Protokoll der Sitzung vom 30.06.2011

Die Staatsregierung ist kaum in der Lage, bezifferbare Einsparungen zu benennen, die eine solche Reform rechtfertigen würden. Deshalb ist eine unabhängige Prüfung ganz sicher notwendig.

(Beifall bei der NPD)

Allerdings – diesbezüglich sind wir anderer Auffassung als die Antragstellerin – glauben wir nicht, dass der Rechnungshof die richtige Institution für diese Prüfung ist. Der Rechnungshof ist nach Artikel 100 der Landesverfassung für die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes zuständig. Ihm obliegen aber keine Prognoseaufgaben wie zukünftige Projekte, auch wenn das vielleicht wünschenswert wäre.

Die NPD-Fraktion plädiert deshalb für die Einrichtung einer unabhängigen Gutachterkommission aus Verwaltungs- und Finanzexperten. Uns ist bewusst, dass eine solche Kommission auch Kosten verursacht. Aber das

scheint vertretbar, wenn man den Umfang der Kosten der Standortverlagerung dagegensetzt.

Außerdem wäre der Rechnungshof im vorliegenden Fall auch befangen, denn auch er soll nach dem Willen der Staatsregierung seinen Standort verlagern. Wir Nationaldemokraten halten das für eine dreiste Retourkutsche, weil der Rechnungshof offensichtlich der Regierung und den sie tragenden Fraktionen zu unbequem geworden ist. Mit der Verlagerung von Leipzig nach Döbeln will man planvoll dafür sorgen, dass zumindest langfristig für den neuen, unattraktiven Standort kaum noch fähige Mitarbeiter und damit akribische Prüfer der Staatsfinanzen gewonnen werden können.

(Benjamin Karabinski, FDP: So ein Blödsinn!)

Wir wünschen für den Fall, dass die Verlagerung beschlossen wird, dem Herrn Rechnungshofpräsidenten viel Erfolg bei seiner Verfassungsklage gegen diesen unverschämten Anschlag auf seine wichtige Behörde.

Da wir das Ziel des Antrags zwar für richtig, den Weg aber für verfehlt halten, wird sich die NPD-Fraktion bei der Abstimmung der Stimme enthalten.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Gibt es Redebedarf für eine zweite Runde? – Herr Patt, Sie möchten vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen?

In der zweiten Runde wäre ich jetzt dran und erlaube mir, von hier aus nur zu sagen, dass man eine solche Entscheidung wie diese Modernisierungs- und Standortdebatte nicht in dieser Aufgeregtheit, wie manche das vorgetragen haben, treffen sollte, auch nicht mit der Vorprägung – –

Herr Patt, bitte, wenn Sie weitere Sätze sagen wollen, bitte ich Sie, das von hier vorn zu tun, damit die Öffentlichkeit auch Ihren wichtigen Beitrag und auch die Dokumentation mit zur Kenntnis nehmen kann.

(Christian Piwarz, CDU: Entschuldigung, Herr Präsident, er kann doch von dort hinten die Rede halten! – Peter Wilhelm Patt, CDU, geht zum Rednerpult.)

Das freut mich sehr, ich habe Sie auch sehr gern hier vorn. Bitte.

Danke schön. Eine solche Diskussion wie die Standortentscheidung und die Modernisierung des Staates im Vergleich auf diese Periode 2019 und vor dem auslaufenden Solidarpakt soll man nicht in der Aufgeregtheit führen, wie sie hier von einigen Fraktionen vorgetragen wurde. Ich möchte noch einmal deutlich machen: Wir fordern eine Transparenz und wir gehen noch nicht von einer Transparenz aus, weil wir offiziell noch keine Unterlagen bekommen haben. Ich bin aber sehr sicher, dass wir eine transparente, aufbereitete

Begründung für diese Standortentscheidung erhalten werden.

Im Gegensatz zu einigen Fraktionen haben wir das gesamte Land im Blick. Wir müssen das auch im Blick haben, weil wir die Regierungsverantwortung und nicht Partikularinteressen haben. Es gibt noch etwas, was uns – glaube ich – sehr deutlich unterscheidet. Wir haben jetzt in der Diskussion erlebt, dass es hier Verweigerungshaltungen gibt, wenn überhaupt irgendetwas mit Modernisierung zu tun hat. Es ist überhaupt kein anderer Vorschlag gekommen, außer zu sagen: Das geht jetzt gerade nicht und das ist unklug und das ist auch nicht elegant und das ist auch nicht kreativ genug. Wir versuchen zu gestalten, und nun lasst uns doch mal! Lasst uns doch über die einzelnen Punkte diskutieren und erst einmal schauen, was vorgelegt wird. Ich habe auch viel Vertrauen in die Verwaltung, dass in diesem derzeitigen Anhörungsverfahren das eine oder andere auf den Tisch kommt. Man wird es auch nicht jedem recht machen können. Das ist die Frage der Ausgewogenheit, die wir über das ganze Land darstellen müssen. Ich bitte Sie einfach, dass wir eine ganz vernünftige ordentliche Grundlage für eine Diskussion schaffen und nicht schon vorgeprägt, wie es zwei Fraktionen dargestellt haben, in die Diskussion gehen und sagen: Wir haben sowieso keinen Bock, mitzumachen.

