Protokoll der Sitzung vom 30.06.2011

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN – Volker Bandmann, CDU, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Bandmann?

Bitte, Herr Kollege Bandmann.

Herr Dulig, ist Ihnen bekannt, dass in den Stasi-Haftanstalten des Ulbricht-Regimes zahlreiche Sozialdemokraten, CDU-Leute der DDR, selbst Genossen aus der SED gesessen haben und gemeinsam dieses Schicksal erlitten haben? Ist Ihnen bekannt, dass CDU-Leute, SED-Leute, alte Kommunisten sowie auch SPD-Mitglieder versucht haben, durch eine Flucht das eingekesselte Land zu verlassen? Haben Sie das

vergessen? Ist es Ihnen das wert, hier mit dem Finger auf andere zu zeigen?

(Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Bandmann, reißen Sie sich einmal zusammen! Erzählen Sie doch einem Sozialdemokraten nicht, wie die Geschichte der SPD verlief.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Erzählen Sie das doch nicht den Sozialdemokraten, die gegen Hitler und Stalin gekämpft haben. Erzählen Sie das doch nicht einem Sozialdemokraten. Sie sind diejenigen, die versuchen, die Geschichte für sich zu vereinnahmen. Dagegen verwahre ich mich.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN – Zuruf der Abg. Uta Windisch, CDU)

Ich finde es wirklich schlimm, das muss ich ehrlich sagen, dass Sie die Geschichtspolitik vereinnahmen wollen. Sie haben in Sachsen schon ein solches Dominanzgehabe. Wenn Sie nun auch noch die Geschichte dominieren wollen, sind Sie komplett auf dem Holzweg. Das muss ich einmal klar sagen.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN – Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Ich finde es wirklich ungeheuerlich.

Das Thema Mauer ist es wert, es auf den Kern zurückzuführen: Es geht nämlich um Freiheit. Ich hätte gern die Debatte über die Freiheit gestern geführt. Nur, dieses Gefühl hatte ich gestern nicht. Wenn wir über Freiheit und den Mauerbau reden, heißt das auch, dass wir froh sein können, dass die Mauer gefallen ist. Wir brauchen nicht über 50 Jahre Mauerbau zu reden. Das Eigentliche, was uns mit Freude erfüllt, ist, dass diese Mauer gefallen ist. Das ist eine Dimension, an die ich auch erinnern möchte. Es ist eben keine Frage von einer Partei. Es ist auch nicht die Frage, auf welcher Seite der Mauer wie agiert wurde. Für mich hat dieser Freiheitsgedanke eine Ebene erreicht, die weit über das Nationale hinausgeht.

Ohne den Aufstand am 17. Juni 1953, den Aufstand in Ungarn, den Prager Frühling, die Charta 77, Solidarnosc in Polen und die mutigen Menschen in Ungarn, die den Stacheldraht durchschnitten haben, wäre auch die Mauer nicht gefallen.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Wenn wir ernsthaft und ehrlich über Freiheit und das erhaltene Geschenk reden, sollten wir vor allem dazu beitragen, dass keine neuen Mauern gegen Osteuropa ,sondern dort die Brücken gebaut werden. Ihnen haben wir es nämlich zu verdanken, dass die Mauer tatsächlich gefallen ist.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Herr Dulig sprach für die SPD-Fraktion. – Als Nächstes hat die Fraktion GRÜNE das Wort. Frau Kollegin Hermenau, bitte.

(Zuruf des Abg. Volker Bandmann, CDU, und des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fangen wir doch erst einmal mit der Lehre an und gehen wir dann dem Punkt nach, warum uns diese Lehre eigentlich so wichtig sein muss.

Es gab nach dem Krieg Menschen, die der Meinung waren, sie müssten andere Menschen beschützen, bewahren, anleiten und vor den Großkapitalisten retten. Sie entschlossen sich zu herrschen. Die Leute liefen ihnen davon. Also begannen sie die Leute zu unterdrücken. Sie begannen, die Leute einzusperren. Sie haben sie getötet. Sie wollten sie vor etwas bewahren. Das ist die Lehre.

Sie gilt für alle Staatsformen, aber besonders für diese, die wir historisch gemeinsam durchlitten haben. Ich bin zwar erst nach dem Bau der Mauer geboren; ich habe sie aber erlebt und bin in dieser Zeit aufgewachsen.

Ich erinnere mich persönlich an Folgendes: Im Studium im Fach Wissenschaftlicher Kommunismus habe ich ein Traktat darüber geschrieben, dass ich nicht nachvollziehen kann, wie ein Staat davon überzeugt sein kann, seinen Bürgern das Beste zu tun, wenn er es nötig hat, sie einzusperren. Das war meine Lebenssituation als junger Mensch.

Wenn Sie heute – etwas frech, wie ich finde – einen jungen Menschen nach vorne schicken, der die DDR nicht erlebt hat, um sich zu exkulpieren, ist das nicht in Ordnung.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Bevor Sie klatschen, hätten Sie meinen Satz bis zum Ende abwarten sollen.

(Alexander Krauß, CDU: Der eine Teilsatz war schon einmal gut!)

Wenn Sie der Meinung sind – ich bin es übrigens auch –, dass die Demokratie ein gutes System ist, erwarte ich, dass Sie diese auch voll verteidigen und in aller Klarheit hier präsentieren. Ich habe heute Vormittag dazu eine Ausführung gemacht. Es hat mich gekränkt, dass Sie darauf verzichtet haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich glaube, dass die Demokratie verteidigt werden muss – und zwar offensiv.

