Protokoll der Sitzung vom 25.05.2011

(Beifall der Abg. Stefan Brangs, SPD, und Patrick Schreiber, CDU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, es ist einer der entscheidenden Vorteile der Politik in Sachsen gewesen, dass in den letzten 20 Jahren sehr kontinuierlich eine Schulpolitik gemacht wurde, die kontinuierlich Strukturen nicht nur aufrechterhalten, sondern weiterentwickelt hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wenn man sich in anderen Bundesländern umschaut, dann bekommt man dort ein ganz anderes Bild. Alle vier oder fünf Jahre wechselt dort entsprechend der politischen Konstellation die Schulstruktur. Die Eltern, die Kinder und die Wirtschaft haben sich auf Neues einzustellen. Das wird oftmals sehr beklagt. Das führt dann zu Diskussionen, wie sie Frau Schavan vor Kurzem angestoßen hat, als sie sagte, dass das alles jetzt zu bunt sei und einheitlich auf Bundesebene gehoben und dann als System durchgesteuert werden solle.

Wir brauchen das in Sachsen nicht zu diskutieren, weil wir – wie gesagt – verlässliche Strukturen haben und weil wir genau diesen Ansatz haben, dass es wenig Sinn macht, sich bei der Schulstruktur nur von der politischen Couleur beeinflussen zu lassen, sondern man lieber über Inhalte reden sollte, wovon wir uns über die Jahre hinweg haben leiten lassen.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Diskussion um die sächsische Oberschule eben keine Einladung zu einer neuen Schulstrukturdebatte. Das will ich in aller Deutlichkeit sagen. Ich denke, dieses Land hat sowohl gegenwärtig als auch zukünftig ganz andere schulpolitische Probleme und Herausforderungen, als dass wir uns jetzt in eine neue Schulstrukturdebatte begeben müssen, noch dazu, wenn es dabei um die Fragestellung geht, wie wir alten Wein in neue Schläuche abfüllen können.

(Beifall des Abg. Patrick Schreiber, CDU)

Frau Stange, Sie haben uns Konzeptionslosigkeit bei der Ausgestaltung der Oberschule vorgeworfen. Mit Blick auf die Vorstellung Ihres innovativen Schulkonzepts vom Wochenende vermisse ich dort ein Stück weit die Innovationsbereitschaft. Heruntergebrochen war die Grundidee, die am Wochenende in der Presse zu lesen war, wieder die gleiche. Es geht um die Einführung von Gemeinschaftsschulen in Sachsen. Ich denke, das hilft uns beim besten Willen nicht weiter. Ich glaube, wir müssen diese Diskussion einfach einmal beenden. Wir haben sie hier breit und ausführlich geführt. Es gibt keine Belege dahin gehend, dass uns eine Gemeinschaftsschule gerade hier in Sachsen wirklich weiterbringt.

Meine Damen und Herren! Wenn man sich die sechs Punkte des vorliegenden Antrags durchliest, findet man zunächst ein Sammelsurium von inhaltlichen Angeboten, die zum größten Teil schon längst Realität an den Schulen in Sachsen sind und damit auch zum Konzept von schulischen Angeboten gehören bzw. demnächst gehören werden.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Colditz?

Bitte.

Lieber Kollege Colditz, Sie haben gerade davon gesprochen, dass Sie sich mit dem Thema Gemeinschaftsschule auseinandergesetzt haben und die Diskussion darüber endlich einmal beendet werden müsste.

Mich würde interessieren: Gab es eine Evaluierung der durchgeführten Pilotprojekte in diesem Bereich? Wenn ja: Kennen Sie diese und ist die Auswertung der Evaluierung in Ihre Meinungsbildung eingeflossen?

Herr Brangs, ich denke, dass wir beide aus unseren Koalitionsverhandlungen wissen, dass dieses Pilotprojekt, das wir ins Leben gerufen haben, ein politischer Kompromiss war. Wir hätten es eigentlich nicht nötig gehabt, in Sachsen die Gemeinschaftsschule noch einmal zu prüfen oder zu evaluieren, weil die Gemeinschaftsschule im Grunde nichts anderes als die Gesamtschule ist.

