Protokoll der Sitzung vom 25.05.2011

(Beifall bei der CDU und der Abg. Tino Günther und Torsten Herbst, FDP)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Herr Dr. Pellmann?

Herr Präsident, ich möchte zum Redebeitrag der Frau Staatsministerin von dem Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen.

Bitte.

Sie hat mehrfach – wahrscheinlich hat sie die Formulierung tief getroffen – gemeint, dass sie nicht abtauchen, sondern auftauchen würde, und die Frage gestellt: Wenn es so wäre, wie wir in der Formulierung meinten, dann müssten die Kommunen mit Beschwerden zur Regierung kommen. Frau Staatsministerin, vielleicht halten Sie ein Kommen zur Staatsregierung bereits für zwecklos, weil sich ohnehin nichts ändert? Haben Sie das einmal überlegt? Vielleicht liegt es ja daran.

Ich möchte noch sagen, dass mich an Ihrem Redebeitrag, aber auch an dem vorhergehenden, etwas verwundert hat.

Sie hatten auch Ihrer Verwunderung über die heutige Debatte Ausdruck verliehen, man müsse erst einmal abwarten und könne heute noch gar nicht bilanzieren. Liebe Leute, wo kommen wir denn hin! Hier werden Gesetze verabschiedet nach der Devise: Wir warten erst einmal ab, was daraus wird. So kann man doch nicht damit umgehen.

Ich sage Ihnen: Das gesamte Gesetz, das gesamte Bildungs- und Teilhabepaket ist nicht das, was es vielleicht hätte gutwillig sein können. Es ist schlicht und ergreifend kein Ersatz dafür, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht vernünftig umgesetzt wurde. Man hätte endlich den Regelsatz ordentlich anheben müssen und nicht solch eine Ersatzlösung schaffen dürfen; denn das unterstellt von vornherein – das ist so heute nicht ge

kommen –, die Eltern würden das Geld für ganz andere Dinge verwenden.

Eine jüngste Studie hat gezeigt, dass es so nicht ist. Die meisten Eltern sind sehr wohl bereit und in der Lage, auch wenn sie nur sehr wenig Einkommen haben, alles für ihre Kinder zu tun. Wenn Sie dann ein sogenanntes Bildungs- und Teilhabepaket verabschieden, anstatt den Regelsatz anzuheben, dann haben Sie nicht das Vertrauen in die Eltern, das nötig wäre.

Frau Staatsministerin, Sie möchten nicht erwidern? – Es hat sich erledigt; vielen Dank. – Meine Damen und Herren! Die Debatte ist abgeschlossen und der Tagesordnungspunkt ist damit beendet.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 3

2. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Änderung des Sächsischen Justizgesetzes

Drucksache 5/4020, Gesetzentwurf der Fraktion der NPD

Drucksache 5/5758, Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses

Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Aussprache erteilt. Die Reihenfolge lautet NPD, CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Das Wort hat für die NPD-Fraktion Herr Abg. Apfel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf will die NPD-Fraktion den Rechtsstaat insgesamt stärken und zugleich einen nach der Meinung von Experten verfassungswidrigen Zustand am Verwaltungsgericht Leipzig beenden.

Worum geht es? Künftig soll durch eine Änderung des Justizgesetzes ein verwaltungsgerichtlicher Bereitschaftsdienst an Wochenenden eingerichtet werden. Damit die Belastung der Richter nicht über Gebühr steigt, soll dieser Bereitschaftsdienst zentral für ganz Sachsen zuständig sein, weil die Zuständigkeit der drei Verwaltungsgerichte jeweils monatlich rotieren soll. Es soll dabei ausreichen, wenn die unmittelbare telefonische Erreichbarkeit für den Bürger gegeben ist. Der Richter muss also nicht das gesamte Wochenende in seiner Amtsstube verbringen.

