denn wir wollen nicht eine Schule für alle, sondern wir wollen die richtige Schule für jeden Schüler. Das ist am Ende auch unsere Vorstellung von Inklusion. Neben aller Inklusion, die wir vorantreiben müssen – da sind wir uns parteiübergreifend einig –, geht es aber nicht darum, jeden Schüler mit besonderem pädagogischen Förderbedarf irgendwo in einer Art Gleichmacherei in eine Klasse zu stecken, sondern es geht darum, auf die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen Schülers einzugehen.
An der Stelle ist es auch interessant, wenn wir in Diskussionen zu dem Thema sind, Inklusion bedeutet eben nicht die Pflicht, alle Schüler in eine Klasse zu stecken, sondern Inklusion heißt das Recht eines jeden Schülers auf gleichberechtigte Teilnahme in dieser Gesellschaft. Aber es bedeutet eben auch: Wenn Eltern für ihr Kind wünschen, dass es an einer Förderschule eingeschult, unterrichtet und gefördert wird, ist dies möglich. Das nennt man dann Elternwahlrecht. Wenn wir dieses gewähren wollen, heißt das perspektivisch – dazu stehen wir –, dass diese Förderschulen auch in Sachsen erhalten bleiben.
Herr Schreiber, können Sie mir bitte erklären, warum im Freistaat Sachsen keine Hauptschulen eingerichtet worden sind, wenn Sie doch der Auffassung sind, dass jedes Kind in die Schule gehört, deren Leistungsstand es hat?
Frau Falken, Sie wissen ganz genau, wie die sächsische Mittelschule konzipiert ist. Die sächsische Mittelschule gibt auch Hauptschülern die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss zu machen. Gleichermaßen gibt sie Realschülern die Möglichkeit, den Realschulabschluss zu erreichen. Nur weil wir an dieser Stelle nicht mehr in unterschiedliche Gebäude separieren, sondern sie bis zu einem gewissen Zeitpunkt in gemeinsamen Klassen lernen lassen, heißt das doch noch lange nicht, dass daran etwas schlecht sein muss – eher im Gegenteil. Aber es muss auch möglich sein, dass man Schüler mit besonderem Förderbedarf, in positiver Richtung gedacht, auch besonders fördert und sie in gleicher Weise miteinander an einem Gymnasium lernen lässt.
Herr Schreiber, habe ich Sie da richtig verstanden: Sie können sich auch Hauptschulen im Freistaat Sachsen vorstellen?
Nein. Das habe ich so nicht gesagt und das kann ich mir auch nicht vorstellen. Ich persönlich bin stolz darauf, dass wir in Sachsen Mittelschulen in der Form haben, wie wir sie haben. Diese wollen wir auch erhalten, ohne Wenn und Aber.
Lassen Sie mich fast abschließend eine Frage in den Raum stellen. Ganz ehrlich muss man die SPD fragen: Was ist hier also neu, außer dass ein dritter Weg gesucht wird, um im Zweifel Schulstandorte zu erhalten? Das ist die Konsequenz in ihren konzeptionellen Ansätzen, also einzügig fahren lassen, wenn möglich, alle drei Bereiche: Realschule, Hauptschule, Gymnasialbereich, sozusagen in einem Gebäude und wenn möglich in einer Klasse.
Das ist Ihr Ansatz, den sie seit eh und je hier predigen. Er ist am Ende nicht neu. Wie gesagt, das größte Problem im Hinblick auf Inklusion ist – wir diskutieren das hier immer alle so einfach, das ist mittlerweile ganz normal –, dass diese überall positiv dargestellt wird. Obwohl es gut ist, dass wir darüber diskutieren, machen wir uns oft überhaupt keine Gedanken, was das Thema jetzt nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich bedeutet.