Es ist ja richtig, dass wir da immer unterschiedlicher Meinung sind, aber das Etikett macht es nicht anders.

Das ist nicht die Antwort auf meine Frage!

Die Gesamtschule ist über die Jahre hinweg in Deutschland analysiert, bewertet, auch wissenschaftlich beurteilt worden. Selbst wenn man sich die gegenwärtige pädagogische Forschung ansieht – wir haben das beim Antrag zur Gemeinschaftsschule vor kurzem im Landtag diskutiert –, gibt es eben keine Forschungsaussage, die da lautet: Die Gemeinschaftsschule ist besser als das gegliederte Schulsystem.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Brangs, ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Schulgesetzdiskussion von 1990, vor circa 20 Jahren. Damals hatten wir in dieser Staatsregierung einen SPDStaatssekretär im Kultusministerium, und wir haben uns auf den Weg gemacht und gesagt – wir waren auch erst einmal anderer Meinung –: klassisches dreizügiges Schulsystem für Sachsen, das ist der richtige Weg.

(Marko Schiemann, CDU: Genau! – Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Wir haben uns bewusst von dieser Diskussion verabschiedet und gesagt: Wir machen weder das klassisch gegliederte dreigliedrige noch das Gesamtschulsystem. Wir sind den Mittelweg gegangen. Ich war damals sehr skeptisch, das sage ich ganz ehrlich. Mittlerweile ist die Mittelschule zum Modell für ganz Deutschland geworden.

(Beifall bei der CDU – Ministerpräsident Stanislaw Tillich: Richtig!)

Meine Damen und Herren! Ich sage es noch einmal: Wir haben in der Bildungspolitik eine ganze Palette von Themen, über die wir uns trefflich streiten können, aber bitte beenden wir doch einfach einmal die Diskussion zu dieser völlig ziellosen Strukturdebatte.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Gitta Schüßler, NPD)

Kollege Brangs, möchten Sie noch eine Nachfrage stellen?

(Stefan Brangs, SPD: Ich will erst einmal eine Beantwortung!)

Ich sehe an Ihrem Blick, Sie wollen noch eine Frage stellen.

Das liegt daran, Herr Präsident, dass meine erste Frage nicht beantwortet worden ist. Ich wollte jetzt keine philosophische Betrachtung der Gemeinschaftsschule oder der Gesamtschule oder was auch immer, sondern es gab ein gemeinsames Projekt von CDU und SPD, und das ist das Beispiel der sächsischen Gemeinschaftsschule.

(Patrick Schreiber, CDU: Das läuft noch!)

Bitte, wir wollen hier eine Fachdebatte führen. Ich würde mich da mal ein wenig heraushalten.

Deshalb ist meine Frage, ob diese Evaluierung stattgefunden hat und in Ihre Meinungsbildung eingeflossen ist.

Herr Brangs, ich sage es noch einmal: Wir haben als politischen Kompromiss die Gemeinschaftsschulen in Sachsen eingerichtet. Sie existieren und wir werden sie – im Koalitionsvertrag steht es so geschrieben – auch noch zu Ende führen. Aber ich sehe keinen Anlass, irgendwelche Bewertungen eines Systems vorzunehmen, bei dem wir eigentlich wissen, was dahintersteht. Was soll das? Was soll uns denn an dieser Stelle weiterbringen?

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Martin Dulig, SPD: Sie haben doch eine Wertung abgegeben! – Mario Pecher, SPD: Wenn Sie es nicht wissen, könnte das etwas Gutes sein!)