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU)

Es sind nicht alle Menschen in diesem Land davon überzeugt. Das hat auch damit zu tun, dass es diese Geschichte gegeben hat. Deswegen ist die Aufgabe eine andere, als einfach nur auf die Exkommunisten und Kommunisten einzudreschen. Das ist meine Meinung.

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

(Julia Bonk, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Nein, danke.

Seit 1958 kursierte in Westdeutschland das Gerücht, dass die Operation Chinesische Mauer im Gang war. Ich habe nachgelesen, was Walter Ulbricht in der 33. Sitzung des ZK im Oktober 1957 gesagt hat – ich zitiere –: „Wir müssen alle Menschen davor bewahren, dass sie von den westdeutschen Großkapitalisten ausgebeutet und erniedrigt werden.“ Ein paar Jahre später haben sie die Mauer gebaut und es selbst übernommen, die Menschen auszubeuten und zu erniedrigen. So ist es ausgegangen. Die Begründung ist interessant: „Es ist bisher nicht gelungen, die Massen der Bevölkerung auch nur in den Grundfragen der Politik der Arbeiter-und-Bauern-Macht aufzuklären und zu überzeugen.“ Das haben sie dann 40 Jahre lang hinter Gittern versucht. Es ist nicht gelungen.

Ich erinnere mich an den Abend, als Schabowskis Gestammel nach 20:00 Uhr im Fernsehen lief. Meine Mutter war zu diesem Zeitpunkt bei mir zu Besuch. Wir beredeten verschiedene Dinge. Wir hatten den Fernseher leiser gestellt. Irgendetwas passierte. Wir bemerkten das. Wir hörten zu. Meine Mutter brach in Tränen aus. Sie hatte bitterlich geweint. Sie sagte: Dafür haben uns diese Idioten ein Leben lang eingesperrt und die Leute an der Grenze erschossen. Das war ihr Fazit an diesem Abend. Ihr ganzes Leben war fast vorbei. Das ist passiert. So muss man es auch hinnehmen.

Sie von der LINKEN versuchen, herauszukommen und zu sagen, dass Sie das mit der Mauer verurteilt haben. Ich erinnere mich noch an Peter Porsch, der andere Dinge gesagt hat. Die Mauer steht noch, meine Damen und Herren von der LINKEN. Sie steht noch in Ihren Köpfen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, vereinzelt bei der FDP und der Staatsregierung)

Sie haben recht, dass die Demokratie beweisen muss, dass sie in der Lage ist, auch gesellschaftszerstörende Aktivitäten – zum Beispiel an den Finanzmärkten – einzuengen, zu beherrschen und Schiedsrichter zwischen den Interessen der Gruppen zu sein, die sich frei bewegen. Dieser Nachweis ist anzutreten. Er ist noch nicht erbracht. Ihr Nachweis ist allerdings fehlgeschlagen. Sie haben bis heute als Partei des sogenannten demokratischen Sozialismus keinen Parteitagsbeschluss gefällt, in dem Sie detailliert beschreiben, wie der demokratische Sozialismus aussehen soll. Sie drücken sich davor, weil Sie genau wissen, dass Sie keine Antwort darauf haben. Darüber reden wir heute auch.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Für die Fraktion GRÜNE sprach Frau Kollegin Hermenau. – Für die NPD spricht jetzt der Abg. Gansel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Debattentitel klingt genauso lustlos und peinlich wie es der Auftritt der etablierten Parteien vor wenigen Tagen auf dem Dresdner Postplatz anlässlich des 17. Juni 1953 war. Mit Ihren lauwarmen Reden und halbherzigen Erinnerungsveranstaltungen, denen die nationale Verklemmtheit regelrecht aus den Poren trieft, können die etablierten Parteien keinerlei Geschichtsbewusstsein im Volk wecken – weder für den mitteldeutschen Volksaufstand 1953 noch für den Mauerbau 1961.

(Beifall bei der NPD)

CDU und FDP sind neben den SED-Nachfolgern die Letzten, die sich das Gedenken an den Mauerbau und damit die gewaltsame Teilung hunderttausender Familien und des Vaterlandes auf ihre Fahnen schreiben können.

(Zuruf des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Ich will bei der CDU anfangen: die CDU, die die Mauerbau-begeisterte Ost-CDU ohne personelle Brüche und ohne historische Selbstkritik übernommen hat. Deren Parteivorsitzender Gerald Götting, unter dem auch einige hiesige Abgeordnete der Ost-CDU beigetreten sind, kannte zwar das Datum des Mauerbaus nicht. Vier Wochen vor dem Bau der Berliner Mauer verlangte Gerald Götting in vorauseilendem Gehorsam aber, „die Staatsgrenze nach West-Berlin durch einschneidende Maßnahmen gegen den Menschenhandel“ zu schützen.

Bei so viel SED-Treue eines CDU-Mannes ist es auch kein Zufall, dass Gerald Götting ausgerechnet 1961 den Vaterländischen Verdienstorden der DDR verliehen bekam. Zu erinnern ist auch an den stellvertretenden CDU-Vorsitzenden – ich spreche von der Ost-CDU – Wolfgang Heyl, der damals erklärte, er wäre gern in Berlin dabei gewesen, um die Baumaßnahmen zur Teilung der Stadt persönlich zu leiten.