Dabei wissen wir ganz genau, wie das beispielsweise im Bundesland Bremen gelaufen ist, weil Sie das ja hier als Beispiel zitieren, wo ich mir immer sage: Ich nehme mir kein Beispiel am PISA-Platz 16, sondern am PISA-Platz null, den es leider nicht gibt. Aber Fakt ist in Bremen eines: dass es, nachdem man erst alle Kinder mit körperlichen Behinderungen in die Klasse gesteckt hat und jetzt 2012 anfangen will, alle geistig behinderten Kinder noch dazuzunehmen, mittlerweile in der Bevölkerung, unter der Elternschaft eine Bewegung gibt – nicht der, die behinderte Kinder haben, sondern der, die Kinder ohne Behinderung hat –, die sagt: Nun ist es an der Stelle genug.
Lassen Sie uns bitte zunächst andere Dinge klären. Mein Kollege Colditz hat es angesprochen. Wir haben andere Probleme als das Herumexperimentieren am System. Wir haben den Lehrerbedarf, den wir dringend benötigen, zu decken, wir haben das Thema „Inklusion“ gemeinsam zu bearbeiten und wir haben – dazu kommen wir dann morgen auch noch – beim Thema „Lehramtsstudium“ einiges zu tun. Lassen Sie uns diese wirklich wichtigen Dinge gemeinsam angehen, anstatt schon wieder permanente Strukturdiskussionen zu führen.
Für die CDU-Fraktion sprach Herr Kollege Schreiber. Als nächste könnte DIE LINKE sprechen, sie hat aber keinen Redebedarf. FDP? – Keinen Redebedarf. GRÜNE? – Auch nicht. NPD? – Damit hat die Staatsregierung das Wort.
Eine weitere Runde? Dann beginnen wir von vorn. Die einbringende Fraktion der SPD? – Möchte nicht. CDUFraktion? – Nein. Gibt es weiteren Redebedarf aus den Fraktionen? – Nicht. Dann Herr Staatsminister Wöller. Sie haben das Wort.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen zur heutigen Debatte machen. Wenn selbst DIE LINKE und die Fraktion der GRÜNEN nicht von dem überzeugt sind, was die SPD-Fraktion hier vorgelegt hat, dann muss es wirklich ein unausgegorener Vorschlag vonseiten der SPD-Fraktion sein.
Das Zweite ist, der Kollege Schreiber hat darauf hingewiesen: Ich denke, wir alle sind lernfähig. Das trifft auch auf die SPD-Fraktion zu.
Sie haben bereits im Februar dieses Jahres ein Papier vorgelegt, in dem Sie die neue Oberschule als gleichwertigen Weg zum Abitur propagieren. Jetzt haben Sie ein neues Papier vorgelegt unter der Überschrift „Für eine neue Gemeinschaftsschule, der gleichwertige Weg zum Abitur“. Wenn man sich mit beiden befasst, dann fällt einem auf, dass ein Satz nicht mehr enthalten ist, der im Februar, mitten im Wahlkampf zur Hamburgischen Bürgerschaft, noch zu lesen war.
Dieser Satz heißt – ich zitiere –: „Das Gymnasium hat sich als Schulform aber gerade auch bei den sozial Bessergestellten so stark durchgesetzt, dass eine Abschaffung zurzeit außer jeder ernsthaften Diskussion steht.“ Ich betone das Wort „zurzeit“.
Es ist in der Tat so: Die SPD – das ist die eigentliche Stoßrichtung – möchte das Gymnasium in seiner jetzigen Form abschaffen. Das wollen weder die Eltern noch die Schüler, das wollen auch nicht die Lehrer, und das wollen wir auch nicht. Deshalb wird es auch bei dem hochqualitativen Gymnasium bleiben, so wie in der jetzigen Form in Sachsen.
Zur sächsischen Oberschule und zum Koalitionsvertrag, in dem es heißt: „Wir streben eine stufenweise Einführung ab dem Schuljahr 2011/2012 an.“ „Stufenweise“ heißt: in der gewohnten bildungspolitischen Kontinuität und mit Augenmaß. Das heißt Innovation auf der Grundlage einer eingehenden Sachstandsanalyse, und das heißt auch Veränderung gemeinsam mit den Beteiligten und Betroffenen und nicht etwa über deren Köpfe hinweg. Das schließt natürlich auch die Beachtung der Ressourcenlage ein, jetzt und in Zukunft.