Sie sehen an den vorgeschlagenen Regelungen, dass sich die NPD-Fraktion um eine maßvolle Regelung bemüht hat. Der geringfügigen Mehrbelastung an den Gerichten steht die Wahrung eines hohen Gutes gegenüber: des Rechtsstaatsprinzips, das eigentlich allen hier im Haus am Herzen liegen müsste. Beschworen wird es jedenfalls häufig. Zu seiner Durchsetzung bedarf es aber keiner blumigen Sonntagsreden, sondern konkreter Beschlüsse des Gesetzgebers.

Anlass für unsere Gesetzesinitiative war ein konkreter Fall im Bereich des Verwaltungsgerichtes Chemnitz, der die grundsätzliche Problematik des unzureichenden Rechtsschutzes für den Bürger an Wochenenden in Sachsen offenbarte. Auf die Details des Falls ging mein Kollege Andreas Storr bereits bei der 1. Lesung am 4. November 2010 ein. Ich werde sie deshalb nicht wiederholen.

Hinweisen muss ich aber auch auf die unbefriedigende und im Fall Leipzig verfassungswidrige Situation des Rechtsschutzes an Wochenenden generell. Ich habe dazu in der Drucksache 5/967 eine Kleine Anfrage gestellt. Aus der Antwort ergab sich folgendes Bild: Für den Verwaltungsbezirk Dresden ist Samstag von 9 bis 12 Uhr ein Richter über das Mobiltelefon erreichbar. Für den Bezirk Leipzig besteht „ein Not- und Bereitschaftsdienst, der über die Telefonansage des Anrufbeantworters außerhalb der Dienstzeiten abgerufen werden kann“. Im Bezirk Chemnitz findet durch das Verwaltungsgericht an Wochenenden und Feiertagen Rechtsschutz außerhalb der Dienstzeiten nur dann statt, wenn potenzielle Ersuchen bis Freitag, 14 Uhr, angekündigt werden.

Dieser Zustand, meine Damen und Herren, widerspricht dem Grundgesetz und der Sächsischen Verfassung. Beide bieten die Bereitstellung eines effektiven Rechtsschutzsystems. Die Rechtsschutzgarantie des Artikels 19 Abs. 4 Grundgesetz verbietet es geradezu, dass wegen der Nichterreichbarkeit eines Gerichtes durch die Exekutive vollendete Tatsachen geschaffen werden.

Die Realität sieht anders aus. Die sich in der letzten Zeit häufenden, später vom Gericht rechtswidrig erkannten Verbotsverfügungen fallen oft auf Wochenenden, also außerhalb der Gerichtsdienstzeiten. Da die behördlichen Verbote nicht selten außerhalb gerichtlicher Dienstzeiten ausgesprochen werden, kann der Betroffene nicht effektiv im Sinne eines einstweiligen Rechtsschutzes vorgehen, da in der Regel der sofortige Vollzug der Entscheidung angeordnet wird. Der Betroffene muss sich begnügen, Wochen, Monate oder gar Jahre später die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme im Hauptsacheverfahren durchzusetzen.

Damit ist aber dem Recht suchenden und dem Rechtsstaatsdenken nicht gedient, denn ein solches Feststellungsverfahren kann dem Recht suchenden nicht seine Rechte sichern, sondern nur eine Art psychologische Wiedergutmachung gewähren. Dadurch, meine Damen und Herren, wird das Vertrauen in den Rechtsstaat nachhaltig untergraben und es trägt bei den Klägern zu einer Abkehr vom Staat und zu weiterer Politikverdrossenheit bei.

Völlig absurd ist übrigens die Situation in Leipzig, wo der klagende Bürger der Polizei, die oft selbst die Beklagte ist, erst einmal mitteilen muss, welches Klagebegehren er hat. Dann entscheidet der potenzielle Beklagte, ob und in welcher Form er das an das Verwaltungsgericht weiterleitet.

Meine Damen und Herren! Das hat mit rechtsstaatlichen Verhältnissen und Gewaltenteilung nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun. Ich kann nur hoffen, dass dieser unhaltbare Zustand abgeschafft wird, auch wenn Sie unserem Entwurf insgesamt nicht zustimmen sollten.

