagen Sie nicht, wir hätten hier einen sächsischen Gestaltungsanspruch nicht mehrfach angemahnt. Das haben wir im

letzten Jahr im Rahmen der Kürzungsdebatte im Freiwilligendienst sehr wohl getan.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den LINKEN)

Jetzt sind wir in einer Situation, in der wir eine große Chance verpasst haben. Der Bundesfreiwilligendienst wird in Zukunft neben den etablierten Jugendfreiwilligendiensten FSJ und FÖJ parallel laufen. Das Ergebnis ist eine überflüssige Doppelstruktur und außerdem dass der Bundesfreiwilligendienst als Lückenfüller dient und wir es nicht hinbekommen, einen einheitlichen attraktiven Dienst für die jungen Menschen anzubieten.

Dabei hat dieser Bundesfreiwilligendienst aus meiner Sicht einen Grundfehler und auch viele praktische Fehler. Der Grundfehler ist, dass dieser Bundesfreiwilligendienst vor allem aus der Perspektive der Infrastruktur, der sozialen und pflegerischen Bereiche, nämlich aus dem Bedarf, kommt. Wir haben da eine Lücke. Da müssen wir doch jemanden einsetzen. Freiwilligendienste für junge Menschen müssen den jungen Menschen im Fokus haben; denn es geht um Bildungsdienst, der der Persönlichkeitsentwicklung dient und nicht dem Stopfen von Finanzlöchern, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Wir haben aber auch ganz konkrete Unsicherheiten bei den Trägern. In persönlichen Gesprächen erlebe ich das durchaus. Es geht um die Frage: Wie soll ich bei knapper werdenden Finanzmitteln bis zu 330 Euro Taschengeld aufbringen? Was ist eigentlich mit dem Finanzausgleich für das Kindergeld? Was ist mit den Sachleistungen, die ich dringend finanzieren muss, um dem Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, diesen Freiwilligendienst überhaupt abzuleisten. Dies wird dazu führen, dass sich vor allem die großen Träger den Bundesfreiwilligendienst werden leisten können. Die Träger in den kleinen Kommunen und ländlichen Regionen werden Probleme bekommen, diesen Bundesfreiwilligendienst überhaupt in Anspruch zu nehmen, weil für sie das FSJ und das FÖJ durchaus attraktiver sind, diese aber gekürzt wurden.

Wir hören die Vorschläge aus den konservativen Kreisen, die fehlende Attraktivität des Bundesfreiwilligendienstes durch Zwangsdienste für Arbeitslose aufzufüllen. Ich glaube, an dieser Stelle haben wir ein wenig Übereinstimmung. Ich bin nämlich auch dafür, dass wir die Arbeitslosen dazu heranziehen, aber nicht durch Zwangsdienste, sondern indem wir die Chance nutzen, hier ordentliche, sozialversicherungspflichtige Jobs in der Pflege zu schaffen.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Das ist die eigentliche Chance, die wir haben. Ich finde, wenn wir über Perspektiven sprechen, können wir auch stolz sein auf das, was wir in Sachsen schon geschafft haben. Wir haben im Bereich der Freiwilligendienste FSJ und FÖJ etwas sehr Tolles geschafft, nämlich diese Dienste ein wenig auszudifferenzieren und zu spezifizie

ren. Ich finde es richtig, dass wir das FSJ in den letzten Jahren in ein FSJ Politik, in ein FSJ Kultur und in ein FSJ Sport gegliedert haben. Ich denke, die Perspektive ist der Ausbau des FSJ und des FÖJ. Warum nicht auch ein FSJ Pflege? Hier kann man von Sachsen lernen, aber dass Sie die positiven Ansätze Sachsens ungern hochhalten, weil Ihnen das nicht passt, ist ja auch nichts Neues.

In diesem Sinne wünsche ich mir eine Diskussion über die Perspektiven, aber bitte rechtzeitig und mit den richtigen Antworten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Für die SPD-Fraktion sprach der Abg. Homann. – Als Nächstes spricht für die Fraktion GRÜNE Frau Herrmann.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben uns in den vergangenen Jahren immer wieder für eine Stärkung der Freiwilligendienste, sowohl der Jugendfreiwilligendienste im Land als auch der Finanzierung, eingesetzt. Wir begrüßen, dass jetzt die Gelegenheit wahrgenommen wird, diese Stärkung der Freiwilligendienste vorzunehmen.