Ein ordentlicher Unterricht erfordert nach wie vor in allererster Linie eine entsprechende Ausstattung mit gut
ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern. Deswegen haben wir uns entschieden, die Weiterentwicklung der Mittelschule zur Oberschule in drei Schritten zu vollziehen: erstens die Veränderung der Bildungsempfehlung in der Klassenstufe 4 der Grundschule, zweitens die Änderung der Schulordnung Mittelschulen und drittens die Sicherung der Ressourcen für die Oberschule.
Kern der Weiterentwicklung der Mittelschule zur Oberschule ist die weitere Verbesserung der Durchlassungsfähigkeit und der Anschlussfähigkeit. Hierbei geht es insbesondere um die Akzentuierung des zweiten Weges zum Abitur, nämlich des Weges über das berufliche Gymnasium. Schülern, Eltern und letzten Endes der breiten Öffentlichkeit ist die Möglichkeit, über die Mittelschule zu höheren Abschlüssen zu kommen, noch immer zu wenig präsent. Dass wir dabei auf dem richtigen Wege sind, zeigen aber die Zahlen. Da ist der Anteil derjenigen, die den Realschulabschluss auf der Mittelschule absolviert haben, in den letzten Jahren von 9 auf 20 % gestiegen, die dann den Weg über das berufliche Gymnasium zur allgemeinen Hochschulreife wählen.
Auch ist die langläufige Annahme nicht zutreffend, eine zweite Fremdsprache zu belegen, sei Zugangsvoraussetzung zum beruflichen Gymnasium. Ja, sie ist wünschenswert, deswegen haben wir uns auch zu ihr bekannt, aber das berufliche Gymnasium sorgt individuell für die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und Ausgangsvoraussetzungen, indem es entsprechende Angebote bereithält.
Um derartige Informationsdefizite zu belegen und noch einmal explizit auf die zwei Wege und zwei Geschwindigkeiten zum Abitur aufmerksam zu machen, haben wir entsprechende Informationsmaterialien entwickelt und sensibilisieren auch die Lehrerinnen und Lehrer in den entsprechenden Elternabenden. Darunter befindet sich zum Beispiel ein Flyer, der die Veränderung der Bildungsempfehlung für Schüler der Klassenstufe 4 darstellt, die seit August 2010 gilt.
Mit der geänderten Bildungsempfehlung erhielten in diesem Schuljahr erstmals 44,5 % der Grundschüler eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium. Im letzten Schuljahr waren das 50,2 %. Ich hebe noch einmal hervor, dass diese Änderung der Bildungsempfehlung auf die breite Zustimmung insbesondere von Schulfachleuten und von Eltern getroffen ist. Das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Wege sind.
Dagegen treffen neuere Entwicklungen wie die in Sachsen-Anhalt, wo die Bildungsempfehlung quasi über Nacht abgeschafft wurde, auf großes Unverständnis. Dort wird zu Recht die Frage laut, ob sich die Politik damit nicht aus der Verantwortung stiehlt. Der Punkt ist: Zählt in Sachsen-Anhalt nur noch der Wunsch der Eltern und damit deren eigener Bildungshintergrund, ob das Kind das Gymnasium besucht oder nicht, oder stehen wie in Sachsen die Entwicklungschancen jedes einzelnen Kindes im Mittelpunkt?
Lassen Sie mich dazu Prof. Trautwein zitieren, einen renommierten Bildungsforscher. Zitat: „Dort, wo Eltern die Wahlfreiheit haben, wird die soziale Selektivität am größten sein. Nötig sind klare Übergangskriterien, gute Leistungstests und eine Pflicht zum Gespräch zwischen Eltern und Lehrkräften.“ – So weit Prof. Trautwein.
Die Pflicht zum Gespräch zwischen Eltern, Lehrern und Schülern – wir nennen es Bildungsberatung – hat ebenfalls einen höheren Stellenwert erhalten.