Abschließend bringe ich gleich einen redaktionellen Änderungsantrag zu unserem Gesetzentwurf ein, der unter anderem notwendig geworden ist, weil seit Einbringung unseres eigenen Entwurfes das Justizgesetz bereits geändert wurde, vor allem der gleiche Paragraf, den wir ändern wollen. Inhaltlich hat sich für die NPD kein Änderungsbedarf ergeben.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Die CDU-Fraktion? – Für die Fraktion DIE LINKE Herr Abg. Bartl. – Herr Bartl, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem vorliegenden Gesetzentwurf will die NPD-Fraktion, wie Herr Apfel es darlegte, im Vorblatt wörtlich „die Gerichte verpflichten, einen umfassenden Notdienst vorzuenthalten“. Gemeint ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der Gesetzentwurf soll regeln, dass außerhalb der Dienstzeiten, das heißt über die Arbeitstage Montag bis Freitag hinaus, auch an Wochenenden und wochentags abends und nachts, ein entsprechender verwaltungsgerichtlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet wird, für den in den unterschiedlichen Kalen

dermonaten jeweils die Verwaltungsgerichte Leipzig, Chemnitz und Dresden zuständig sein sollen.

Weiterhin will der Gesetzentwurf vorschreiben, wie die Rufbereitschaft der entsprechenden Richter zu organisieren ist und Ähnliches. Der Gesetzentwurf operiert an mehreren Stellen, auch im Vorblatt und in der Begründung, mit der Behauptung, dass in Sachsen betreffs der Arbeitsfähigkeit der Verwaltungsgerichte ein verfassungswidriger Zustand bestehe, den die NPD abschaffen will.

Die NPD übersieht dabei nur, dass das Vorhaben respektive der Gesetzentwurf selbst an sich und in sich weithin verfassungswidrig ist. Tatsache ist – und darauf muss hingewiesen werden –, dass der Staatssekretär im Staatsministerium für Justiz und Europa, Herr Dr. Bernhardt, bereits im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss berechtigt auf Artikel 74 Grundgesetz verwiesen hat, der die sogenannte konkurrierende Gesetzgebung regelt. Tatsache ist weiterhin, dass der Bundesgesetzgeber von der ihm zugewiesenen Vorrangstellung, eben dann durch Gesetz Regelungen zu treffen, Gebrauch gemacht hat, nämlich mit dem Gerichtsverfassungsgesetz. Wir haben eindeutig einen Bereich, der in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtsverfassungsgesetzes fällt, und das ist vom Bund geregelt.

Nun bestimmt § 21e Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz, dass das Präsidium des jeweiligen Gerichts die Besetzung der Spruchkörper und die Verteilung der Geschäfte bestimmt – dies durch Anordnung vor Beginn des Geschäftsjahres und mit Wirkung für das Geschäftsjahr. Das Gerichtsverfassungsgesetz hat tatsächlich eine Öffnungsklausel im § 22c. Das ist eine Art Öffnungsklausel, weil § 22c die Landesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass für mehrere „Amtsgerichte im Bezirk eines Landgerichtes ein gemeinsamer Bereitschaftsdienstplan aufgestellt wird“. Zu betonen ist also, dass im Gesetz lediglich von Amtsgerichten die Rede ist, also von der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sprich: den Straf-, Zivil- und Familiengerichten und meinethalben den Betreuungsgerichten.

Dass diese Ermächtigung auch für Verwaltungsgerichte gelten kann, beinhaltet das Gesetz ausdrücklich nicht. Dazu gibt es auch keinerlei erkennbare Rechtsprechung, die dies in irgendeiner Form sanktionieren würde.