Danke.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Patt. Gibt es weitere Wortmeldungen? – Frau Friedel. Eine Kurzintervention.

Ich will darauf nur sehr kurz reagieren. Herr Patt, Sie werfen gerade uns beiden Fraktionen – ich vermute, Sie meinen uns – vor, wir wären nicht bereit mitzuarbeiten und mit nachzudenken und mit zu prüfen, was denn die günstigsten Lösungen wären. Wir hätten keine eigenen Vorschläge vorgelegt. Zum einen stimmt das nicht. Sie werden möglicherweise nicht mitbekommen haben, weil es nicht Ihr Fachbereich ist, dass wir zum Thema Polizei sehr wohl eigene Vorschläge vorgelegt haben, schon am Anfang dieses Jahres. Zum Zweiten: Mitzuarbeiten, mitzudiskutieren erfordert natürlich, dass überhaupt noch Chance und Gelegenheit besteht, sich einzubringen und etwas zu ändern. Ich denke, ich habe in meinem Redebeitrag recht deutlich gemacht, dass diese Gelegenheit überhaupt nicht mehr besteht, weil die Staatsregierung offensichtlich zum einen dieses Konzept als abgeschlossen betrachtet und es zum anderen schon umsetzt, noch bevor der Landtag überhaupt darüber beschließt.

(Beifall bei den LINKEN)

Vielen Dank Frau Friedel. – Herr Patt, möchten Sie erwidern? – Nein, das ist nicht der Fall. Weitere Wortmeldungen sehe ich jetzt nicht. Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort

gewünscht? – Jetzt spricht Herr Staatsminister Dr. Martens. Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Erklärung vorab eine Anmerkung: Das, was unter dem Thema Staatsmodernisierung zu verstehen ist, erschöpft sich nicht allein in der Umsetzung einer Standortkonzeption für die Behördenstandorte und die Standorte der Justiz im Freistaat Sachsen;

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

sondern – und das haben wir, Herr Nolle, da waren Sie krank, mehrfach dargestellt – es geht hier um eine Aufgabenkritik und die Analyse der Standorte. Es geht um Standortkritik, die Umsetzung von Standortoptimierung. Es geht um eine Prozessoptimierung mit entsprechenden Prozesskritiken und anderen Verfahren zur Einführung von neuen Technologien, neuen Möglichkeiten des Behördenzugangs für Bürger und viele Arbeitserleichterungen. Die Standortkonzeption ist hier nur ein Baustein. Sie spiegelt spezifische Überlegungen zu Standorten wider und verknüpft diese mit wirtschaftlichen, aber auch landesentwicklungspolitischen Zielvorstellungen, sodass eine vorausschauende, langfristig tragfähige Gesamtperspektive für alle Regionen des Freistaates geschaffen und ein genereller Rückzug etwa der Verwaltung oder der Justiz aus der Fläche gerade vermieden wird.

Neben anderen Modernisierungsprojekten stellt die Verständigung über die zukünftigen Zuständigkeitsbereiche und Standorte von Behörden und Gerichten insbesondere sicher, dass der Freistaat Sachsen auch in Zukunft für seine Bürger ansprechbar und erreichbar ist und dass Leistungen in gewohnt guter Qualität zur Verfügung stehen. Auch zukünftig soll kein Einwohner Sachsens auf eine Leistung oder eine Auskunft einer staatlichen Einrichtung verzichten müssen.

Die Standort- und Strukturentscheidungen, die wir hier zu treffen haben, sind nicht konzeptionslos zusammengetragen, sondern nach verschiedenen allgemeingültigen Leitlinien ausgerichtet worden.

Erstens. Behörden sind angemessen zu verteilen, sodass in allen Landesteilen eine ausreichende und bürgernahe Versorgung sowohl der Bürger als auch der Wirtschaftsunternehmen gewährleistet ist. Dabei ist für Behörden, die Aufgaben mit hohem Publikumsverkehr wahrnehmen, auf eine natürlich angemessene Erreichbarkeit, insbesondere auch mit den Mitteln des öffentlichen Personennahverkehrs, zu achten.