Zum zweiten Schritt nach der geänderten Bildungsempfehlung: Es werden inhaltliche Veränderungen vorbereitet, die ab dem Schuljahr 2011/2012 greifen. Dafür ist eine geänderte Schulordnung für Mittelschulen in Vorbereitung. Die Änderung der Schulordnung Mittelschulen/Abschlussprüfungen soll am 1. August dieses Jahres in Kraft treten. Kern dieser Entwicklung sind eine verbesserte Bildungsberatung, besondere Angebote zur individuellen Förderung, eine verstärkte Berufs- und Studienorientierung.
In der Diskussion kam dann die Frage: Wird der Modellversuch Gemeinschaftsschule evaluiert, und, wenn ja, fließen Ergebnisse mit in das Regelschulsystem ein? Die Antwort ist ein klares Ja. Ich will Ihnen auch ein Beispiel geben. Die Mittelschule kann beispielsweise mit veränderten Schulordnungen von äußeren Differenzierungen Haupt- und Realschulbildungsgang in den Differenzierungsfächern abweichen, wenn ein besonderes pädagogisches Konzept vorliegt. Die Klasse wird dann gemeinsam unterrichtet, die Lehrkraft muss aber durch entsprechenden Einsatz, zum Beispiel unterschiedliche Unterrichtsmaterialien, sicherstellen, dass innerhalb der Klasse differenziert wird. Die dadurch frei werdenden Stunden können im Rahmen der individuellen Förderung beispielsweise für leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler genutzt werden.
Außerdem erhalten künftig alle Schüler der Klassenstufe 6 an der Mittelschule eine Bildungsempfehlung und am Gymnasium eine Schullaufbahnempfehlung. Damit sind eine intensive Bildungsberatung und die Erörterung der möglichen Bildungswege für jedes Kind verbunden.
Außerdem ist es uns wichtig, die Zusammenarbeit mit beruflichen Schulzentren zu stärken und die Praxistage in Unternehmen durch die Änderung der Schulordnung zu ermöglichen. Wenn Schule und Wirtschaft zusammenarbeiten und sich aufeinander abstimmen, haben die Schüler die Möglichkeit, sich an Praxistagen mit den Anforderungen in der Wirtschaft vertraut zu machen.
Zum dritten Schritt müssen die notwendigen Ressourcen sichergestellt werden, insbesondere die Einstellung von Leistungsgruppen und das anzustrebende Angebot in der zweiten Fremdsprache.
Herr Minister, es ist jetzt schon mehrfach davon gesprochen worden, dass die Kooperation zwischen Mittelschulen und Berufsschulzentren verbessert werden soll. Bisher hat niemand, weder Sie noch Herr Colditz oder Herr Bläsner, gesagt, was das konkret heißt. Könnten Sie bitte ein bisschen genauer erläutern, wie die Kooperation zwischen Mittelschule und Berufsschulzentrum verbessert wird und die Durchlässigkeit in diesem System zum Beispiel zum beruflichen Gymnasium aussieht? Entweder habe ich das überhört, oder Sie haben dazu nichts gesagt.
Wir haben mindestens zwei Wege zum Abitur. Der eine führt über die Autobahn mit einem zwölfjährigen Gymnasium, und der andere ist der über die gut ausgebaute Schnellstraße, nämlich zehn Jahre Mittelschule, Realschulabschluss und dann drei Jahre berufliches Gymnasium. Es gibt mehrere Wege, aber das sind die zwei Wege, die im Mittelpunkt stehen.
Richtig ist – und das habe ich in meinen Ausführungen gesagt –, dass wir verstärkt dafür werben müssen. Wir haben bereits Erfolge, weil der Anteil derjenigen gestiegen ist, die von der Mittelschule auf das berufliche Gymnasium gewechselt sind. Aber die Herausforderung besteht darin, den Eltern in der 4. Klasse Grundschule klar zu machen, dass die Frage nicht heißen kann „Kommt mein Kind aufs Gymnasium?“, sondern dass sie lauten muss: „Welcher Weg zum Abitur ist der richtige für mein Kind?“ Dafür müssen wir weiter werben. Das tun wir, und dabei sind nicht nur die Grundschulen gefordert, sondern auch die Mittelschulen und das berufliche Gymnasium.