Meine Damen und Herren! Ganztagsangebote, Berufs- und Arbeitsorientierung und mittlerweile auch die Ausgestaltung inklusiver Bildungsangebote stehen durchaus auf der konzeptionellen Agenda der Koalitionsfraktionen und damit auch der Staatsregierung. Auch der eigentlich im Mittelpunkt stehende alternative und gleichwertige Bildungsweg hin zum Abitur – Frau Dr. Stange, darin bin ich anderer Meinung als Sie – ist in Sachsen schon längst Realität, nämlich der Weg über die Mittelschule zum beruflichen Gymnasium. Natürlich kann man darüber streiten, welche Leistungsvoraussetzungen notwendig sind, um ans berufliche Gymnasium zu kommen. Aber wir gehen natürlich für beide Wege von relativ hohen Leistungsvoraussetzungen aus. Die Baden-Württemberger

machen es mit 3,0 etwas lockerer als wir, aber deshalb ist trotzdem der zweite Weg vorhanden.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Colditz?

Ja, okay.

Herr Colditz, anknüpfend an das zuletzt Gesagte, Durchlässigkeit von der Mittelschule bis zum Abitur, so will ich es einmal ausdrücken: Wie verhält sich das mit der zweiten Fremdsprache in den Klassen 5 und 6?

Frau Dr. Stange, ich werde das noch als Problem benennen. Dort haben wir ein Defizit, das ist richtig. Das haben wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben, und wir müssen selbstverständlich auch dafür die personellen Ressourcen schaffen. Auch darin gebe ich Ihnen natürlich recht. Das ist ein Defizit, das gestehe ich ein. Dort haben wir noch etwas zu tun.

Meine Damen und Herren! Auch die Durchlässigkeit unseres Schulsystems – ich hatte es gerade angesprochen – bietet den Ansatz für den zweiten Bildungsweg. Es bedarf also meines Erachtens keiner grundsätzlich neuen Schulreformüberlegungen, es sei denn, man will die Gesamtschuldiskussion wieder in die Debatte führen.

Mithin geht es auch mit der Einführung der Oberschulen – dies in aller Deutlichkeit – nicht um die Einführung einer neuen Schulart, sondern um die Weiterentwicklung – wörtlich nachzulesen – der bewährten sächsischen Mittelschule. Ich darf aus dem Koalitionsvertrag zitieren: "Wir wollen die Mittelschule als Kernstück unseres Schulsystems zur Oberschule weiterentwickeln." Das ist die Botschaft des Koalitionsvertrages.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Aber was heißt das?)

Herr Dr. Hahn, was heißt das nun? Stark vereinfacht und heruntergebrochen heißt Oberschule letztlich – Herr Hahn, jetzt müssen Sie aber auch zuhören, wenn Sie die Frage gestellt haben –:

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Das mache ich doch! – Patrick Schreiber, CDU: Damit er es versteht!)

Mittelschule plus verbesserte Bildungsberatung, Bildung von Leistungsgruppen mit intensiver Förderung, insbesondere in den Klassen 5 und 6, Ausbau und Angebot einer zweiten Fremdsprache ab Klasse 6, Einführung des qualifizierten Realschulabschlusses als Übergangsberechtigung für das allgemeinbildende bzw. berufsbildende Gymnasium, enge Kooperation mit beruflichen Schulzentren, insbesondere auch beruflichen Gymnasien, Geschichte und Geografie in Klasse 10 für alle Schüler und schließlich intensive Berufs- und Studienorientierung. – Dies alles versteckt sich konzeptionell-inhaltlich hinter

der Oberschule und ist auch Bestandteil des Koalitionsvertrages.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

Damit geht es uns konzeptionell darum, allen Schülern eine optimale Bildungslaufbahn zu ermöglichen und sie zu einem bestmöglichen Bildungsabschluss zu führen. Meine Damen und Herren, die Grundsatzfrage, die wir uns sicher alle stellen, ist diese: "Optimal" heißt aber eben nicht "für alle gleich", sondern „optimal“ heißt auch, im Sinne von Chancengerechtigkeit die einzelne Schülerpersönlichkeit dort abzuholen, wo ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten und Lernvoraussetzungen bestehen, also die Heterogenität der Schüler anzuerkennen – soweit sind wir uns einig – und dem auch durch unterschiedliche Bildungsangebote und differenzierte Förderung gerecht zu werden. Das ist aber wiederum unterschiedlich im Blick auf die organisatorischen Fragen, die sich daraus ergeben.