Ich bin ganz froh, dass auch Herr Patrick Schreiber keinen Zuckerguss über die ganze Debatte geschmiert hat, sondern durchaus die Punkte angesprochen hat, die kritisch sind. Wenn mein Vorredner gesagt hat, es gibt einen Kardinalfehler, dann könnte man das auch als Geburtsfehler bezeichnen; denn im Fokus war nicht zuerst, was die neuen Freiwilligen an Bedingungen brauchen, sondern im Fokus war zuerst die Kritik der Wohlfahrtsverbände am Wegfall der Zivildienststellen – dazu hat Herr Pellmann schon Ausführungen gemacht – und die Frage, was mit dem Bundesamt für Zivildienst wird. Dieses wollte man erhalten, weil die Wehrpflicht nur ausgesetzt ist und es bei Wiedereinführung wieder gebraucht wird. Man hätte dann auch eine neue Struktur für den Zivildienst schaffen können, aber man hat sich auf Bundesebene dafür entschieden, dieses Amt beizubehalten und auch die Arbeitsplätze zu erhalten. Das sind Doppelstrukturen und die Prämissen, unter denen man diesen neuen Dienst eingeführt hat, sind nicht auf diejenigen ausgerichtet, die den Freiwilligendienst leisten werden.

Wir können heute überhaupt noch nicht absehen, wie der neue Freiwilligendienst die Landschaft verändern wird. Wenn in einer Einsatzstelle zum Beispiel ein Jugendlicher ein FSJ ableistet und gleichzeitig ein anderer den Bundesfreiwilligendienst, ist die Frage, ob dann das Taschengeld ausreichen wird. Auch wenn der neue Dienst auf Bundesebene so eingerichtet wird, dass diese Konkurrenz ausgeschaltet werden soll, indem auch die Jugendfreiwilligendienste besser ausgestattet werden, so besteht doch die Gefahr, dass es erhebliche Diskrepanzen geben wird. Anerkennung ist zum Beispiel ein Thema.

Was bedeutet das für die Jugendlichen? Im Moment herrscht ein unwahrscheinlicher Wirrwarr. Jugendliche haben es sehr schwer, sich zu orientieren. Das kann durchaus dazu führen, dass wir nicht mehr freiwilliges Engagement haben, sondern weniger, weil keiner mehr durchsieht. Die Forderung wäre, dort zu koordinieren und entsprechende Beratungsleistungen – Herr Schreiber hat es „Imagekampagne“ genannt – anzubieten. Wir können es nennen, wie wir wollen, aber da ist nicht nur der Bund in der Pflicht, sondern auch das Land.

(Patrick Schreiber, CDU: Das habe ich gesagt!)

Ja, das haben Sie gesagt.

Die zur Verfügung stehenden Plätze wollen wir auch wirklich besetzen. Zum einen wollen wir den jungen und auch den älteren Menschen eine Chance geben. Wir sehen, dass in der Vergangenheit auf einen Platz mehrere Bewerber kamen und somit auch Bewerber abgewiesen werden mussten. Zum anderen sind die Träger darauf angewiesen, Freiwillige einsetzen zu können. Wenn wir sagen, bestimmte Dinge sollen die Träger anders finanzieren, dann müssen wir auch darüber sprechen, ob die Träger dafür das entsprechende Geld bekommen.

Eine Forderung wäre, wenn man sich diesen Wirrwarr ansieht, dass man sich auf Bundesebene einigen muss. Wir haben außer den Jugendfreiwilligendiensten im Land auch noch die Auslandsfreiwilligendienste. Es sind verschiedene Ministerien daran beteiligt. Wenn man langfristig Freiwilligendienste als eine Möglichkeit haben will, sich in dieser Gesellschaft zu engagieren, dann braucht man eine einheitliche Struktur dafür. Wir regen an – und haben diese Forderung auch schon im Bund aufgemacht –, ein Freiwilligendienste-Statusgesetz zu schaffen.