Zweitens. Die Grundsätze und Ziele der Landesplanung nach dem Landesentwicklungsplan 2003, insbesondere hierbei zu zentralen Orten und zu ihrer Funktion im Rahmen der öffentlichen Verwaltung, sind zu berücksichtigen.

Drittens. Der haushalterische Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit ist hier zu beachten. Der Kollege Patt hat es bereits ausgeführt: Wir stehen vor

enormen Herausforderungen mit Blick auf das Jahr 2020 mit dem Auslaufen der Solidarpakt-II-Mittel. Mit einem wahrscheinlich deutlichen Absinken der EU-Förderung bei gleichzeitigem Rückgang der Bevölkerung wäre es töricht und fahrlässig, wenn diese Staatsregierung nicht bereits jetzt die Weichen dafür stellen würde, wie eine leistungsfähige Verwaltungsstruktur im Jahr 2020 auszusehen hat. Diese Staatsregierung greift das Problem an und handelt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Im Rahmen der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit werden natürlich auch Überlegungen angestellt, wie vorhandene Immobilien genutzt werden können. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass in neugebauten und generalsanierten Gebäuden eine Optimierung des Dienstbetriebes und der Betriebskosten möglich sein soll. Außerdem wollen wir in diesem Zusammenhang auch städtebauliche Belange berücksichtigen.

(Beifall des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Sie sehen, es gibt eine Vielzahl von Aspekten und auch Zielkonflikten – das soll nicht verschwiegen werden –, die hier beachtet werden müssen.

Viertens. Zu berücksichtigen ist natürlich auch die Anzahl der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes im Verhältnis zur Einwohnerzahl in der jeweils betroffenen Region, sodass unter Berücksichtigung der Zentralörtlichkeit ein regional ausgewogenes Angebot an Arbeitsplätzen gerade auch im öffentlichen Dienst sichergestellt ist. Meine Damen und Herren! Wir sind eben dem gesamten Land verpflichtet, und das in allen Landesteilen, natürlich auch in der Fläche.

Fünftens. Der Grundsatz der Einräumigkeit der Verwaltung ist zu beachten.

Alle diese Leitlinien sind eins zu eins im Entwurf des Standortgesetzes umgesetzt worden. Daneben haben im Gesetzentwurf aber auch die von den Ressorts erarbeiteten fachspezifischen Kriterien Eingang gefunden, die die speziellen Gegebenheiten hinsichtlich der Zuständigkeit und Aufgabenwahrnehmung berücksichtigen. Diesem Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, gingen ein umfassender Datenabgleich, eine Standortanalyse und eine vertiefte Kosten-Nutzen-Rechnung voraus.

In Bereichen, in denen man heute noch keine abschließende Einschätzung hat oder haben kann, sind auf der Grundlage von Erfahrungswerten und der herangezogenen Zahlen qualifizierte Schätzungen und Prognosen vorgenommen worden. Diese Herangehensweise entspricht den Anforderungen an eine angemessene und nachvollziehbare Berechnung bzw. die Erstellung von validen Modellrechnungen. Wir kommen mit der Umsetzung des Standortgesetzes und weiteren Maßnahmen der Staatsmodernisierung zu Gesamteinsparungen, die sich bis in das Jahr 2020/2021 auf 841 Millionen Euro saldieren. Sie machen es uns möglich, die Verwaltung und die Justiz des Freistaates Sachsen ab dem Jahr 2022 mit

einem Kostenvolumen zu gewährleisten, das um 285 Millionen Euro geringer als gegenwärtig ist.

Lassen Sie mich noch eines anmerken: Es wurde bemängelt, dass Zahlen nicht ausreichend zur Verfügung gestellt worden wären. Meine Damen und Herren, wir haben im Staatsministerium der Justiz und für Europa extra mit den Vertretern von Oppositionsfraktionen über das Konzept gesprochen und dabei auch Datenmaterial zur Verfügung gestellt. Das Konzept und die Berechnungen sind zur Verfügung gestellt worden. Man muss sie nur zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der CDU)

Dem scheinen Sie, Frau Kollegin Friedel, sich nachhaltig zu verweigern. Sie haben mehr als eine Diskette mit Datenmaterial mit jeder Menge Daten erhalten. Eine Frage dazu oder irgendetwas anderes hat es seit März von Ihrer Seite nicht gegeben.

(Sabine Friedel, SPD: Nehmen Sie bitte die Anfragen zur Kenntnis, Herr Staatsminister!)

Ja, ja. Wenn wir Ihnen das zur Verfügung stellen, können Sie sich hinterher nicht hier hinstellen und bemängeln, dass ich nichts sage.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Es bedarf bei den angestellten Modellberechnungen und Überlegungen für die weitere Entscheidung der Staatsregierung keines prognostischen Gutachtens des Rechnungshofes.