Betreffs der entsprechenden Verordnungsermächtigung der Justizverwaltung für die ordentliche Gerichtsbarkeit gibt es, nebenbei bemerkt, unter der Richterschaft selbst Streit. Die Richterschaft hat dort schon einen Eingriff in die Unabhängigkeit der Gerichte gesehen und beklagt, sodass es keineswegs und keinesfalls ohne Weiteres holterdiepolter geht, jetzt auch für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in die eigentliche Zuständigkeit der Präsidien einzugreifen.

Wenn § 22c GVG sich nur auf die Amtsgerichte bezieht und für ordentliche Gerichtsbarkeit, fehlt also dem Landtag die Möglichkeit, per Gesetz für die Verwaltungsgerichte eine Regelung zu treffen. Aus diesem Grunde, weil

der Verfassungsentwurf oder Gesetzentwurf, so ist es ja im Ausschuss in einer Beschlussempfehlung auch erkennbar bewertet worden von der Mehrheit, verfassungswidrig ist, kann man ihm nicht zustimmen, sonst würde man sehenden Auges ein verfassungswidriges Gesetz auf den Weg bringen.

(Beifall bei den LINKEN)

Vielen Dank. Für die SPD? – Keine Meldung. Die FDP-Fraktion? – Herr Abg. Biesok, bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner hat schon wesentliche Aspekte vorgebracht, die es zu diesem Gesetzentwurf zu sagen gibt.

Das Vorhaben, das die NPD-Fraktion hier betreibt, bezieht sich lediglich auf einen einzigen Fall, der einmal beim Verwaltungsgericht in Chemnitz passiert ist. Es ging um den Entzug einer gaststättenrechtlichen Genehmigung an einem Freitag. Daraus kann man nicht schließen, dass generell ein Missstand bei den Verwaltungsgerichten besteht, wenn es um die Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes geht.

Das Vorhaben, so wie es die NPD-Fraktion hier vorträgt und mein Vorredner es ausgedrückt hat – dem kann ich mich nur anschließen –, ist verfassungswidrig. Der Bundesgesetzgeber hat abschließend geregelt, wie die Notdienste zu gestalten sind. Das Präsidium der Verwaltungsgerichte hat einen entsprechenden Entscheidungsspielraum. Dort liegt die Kompetenz, das zu machen. Es liegt nicht in der Hand des sächsischen Gesetzgebers, eine weitergehende Regelung hier auf Landesebene zu beschließen, sofern überhaupt ein Bedürfnis dafür bestünde.

Ich möchte auf einen weiteren Aspekt aufmerksam machen, der in dem Gesetzentwurf aufgeführt ist. Nach der Verwaltungsgerichtsordnung entscheidet jeweils die Kammer über Angelegenheiten in Verwaltungsstreitigkeiten. Der Gesetzentwurf geht davon aus, dass der Einzelrichter entscheidet. Da aber das Bundesgesetz vorgegeben hat, es muss immer eine Kammerentscheidung sein und lediglich die Kammer kann einem Einzelrichter die Entscheidung übertragen, wäre es auch insofern eine Regelung, die mit dem Bundesgesetz nicht in Einklang stünde. Deshalb ist dieser Gesetzentwurf auch in diesem Punkt verfassungswidrig. Meine Fraktion wird diesen Entwurf daher ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Biesok. – Die Fraktion GRÜNE? – Keine Wortmeldung. Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Gibt es von den Fraktionen weiteren Redebedarf? – Herr Abg. Apfel, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich auf zwei Einwände eingehen, die bei der Beratung unseres Gesetzentwurfes gerade auch eben wieder zur Sprache kamen. Zum einen behaupten Sie – Herr Biesok hat das ja getan –, unsere Regelung würde unzulässigerweise die Zuständigkeit der Kammer auf einen Einzelrichter übertragen. Dazu kann ich nur sagen, dass Sie offensichtlich unseren Entwurf nicht richtig gelesen haben, denn es ist von einem verwaltungsgerichtlichen Bereitschaftsdienst die Rede und nicht, wer konkret entscheidet. Das bleibt selbstverständlich den Gerichten bzw. den Regelungen der Geschäftsordnung überlassen.